Wenn die Physiologie vielmehr eine
Geschichte der menschlichen
Gesundheit, als eine Geschichte phy-
siologischer Lehrmeinungen seyn soll,
so glaube ich durch die Uebersetzung dieses
vortrefflichen physiologischen Lehrbuches
sowohl für Aerzte, als für Philosophen
eine nützliche Arbeit geliefert zu haben.
Ich hatte zwar anfangs den Entschluß ge-
faßt, die Uebersetzung mit verschiedenen,
[[II]] theils litterarischen, theils erläuternden
Anmerkungen zu begleiten: wobey beson-
ders auf solche Werke, welche erst nach
der Ausgabe des Blumenbachischen
Handbuches im Drucke erschienen sind,
Rücksicht sollte genommen werden; allein
ein Zusammenfluß ungünstiger Umstän-
de, die übrigens dem litterarischen Pu-
blikum vollkommen gleichgültig sind, ver-
eitelten mein Vorhaben, und gestatteten
mir kaum so viel Muße, die Uebersetzung
selbst vollenden zu können.
Die nämlichen Beweggründe, welche
einst einen Boerhaaven, und nach ihm
einen Haller zur Herausgabe ihrer phy-
siologischen Lehrbücher antrieben, haben
auch bey mir den Entschluß hervorge-
bracht, meine Vorlesungen über die Phy-
siologie durch den Druck bekannt zu ma-
chen.
[[IV]] ‘„Es ist, sagt Boerhaava), für
einen Lehrer zuträglicher, wenn er sei-
ne eigene Gedanken, als wenn er die
Sätze eines andern Schriftstellers er-
läutert – sein Vortrag wird dadurch
deutlicher, und lebhafter u.s.w.“’
Herr von Haller aber sagt*):
‘„daß er zwar bisher des Boerhaavi-
schen Lehrbuches bey seinen Vorlesun-
gen sich bedient habe, daß er aber in
der Folge genöthiget worden, ein eige-
nes Lesebuch zu entwerfen, nachdem die
[[V]] Zergliederungskunst durch die Menge
der Entdeckungen eine ganz neue Ge-
stalt gewonnen hatte.“’
Was hier von Haller von dem da-
maligen Zustande der Zergliederungskunst
behauptete, kann auf die großen Fort-
schritte, die die Physiologie in unserm Zeit-
alter gemacht hat, mit desto größerem
Rechte angewandt werden; wenn man
die wichtigen Hauptstücke von dem Haupt-
nutzen des Athemholens, von der thieri-
schen Wärme, von der Verdauung, von
den Bestandtheilen, und von dem Nu-
tzen der Galle, u.a.m. die von den Neuern
[[VI]] in ein so helles Licht gesetzt worden, in
Erwägung zieht.
Wenn also in diesen Anfangsgrün-
den, nach so beträchtlichen Erweiterun-
gen des Gebietes, einige Lehren richtiger,
und mit der Natur übereinstimmender
vorgetragen werden, als in einigen Lehr-
büchern älterer Schriftsteller, so ist dieß
nicht so sehr für ein eigenes Verdienst des
Verfassers, als vielmehr für einen Vor-
zug unsers Zeitalters zu halten.
Wieviel ich aber aus meinem eigenen
Vorrathe hinzugethan, theils entdeckt,
[[VII]] theils anders beobachtet und erläutert ha-
be, werden gelehrte, und billige Leser von
selbst beurtheilen; besonders habe ich in
den Noten einige Gegenstände genauer er-
örtert, als in der gedrängten Paragra-
phenordnung thunlich war.
Ueberdieß habe ich mich bestrebt, die
Hauptstücke dieses Lehrbuches in einer un-
gezwungenen und natürlichen Ordnung
auf einander folgen zu lassen.
Ich habe eine Auswahl von Büchern
angeführt, wobey ich mir einen doppelten
Endzweck vorsetzte. Ich habe nämlich zum
[[VIII]] Beßten der Anfänger sowohl die Haupt-
schriftsteller, als auch diejenigen, welche
einzelne Gegenstände am beßten abgehan-
delt haben, überall angeführt; sodann ha-
be ich auch minder bekannte Quellen, die,
wie es mir schien, von den Physiologen
noch nicht, wie sie es verdienten, benutzt
worden, an gehörigen Orten angezeigt;
z.B. Reisebeschreibungen, Naturlehren,
u. s w.
Sodann habe ich auch die beßten ana-
tomischen Zeichnungen, und zwar vorzüg-
lich die Albin-Eustachischen, als das
Vollkommenste Werk, das ich allen ange-
[[IX]] henden Aerzten nicht dringend genug em-
pfehlen kann, bey jedem Hauptstücke an-
gezeigt.
Von einigen Theilen, die in dem
Eustachischen Werke gar nicht, oder
unrichtig vorgestellt sind, habe ich Zeich
nungen beygefügt.
Endlich war mein Hauptendzweck bey
der Verfassung dieser Anfangsgründe,
meinen Zuhörern einen wahren, gedräng-
ten, und faßlichen Unterricht in einer Wis-
senschaft zu ertheilen, die in dem ganzen
Umfange medizinischer Kenntnisse durch
[[X]] ihre Wichtigkeit und Brauchbarkeit sich
auszeichnet; Denn Galens Ausspruch
hat ganz das Gepräge der Wahrheit:
‘„Die Größe der Krankheit besteht in der
Abweichung von dem gesunden Zustan-
de – Diesen Abstand kennt nur derje-
nige, der von dem gesunden Zustande
einen vollkommenen Begriff sich erwor-
ben hat.“’
Göttingen den 15. Novemb. 1786.
In dem belebten menschlichen Körper, dessen
Verrichtungen die eigentlichen Gegenstände der
Physiologie sind, müßen vorzüglich drey Stücke
betrachtet werden.*)
Die festen, oder enthaltenden Theile: die flü-
ßigen, welche von den festen enthalten wer-
den: endlich, und vorzüglich die Lebens-
kräfte, wodurch die festen Theile sowohl zur
Aufnahme und Bewegung der Flüßigkeiten,
als auch zu andern Verrichtungen fähig ge-
macht werden; diese Lebenskräfte kommen
jedoch den festen Theilen nicht ausschließungs-
weise zu, sondern erstrecken sich auch auf die
flüßigen, und machen überhaupt das Wesen
organisirter Körper aus.
Allein obgleich diese drey Stücke in der
That von einander unterschieden sind, und folg-
lich einzeln abgehandelt werden müßen, so sind
sie doch in dem belebten thierischen Körper, mit
dem sich die Physiologie einzig und allein beschäf-
tiget, so innig unter einander verbunden, daß
man sich keine deutliche Vorstellung davon machen
kann, wenn sie nicht in ihrem Zusammenhange
dargestellt werden.
Denn auch die lautersten Säfte unsers Kör-
pers enthalten noch immer einen erdigten Stof,
und die festen, nach dem äußerlichen Ansehen sprö-
desten Theile, ihre ursprüngliche Bildung aus dem
Flüßigen abgerechnet, enthalten noch immer wäs-
serigte Ueberbleibsel; endlich ist keine Faser in
dem belebten Körper anzutreffen, worinnen man
nicht noch eine Spur der Lebenskraft entdeckte.
Alle Flüßigkeiten des menschlichen Körpers las-
sen sich füglich unter drey Hauptklassen bringen:
A) Rohe Säfte, worunter vorzüglich der Nah-
rungssaft gehört, der sich in den ersten We-
gen befindet, und erst in Blut verwandelt
werden muß; sodann diejenige Feuchtigkeit,
die von der äußern Oberfläche des Körpers
aus der Atmosphäre eingesogen wird.
C) Endlich die aus dem Blut abgesonderten
Säfte; sie mögen nun zu einem besondern
und einheimischen Gebrauch bestimmt seyn,
oder als unnütze Auswürfe aus dem Körper
fortgeschaft werden.
Von der ersten und dritten Klasse wird in
der Folge bey der Lehre von der Bereitung
des Nahrungssaftes, und von der Absonde-
rung der Säfte gehandelt werden. Wir wollen
hier von dem Blute als dem wahren Lebenssaft,
[Seite 6] und dem Urquell aller thierischen Säfte handeln;
denn der rohe Saft wird in Blut verwandelt,
woraus sodann alle übrigen Feuchtigkeiten ent-
springen; das Blut strömt, einige Theile, z.B.
das Oberhäutchen, die Spinnewebhaut, das
Schaafhäutchen, und den Schmelz der Zähne aus-
genommen, durch die ganze Substanz des Kör-
pers.
Es ist aber das Blut eine eigene, mehr oder
weniger rothe, klebrige und warme Flüßigkeit,
deren Zusammensetzung unter die Naturgeheimni-
ße gehört; denn alle Versuche der Scheidekünst-
ler, eine ähnliche flüßige Masse hervorzubringen,
waren bisher umsonst.
Wenn das Blut frisch aus der Ader gelas-
sen, und in einem Gefässe aufgefangen wird,
bemerkt man folgende Erscheinungen a).
So lange das Blut noch warm ist, steigt
ein flüchtiger Duft in die Höhe, der sich unter ei-
ner Glasglocke in thauförmigen Tropfen ansamm-
let, wie klares Brunnenwasser aussieht, aber ei-
nen brenzlichten, eigenen, wahrhaft thierischen
Geruch hat (bey fleischfressenden Thieren noch auf-
fallender) und demjenigen Geruch ähnlich ist, der
aus dem frischgelassenen, noch warmen Urin, und
bey Leichenöffnungen, die sogleich nach dem Tode
angestellt werden, aus dem Bauche und der Brust-
höhle aufsteigt. Ein großer Theil dieser wässe-
rigten Flüßigkeit bleibt den übrigen Bestandthei-
len des Blutes beygemischt.
a) Jo. Mart. Butt de spontanea sangvinis separa-
tione. Edimb. 1760. 8. recus. in Cl. Sandifort
thesauro dissertat. Vol. II.
So wie das Blut in dem Gefäße allmälig
erkaltet, trennt es sich von selbst in zwey Hauptbe-
standtheile. Es entstehet nämlich zuerst eine zu-
sammengeronnene Maße, aus deren ganzen Ober-
fläche eine röthlich gelbe Flüßigkeit ausschwitzt,
die man das Bluttwasser nennet; je mehr aber
von diesem Blutwasser in der Folge durchschwitzt,
in einen desto kleinern Raum zieht sich die übrige
geronnene Blutmaße zurück, die alsdann den Nah-
men des Blutkuchens erhält.
Aber auch diese geronnene Maße zerfällt,
durch starkes Rütteln oder durch wiederholtes Ab-
schlemmen, wieder in zwey Bestandtheile; näm-
lich in den rothen Theil (cruor), von dem die ro-
the Farbe des Blutes herrühret, und durch das
Abschlemmen, von der Lymphe, als dem zwei-
ten Bestandtheile, getrennt wird, und daher auch
der Grund des Blutkuchens heißt. Daß der rothe
Theil mit der Lymphe inniger verbunden ist, als
mit dem Blutwasser, erhellet schon daraus, daß
sich die Lymphe nur mit großer Gewalt von dem
Cruor trennen läßt. Sobald aber die Lymphe von
dem rothen Theil getrennt worden, wird sie im-
mer blässer, bis sie endlich einer weissen, und
ziemlich zähen Gallerte ähnlich wird.
Dies sind die vier Hauptbestandtheile des
Blutes – der wässerichte; das Blutwasser;
der rothe Theil; endlich die gerinnbare Lymphe;
doch sind alle diese Theile in der natürlichen Wär-
me des thierischen Körpers innigst gemischt, und
stellen in diesem Zustande eine durchaus gleicharti-
ge Flüßigkeit vor.
Ich werde nun von den letzten drey Bestand-
theilen umständlicher handeln; denn der wässerich-
te Theil hat für uns nichts Auszeichnendes, und
kann so wenig als die Luft, die in den übrigen
Theilen unsers Körpers sich befindet, als ein eig-
ner Bestandtheil des Blutes angesehen werden.
Das Blutwasser ist eine gallertartige Feuch-
tigkeit, von der vorzüglich die Klebrigkeit des
Blutes abhängt. Es hat mit dem Eyweis a)
die größte Aehnlichkeit; denn es gerinnt bey einer
Wärme von 150 Grad (nach dem Fahrenheiti-
schen Thermometer) zu einer weißen, schneidba-
ren, eyweisähnlichen Masse, welches sogar nach
20 und mehrern Stunden sich ereignet, wenn man
das Blutwasser nach Moskatis b) Versuchen,
mit lebendigem Kalch vermischt. Wird aber das
Blutwasser gelinde getrocknet, so verwandelt es
sich von freien Stücken in eine durchsichtige, dem
arabischen Gummi nach dem äußern Anschein
ähnliche Substanz, die allmälig, so wie das ge-
trocknete Eyweis, unzählige, spiralförmige, und
höchst sonderbar gestaltete Risse bekommt.
a) Poerner experimenta de albuminis ovorum,
et seri sangvinis convenientia. Lips. 1754. 4.
b) Moscati nuove osservaz. ed experienze sul san-
gve etc. In scelta di opusc. interessanti. Me-
diol. Vol. XVI. p. 102.
Außer den übrigen Eigenschaften des Blut-
wassers, ist auch dies noch merkwürdig, was ich
nach Priestley's a) Versuchen so oft bestättigt
gefunden habe: nähmlich die schnelle Einwirkung
der äußern Luft auf den Blutkuchen, die sich so-
gar durch das darüberstehende Blutwasser er-
streckt, und die Farbe des rothen Theils zu ver-
ändern im Stande ist; dahingegen die Luft auf
denselben Blutkuchen eine sehr unmerkliche, oder
gar keine Wirkung äussert, wenn der Blutkuchen,
anstatt des Blutwassers, mit andern Flüßigkei-
ten, z.B. Wasser oder Oel, oder mit andern
thierischen Säften, z.B. mit Speichel oder Urin
bedeckt ist.
Ein anderer uns höchst merkwürdiger Be-
standtheil des Blutes ist der Cruor, oder rothe
Theil des Blutes, der sich sowohl durch seine
Farbe, als durch die Figur seiner Theilchen,
und sogar durch die Elemente, welche durch die
Gewalt des Feuers ausgeschieden werden, beson-
ders auszeichnet. Dieser rothe Theil des Blutes
scheint einer der ausgearbeitetsten Säfte des thie-
rischen Körpers zu seyn, denn er kommt bey dem
noch zarten ungebohrnen Kinde kaum vor der
vierten Woche nach der Empfängniß, in dem un-
ausgebrüteten Hühnchen aber kaum vor der vier-
[Seite 10] zigsten Stunde, zum Vorschein, und wird nach
häufigem Blutverlust, unter allen Bestandtheilen
am schwersten ersetzt.
Dieser rothe Theil besteht aus Blutkügel-
chen, die Leeuwerhoek zuerst beobachtet hat; sie
haben in dem frischen Blut eine bestimmte Figur
und Größe, und haben in keiner andern Flüßig-
keit des Körpers eine so gleichförmige Gestalt
(nur in der Milch findet etwas ähnliches statt);
sie scheinen also ein wesentliches Unterscheidungs-
zeichen von den übrigen Bestandtheilen des Blu-
tes auszumachen, obgleich ihre Figur ungleich
einfacher seyn mag, als sie von verschiedenen
Gelehrten angegeben wird. Denn Leeuwenhocks
eingebildete in einem sechsfachen Verhältniße ab-
nehmende Figur dieser Blutkügelchen, oder ihre
kettenförmige Gestalt, die della Torre a) gese-
hen haben will, zu geschweigen, so habe ich doch
auch Hewsons b) Bläschen nie gesehen; sie
schienen mir allezeit kugelrund, und wenn mich
meine Augen nicht getäuscht haben, gallertartig
zu seyn. Auch will ich die linsenförmige Gestalt,
welche andere Beobachter angeben, zwar nicht
läugnen, doch kann ich sie, meinen Wahrneh-
mungen zufolge, auch nicht behaupten.
Man hat darüber gestritten, ob diese Kü-
gelchen, wenn sie durch die Mündungen der klein-
sten Gefäße gehen, ihre Figur verändern. Es
ist mir nach Reichels c) Versuchen sehr wahr-
scheinlich, daß sie ihre sphärische Gestalt in eine
eyrunde verwandeln, sobald sie aber in ein wei-
teres Gefäß kommen, ihre vorige Gestalt wieder
annehmen.
[Seite 11] Diese kugelrunde Gestalt zeigt sich aber nur
in dem lebendigen, oder wenigstens frisch gelas-
senen Blute; denn mit der Zeit geht diese Gestalt
verlohren, und die Kügelchen scheinen gleichsam
zu zerfließen.
a) Jo. Mar. Della Torre nuove osservaz. intorno
la storia natur. Neap. 1768. 8. p. 95.
– Nuove osservaz. microscop. ibid. 1776. 4.
p. 83
Daß dieß eine optische Täuschung gewesen, hat
Herr Köstlin durch Versuche dargethan, die er
mit der Vergrößerungslinse des della Torre selbst
anstellte, S. Fascic. animadvers. Stuttg. 1780.
4. p. 12.
b) Philos. Transact. Vol. LXIII. P. II. p. 303.
c) Reichel de sangvine ejusqve motu experimen-
ta. Lips. 1767. 4. p. 27.
Auch über die Größe dieser Blutkügelchen
sind die Physiologen uneinig. Hales setzt ihren
Durchmesser auf 1/3240, Senak auf 1/3300 eines
Zolles, andere anders.
Die Farbe dieser Kügelchen ist roth, und
von ihnen rührt überhaupt die rothe Farbe der
ganzen Blutmaße her. Es gibt aber mannigfal-
tige Abstuffungen dieser Farbe; so ist das Blut
bey Thieren, die eine schlechte Nahrung haben,
oder nach einem beträchtlichen Blutverlust, über-
haupt blässer; das Blut, welches in den Arterien
fließt, oder aber der äußern, besonders der de-
phlogistisirten Luft ausgesetzt ist, pflegt eine hell-
[Seite 12] rothe Farbe zu haben; dahingegen, wenn das
Blut in den Venen fließt, oder von der fixen und
brennbaren Luft berührt wird, dunkler gefärbt ist.
Ueberhaupt sind die Ursachen, welche die ro-
the Farbe des Blutes erhöhen, leicht anzugeben;
allein worinn eigentlich die erste Anlage zu dieser
Farbe bestehen möge, ist schwer zu entscheiden.
Haller setzt die Ursache in der Eisenerde, die in
dem Blute häufiger, als in den übrigen Säften
enthalten ist; obgleich die Menge derselben im
Ganzen ziemlich unbeträchtlich ist, und von ver-
schiedenen Schriftstellern verschiedentlich angege-
ben wird; sie verhält sich z.B. nach Menghin
zur ganzen Blutmaße wie 1 : 110. Nach Rhades
aber wie 1 : 427. Nach andern Versuchen aber
wie 1 : 50.
Wobey jedoch zu bemerken ist, daß das Ei-
sen erst nach der Calcination des rothen Bluttheils
zum Vorschein kommt; dahingegen der Blutku-
chen langsam getrocknet und fein gepülvert, we-
der mit Wasser noch mit Quecksilber vermengt,
von dem Magnet nicht im geringsten angezogen
wird.
Zuletzt haben wir noch die gerinnbare Lym-
phe zu betrachten, die man auch den Grund des
Blutkuchens, oder den schleimigten, gallertartigen,
oder auch den faserigen Theil des Blutes nennt.
Dieser Grundtheil wird fälschlich mit dem
Blutwasser für einerley Bestandtheil gehalten,
von dem er doch wesentlich unterschieden ist; in-
dem er bey dem Zutritt einer etwas kühlern Luft
gerinnet, durch beygemengtes Kalkwasser hinge-
[Seite 13] gen, wodurch das Blutwasser gerinnet, flüßig
erhalten wird, oder durch die Beimischung dessel-
ben aus dem geronnenen Zustande in einen flü-
ßigen übergehet.
Die Weise, wodurch die gerinnbare Lym-
phe von dem rothen Bluttheile getrennt wird,
haben wir oben (§. 9) angezeigt. Sie wird
aber auch durch andere Kunstgriffe z.B. durch
Peitschen mit Ruthen, in eine Art von Membran
verwandelt, die man die Ruyschische zu nennen
pflegt. a)
Aus der Aehnlichkeit zwischen dieser künstli-
chen Membran, und einigen merkwürdigen Er-
scheinungen, besonders bey Entzündungskrankhei-
ten, erhellet, daß die gerinnbare Lymphe den größ-
ten Antheil daran hat.
Hieher gehört das sogenannte Entzündungs-
fell beym Seitenstich; und andere dergleichen un-
ächte Membranen, welche aus den entzündeten
Eingeweiden durchzuschwitzen, und dieselben zu
umziehen pflegen; hieher gehört auch einigermas-
sen Hunters abfallende Haut, welche aus der
Höhle der durch den Beischlaf erhitzten und ge-
schwängerten Gebährmutter ausduftet; ferner das
zellichte Gewebe, wodurch bey Lungenentzündungen
die Lungen mit dem Rippenfell verwachsen, oder
nach großen Blutergiessungen in die Bauchhöhle
angetroffen wird; oder wodurch, damit ich ein be-
sonderes Beispiel anführe, eine versteinerte, in
der Bauchhöhle lange Zeit aufbehaltene Leibes-
frucht mit den benachbarten Eingeweiden, fest
zusammen hienge b). Auch die Schleimpfröpfe,
[Seite 14] und andere dergleichen Gerinnungen scheinen die-
ses Ursprunges zu seyn.
a) Ruysch thesaur. anat. VII. P. II. tab. III. fìg.
6. cf. thesaur. I. p. 14. sq. tab. II. fig. E.
Aus diesen und andern, in der Folge an-
zuführenden Erscheinungen läßt sich die Wichtig-
keit dieses Bestandtheiles einsehen; und überhaupt,
wofern anders in dem Blute ein belebter Grund-
stof vorhanden ist, wie mir sehr wahrscheinlich
vorkommt, so hat die gerinnbare Lymphe den
größten Antheil daran.
Außer diesen jetzt angeführten Bestandthei-
len des Blutes, gibt es auch noch andere, wie ich
bereits oben (§. 10.) erinnert habe.
Hieher gehört vorzüglich die Luft, welche
1/33 Theil der ganzen Blutmaße ausmachen soll;
die aber in dem lebendigen und gesunden Blute
nicht in einer losgebundenen und elastischen Ge-
stalt erscheint, sondern auf das innigste damit
vermischt, und gleichsam verkörpert ist, und sich
nur mit großer Mühe davon trennen läßt. Ich
bin sogar durch Versuche überzeugt worden, daß
die Luft, wenn sie in einer noch so kleinen Men-
ge in die Droßelader eines lebendigen Hundes
eingesprützt wird, die heftigsten Zufälle, näm-
lich Herzklopfen, Betäubung, Zuckungen, und
in grösserer Menge, den Tod verursacht a).
a) Von diesen Versuchen sehe man meine medizini-
sche Bibliothek. B. I. S. 177.
Das Verhältniß dieser jetzt angeführten Be-
standtheile ist nach der Verschiedenheit des Alters,
der Nahrungsmittel, und anderer Umstände,
worinnen die eigentliche Gesundheit jedes einzelnen
Menschen bestehet, äusserst verschieden.
Selbst die festen Theile a) haben ihren Ursprung
von den flüßigen. So entstehen aus den ersten
Anfängen des noch gallertartigen ungebohrnen
Kindes, allmälig an den gehörigen Orten feste
Theile, die durch unzählige Grade des Zusammen-
hanges von einander unterschieden sind b), näm-
lich von den weichsten, beinahe breiartigen Thei-
len z.B. der Marksubstanz des Gehirns, bis zu
der härtesten Substanz, nämlich die Glasur der
Zähne.
a) Hier. Dav. Gaubii Spec. exhibens ideam ge-
neralem solidorum c. h. partium L. B. 1725. 4.
b) Abr. Kaau Boerhaave de cohaesione solidorum
in corpore animali in Nov. comment. acad.
Petropolitan. Tom. IV. p. 343. seq.
Die Grundlage aller festen Theile besteht aus
einer mehr oder weniger, größtentheils kalkartigen
Erde, die aber mit Säuern (meistens mit Phos-
phorsäuere, und auch Zuckersäuere) verbunden ist.
[Seite 17] Der Zusammenhang aber, wird theils durch die
Menge der fixen Luft a), die (nach Hales Ver-
suchen) desto größer ist, je dichter diese Theile
sind; theils mittelst des sogenannten thierischen
Leimes, desgleichen z.B. der gemeine Tischler-
leim ist, der aus den festen Theilen der Thiere
ausgezogen wird. Die Entstehung dieses leimig-
ten Wesens läßt sich aus dem, was von der
klebrigten Beschaffenheit des Blutes oben gesagt
worden, leicht erklären.
Die Eisentheilchen, die nach einigen, soviel
zur Festigkeit beytragen sollen, scheinen mir hier
kaum in Anschlag zu kommen, da ihre Menge
sehr unbeträchtlich ist; indem zwey Pfund der
dichtesten Theile, nämlich der Knochen, kaum 1/3
Gran Eisen enthalten.
a) Die Eigenschaften der Luft sind uns noch nicht
durchgängig bekannt. – Nur so viel ist ausge-
macht, daß die Luft einen Bestandtheil des thie-
rischen Leimes ausmacht, wodurch die Elemente
aller festen Körper in dem ganzen Naturreich
zusammen hangen; so zwar daß kein Metall kein
Stein, keine Muschel, kein Salz aufgelöset wer-
den kann, wobei nicht Luft entwickelt wird.
Halleri Physiol. Vol. III. p. 271.
Die meisten festen Theile haben einen fase-
rigten Bau, der aus mehr oder weniger gleich-
laufenden Faden zusammengewebt ist. Dies
sieht man bei Knochen, besonders noch unge-
bohrner Kinder, in dem Muskelfleisch, in den
Sehnen, Bändern, sehnigen Ausbreitungen,
[Seite 18] und einigen Membranen, z.B. der harten Hirn-
haut u.s.w.
In andern Theilen hingegen bemerkt man
keinen faserigten Bau; sie scheinen vielmehr aus
einem eigenen Gewebe, das die Griechen Paren-
chyma nannten, zu bestehen, wie dies vorzüg-
lich bey absondernden Eingeweiden, z.B. den
Nieren, der Leber u.s.w. der Fall ist.
Aber alle diese Theile, ihr Bau mag nun
aus Fasern bestehen, oder ein eigenes Gewebe
vorstellen, hangen mittelst des Zellgewebes, das
unter die vornehmsten, und merkwürdigsten Thei-
le des thierischen Körpers gehöret, auf das innig-
ste zusammen a).
a) Dav. Chr. Schobinger (praef. Hallero) de te-
lae cellulosae in fabrica c. h. dignitate. Gott.
1748. 4.
Denn zuerst bestehen viele unserer festen
Theile beinahe ganz aus einem solchen Zellgewe-
be, z.B. die meisten Membranen und Knorpel,
die sich durch eine fortgesetzte Mazeration, in ein
lockeres Zellgewebe wiederum auflösen lassen.
Bei anderen Theilen ist diese Zellhaut so innig
einverwebt, daß sie den übrigen Bestandtheilen
gleichsam zur Hülle, und Stütze dienet; so be-
standen ehemals die härtesten Knochen, aus ei-
nem Knorpel, der selbst nichts anders als ein dich-
tes Zellgewebe war, in der Folge aber von dem
sich ergießenden Knochensaft in ein lockeres Ge-
webe ausgedehnet, und gleichsam ganz davon durch-
[Seite 19] drungen wurde. Dieses Zellgewebe erstreckt sich
auf alle festen Theile des Körpers, die Glasur
der Zähne ausgenommen, worinn ich auch durch
die stärksten Säuern, keine Spur davon entde-
cken konnte.
Ferner macht dieses Zellgewebe gleichsam
Scheidewände zwischen den angrenzenden Theilen,
besonders bey Muskeln und Membranen anderer
Theile, z.B. Blutgefäße und Nerven, werden
davon unterstützt. Ueberhaupt ist dieses Zellge-
webe das gemeinschaftliche Band aller festen Thei-
le des Körpers.
1) Daß dieses Zellgewebe gleichsam die
Grundlage des ganzen thierischen Körpers aus-
macht, so daß, wenn wir in Gedanken alles
übrige, was nicht Zellgewebe ist, von dem Kör-
per absondern, und uns nur dieses zurückbleiben-
de Gewebe vorstellen, dem ungeachtet die ganze
Gestalt des Körpers und seiner Theile unverän-
dert zurückbleibt.
2) Daß eben mittelst dieser allgemeinen
Grundlage, zwischen allen, auch noch so verschie-
denen und von einander entfernten Theilen des
Körpers, ein gemeinschaftlicher Zusammenhang
und Weg offen steht; woraus man sowohl die
Streitigkeiten über die Fortsetzung der Membra-
nen, als auch verschiedene Erscheinungen in dem
kranken Körper erklären kann.
So wie nun dieses Zellgewebe den meisten
festen Theilen des Körpers den ersten Stof, und
[Seite 20] Grundlage mittheilt, so hat es selbst seinen Ur-
sprung, wie es mir wahrscheinlich ist, aus der
gerinnbaren Lymphe des Blutes; so sahe ich in
Lungenentzündungen diese gerinnbare Lymphe in
ein solches Zellgewebe übergehen, welches sodann
jene unächte Membranen bildet, wodurch nach-
mals die Lungen mit dem Rippenfell verwach-
sen.
Dieses mag von der Natur und Wichtigkeit
des Zellgewebes hinreichen. Ich werde nur noch
einige Besonderheiten desselben anführen.
Das Zellgewebe ist nicht überall gleich dicht,
überhaupt scheint es in dem Menschen im Gan-
zen genommen, ungleich feiner zu seyn, als bei
den übrigen Thieren; und in dieser Zartheit scheint
mir sogar ein gewisses Vorrecht der menschli-
chen Natur zu liegen, wodurch unser Körper nicht
nur für feinere Rührungen der Sinne, sondern auch
zur Hervorbringung mannigfaltiger Bewegungen,
und Vervollkommung verschiedener thierischer Ver-
richtungen, fähiger gemacht wird.
Aber auch in dem menschlichen Körper ist
dieses Zellgewebe nach Verschiedenheit des Alters,
des Geschlechts, der Lebensweise, des Clima
u.s.w. dichter oder lockerer.
Auch die Verschiedenheit der Theile des Kör-
pers macht einen Unterschied: es ist z.B. lockerer
an den Augenliedern, und an der Vorhaut,
straffer hinter den Ohren u.s.w.
Außer diesem allgemeinen Nutzen, den das
Zellgewebe dem Körper gewähret, (§. 29. 30.)
ist noch ein anderer Vortheil anzuführen, dieser
[Seite 21] nämlich, daß die Zellen dieses Gewebes zur Auf-
nahme verschiedener Flüßigkeiten bestimmt sind.
Und zwar nehmen sie vorzüglich jenen wäß-
rigen Duft auf, wovon fast alle Theile des Kör-
pers befeuchtet und schlüpfrig gemacht werden,
und den dieses Zellgewebe gleichsam wie ein
Schwamm einsaugt a).
a) Wofern man diese zarten Zwischenräume, die
wie ein Schwamm einsaugen, Gefäße nennen
will, so bin ich mit Hunter ganz einig. (Medi-
cal obsev. and inqviries Vol. II. p. 27.), daß
dieses Zellgewebe, so wie alle andere Theile des
Körpers, aus Gefäßen bestehet. In dem Sin-
ne hingegen, als ob dieses ganze Zellgewebe aus
lauter kleinen zurückführenden Röhrchen bestehe,
bin ich ganz anderer Meinung, indem mich mei-
ne mikroskopischen Versuche, die ich mit der größ-
ten Genauigkeit angestellt, und wobei ich mich
vor allen optischen Täuschungen auf das sorg-
fältigste verwahret habe, das Gegentheil be-
lehren.
An einigen andern Stellen des menschlichen
Körpers nimmt das Zellgewebe auch andere Flü-
ßigkeiten auf. – So enthält z.B. jenes Zellge-
webe des Auges, welches der Glaskörper heißt,
die Glasfeuchtigkeit.
So die Markhaut der Knochen (die man sehr
unschicklich die innere Beinhaut nennet) das Kno-
chenmark.
[Seite 22] Ein großer Theil endlich dieses Zellgewebes,
das zwischen den weichen Theilen lieget, enthält
das übrige Fett.
Bei diesem Fett findet folgende dreyfache
Verschiedenheit statt:
Denn erstens giebt es einige Theile des Kör-
pers, deren Zellgewebe, obschon es ungemein zart
und locker ist, nicht das geringste Fett enthält;
z.B. an den Augenliedern, und an den männli-
chen Geschlechtstheilen u.s.w.
Ferner ist das Fett an unzähligen Stellen
des Körpers mehr oder weniger ausgegossen, und
zwar, wie es scheint, in eben denjenigen Zellen,
welche gewöhnlich jenen wäßrigen Duft, von dem
oben die Rede war, einsammlen; obgleich Hunter
a. a. O. S. 33. anderer Meinung ist.
Endlich aber ist das Fett an einigen Stellen
des Körpers in eigenen und begränzten Fächern
eingeschlossen, weil es auch dort zu einem beson-
dern Nutzen bestimmt ist; hieher gehört das Fett
an dem Schaamhügel, das nach meinen Beob-
achtungen eine eigene und begränzte Fettmaße
bildet a).
a) Dies habe ich sehr deutlich in dem weiblichen
todten Körper einer Meerkatze (Simia cynomol-
gus), den ich in der Kälte liegen ließ, gesehen;
wo ich diese Fettmaße ganz ausschälen konnte.
Uebrigens scheint mir hier der schicklichste
Ort zu seyn, von dem Fette selbst zu handeln a).
[Seite 23] Das Fett ist eine ölichte Substanz, die mit
den schmierigen Pflanzenöhlen eine große Aehn-
lichkeit hat b), dabei mild, geruchlos, leichter
als Wasser ist, und Brennstof enthält, der mit-
telst einer eigenen Säure, mit den wäßrigen Thei-
len sich verbindet c).
a) GH. Xav. Jansen pingvedinis animalis con-
sideratio physiologica et pathologica. LB.
1784. 8.
b) Joach. Died. Brandis comm; (praemio regio or-
nata) de oleor. ungvinosor. natura. Gotting.
1785. 4. p. 13. seq.
c) Joach. Jac. Rhades de ferro sangvinis hum.
aliisqve liqvidis animalium. Goetting. 1753. 4.
cap. IV. de adipe humano.
Dav. H. Knape (praes. Segnero) de acido pingve-
dinis animalis. ibid. 1754. 4.
In dem ungebohrnen Kinde entstehet das
Fett sehr spät, so daß man vor dem fünften Mo-
nate nach der Empfängniß, kaum eine Spur da-
von unterscheiden kann.
Auch seine Flüßigkeit ist nach den verschiede-
nen Theilen verschieden. Es ist z.B. flüßiger
in den Augenhöhlen; dichter hingegen, und fast
wie Inselt, in der Nierengegend.
Man hat gestritten, ob das Fett mittelst
eigener Drüsen, wie Hunter glaubt, abgesetzt
wird, oder nur aus den Arterien durchschwitzt.
[Seite 24] Die letztere Meinung ist, außer andern Gründen,
auch darum wahrscheinlich, weil man zuweilen
das Fett auf eine widernatürliche Weise, auch
an solchen Stellen, wo gewöhnlich keines enthal-
ten ist, angetroffen hat: eine Erscheinung, die
sich viel leichter aus einer fehlerhaften Beschaf-
fenheit der fettabfetzenden Gefäße, als aus widerna-
türlich entstandenen neuen Drüsen erklären läßt;
so hat man z.B. in dem Augapfel selbst Fett
gefunden und eine ähnliche schmierige Substanz
pflegt den leeren Raum eines ausgerotteten Ho-
den einzunehmen, und es ist beinahe keine Höhle
in dem menschlichen Körper, worinnen man nicht
zuweilen Speckgeschwülste angetroffen hat.
Ueberhaupt gehören die fettabsetzenden Drü-
sen unter die Geschöpfe der anatomischen Einbil-
dungskraft.
Soviel ist indessen gewis, daß sowohl die
Absonderung, als Einsaugung des Fettes schleunig
von statten gehet.
Der Nutzen des Fettes ist mannigfaltig. Es
macht die festen Theile schlüpfrig, und befördert
die Muskelbewegung. Es vermindert die allzu-
große Empfindlichkeit; schützt vor Kälte; dehnt
die Haut in gleiche Verhältniße aus, und trägt
nicht wenig zur Schönheit des Körpers bei.
Ich übergehe hier den örtlichen Nutzen des
Fettes an einigen Theilen, z.B. das Knochen-
mark.
Zur Ernährung des menschlichen Körpers
scheint mir das Fett nicht das geringste beizutra-
gen. a)
a) Daß aber die blutlosen Insekten aus ihrem über-
flüßigen Fett den größten Theil ihrer Nahrung
ziehen, hat Lyonet sehr wahrscheinlich gemacht.
P. Lyonet Tr. anat. de la Chenille qvi ronge les
bois de Saule p. 428. 483. seq. et praefat.
p. XIII.
Wir schreiten nun zu einer schweren Abhandlung,
nämlich zur Betrachtung des belebten Stoffes a),
und der Lebenskräfte, die unsern Körper gleich-
sam beseelen, und denselben, sowohl für die sinn-
lichen Reitze empfänglich, als zur Hervorbringung
verschiedener Bewegungen fähig machen.
a) Gualt. Forsten Verschuir oratio de recentio-
rum medicorum, imprimis Belgarum meritis,
in phaenomenis et effectibus principii, quod
vitam animalem constituit, indagandis. Gro-
ning. 1781. 4.
Math. van Geuns de eo, quod vitam constituit in
corpore animali. Groning. 1758. 4. recus. in
Sandifort thesaur. Vol. II.
Joh. Theod. van der Kemp, de vita et vivificatio-
ne materiae humanum corpus constituentis
Edinb. 1782. 8.
Wir müssen also hier vorzüglich die Gränzen
des belebten thierischen Stoffes bestimmen; wobei
[Seite 27] jedoch diejenigen Kräfte, welche der menschliche
Körper in der Natur mit anderen Körpern gemein-
schaftlich hat, z.B. die Elasticität (die übrigens
einen großen Einfluß auf die thierische Haushal-
tung hat a), eben so wenig in Anschlag kommen, als
die Seelenkräfte, obgleich auch diese auf die thieri-
schen Kräfte eine große Herrschaft ausüben. Nur
von denjenigen Kräften soll hier gehandelt werden,
die den verschiedenen Arten des organisirten Stof-
fes eigen sind, und sich nach meiner Meinung auf
folgende Klassen zurückführen lassen.
a) Jo. Henr. Schulze de elasticitatis effectibus
in machina humana. Halae 1738. recus. in
Halleri collect. anatom. vol. III.
Die erste, und allgemeinste dieser Kräfte,
die unter den übrigen den niedrigsten Rang be-
hauptet, ist die Zusammenziehbarkeit, oder das
Bestreben sich zusam̃enzuziehen. Diese Kraft scheint
mir ihren Sitz vorzüglich im Zellgewebe zu haben,
und ist daher, wie das Zellgewebe selbst, über
den ganzen Körper verbreitet. Vielleicht könnte
man diese Kraft ganz schicklich die Kraft des Zell-
gewebes nennen.
Die zweyte Art der Lebenskräfte ist die Has-
lerische Reitzbarkeit, die eine besondere Eigenschaft
der Muskelfaser ist, und daher auch die Mus-
kelkraft heißt. Sie äußert sich durch eine beson-
ders schwingende, und gleichsam bebende Bewe-
gung; von der einfachen Zusammenziehung unter-
scheidet sie sich hinlänglich dadurch, daß sie von
[Seite 28] einem jeden schärfern Reitz leicht wieder erweckt
wird.
Die dritte Art ist die Empfindlichkeit, die
auch, weil sie ein Vorrecht des mit dem Gehirn
verbundenen Nervenmarkes ist, die Nervenkraft
heißt, von der es herrührt, daß die empfindli-
chen Theile, wenn sie auf irgend eine Weise ge-
reitzt werden, die Empfindung dem Gehirn mit-
theilen.
Diese drey Arten könnte man die gemein-
schaftlichen Lebenskräfte nennen, da sie in allen
gleichartigen Theilen unseres Körpers, sich mehr
oder weniger äußern.
Aber außer diesen kommt noch eine vierte
Lebenskraft in Betrachtung, nämlich das beson-
dere Leben, worunter ich diejenigen Kräfte befas-
se, die man an einzelnen, zu einzelnen Verrich-
tungen bestimmten Organen wahrnimmt, und
nicht wohl unter die vorhergehenden Klassen ge-
bracht werden können.
Daß Theile, welche an Bau, und Verrich-
tungen von den übrigen Theilen sich unterscheiden,
auch mit besondern Kräften dazu ausgerüstet seyn
können, ist an sich keine so ungereimte Vorstellung.
Aber auch aus der Erfahrung, aus einer
genauen Beobachtung der Natur, können wir uns
überzeugen, daß einige Theile, besonders Einge-
weide, so sonderbare Bewegungen hervorbringen,
die sich unmöglich aus einer der vorerwähnten Le-
benskräfte erklären lassen, sondern ein gewisses
eigenes Leben vorauszusetzen scheinen.
[Seite 29] Hieher gehört z.B. die Bewegung des Au-
gensterns; das Steifwerden der Brustwarzen; die
Bewegung der fallopischen Gänge; die Trennung
der Nachgeburt; und das Geschäft der Gebähr-
mutter bei der Geburt; das Heruntersinken der
Hoden in dem ungebohrnen Kinde; und wenn ich
mich nicht irre, fast das ganze Absonderungsge-
schäft der thierischen Säfte.
Endlich ist hier noch der Bildungstrieb zu
betrachten übrig, der als die würkende Ursache des
ganzen Zeugungsgeschäftes (nämlich in der weite-
sten Bedeutung) in sofern sowohl Ernährung
und Wiederersetzung blosse Modificationen der
Zeugung sind, angesehen werden muß; denn von
diesem Bildungstriebe rührt es her, daß sowohl
der Zeugungs- als Nahrungsstof in ihren gehöri-
gen Werkzeugen aufgenommen, zur gehörigen
Reife gebracht werden, ihre gehörige Gestalt er-
langen, und auf diejenigen Theile hingeleitet wer-
den, welche in der Folge durch ihre vierfache oben
angeführte Lebenskraft, nämlich Zusammenzieh-
barkeit, Reitzbarkeit, Empfindlichkeit, und durch
ihr eigenes Leben sich auszeichnen.
Von diesem Bildungstriebe wird nachher bei
der Betrachtung des Zeugungsgeschäftes umständ-
licher gehandelt werden.
Die Reitzbarkeit kommt bei der Muskel-
bewegung vor.
Die Empfindlichkeit gehört in den Abschnitt
des Nervensystems.
Von dem eigenen Leben wird allzeit an sei-
nem gehörigen Orte gehandelt werden.
[Seite 30] Nur von der Zusammenziehbarkeit habe ich
hier noch ein und anderes zu erinnern.
Diese Zusammenziehbarkeit erstreckt sich über
den ganzen Körper, so weit nämlich das Gebiet
des Zellengewebes reicht.
Sie findet sich also zuerst bei solchen Thei-
len, die ganz und gar aus einem Zellengewebe be-
stehen, z.B. in Membranen; denn daß diese sich
zusammenziehen erhellet aus der Zusammenziehung
der Fleischhaut des Hodensacks (Membrana tar-
dos), aus dem Krämpfen der Haut, oder des
Darmfells, welches öfters die eingeklemmten Där-
me fest zusammenschnürt.
Ferner in denjenigen Eingeweiden, die vor-
züglich aus dieser Zellenhaut zusammengewebt
sind; hieher gehören die Lungen, deren äußere
Oberflächen, wie ich bei Zergliederungen lebendi-
ger Thiere oft gesehen habe, die Fähigkeit haben,
sich zusammenzuziehen, aber nicht im geringsten
reitzbar sind, wie unlängst Varnier behaupten
wollte.
Sogar die Knochen besitzen diese Eigenschaft;
denn die Zahnhöhlen ziehen sich nach dem Aus-
fallen der Zähne zusammen; in der Beinfäule
zieht sich das neue Bein, welches vorher den ab-
gestorbenen und abgeblätterten Knochen umgab,
allmälig zu seiner ehemaligen Dicke und Gestalt
zurück.
Da aber der Schmelz der Zähne kein Zell-
gewebe aufzuweisen hat (§. 29.), so scheint er
auch keine Zusammenziehbarkeit zu besitzen;
welches vorzüglich daher wahrscheinlich ist, weil
der Rest eines angefressenen oder abgebroche-
[Seite 31] nen Zahnes, sich nicht wie die Zahnhöhlen zu-
sammenziehet, sondern eine immer offene Spalte
zurückläßt.
Auf dieser Zusammenziehbarkeit des Zellge-
webes beruhet vorzüglich die Stärke und Gesund-
heit des menschlichen Körpers. Sie macht eigent-
lich dasjenige aus, was Stahl die Spannung der
festen Theile zu nennen pflegte; denn dieses Zellge-
webe, um nur ein Beispiel anzuführen, saugt in
dem gesunden Körper die ausgedunsteten Feuchtig-
keiten wie ein Schwamm in sich, und treibt die-
selben, vermöge seiner zusammenziehenden Kraft,
in die Lymphgefäße fort; in dem kranken, und
so zu sagen entspannten Zustande hingegen wird
das Zellgewebe mit stockendem Gewässer angefüllt,
und gibt zu Wassergeschwülsten, und andern Aus-
artungen der Säfte, Anlaß.
Da sich nun diese Zusammenziehbarkeit des
Zellgewebes durch den ganzen Körper verbreitet,
so fällt ihr Einfluß auf die übrigen Lebenskräfte,
deutlich in die Augen; so wie von der verschiede-
nen Beschaffenheit und von den unzähligen Gra-
den des Zusammenhanges, den man an verschie-
denen Theilen des Körpers bemerkt, die eigene
Gesundheit eines jeden einzelnen Menschen, und
ihre verschiedene Leibesbeschaffenheit abhängt.
Diese drey Stücke (§. 1.), mit denen wir uns
bisher beschäftigt haben, befinden sich in dem
menschlichen Körper in einer beständigen wechsel-
seitigen Wirkung und Gegenwirkung. Die
flüßigen Theile würken als eben so viele Reitze
auf die festen; und diese sind vermöge ihrer Le-
benskraft für diese Reihe empfänglich, und wir-
ken zugleich auf die flüßigen Theile zurück. In
dem gesunden Zustande des Menschen sind Wir-
kung und Gegenwirkung dieser Theile, in einem
vollkommenen Gleichgewicht.
Hieher gehört auch die besondere Mitempfin-
dung, die zuweilen zwischen den entferntesten
Theilen Statt findet, und von ganz verschiedenen
Ursachen herrühret a). Eine Ursache der Mit-
empfindung liegt in dem Nerven, ihren sonder-
baren Anreihungen, (Anastomosis) und dem ver-
wickelten Bau ihrer verschiedenen Geflechte und
Knoten, wodurch es geschieht, daß die Reizun-
gen der Nerven, wenn sie auf das allgemeine
[Seite 33] Sensorium fortgepflanzet werden, auf die entfern-
testen Theile wieder zurückwirken können.
Andere Mitempfindungen von dem System
der Blut- und Lymphgefäße.
An einigen Stellen entsteht die Mitempfin-
dung aus dem ähnlichen Bau der Theile.
Ich übergehe hier den Einfluß des Zellge-
webes, das, indem es alle Theile des Körpers
untereinander verbindet, auch die gegenseitige
Einwirkung dieser Theile nothwendig befördern
muß.
Hieher gehört endlich auch die große und un-
erklärbare Sympathie, die zwischen dem Körper
und der Seele eintritt; wovon ich vorläufig nur
dieß erinnern will, daß außer der Macht, die
der Wille über die meisten Muskeln zu äußern
pflegt, noch andere Veränderungen in dem Kör-
per sich ereignen, welche ganz ausserhalb dem Ge-
biete des Willens liegen.
Hieher gehören die blinden und angebohrnen
Naturtriebe; z.B. der Geschlechtstrieb.
Auch die inneren Sinne, besonders die Ein-
bildungskraft und die daraus entstehenden Ge-
müthsbewegungen haben eine große Herrschaft
über den Menschlichen Körper.
Und eben durch diese Dazwischenkunft kommt
der Körper auch mit den höhern Fähigkeiten in
eine nähere Verbindung.
Aus dieser mannigfaltigen Uebereinstimmung
der festen und flüßigen Theile und den Lebens-
kräften (§. 53.), aus dieser Mitempfindung der
verschiedenen Theile (§. 54.), und aus dieser in-
nigen Verbindung der Seele und des Körpers
(§. 55.) quillt Leben und Gesundheit, die aber
beide nicht von gleicher Ausdehnung sind, aber
nur durch unzählige Abstuffungen von einander
unterschieden sind.
Denn die verschiedenen Grade des Lebens
befinden sich zwey Extremitäten, deren eine das
größte, das andere aber das kleinste ist.
Das größte Leben besteht darinnen, wenn
in der Blüte des menschlichen Lebens, alle Ver-
richtungen des Körpers den höchsten Gipfel der
Vollkommenheit erlangt haben.
Das kleinste Leben hingegen ist alsdann vor-
handen, wenn die Verrichtungen des Körpers
nach gewissen Umständen zwar vollkommen, nur
ungleich langsamer von statten gehen; so ist das
Leben des neugebohrnen Kindes in Mutterleibe,
und zwar desto kleiner, je zarter und näher es
noch an seinem Ursprunge ist; so ist das Le-
ben eines schlafenden Menschen im Ganzen be-
trachtet kleiner, als eines wachenden; das Le-
ben des Greises ist kleiner als das Leben des
Mannes.
Aber auch die Gesundheit hat unzählige Gra-
de, und fast kann man sagen, daß jeder einzelne
Mensch nach einer eigenen Weise gesund sey a):
denn auch die gesundesten Menschen, sind nach
[Seite 35] der verschiedenen Mischung des Blutes, nach der
Spannung ihres Körpers, und in Beziehung auf
ihre übrigen Lebenskräfte, sehr von einander un-
terschieden, so daß nicht alle Körper von einem
und demselben Reitzmittel auf gleiche Weise ge-
reitzt werden. Vielleicht besitzt jeder Körper ei-
gene, nur minder auffallende Besonderheiten;
fast jeder Mensch kann durch Macht der Gewohn-
heit gewisse, an sich noch so unschuldige Dinge
nicht vertragen; oder verträgt auch ungewöhnli-
che Dinge, ohne alle Beschwerde, und sehnt sich
sogar darnach.
a) Ge. Fr. Ad. Gerresheim de sanitate cuivis ho-
mini propria L. B. 1704. 4.
Hierauf beruhet vorzüglich die Beschaffen-
heit und Mannigfaltigkeit der Temperamente,
die sowohl von dem verschiedenen Verhältniß und
Mischung des Blutes (§. 22.), als von der ver-
schiedenen Stärke der Lebenskräfte, ihrer verschie-
denen Einwirkung auf die Seele, und von der Zu-
rückwirkung der Seele auf dieselben herrühret,
wodurch sowohl eine besondere Empfänglichkeit
für die Reitzungen, als auch eine größere oder
geringere Leichtigkeit, gewisse Bewegungen hervor-
zubringen, entstehen muß.
Die Mannigfaltigkeit der Temperamente ver-
lieret sich ins unendliche, und läßt sich niemals
auf gewisse und bestimmte Klassen zurückführen.
Will man aber ja Eintheilungen machen, so kön-
nen wir es bei den bekannten vier Hauptgattun-
[Seite 36] gen bewenden lassen: nämlich das phlegmatische,
sanguinische, cholerische und melancholische.
Diese Eintheilung baute zwar Galen auf
einen sehr unsicheren Grund den er von will-
kührlich angenommenen Bestandtheilen des Blu-
tes hernahm; doch kann sie, den unschicklichen
Grund abgerechnet, beibehalten werden, da sie
mit der Natur so ziemlich übereintrift. Diesem
zufolge kann man die Temperamente sowohl ein-
zelner Menschen als der verschiedenen Lebensalter
unter vier Klassen bringen. Das zarte Kind ist
phlegmatisch; der Jüngling sanguinisch; der Mann
cholerisch; der Greis melancholisch.
Aber wie gesagt, die Mischung und Man-
nigfaltigkeit der Temperamente ist so unendlich,
daß jeder der es nur versuchen will, Verbindungen
und Classificationen derselben festzusetzen, in einem
unabsehbaren Felde sich verlieren muß.
Der Inbegrif aller Anlagen und Gesetze, wo-
durch die Verrichtungen des menschlichen Körpers
von dem Anbeginne des Lebens bis zum Tode ge-
leitet und befördert werden, wird die menschliche
Natur genannt.
Diese Verrichtungen aber selbst werden ganz
schicklich in vier Klassen getheilt; eine Eintheilung,
die zwar nicht im strengsten Sinne vollständig ist,
aber doch dem Gedächtniß gut zu statten kommet.
1) Die Lebensverrichtunqen, weil sie an-
haltend und unverletzt fortwirken müssen, wenn
das Leben bestehen soll; wohin der Kreislauf des
[Seite 37] Blutes, und bei Erwachsenen das Athemhohlen
gehört.
2) Thierische Verrichtungen, wodurch sich
die Thiere vorzüglich von den organischen Körpern
des Pflanzenreichs auszeichnen; hieher gehört bei
dem Menschen die Gemeinschaft der Seele mit
dem Leibe, das Empfindungsvermögen, und die
Muskelbewegung.
3) Natürliche Verrichtungen, die für die
Ernährung des Körpers bestimmt sind.
4) Geschlechtsverrichtungen, welche auf
die Fortpflanzung des Geschlechts sich beziehen.
Wir wollen nun diese Verrichtungen beson-
ders betrachten, und machen mit den Lebensver-
richtungen den Anfang.
Dem Blut haben die meisten Theile ihren Grund-
stoff, die übrigen aber ihre immerwährende Er-
nährung zu verdanken; es muß daher das Blut
in die innersten und entferntsten Theile, wenige
ausgenommen (§. 5.), hingeleitet werden; daß
aber dieses wirklich geschieht, lehren sowohl die
anatomischen Einspritzungen der feinsten Gefäße,
als auch die Alltagserfahrung, indem die meisten
Theile, wenige ausgenommen, wenn sie auch mit
der feinsten Nadelspitze geritzt werden, bluten.
Dieser Lebenssaft aber strömt nicht, wie die
Alten glaubten, in den Venen ab und zu, son-
dern macht einen ordentlichen Kreislauf, so daß
er aus dem Herzen durch die Arterien nach allen
Theilen des Körpers hingetrieben, durch die Ve-
nen aber, dem Herzen wiederum zugeführt wird.
Dieser Kreislauf des Blutes ist, von dem un-
sterblichen Harvey, einige wenige und a) schwan-
kende Begriffe seiner Vorgänger ausgenommen,
[Seite 39] zuerst auf das überzeugendste dargestellet wor-
den b).
In der Folge ist dieser Umlauf des Blutes,
durch mikroscopische Versuche c), durch anatomische
Einspritzungen, durch die Transfusion des Blu-
tes von einem Thiere in das andere, durch die
Infusion der Arzneyen in die Blutmasse, und
durch verschiedene andere an lebendigen Thieren
angestellte Versuche außer allen Zweifel gesetzt
worden d).
a) Der unglückliche Servet, und der berühmte
Andr. Cesalpin scheinen dieser Entdeckung am
nächsten gewesen zu seyn.
Hierauf beziehen sich einige Worte des Servet's in
einer physiologischen Abhandlung, die er seinem be-
rüchtigten, ihm so äußerst nachtheiligen, und
nun ungemein seltenen Werke: Chirtianisimi re-
stitutio etc. (Viennae Allobrog 1553. 8) ein-
verleibt hat. Diese Abhandlung befindet sich vor
dem fünften Buch: De trinitate divina, in quo
agitur de spiritu sancto: wo unter andern fol-
gende Worte stehen: ‘„vitalis est spiritus, qui
per anastomoses ab arteriis communicatur ve-
nis, in quibus dicitur naturalis.“’
Cesalpin, indem er von den Venen spricht, die
unter, nicht über den angelegten Bande an-
schwellen, hat dem wahren Kreislauf des Blu-
tes, wenigstens in der Ferne gesehen. Qvaestio-
num medicarum L. II. Qvaest. 17. p. 234.
b) Exercitatio anatomica de motu cordis et san-
gvinis, in animalibus, Guil, Harvei Angli,
med. regii etc. Francof. sumptib. Guil. Fitzeri
a. 1628. 72 paginis 4. c. f. aen.
c) Zu Beobachtung des Kreislaufes an Fröschen
ist Lieberkühns Froschmaschine am bequemsten.
Zu Beobachtung des Kreislaufes in warmblütigen
Thieren schicken sich am besten bebrütete Eyer,
die man am fünften oder sechsten Tage nach der
Bebrütung mit einem einfachen Vergrößerungs-
glas, zum B. dem Lyonetischen betrachtet.
d) G. Remus experimenta circa circulationem
sangvinis instituta. Goett. 1732. 4.
V. Haller de sangvinis motu experimenta ana-
tomica. Comment. Societ. scient. Goetting. T.
IV. ad a. 1754. Ej. de eodem argumento
Sermo II. operum minor. Tom. I. p. 63. seq.
Laz. Spallanzani v. cl. de' fenomeni della circo-
lazione etc. Mutin. 1773. 8.
Mit welcher Geschwindigkeit das Blut sich
bewege, läßt sich unmöglich bestimmen. Denn
die Geschwindigkeit ist nicht nur in jedem einzelnen
Menschen, sondern in einem und demselben Kör-
per, nach dem verschiedenen Alter und sogar nach
der Verschiedenheit der Theile, verschieden.
Ueberhaupt scheint das Blut durch die Ve-
nen langsamer als durch die Arterien, und schnel-
ler durch die Stamme als durch die kleinsten Ge-
fäße zu strömen; obgleich dieser Unterschied der
Geschwindigkeit von einigen Physiologen zu hoch
angegeben wird.
Gemeiniglich setzt man die Geschwindigkeit
des Blutes, das in die große Schlagader aus-
strömt, so an, daß es mit jedem Pulsschlage,
[Seite 41] ungefähr acht Zoll durchläuft, welches ohngefehr
in einer Minute fünfzig Fuß beträgt.
Die rothen Blutkügelchen scheinen zunächst
an der Achse der Gefäße fortgerollt zu werden;
auch sollen sie eine schnellere Bewegung haben,
als die übrigen Theile des Blutes. Letzteres scheint
mir aber auf keine ausgemachten Versuche zu be-
ruhen, und nur von den gewöhnlichen hydrauli-
schen Gesetzen, die man sehr unschicklich auf den
menschlichen Körper anwendet, hergenommen zu
seyn; denn welche Ungereimtheit, die Bewegung
des Blutes, das durch belebte Gefäße des thie-
rischen Körper hinströmt, auf die gemeinen
Gesetze der Bewegung, womit das Wasser durch
hydraulische Maschinen fließt, zurückführen wol-
len! Ich wenigstens habe diesen Vorzug der Blut-
kügelchen noch nie beobachtet.
Ich halte vielmehr dafür, daß diese Blut-
kügelchen mit den übrigen Theilen des Blutes
zugleich fortbewegt, und noch weniger um ihre
eigene Achse gerollet werden; auch glaube ich
nicht, daß man, außer dieser fortschreitenden
Bewegung des Blutes, von der itzt eben die Re-
de war, noch eine andere, innere annehmen
dürfe; obgleich die verschiedenen Bestandtheile
des Blutes, nachdem sie nach verschiedenen Rich-
tungen der Gefäße fortströmen, und auf verschie-
dene Anmündungen stossen, mehr oder weniger
untereinander gemengt werden.
So viel von dem Kreislaufe des Blutes
überhaupt. Wir schreiten nun zur besonderen
Untersuchung des Kreislaufes, die sich am deut-
lichsten entwickeln wird, wenn wir zuerst von der
Blutgefäßen handeln, und sodann die Kräfte,
welche das Blut in die Gefäße forttreiben, und
zurückführen, näher betrachten.
Die Gefäße, welche das Blut von dem Her-
zen empfangen, und durch die ganze Substanz
des Körpers vertheilen, heißen Arterien a).
Sie sind überhaupt enger, als die Venen;
aber ihre Membranen sind fester, dicker, sehr
elastisch, und nach Winteringham's Versuchen,
von ungemeiner Stärcke.
a) Gerard. van Swieten de arteriae fabrica, et
efficacia in corpora humana. L. B. 1725. 4.
Sie bestehen aus einer dreifachen Mem-
bran a):
1) Die zellige, oder nach Haller die eigen-
thümliche Haut. Sie bestehet ganz aus einem
Zellgewebe, daß nach außen lockerer ist, aber
nach innen zu immer dichter, und von kleinen
Blutgefäßen durchschlängelt wird. Von dieser
Haut rührt vorzüglich die Stärcke, und die Schnell-
kraft der Arterien her b).
2) Die mittlere Schichte besteht aus quer-
laufenden, sichelförmigen, fleischartigen Fasern,
[Seite 44] daher sie auch die muskulöse Membran heißt,
worinn die Lebenskraft der Arterien ihren Sitz
haben mag.
3) Die innerste Schichte, womit die Arte-
rien überzogen werden, ist äußerst glatt und po-
lirt.
Dieser Bau der Arterien fällt zwar bei grö-
ßeren Stämmen und Zweigen deutlich in die Au-
gen; bei kleinern Zweigen hingegen ist dieser Un-
terschied der Membranen undeutlicher.
b) Alex. Monro (der Vater) in medical essays
and observations. Vol. II.
De Lassone in Memoir. de l'academie des Sc. de
Paris 1756.
B. S. Albini annot. academ. L. IV. p. 30.
Vinc. Malacarne della osservaz, in chirurg. Tau-
rin. 1784. Vol. II. p. 103.
b) Frid. Ruisch respons. ad op. problemat. III. it.
Thesaur. anat. IV. T. III.
Alle Arterien des menschlichen Körpers ent-
stehen aus zwei Hauptstämmen:
Ein Hauptstamm ist die Lungenarterie, wel-
che aus der vorderen Herzkammer entspringt, und
in die Zungen fortgehet. (T. I. f. g. h.)
Der zweite Hauptstamm ist die Aorta, oder
große Schlagader, die aus der hintern Herzkam-
mer entsteht, und das Blut zu allen übrigen Thei-
len des Körpers hinführet. (Tab. I. n. t.)
Diese Stämme vertheilen sich in Aeste, die
Aeste in Zweige u.s.w.
Nach der gewöhnlichen Lehre der Physiolo-
gen sollen die Aeste der Blutgefäße zusammenge-
nommen, weiter seyn, als die Hauptstämme, wor-
aus sie entstanden sind. Ich zweifle aber sehr an
der allgemeinen Richtigkeit dieses Satzes; denn
zu geschweigen, daß man zuweilen die Größe des
Durchmessers mit dem Flächeninhalt verwechselt
hat, so habe ich selbst öfters Gelegenheit gehabt,
das Gegentheil zu beobachten; nicht nur bei ana-
tomischen, oft sehr übel angebrachten Wachsaus-
spritzungen der Gefäße, sondern auch bei Ver-
suchen, die ich an frischen Leichnamen anstellte,
z.B. an der arteria innominata, und der dar-
aus entspringenden arteria carotida, und subcla-
via dextra, auch an der arteria radiali und cu-
bitali; ich fand allezeit, daß der Durchmesser des
Hauptstammes mit dem Durchmesser der Aeste
ein rechtwinklichtes Dreieck bildete, wo das Qua-
drat der Hypothenuse, den beiden Quadraten der
beiden übrigen Seiten zusammengenommen gleich
war a).
Selbst Haller macht bei den Haargefäßen
eine Ausnahme, bei denen die Summe ihrer
Zweige nicht grösser, als der Durchschnitt ihres
Stammes sein soll; so daß wenigstens der allge-
mein angenommene Calcul nicht auf das ganze
System der Blutgefäße, sondern nur von einigen
wenigen Stammen gilt.
Gemeiniglich betrachtet man die Stämme
und Zweige der Arterien als Kegel, die mit einer
[Seite 46] breiten Grundfläche, aus einer der Herzkam-
mern entspringen, und endlich in eine engere
Spitze sich verlieren. Allein auch diese Gestalt
ist ganz willkührlich angenommen, denn bei einer
genauen Betrachtung des ganzen Systems zeigt es
sich ganz deutlich, daß die Arterien wahre cylin-
drische Canäle sind; einige Arterien erweitern sich
sogar in ihren Verlauf, z.B. die mammaria in-
terna, sogar der Bogen der Aorta ist zunächst am
Herzen enger. Ueberhaupt scheinen alle Arterien,
bevor sie sich in Aeste vertheilen, wenigstens die
größern Stamme, sich etwas zu erweitern.
Uebrigens läßt sich wegen der überaus gro-
ßen Mannigfaltigkeit, die in verschiedenen Einge-
weiden, und Theilen des Körpers vorkommt,
kein allgemeines Gesetz, nach welchem die Ab-
zweigung der Arterien bis zu ihren äußersten En-
dungen fortschreitet, ausfindig machen. Daher
so ganz verschiedene Angaben der Physiologen.
Keil nimmt 50, Haller aber nur 20 solche Haupt-
abtheilungen der Stämme an.
Nach unzähligen Abzweigungen und Anmün-
dungen (anastomoses), wodurch die benachbarten
Aeste unter einander sich vereinigen, verlieren sich
endlich die Arterien in die Anfänge der Venen,
indem sie allmählig in zurückführende Blutgefäße
umgebogen werden, und also das nämliche Blut,
welches noch kurz vorher durch die Arterien von
dem Herzen ausströmte, nun durch Venen zum
Herzen zurückfließt.
Obgleich diese unmittelbare Vereinigung die-
ser ausführenden und zurückführenden Blutgefäße
an unzähligen Stellen des Körpers deutlich in die
Augen fällt, so scheint doch diese Endigung der
Arterien in Venen nicht die einzige Art des Ueber-
ganges zu seyn, und es ist nicht ganz unwahr-
scheinlich, daß das Blut, wenigstens an einigen
Theilen des Körpers, aus den kleinsten Endun-
gen der Arterien mittelst eines dazwischen liegen-
den Parenchyma in die Venen zurückgeführt
wird.
Denn einige Erscheinungen, z.B. das Steif-
werden des männlichen Gliedes, vielleicht auch das
Erröthen, begünstigen die Meinung von dem Da-
seyn einer solchen mittelbaren Vereinigung der
Blutgefäße.
Die Arterien endigen sich aber auch in an-
dere Gefäße, die von doppelter Art sind: nämlich
in Wassergefäße (vasa serosa), die so enge sind,
daß sie keine. Blutkügelchen, sondern bloß den
wässerichten Theil des Blutes durchlassen (§. 69.);
sodann die Absonderungsgefäße (vasa secreto-
ria), die aus der Blutmaße nur gewisse bestimm-
te, abzuscheidende Säfte anziehen. (§. 4.)
Von den Wassergefäßen ist jedoch zu bemer-
ken, daß ich darunter nicht Boerhavens einge-
bildete für gelbe und weiße Kügelchen gemodelte
Gefäßchen, nicht Leewenhoeks eben so grundlose
Meinung von den immer sechsfach verkleinerten
Blutkügelchen, und eben so wenig Vieussens und
Ferreins nervenlymphatische Gefäße, aus denen
[Seite 48] die Eingeweide größtentheils bestehen sollen, ge-
meint haben will.
Ich rede hier nur von jenen farbelosen Ar-
terien, die nur durch einen heftigen Andrang des
Blutes bei einigen Entzündungskrankheiten, oder
erst durch anatomische Einspritzungen sichtbar wer-
den; z.B. die Wassergefäße der Hornhaut, die
nur an Leichnamen solcher Menschen, die an den
heftigsten Augenentzündungen starben, mit Wachs
eingespritzt werden können.
Die absondernden Gefäße hingegen sind da-
von verschieden, und sind den absondernden Ein-
geweiden und zusammengesetzten Drüsen vorzüg-
lich zugetheilt; auch diese Gefäße kommen nur
durch feinere Einspritzungen zum Vorschein; z.B.
wenn die Maße durch die Schlagader der Ohr-
drüse eingespritzt wird, und durch den Stenoni-
schen Speichelgang ausfließt. Doch von dieser
Gattung der Gefäße wird in der Folge umständ-
licher gehandelt werden.
Das Blut, welches durch die Arterien zu allen
Theilen des Körpers hinströmte, fließt durch die
Venen in das Herz zurück.
Sie unterscheiden sich von den Arterien so-
wohl durch ihre Verrichtung, als durch, ihren Bau;
die kleinsten Venen ausgenommen, wo dieser Un-
terschied nicht so in die Sinnen fällt.
Die Venen sind überhaupt, die Lungenbene
ausgenommen, weiter als die Arterien, vertheilen
sich in mehrere Aeste, sind aber in der Verthei-
lungsart selbst äußerst unbeständig; übrigens wei-
cher, und nicht so elastisch, wie die Arterien; jedoch
sehr zähe, und einer ungemeinen Ausdehnung
fähig.
Ihre Membranen sind dünner, so daß man
das Blut einigermassen durchscheinen sieht; und
auch ihre Anzahl ist geringer, als in den Arterien;
denn die Venen bestehen bloß aus einer doppelten
Membran, nämlich aus einer zellichten, die mit
der sehnichten Membran der Arterien einige Aehn-
[Seite 50] lichkeit hat, und sodann aus einer innern glatten,
die gleichfalls mit der polirten Membran der Ar-
terien verglichen werden kann.
Muskelfasern sieht man nur an den großen
Stämmen, die zunächst am Herz liegen.
In den meisten größern Venen, die näm-
lich mehr als eine Linie im Durchmesser haben,
erheben sich von der innern Membran niedlich ge-
bildete Klappen (valvulae); sie haben eine sichel-
förmige Gestalt, sind nachgibig, meistens einfach,
aber auch doppelt und dreifach; ihre innere con-
vexe Wand erhebt sich in den Venencanal, aber
die Oeffnung der klappichten Höhle innerhalb der
Vene, ist allzeit gegen das Herz zu gerichtet.
Doch fehlen diese Klappen an den Venen ei-
niger Theile des Körpers, z.B. im Gehirn, in
den Lungen u.s.w. ferner im ganzen Pfortader-
system.
Die venösen Zweige (oder richtiger, die
Wurzeln der Venen), vereinigen sich in Aeste,
und diese fließen endlich in sechs Hauptstämme
zusammen; nämlich: zwey Hohladern, eine obere,
(Tab. I. a.) und eine untere (Tab. I. b.); und
in vier Stämme der Lungenvene (Tab. I. i.)
Nur die Pfortader hat das Besondere, daß
der Stamm bey seiner Einsenkung in die Le-
ber, wie eine Arterie in Aeste sich ausbreitet,
deren äußerste Zweige jedoch mit den Zweigen der
untern Hohlader sich vereinigen, und endlich in
einem Hauptstamm zusammenstossen.
Was ich oben (§. 74. 75.) gegen den zu
allgemein angenommenen Satz von dem Verhält-
niß der Mündungen arteriöser Zweige zu den Mün-
düngen ihrer Hauptstämme, und von der Figur
der Arterien, erinnert habe, gilt auch einiger-
massen von den Venen.
Denn nur selten werden die Venen, je entfern-
ter sie vom Herzen sind, weiter; wie dieß der Fall
bey der poplitaea ist, da wo sie über die condy-
los femoris geht.
Eben so ist dasjenige, was von den Endun-
gen der Arterien gesagt worden (§. 77. 78. 80.)
mit gehörigen Abänderungen auf die Venen an-
wendbar.
Zwischen den Venen und Arterien findet, wie
wir gesehen haben (§. 65.), eine zweifache Art
des Zusammenhanges statt: nämlich in den äus-
sersten Zweigen beyder Arten von Blutgefäßen
(§. 77.), sodann in ihrer gemeinschaftlichen Quel-
le, nämlich in dem Herzen, wo alle Hauptstäm-
me dieser blutführenden Gefäße zusammentreffen.
Das Herz ist aber gleichsam die erste und
vornehmste Triebkraft des menschlichen Körpers,
wodurch die Hauptverrichtung des Lebens, näm-
lich der Umlauf des Blutes, wenigstens von der
vierten Woche nach der Empfängniß an gerecht
net, bis an den letzten Augenblick des Lebens un-
unterbrochen auf die bewunderungswürdigste Wei-
se fortgesetzt wird a).
a) Guil. Cowper myotomia reformata (posth.)
Lond. 1724. Fol. max. Tab. XXXVI-XL.
Raym. Vieussen traité nouveau de la structure
du coeur. Tolos. 1715. 4.
Jo. de Senac traité de la structure du coeur,
de son action, et de ses maladies. Ed. II. cu-
rante cl. Portal Paris 1777. II. Vol. 4.
Die Art aber, wie das Herz das Blut
wechselsweise aufnimmt, und forttreibt, ist fol-
gende. Das Blut strömt durch beyde Hohladern,
nämlich die obere (– T. I. a –) und die unte-
re (–b–), ferner aus der eigenen fleischigten
Substanz des Herzens durch die gemeinschaftliche,
mit einer Klappe versehene Mündung der Kranz-
adern in den vordern Blutbehälter (–c–), und
die angränzende Vorkammer (–d–), und so-
dann in die vordere Herzkammer (–e–).
a) Casp. Fr. Wolf. v. cl. de orificio venae coro-
nariae magnae in Act. acad. scient. Petropol.
an. 1777. P. I.
Aus dieser vordern Herzkammer wird das'
Blut in die Lungenarterien (–f. g. h.–) getrie-
ben; aus denen es durch vier Venen (–i–) in
ihren gemeinschaftlichen Blutbehalter (–k–) und
die daran stossende hintere Vorkammer (–l–)
zurückfließt.
Aus dieser Vorkammer tritt sodann das
Blut in die hintere Herzkammer (–m–), aus
der es endlich durch die große Schlagader (–n
[Seite 54] t–) in das Arteriensystem des übrigen Körpers,
und zugleich durch die Kranzarterien in die eige-
ne Substanz des Herzens hingeleitet wird a).
a) Aditili. Mieg v. cl. Specimen II. observatio-
num botanicarum etc. Basil. 1776. 4. p. 12. sq.
Nachdem nun das Blut aus den letzten En-
dungen des Arteriensystems in die ersten Zweige
der Venen übergetreten ist, kommt es wieder in
beyde Hohladern, wohin auch das Blut aus den
Kranzarterien wieder zurückfließt, und so den vor-
erwähnten Kreislauf von neuem fortsetzt.
Dieser regelmäßige Umlauf des Blutes
durch die Behältniße des Herzens wird vorzüglich
durch Hülfe der Klappen, womit die Hauptöff-
nungen des Herzens versehen sind, geleitet und
in Schranken gehalten; denn sowohl die Herz-
kammern sind da, wo sie mit den daranliegenden
Blutbehältern zusammenhängen, als auch die bey-
den weiten arteriösen Oefnungen mit Klappen
ausgerüstet.
So bildet der membranoese Ring, welcher
in die vordere Herzkammer sich hineinsenkt, und
dieselbe von dem vordern Blutbehälter trennt,
gleichsam eine dreyfache Klappe a), deren jede
besondere Abtheilung, nach der Beschreibung der
Alten, mit drey Zacken versehen ist; daher sie auch
die dreyzackigten Klappen (triglochines) genannt
worden. Diese Klappen sind durch die sogenann-
ten zizenförmigen Muskeln an das Herz befestigt.
Eben so werden die Gränzen der hintern
Herzkammer, und des hintern Blutbehälters durch
einen ähnlichen Ring, der sich in zwey Klappen
theilt a), die wegen ihrer Gestalt die Muzen-
klappen heißen, bezeichnet.
Die Oefnungen sowohl der Lungenarterie a),
als der großen Schlagader b) haben eine kleinere
jedoch zierlich gebildete und mit sehnigten Fasern
versehene dreyfache Klappe, die sich in halbmond-
förmige (sigmoideae) Lappen theilet.
Man begreift nun leicht, wie diese Klappen
den ungestümen und gesetzlosen Rückfluß des Blu-
tes in das Herz zu verhindern im Stande sind.
Sie weichen dem herbeyfließenden, widerstehen
aber dem zurückdrängenden Blut, indem sie wie
Segel sich ausspannen, und so die Oefnung ver-
schließen.
Die Eustachische Klappe, welche in dem un-
gebohrnen Kinde an der Mündung der untern Hohl-
ader liegt, verliert sich in dem erwachsenen Men-
schen endlich ganz, und wird zu ihrer ehemaligen
Verrichtung vollkommen unbrauchbar; sie ist aber
auch entbehrlich, nachdem das Blut einen Weg
durch die Lungen genommen hat, und durch die
halbmondförmigen Klappen das Zurücktreten des-
selben aus der Lunge in die Herzkammer hinläng-
lich gehindert ist.
Findet aber das Blut, bey seinem Ausfluß
aus der vordem Herzkammer in die Lungen, einen
Widerstand, dann trit das Blut aus der vordern
Herzkammer in die Hohladern zurück, wovon man
sich alsdann aus dem widernatürlichen Klopfen
an dem obern Theil der Hohladern überzeugen
kann.
Man hat darüber gestritten, ob sich beyde
Herzkammern ganz entleeren können, und nicht
etwa ein Theil des Blutes wegen der Ausspan-
nung der mondförmigen Klappen in das Herz zu-
rückfällt a)?
Den Beobachtungen zufolge, die man an
Fröschen, und sogar an den Herzchen bebrüteter
Hühnchen angestellt hat, wird zwar, in diesen
Thieren alles Blut aus den Herzkammern ausge-
leert; ob sich aber dieses in dem menschlichen Kör-
per auch so verhalte, ist noch unentschieden; und
wenn man den Bau und den Mechanismus die-
ser Klappe genau betrachtet, sollte man vielmehr
das Gegentheil behaupten.
a) So dachten Weitbrecht und Fontana. S. Fel.
Fontana ricerche filosofiche sopra la fisica ani-
male. Florent. 1775. 4. p. 101.
Allein auf die Einwendungen dieser Gelehrten hat
Haller selbst in d. G. A. geantwortet, und auch
Herr Prof. Hebenstreit in den Anmerkungen zur
Uebersetzung des Fontanischen Werkes. Leipz.
1785. p. 328.
Das Herz hat einen ganz eigenen Bau. Es
besteht zwar größtentheils aus Fleischfasern, die
aber äußerst straff und dicht sind, und überhaupt
von den gewöhnlichen Muskelfasern höchst ver-
schieden sind.
Diese Fleischfasern haben eine mehr oder
weniger schiefe Richtung, durchkreuzen einander
auf eine besondere Weise, haben eine mannig-
faltige gewundene Gestalt, liegen schichtenweis
auf einander, sind in beyden Herzkammern an
die Scheidewände des Herzens befestigt, und an
der Grundfläche der Herzkammern mit einer vier-
fachen Knorpelfaser umgeben. Diese höchst merk-
würdige Struktur des Herzens ist erst durch die
neuern Bemühungen des berühmten Wolfs a)
deutlich entwickelt worden. Uebrigens unterstü-
tzen diese Fleischfasern die fleischichten Theile des
Herzens, und bezeichnen die Gränzen zwischen den
Fasern der Herzkammern und der Blutbehälter.
a) Act. acad. scient. petropol. pro anno 1780. P.
I. p. 211. de textu cartilagineo cordis, seu de
filis cartilagineo-osseis, eorumque in basi cor-
dis distributione.
Diese Fleischfasern sind mit den weichsten
Nerven, und mit einem überaus großen Vorrath
von Blutgefäßen versehen, die aus den Kranz-
adern entspringen, und mit unzähligen Zweigen
die Substanz des Herzens durchkreuzen; so daß
Ruysch a) das Herz für ein aus lauter Blutge-
fäßen zusammengesetztes Eingeweid erklärte.
Durch diese Struktur (§. 90. u.s.w.) so-
wohl, als durch dieses faserichte Gewebe (§. 101.
u.s.w.) ist das Herz im Stande, alle seine Be-
wegungen unausgesetzt, und gleichmäßig fortzuse-
tzen, die alle nur darauf sich beziehen, daß die
Vorkammern und Herzkammern wechselweis zu-
sammengezogen und erweitert werden.
Diese wechselseitigen Bewegungen der ver-
schiedenen Behältnisse des Herzens folgen also auf
einander: Zuerst ziehen sich die Vorkammern zu-
sammen, um das aus den Lungen und Hohladern
zurückfließende Blut in die Herzkammern zu trei-
ben; in diesem Augenblick befinden sich die Herz-
kammern in dem Zustande der Erschlaffung, um
die einströmende Blutwelle aufnehmen zu können;
in dem nächsten Augenblick darauf ziehen sich beyde
frisch angefüllte Herzkammern zusammen, um
das Blut in die beyden Arterienstämme fortzu-
treiben, und in demselben Zeitpunkt erweitern
sich die beyden Vorkammern, um wieder einen
frischen Blutvorrath aus den Venen schöpfen zu
können.
Bey der Zusammenziehung des Herzens (sy-
stole), welche 1/3 des ganzen Pulsschlages ausma-
chen soll, nähern sich die äußern Wände der
Herzkammern der Scheidewand des Herzens, wel-
che die rechte Herzkammer von der linken trennt,
welches zur vollkommenen Entleerung, wenn man
die kegelförmige Gestalt dieser Kammern erwä-
get, hinzureichen scheint.
Auch die Spitze nähert sich, wenn das Herz
sich zusammenzieht, der Grundfläche, welches man
so ist, sowohl bey kalt- a) als warmblütigen
Thieren, und auch bey lebenden Menschen b)
beobachtet hat.
Die gemeine Erfahrung, daß das Herz wäh-
rend der Zusammenziehung mit seiner Spitze an die
Gegend der linken Brustwarze anschlägt, wider-
spricht diesen Erscheinungen von der Verkürzung
des Herzens nicht; denn dieses Anschlagen ent-
steht von dem heftigen Andrang des Blutes, das
durch die Venen in die Herzkammern ein- und
durch die Arterien ausströmt, wodurch das Herz
selbst auf die linke Rippenwölbung hingedrängt
wird.
a) Am deutlichsten habe ich diese Verkürzung des
Herzens bey einer Art Schlange (coluber na-
trix) wahrgenommen, die in den umliegenden
Wäldern von Göttingen zuweilen vier Fuß lang
gefunden wird. Da ich eine solche Schlange le-
bendig öffnete, fand ich, daß das Herz in der
jedesmaligen Erschlaffung, verglichen mit dem Zu-
stande der Zusammziehung, wenigstens um zwey
Linien sich verlängerte.
b) Daß aber auch diese Verkürzung des Herzens
bey seiner Zusammziehung nicht schlechterdings
erfordert wird, bin ich ausser andern Gründen
durch das Herz einer Endte überzeugt, das von
der Grundfläche an bis an die Spitze knöchern
ist, aber fleischartige Wände hat, durch deren
Seitenbewegung die Herzkammern vollkommen
entleert werden können.
Die Gewalt, womit das Herz, indem es
sich zusammenzieht, das einströmende Blut aus-
treibt, erstreckt sich auf das ganze Arteriensy-
stem, so daß in einem jedesmaligen Zeitpunkt,
wo das Herz sich zusammenzieht, alle Arterien des
ganzen Körpers, wie man entweder durch das
Befühlen, wofern die Mündungen der Arterien
wenigstens um 1/6 Linie größer als ihr Durchmes-
ser sind, oder auf eine andere Weise wahrneh-
men kann, z.B. am innern Ohr, und im Au-
ge, in den Zustand der Erweiterung (diastole
arteriarum) gesetzt werden; ob diese Erweite-
rung von den Arterien allein herrühre, wird in
der Folge erörtert werden.
So diel ist inzwischen durch bis Erfahrung
entschieden, daß der Pulsschlag der Arterien mit
der Bewegung des Herzens genau übereinstimmt,
und mit der Zusammenziehung desselben gleichzeitig
ist; und sogar in dem krankhaften Zustande bey
dem aussetzenden Pulse hören die Bewegungen
des Herzens und der Arterien zugleich auf, und
beyde fangen ihre Bewegungen zugleich wieder
an.
Die Anzahl der Pulsschlage ist aber bey ver-
schiedenen Personen höchst verschieden, sowohl nach
dem Unterschied des Alters, als auch nach man-
cherley andern Nebenumständen, die bey jedem
einzelnen gesunden Menschen vorzukommen pfle-
gen, so daß sich darüber nichts Gewisses sagen
läßt. Ich will hier nur diejenige Verschiedenheit
anführen, die ich in unserem Klima a), nach
den verschiedenen Stufen des menschlichen Alters,
in den Pulsen bemerkt habe.
In dem neugebornen und ruhig schlafenden
Kinde zählt man einige Tage nach der Geburt,
ungefähr 140 Pulsschläge in einer Minute.
Im ersten Jahr bis an das Ende desselben
ungefähr 124.
In dem Alter, wo die Milchzähne ausfal-
len, 86.
Gegen den Zeitpunkt der Mannbarkeit 80.
In einem höhern Alter habe ich kaum zwey
Greise angetroffen, die bey einem gleich hohen
Alter eine gleiche Anzahl Pulsschläge gehabt hätten.
a) Dieses Verhältniß der Pulsschlüge weicht von
demjenigen, das Geherden in England beobach-
tet hat, nicht sehr ab. Medical transactions.
Vol. II. p. 21.
Bey Frauenzimmern schlägt überhaupt der
Puls schneller, als bey Männern.
[Seite 62] Anlangend die Leibesgröße, so haben große
Personen einen langsamern Puls, als kleine,
wie ich selbst an Riesen und Zwergen beobachtet
habe.
Was aber diejenige Verschiedenheit der Puls-
schlage betrifft, die von den sogenannten nicht na-
türlichen Dingen herrührt, so ist zu bemerken,
daß die Bewohner kälterer Klimaten einen lang-
samern Puls haben, z.B. die Grönländer, de-
ren Puls, da sie doch übrigens ziemlich gesund
sind, nur 30-40mal in einer Minute schlägt a).
Daß übrigens der Puls auf das Essen,
nach dem Beyschlaf, nach anhaltendem Wachen,
nach heftigen Leibes- und Gemüthsbewegungen
schneller schlägt, ist eine allgemein bekannte Sache.
a) Mit dieser Beobachtung kommt der langsame
Puls jener Thiere überein, die in einem immer-
währenden Winterschlaf begraben liegen. Das
Herz z.B. eines Hamsters, das im Sommer
150 Schläge in einer Minute macht, schlägt in
einem Wintermonat in der nämlichen Zeit kaum
fünfzigmal. Sulzer Naturgeschichte des Ham-
sters. S. 169.
So viel von dem gesunden Pulse, dessen
Betrachtung weit füglicher auf die Abhandlung
von dem Herzen folgt, das die Quelle der Puls-
schlage ist, als auf die Abhandlung von den Ar-
terien, woran man den Puls gemeiniglich zu be-
fühlen pflegt.
So fährt das Herz unausgesetzt bis an den
letzten Augenblick des Lebens zu schlagen fort;
[Seite 63] aber nicht alle Theile des Herzens hören alsdann
zugleich zu schlagen auf, sondern die rechte Herz-
kammer samt seiner Vorkammer beweget sich et-
was länger als die linke Herzkammer a).
Dieß muß auch nothwendig so erfolgen.
Denn das Blut, welches durch die Hohlvenen in
das Herz so eben zurückfließt, kann nun nach dem
letzten Athemzug, nicht mehr in die zusammenge-
fallenen Lungen ausströmen; indessen hat derje-
nige Theil der Blutmaße, der aus den Lungen in
die linke Herzkammer strömte, seinen Lauf durch
die große Schlagader in das ganze Arteriensy-
stem bereits angetreten, und drückt nun auf die
vor ihm stehende Maße des venösen Blutes.
a) Doch geschieht es zuweilen, obgleich sehr selten,
daß die rechte Herzkammer von der Menge des
venösen Blutes unterdrückt wird, und gegen den
gewöhnlichen Lauf der Natur, zuerst zu bewegen
sich aufhört. Ich habe dieß unlängst bei der
Oeffnung eines lebendigen Kaninchens beobach-
tet. Der Umlauf des Blutes kam gleich an-
fangs (wie dieß bey so furchtsamen Thieren ge-
meiniglich geschieht), in die größte Unordnung,
so daß sich die Vorkammern viermal schnell auf-
einander zusammenzogen, indeß beide Herzkam-
mern still standen; endlich schlug die linke Herz-
kammer immer fort, die rechte aber blieb unbe-
weglich. Nachdem diese Bewegung des Herzens
acht Minuten dauerte, ward das Herz, dessen
linke Hälfte noch klopfte, ausgeschnitten, und
im kalten Wasser ausgewaschen, worauf sodann
alle Bewegungen aufhörten. Als ich aber nach
[Seite 64] drey Minuten das Herz, welches nicht mehr reitz-
bar zu seyn schien, auf meine flache Hand legte,
fieng die linke Herzkammer wieder einige Minu-
ten zu schlagen an, aber die rechte Herzkammer
samt ihrer Vorkammer blieb unbeweglich.
Merkwürdig ist Hallers Versuch; er unterband in
einem lebendigen Thier beide Hohladern, und
schnitt die Lungenarterie entzwey, da sodann
die linke Herzkammer ihre Bewegung länger
behielt, als die rechte. Dieß bezieht sich jedoch
näher auf den folgenden Abschnitt.
Aus dieser Anhäufung des Blutes gegen die
rechte Herzkammer in den letzten Augenblicken des
Lebens, sieht man ein, warum nach dem Tode
die größern Arterien von dem Blute entleert ge-
funden werden a).
Von dieser Ursache suchen auch Aurivillius
b), Weiß c), und Sabathier d) die größere
Weite der rechten Herzkammer herzuleiten.
a) Diese bekannte und nun leicht zu erklären-
de Erscheinung mag ehemals den Erasistratus
verleitet haben, daß er die Arterien mit Luft
angefüllt zu seyn glaubte; dieß kann man ihm
jedoch bei dem damaligen Mangel anatomischer
Kenntniße verzeihen.
Daß aber auch in unsern Zeiten ein Mann auf-
stand, der diese veraltete Meinungen aufwärm-
te, und sogar mit einem ungewöhnlichen Starr-
sinn in verschiedenen Schriften zu vertheidigen
suchte, wird unsern Nachkömmlingen unglaub-
lich scheinen.
Unter anderen Schriften berühmter Physiologen,
die diese Grille ihres Landsmannes zu widerle-
gen suchen, zeichnen sich besonders aus:
P. Moscati osservazioni ed esperienze sul san-
gue fluido, e rappreso etc. Mediolan. 1783. 8.
Bass. Carminati Risultati di sperienze, e osser-
vazioni sul vasi sanguigni, e sul sangue. Ti-
cin. 1783. 4.
b) Sam. Aurivillius de vasorum pulmonalium et
cavitatum cordis inaequali amplitudine. Got-
ting. 1750. 4.
c) Weiss de dextro cordis ventriculo post mor-
tem ampliori. Altdorf. 1767. 4.
d) Sabatier. E. in vivis animalibus ventriculo-
rum cordis eadem capacitas. Paris. 1772. 4.
Das Herz wird von dem Herzbeutel einge-
schlossen, wodurch die verschiedenen Bewegungen
dieses Eingeweides gehörig geleitet, und einge-
schränkt werden.
Dieser membranöse Sack, hat eine beträcht-
liche Weite, und schmiegt sich nach der Gestalt
des eingeschlossenen Herzens; er hat seinen Ur-
sprung von dem Mittelfell a). So dünn auch die-
se Membran zu seyn scheint, so übertrifft sie doch
nach Winteringham's Versuchen alle andere
Membranen des Körpers an Zähigkeit.
Die wichtige Bestimmung dieser Membran
erhellet schon daraus, daß alle Klassen der warm-
blütigen Thiere mit einem Herzbeutel versehen
sind b), und nur ein oder anderer Fall von Men-
schenherzen, die des Herzbeutels beraubt waren,
[Seite 66] wie z.B. von Dinkler c), aufgezeichnet wor-
den.
a) Haller Element. physioI. T. I. Tab. 1. fig 1. 2.
b) Ob der Igel einen Herzbeutel habe oder nicht,
darüber sind die Zergliederer noch verschiedener
Meinung; einige streiten diesem Thiere den Herz-
beutel ab, einige legen ihn ihm zu; unter die Erstern
gehören Lamis, Haller u.a.m. unter die Letz-
tern Blasius Peyer, Harder, vorzüglich aber
Tozetti (Relaz. d'alcuni viaggi in diverse par-
ti della Toscana Ed. 2. T. VII. p. 166.) Du-
vernay scheint einen Mittelweg, einzuschlagen,
indem er behauptet, daß bei dem Igel das Mit-
telfell die Stelle des Herzbeutels vertrete.
Ich bin durch wiederholte Zergliederungen über-
zeugt, daß der Herzbeutel bey diesem ganzen Thier-
geschlecht äußerst dünn und von einer unbestimm-
ten Gestalt ist, da er von dem zunächstfliegenden
lockern Zellgewebe des Mittelfells entsteht:
manchmal ist dieser Herzbeutel so fein, und aus
so zarten Fächern gewebt, daß man ihn nicht
für eine besondere Membran ansehen kann.
c) Sandifort Natur-en genees-kundige Biblio-
theck. Vol. II. p. 661.
Der Herzbeutel ist mit einem feinen Duft
befeuchtet, der ohne Zweifel aus den Arterien
des Herzens selbst ausdünstet.
Eine ähnliche Feuchtigkeit scheint in die Höh-
len des Herzens auszuduften, und die Wände
desselben schlüpfrig zu machen.
[Seite 67] Beyde Feuchtigkeiten sind im gesunden Zu-
stände von seröser Beschaffenheit, und nur bey
Entzündungen des Herzens schwitzt eine gerinnba-
re Lymphe durch, wodurch an der äußern Ober-
fläche des Herzens, die sogenannten Haare, und
Verwachsungen des Herzbeutels mit dem Herzen
entstehen, in den innern Höhlen des Herzens aber
ächte Polypen (§. 19.) erzeugt werden.
Nachdem wir nun von dem Herzen und von den
Gefäßen, welche das Blut enthalten, gehandelt
haben, wollen wir nun auch die Kräfte, wodurch
das Blut in Bewegung gesetzt wird, genauer be-
trachten.
Und zwar zuerst diejenigen Kräfte, die in
dem Herzen selbst liegen, und unstreitig vor allen
andern den Vorzug besitzen; sodann die Beykraf-
te, wodurch die Wirkung des Herzens nicht we-
nig befördert wird.
Die Kraft, mit der das Herz die ganze Blut-
maße forttreibt, läßt sich wegen Unvollständigkeit
der Angaben nicht wohl bestimmen; denn wir
wissen nicht, wie viel Blut mit jedem Pulsschlag
aus dem Herzen strömt, wie groß der Raum ist,
den diese Blutwelle durchläuft, mit welcher Ge-
schwindigkeit dieselbe bewegt wird, und endlich
sind wir nicht im Stande die Widerstände zu be-
rechnen, die das Herz überwinden muß.
Doch ist, wenn man eine wahrscheinliche
Verhältniß dieser Angaben annimmt, eine bey-
läufige Schätzung dieser Kraft des Herzens mög-
lich: nimmt man also nach einem mittlern Ver-
hältniß an (§. 23.), daß die ganze Blutmaße
33 Pfund = 396 Unzen beträgt; die Anzahl der
Pulsschläge in einer Minute = 75, folglich in
einer Stunde 4500 (§. 108); das Herz aber bey
einer jedesmaligen Zusammenziehung zwey Unzen
forttreibt; so folgt, daß die ganze Blutmaße in
einer Stunde zwey und zwanzigmal seinen Kreis-
lauf durch das Herz vollbringt.
Wie groß aber die Gewalt seyn mag, mit
der das Herz die Blutmaße fortstößt, sieht man
aus der Höhe des Blutstrahls, wenn eine große,
zunächst am Herzen liegende Arterie verwundet
wird; so sah ich z.B. in einem erwachsenen Men-
schen aus der Hauptschlagader (carotis) das Blut
bey den ersten Zusammenziehungen des Herzens
fünf Fuß hoch herausspringen a).
a) Die Versuche, welche Hales anstellte, indem
er in lebendigen Thieren das ausströmende Blut
durch gläserne an die Arterien angebrachte Röh-
ren auffieng, und so die Höhe des Blutstrahls
maß, sind, wie alle Versuche dieses vortreffli-
chen Mannes, sehr sinnreich, aber zur Bestim-
mung der Kraft des Herzens nicht zureichend.
Man überlege nur, wie groß bei diesen Versu-
chen die Blutsäule ist, die in der Röhre keinen
Ausweg findet, folglich mit ihrer ganzen Schwere
auf das Herz zurück drückt, u.s.w.
Hales berechnete, daß der Sprung des Blutes aus
der Hauptschlagader eine Höhe von 7 1/2 Fuß er-
reiche; der Flächeninhalt der linken Herzkammer
15 Quadratlinien austrage; folglich der Druck
der ganzen Blutsäule auf die linke Herzkammer
℔ 5. 1. betrage, und bey jeder Zusammenzie-
hung des Herzens überwältigt werde. Statical
Essays. Vol. II. p. 40. Ed. Lond. 1733. 8.
Anlangend die Quellen dieser ausnehmenden
Kraft, und unausgesetzten Bewegung des Her-
zens, so ist gewiß die Reitzbarkeit eine der vor-
züglichsten (§. 44), denn diese Kraft äußert sich
in dem Herzen weit länger, (§. 89.) als an an-
deren muskelartigen Theilen des Körpers a).
Daß aber die innern Wände der Herzkam-
mer von dem einströmenden Blut zur Zusammen-
ziehung gereitzt werden, erhellet aus dem (§. 111.
a) angeführten Hallerischen Versuch, wodurch er
im Stande war, die Reitzbarkeit der linken oder
rechten Herzkammer nach Willkühr länger zu er-
halten, je nachdem er nämlich der linken oder
rechten Herzkammer das Blut früher entzog b).
a) Fontana bemühte sich zwar diesen Vorzug des
Herzens einzuschränken; allein H. v. Haller hat
in den G. A. längst hierauf geantwortet.
b) Haller de motu cordis a stimulo nato. In
Comment. Societ. scient. Goetting. T. I.
Solange nun das Blut in gehöriger Menge
vorhanden ist, und seine natürliche Mischung hat,
[Seite 71] geht der Kreislauf gleichmäßig und ordentlich von
statten, so daß ein Mensch, der sich ruhig ver-
hält, kaum etwas von diesem Umlauf gewahr
wird.
Sobald aber Vollblütigkeit oder Blutmangel
eintritt, besonders aber, wenn fremdartige Thei-
le z.B. krankhafte Miasmen, oder elastische Luft,
oder Arzneyen durch die Blutadern dem Blut bei-
gemischt werden, dann wird das Herz widerna-
türlich gereitzt, oder geschwächt, und alle Bewe-
gungen desselben gerathen dadurch in eine allge-
meine Zerrüttung. Sogar ein fremder Reitz,
z.B. in die Blutadern eingeblasene Luft, ver-
mag das Herz eines unlängst verstorbenen Thie-
res wieder in Bewegung zu setzen.
Man hat aber, besonders in neuern Zeiten,
die Frage aufgestellt, ob diese ausnehmende Reitz-
barkeit des Herzens in den Muskelfasern des Her-
zens selbst liege, oder aber vielmehr von dem
Einfluß der Nerven herzuleiten sey? Ich werde
diese Frage in dem Abschnitt von der Muskelbe-
wegung umständlicher erörtern. Soviel mag in-
dessen vorläufig angemerkt werden, daß die Reitz-
barkeit, wie es höchst wahrscheinlich ist, eine be-
sondere Art der Lebenskraft ausmache, die der
Muskelfaser ganz eigen ist, und von der Nerven-
kraft unterschieden werden muß (§. 44. 45). In-
zwischen kann man doch nicht läugnen, daß auch
die Nerven einen großen Einfluß auf die Verrich-
tung des Herzens haben; dieß erhellet sowohl aus
der besonderen Beschaffenheit der Herznerven,
ihrer Zartheit, Blöße, und aus der besondern
Anlage der Herzgeflechte a). Aber auch die Mit-
[Seite 72] empfindung des Herzens mit so vielen andern
Verrichtungen des Körpers, kann uns von die-
sem Einfluß überzeugen; denn wem ist die Macht
der Gemüthsbewegungen auf die Bewegungen des
Herzens, auch bey dem gesundesten Menschen,
wem die Mitempfindung unbekannt, die in so
mancherley Krankheiten zwischen den ersten We-
gen und dem Herzen, oft augenblicklich entste-
het?
a) Neubauer descriptio nervorum cordiacorum.
Jenae. 1772. 4. T. 1.
v. Haller Novi Comment. Soc. scient. Gotting.
T. II. tab. ad p. 1.
Außer diesen Lebenskräften des Herzens,
kommt noch die mechanische Einrichtung desselben
in Anschlag, die den Umlauf des Blutes nicht
wenig begünstiget. Denn indem die Herzkammern
durch ihre Zusammenziehung das Blut in die Ar-
terien treiben, entstehet ein leerer Raum, wo-
hin nach den Gesetzen der Ableitung das zunächst-
folgende Blut nothwendig sich ergiessen muß;
denn die einmal vorwärts bewegte Blutwelle kann
nicht zurückweichen, da ihr die Klappen den Rück-
fluß verwehren; folglich muß das entleerte Herz
alles aus den Venen zurückströmende Blut an sich
ziehen, und gleichsam verschlingen a).
a) Andr. Wilsons Enquiry into the moving po-
wers employed in the cìrculation of the
blood. Lond. 1774. 8. p. 35.
Noch müssen wir untersuchen, ob, und was
für Kräfte des Kreislaufes außer dem Herzen,
in den übrigen blutenthaltenden Organen vorhan-
den sind; denn, daß eine so wichtige Verrich-
tung, von der das Leben der Thiere zunächst ab-
hängt, auf einem einzigen Organ beruhe, dessen
fehlerhafte Beschaffenheit das Leben in augenblick-
liche Gefahren versetzen könnte, läßt sich ohnehin
von dem weisen Plane der Natur nicht erwarten.
Wir sind aber auch durch die Erfahrung von dem
Daseyn solcher Nebenkräfte, welche entweder der
Kraft des Herzens nachhelfen, oder wohl gar die
Stelle des Herzens ersetzen, gänzlich überzeugt.
Hieher gehört z.B. die Bewegung des Blutes
in so entlegenen Gegenden, wohin die Kraft des
Herzens kaum sich erstreckt; ferner der Umlauf
des Blutes durch das Pfortadersystem, in dem
Mutterkuchen u.s.w. Ich übergehe die Menge
der Leibesfrüchte, die ohne Spur von einem Her-
zen gebohren worden a).
a) Carl. Wern. Curtius de monstro humano cum
infante gemello. L. B. 1762. 4. p. 39. fig. 4.
Zu diesen Nebenkräften des Kreislaufes ge-
hören vorzüglich die Verrichtungen der Arterien,
obgleich die Art und Weise dieser Einwirkung der
Arterien auf den Umlauf, des Blutes noch nicht
ganz in das Licht gesetzt ist.
Ueberhaupt hat die Structur der Arterien
mit dem Bau des Herzens eine große Aehnlich-
[Seite 74] keit. Daß sie mit einer muskulösen Membran
versehen sind (§. 122.), ist bekannt.
Auch ihre Reitzbarkeit ist durch Verschuir's
Versuche a) ausgemacht.
Und so wie die Herznerven mit dem Herzen
in einer besondern Verbindung stehen, so werden
auch hier und dort die vornehmsten Zweige der
Arterien von weichen Nervennetzen umschlungen b).
a) Gualth. Verschuir de arter. et venarum vi ir-
ritabili: ejusque in vasis excessu, et inde ori-
unda sanguinis directione abnormi. Groning.
1766. 4.
b) Walther Tabulae nervorum thoracis, et ab-
dominis. Hepatica dextra Tab. II. O. Tab.
III. I. – lin. tab. II. P. Tab. III. m. Tab. IV.
a. – mesentericam superiorem. Tab. II. Q.
Tab. III. s. – mesentericam inferiorem Tab.
II. T.
Daß die Arterien schlagen, und zwar hef-
tig, ist allgemein bekannt: so daß eine klopfende
Arterie, z.B. die poplitaea, wenn man den
einen Schenkel über das andere Knie legt, nicht
nur diesen Schenkel, sondern noch eine weit grö-
ßere Last aufzuheben im Stande ist. Ueberhaupt
hat man den Arterien schon längst eine eigene
wechselweise Zusammenziehung und Erweiterung
zugeschrieben, die den wechselseitigen Bewegun-
gen des Herzens entsprechen sollen.
[Seite 75] Allein obgleich die Erfahrung diese abwech-
selnden Bewegungen der Arterien zu bestätigen
scheint, so erheben sich doch einige wichtige Zwei-
fel dagegen a), besonders, wenn man die Frage
aufwirft, ob diese klopfende Bewegung, die man
bey der Befühlung des Pulses wahrnimmt, von
der eigenen Kraft der Schlagader, oder nur von
dem Stoß des Herzens herrührt; so daß die Be-
wegung der Schlagader bloß von der Gewalt ab-
hängt, mit der das Blut aus der großen Schlag-
ader getrieben wird, und an die Wände der Ar-
terien prellet.
Die Oeffnung lebendiger Thiere kann diese
Frage nicht entscheiden; denn manchmal sieht man
zwar in geöffneten warmblütigen Thieren die Ar-
terien klopfen; oft aber auch nicht b). Sogar
bey einem lebenden Menschen sah man die grö-
ßern Zweige der Aorta und der Lungenschlagader
pulslos: doch war diese Beobachtung an einem
monströsen Körper gemacht. Auch fühlt man zu-
weilen Arterien heftig schlagen, die doch, wie
aus der Anatomie bekannt ist, unbeweglich sind:
z.B. die carotis cerebralis, die an dem Kanal
des Felsenbeines fest anliegt.
a) Th. Kirkland's inquiry into the present state
of medical surgery. Lond. 1783. 8. Vol. I,
p. 306. seq.
b) De Lamure recherches sur les causes de la
pulsation des arteres. Monspel. 1769. 8.
Alles genau erwogen, scheint so viel gewiß
zu seyn, daß zwar die Arterien sich erweitern,
[Seite 76] in sofern ihre Membranen von der Gewalt des
einströmenden Blutes ausgedehnt werden d), aber
sogleich darauf ihren vorigen Durchmesser wieder
erlangen; von eben dieser Gewalt rührt auch die
schlängelnde Bewegung her, die man an größern
in mannigfaltigen Krümmungen fortlaufenden,
und durch ein lockeres Zellgewebe befestigten Ar-
terien zuweilen beobachtet.
Daß aber die Arterien im gesunden Zustan-
de, so lange das Herz seiner Verrichtung vorstehen
kann, ein Vermögen besitzen, sich in einen en-
gern Raum zusammenzuziehen, kommt mir nicht
wahrscheinlich vor: ein anderes ist in dem kran-
ken Zustande, wenn das Herz mangelt, oder ver-
knöchert ist, wo alsdann die Arterien die Stelle
des Herzens vertreten, und das Blut mittelst ih-
rer Lebenskraft forttreiben müssen.
a) Arthaud Diss. sur la dilation des arteres. Par.
1771. 8.
Jadelot Mem. sur la cause de la pulsation des
arteres. Nancy. 1771. 8.
Da aber die Kraft des Herzens nicht auf die
kleinsten Endungen der Arterien und Venen sich
erstrecken kann, wie einige berühmte Physiologen,
besonders Whytt, dafürhalten, so schreiben sie
den Forttrieb des Blutes in diesen entlegenen
Gegenden gewissen Schwingungen dieser Gefäße
zu; und aus eben diesen zitternden Bewegungen
erklären sie auf eine nicht ganz unbefriedigende
Weise die Natur der Entzündung.
[Seite 77] Und in der That kommen dieser Theorie ver-
schiedene Erscheinungen sowohl im gesunden Zu-
stande, die ich in der Abhandlung von der thie-
rischen Wärme anführen werde, als auch im kran-
ken Zustande, z.B. bey Fieberkrämpfungen, sehr
zu statten; obgleich diese Schwingungen bey Er-
öffnungen lebender Thiere auch dem bewaffneten
Auge sich entziehen.
a) Whytt Physiological essays, containing an
inquiry into the causes, vhich promote the
circulation of the fluids in the very small ves-
sels of animals etc. Edinb. 1701. 12.
Wir wollen nun auch untersuchen, was für
Beförderungsmittel des Kreislaufes in den Venen
selbst liegen. Ueberhaupt scheinen die Venen mit
weniger Thätigkeit begabt zu seyn, als die übri-
gen Werkzeuge des blutführenden Systems. Der
Rückfluß des Blutes wird größtenteils durch den
Andrang der arteriösen Blutwellen, und durch die
Einrichtung der Klappen, die das Blut nicht zu-
rücktreten lassen, befördert; wie sehr aber der
Rückfluß des Blutes zum Herzen durch die in den
Venen angebrachte Klappen erleichtert wird, sieht
man aus den so häufigen Anschoppungen in dem
Blutadersystem des Unterleibs, dessen Venen mit
kleinen Klappen versehen sind a).
Doch sind auch die venösen Stämme nicht
ganz ohne Lebenskraft; wie man z.B. an den
Venen der Leber, des Mutterkuchens wahrneh-
men kann. (§. 122.)
[Seite 78] Aber auch Verschuir's Versuche bestättigen
die Reitzbarkeit der Venen.
Daß die Hauptstamme der Venen mit Mus-
kelfasern versehen sind, ist oben (§. 84.) ange-
merkt worden.
Dieß sind die vorzüglichsten Triebkräfte des
Kreislaufes, die unmittelbar in dem Bau der
Blutgefäße gegründet sind; ich übergehe diejeni-
gen Nebenkräfte, die von der Schwere, Anzie-
hung, und von anderen allgemeinen Eigenschaf-
ten der Körper herrühren.
Auch ist hier von jenen entfernten Beförde-
rungsmitteln des Kreislaufes, welche im erwach-
senen Menschen von anderen Verrichtungen des
Körpers abhängen, z.B. von dem Athemholen,
der Muskelbewegung, u.s.w. nicht die Rede.
Die Lungen, die mit dem Herzen sowohl durch
ihre angränzende Lage a), als durch ihren wech-
selseitigen Einfluß, genau verbunden sind, stellen
zwey geräumige, aber schwammichte Eingeweide
vor, die zwar so leicht sind, daß sie auf dem
Wasser schwimmen, aber dem ohnerachtet ein ziem-
lich dichtes Parenchyma zur Grundlage haben.
a) Eustacii tab. XV. fig. 1-6.
b) Malpigh hat den Bau der Lungen zuerst am
genauesten untersucht. Epist. II. ad Borellum.
Ich bediene mich der Ausgabe mit dem Anhang.
Th. Bartholini de pulmonum substantia et mo-
tu diatribe Hafn. 1663. 4.
Eine gedrängte Beschreibung dieser Eingeweide hat
H.P. Hildebrandt diss. de pulmonibus Goet-
ting. 1783. 4. aus guten Quellen geliefert.
Die Lungen füllen beyde Brusthöhlen aus,
und liegen an den Säcken des Rippenfells an a),
[Seite 80] nach denen sie sich so, wie an die übrigen in der
Brusthöhle enthaltene Theile, willig schmiegen.
a) Der Sieg, den Haller in den Jahren 1744-52
über Hamberger errang, ist berühmt. Mit ei-
nem unglaublichen Starrsinn behauptete Ham-
berger die Gegenwart einer elastischen Luft in
den Brusthöhlen, und die Gegenwirkung der äu-
ßern und innern Rippenmuskeln. Die vornehm-
sten hieher gehörigen Schriften sind folgende:
G. E. Hamberger de respirationis mechanismo
et usu genuino diss. una cum scriptis, quae
ad controversiam de mechanismo illo agita-
tam pertinent. Jenae. 1748. 4.
Haller Mem. sur plusieurs phenomenes impor-
tans de la respiration, fondé sur les experien-
ces; ad calcem operis sur la formation du
coeur dans le poulet etc. Lausan 1758. 12.
Vol. II. pag. 201-364.
C. F. T. (cl. Trendelenburg patr.) continuatio
controversiae de mechanismo respirationis Ham-
bergeriano etc. Goett. 1749. 4.
Desselb. fernere Fortsetzung der Hallerischen und
Hambergerischen Streitigkeiten vom Athemhoh-
len. Rostock 1752. 4.
Relationes Goettingenses de libris novis Vol. IV.
p. 477. sq.
Sie hängen gleichsam an der Luftröhre,
die aus einer innern mit Schleim angefeuchteten,
einer darunter liegenden nervichten, äußerst em-
pfindlichen, und einer muskulösen Membran, die
[Seite 81] die nervichte umfaßt, gebildet ist, und nach vor-
ne zu aus knorplichten Ringen von unbestimmter
Zahl bestehet.
Diese Luftröhre theilt sich nun bey ihrem Ein-
tritt in die Brust in zwey Hauptäste (bronchia),
die, nachdem sie tiefer in die Lappen und Läpp-
chen der Lungen eindringen, immer in kleinere
Aeste und Zweige abgetheilt werden, bis sie end-
lich, indem sowohl die knorplichten Ringe, als
die muskulöse Membram allmählig verschwinden,
mit ihren äußersten Endungen in Bläschen sich
verlieren, welche beynahe den vornehmsten Theil
der Lungen bilden, und womit wir die Luft ein-
und ausathmen.
Sowohl die Gestalt, als die Größe dieser
Lungenbläschen sind unbestimmt a). Jene ist
vielseitig; diese aber in Rücksicht ihres Flächen-
inhalts schlechterdings nicht zu bestimmen b), ihr
innerer Raum hingegen, mag bey dem tiefen Ein-
athmen eines erwachsenen Menschen ungefähr 60
Kubiklinien betragen; denn der große Raum, in
den sich die Lungen nach dem Tode, wenn die
Brusthöhle geöffnet wird, aufblasen lassen, ge-
hört nicht hieher.
a) Keil gibt in seiner iakromathematischen Schwär-
merey 1744000000 solche Luftbläschen in bey-
den Lungen an.
b) Lieberkühn schätzt die Oberfläche aller Luft-
bläschen eben so übertrieben auf 1500 Quadrat-
fuß.
Die Lungenbläschen sind mittelst eines aus-
serst zarten Zellgewebes, das, wie oben erwähnt
worden, das allgemeine Band der Theile des
menschlichen Körpers ausmacht, untereinander
verbunden. Doch muß man beyde Arten der Zel-
len wohl zu unterscheiden wissen Die Luftzellen
sind, wie ich bey gesunden und frischen Körpern
gefunden habe, beständig von einander abgeson-
dert; denn wenn man den feinsten Zweig der Luft-
röhre mit gehöriger Behutsamkeit aufbläßt, so
sieht man offenbar, daß die Luft nur eine begränz-
te Gegend des Luftzellensystems auftreibt, aber
weder in die benachbarte Zellen, noch viel weni-
ger in die gemeine, zwischen diesen Luftbläschen
durchgewebte Zellenhaut eindringt. Wird aber
die Luft heftiger eingeblasen, so reissen die Luft-
bläschen, eröffnen sich in das Zellgewebe, wo-
durch die Luft den freien Eintritt erhält, und
gleichsam die ganze Substanz der Lungen auf-
bläßt.
Dieses feine Zellgewebe, welches zwischen
den Luftbläschen der Lungen sich befindet, wird
von unzähligen Zweigen der Lungenblutgefäße,
nämlich der Lungenarterie (– Tab. I. f. g. h. –)
und der vier Lungenvenen (– Tab. I. i. –) durch-
schlungen, die die Zweige der Luftröhrenäfte be-
ständig begleiten a), nachher aber in unzählige,
äußerst feine, netzartige Anmündungen allmählig
sich verlieren. Diese so äußerst zarten Netze der
Blutgefäße durchdringen überall das Zellgewebe,
und schließen die Lungenbläschen so fest ein, daß
die große Menge des durchströmenden Blutes nur
[Seite 83] durch ungemein dünne membranöse Scheidewände
(die nach Hales kaum den tausendsten Theil ei-
nes Zolls ausmachen) von der mittelbaren Be-
rührung der eingeathmeten Luft getrennt ist.
So wie jedem einzelnen Zweig der Luftröh-
renäste eine eigene traubenförmige Reihe von Luft-
bläschen entspricht (§. 134.), so entspricht einer
jeden solchen Reihe ein eigenes System von Blut-
gefäßen, deren kleinste Zweige zwar untereinan-
der, aber nicht mit den Blutgefäßen der anderen
Luftbläschenreihen in Verbindung stehen. Dieß
beweisen nicht nur die mikroskopischen Beobach-
tungen an den Lungen lebendiger Frösche und
Schlangen, sondern auch die feinern Ausspritzun-
gen der Lungen, und auch einige pathologische Er-
scheinungen bey Eitersäcken, und anderen Lungen-
krankheiten.
Uebrigens sind die Lungen mit einer großen
Menge einsaugender Gefäße versehen, die beson-
ders auf der Oberfläche der Lungen häufige Netze
bilden, aus welchen Aeste in die lymphatischen
Drüsen gehen, die man aber nicht, wie gemeinig-
lich geschieht, mit den Drüsen der Luftröhrenäste
verwechseln darf a).
Die Brust, worinn die Lungen enthalten
sind, stellt einen Behälter vor, der theils aus
Knochen, theils aus Knorpeln bestehet, und im
[Seite 84] Ganzen genommen, zwar ziemlich fest und dauer-
haft, dabey aber doch so eingerichtet ist, daß sei-
ne meisten Theile denjenigen Grad der Nachgie-
bigkeit besitzen, den die verschiedenen Bewegun-
gen beym Athmen erfordern a).
Dieß gilt besonders von den sechs ächten
Rippenpaaren, die nach dem ersten Rippenpaare
folgen, und an Beweglichkeit zunehmen, je län-
ger ihre Mittelstücke, und ihre knorplichten An-
hänge sind, wodurch die Rippen auf beyden Sei-
ten mit dem Brustbein verbunden werden.
a) Den ächten Bau, und die Bewegungen der
Brust haben im verwichenen Jahrhundert ge-
nauer untersucht:
Jo. Swammerdam tractat. de respiratione usuqve
pulmonum. L. B. 1677. 8.
Jo. Mayow, tract. de respiratione etc. Oxon.
1668. 8.
Malach. Thruston de respirationis usu primario.
Lond. 1670. 8.
Hallers Verdienste über diese Lehre haben wir be-
reits angeführet.
Unter den Neuern zeichnen sich vorzüglich aus J. G.
Amstein (praes. Oetinger) de usu et actione mus-
culorum intercostal. Tubing. 1769. 4.
Theod. Fr. Trendelenburg fil. de sterni costarum-
qve in respiratione vera genuinaqve motus ra-
tione. Goetting. 1779. 4.
Bordenave et Sabatier in Memoires de l'Ac. des
sc. de Paris a. 1778.
Zwischen den Rändern dieser Rippenpaare
befindet sich eine doppelte Lage der Interkostal-
muskeln, deren Fasern zwar in einer entgegenge-
setzten Richtung laufen, aber doch nur einerley
Wirkung hervorbringen.
Die ganze Grundfläche der Brusthöhle wird
gleichsam durch ein Gewölb, das man das Zwerch-
fell heißt, von dem Unterleib getrennt a). Die-
ser merkwürdige Muskel, der, um mich Hallers
Ausdruck zu bedienen, nach dem Herzen der vor-
nehmste ist, hat an dem Geschäfte des Athemho-
lens den größten Antheil, wie an geöffneten le-
benden Thieren Galen b) schon längst gezeigt
hat. Die Wirkungen des Zwerchfells scheinen
größtentheils von dem nervo phrenico abzuhän-
gen c).
a) Haller de musculis diaphragmatis. Bern.
1733. 4.
Icon. anat. Fascic. I. Tab. I.
B. S. Albin. Tab. musculor. Tab. XIV. f. 5. 6. 7.
J. G. Roederer de arcubus tendineis musculorum
Prog. I. Goetting. 1760. 4.
Santorini Tab. posth. X. fig. I.
b) Galen de anatomicis adminiflrationibus L.
VIII. Cap. 8. Ueberhaupt ist dieses ganze Buch
reich an Versuchen, die sich auf das Athemholen
beziehen.
c) Krüger de nervo phrenico. Lips. 1759. recus.
in cl. Sandifort thesaur. T. III.
So wird die Brust in dem erwachsenen Men-
schen bey jedem Athemzug erweitert, bey dem
Ausathmen hingegen in einen engern Raum zu-
sammengezogen.
Und zwar wird die Brusthöhle während dem
Einathmen meistens seitwärts und unterwärts er-
weitert, so daß die Mittelstücke der Rippen (§. 138.)
in die Höhe steigen, ihr innerer Rand aber eini-
germassen nach außen gebogen wird; die Wöl-
bung des Zwerchfells aber steigt etwas nieder,
und wird flächer.
Daß aber auch während dem Athemholen
der untere Theil des Brustbeins in die Höhe stei-
ge, habe ich wenigstens bey dem ruhigen Athem-
holen eines gesunden Menschen nie beobachtet.
Diese wechselseitige Bewegung der Brust,
die in dem gesunden Menschen von der ersten Stun-
de seiner Geburt bis an das Ende des Lebens un-
unterbrochen fortdauert, geschieht bloß in der Ab-
sicht, damit auch die Lungen, um die Luft ein-
ziehen zu können, wechselsweis erweitert, und zu-
sammengezogen werden.
Denn der Mensch kann, so wie die übrigen
warmblütigen Thiere, die eingeathmete Luft nicht
lange in den Lungen behalten, sondern muß sie
bald wieder ausathmen, und mit einem frischen
Lebensstoff, wie die Alten die Luft nannten, ver-
tauschen a); denn wir wissen aus der täglichen
Erfahrung, daß auch die reinste eingeathmete
Luft, nach einem kurzen Aufenthalt in den Lungen,
alle Eigenschaften einer verderbten und nicht er-
[Seite 87] neuerten Luft annimmt, und so wie diese zum
Athemholen untauglich gemacht wird b).
a) Das Alterthum dieser Lehre von dem Lebens-
stoff erhellet aus einem Buche des Hippokrates
de flatibus. Der Verfasser dieses Buches nimmt
einen dreyfachen Nahrungsstoff an, nämlich:
Speise, Getränke, und Luft; letztere unterscheidet
er als den Lebensstoff von den übrigen, weil das
Leben des Menschen auch nicht einen Augenblick
ohne Luft bestehen kann.
b) S. die Unterredung des unsterblichen Harvey
über die unentbehrliche Erneuerung des ernäh-
renden Luftstoffes, mit dem berühmten Astronomen
Jo. Greaves, in dessen Description of the py-
ramids in Egypt. p. 101. Lond. 1646.
Ferner Edm. Haleys Discourse concerning the
means of furnishing air at the Bottom of the
Sea in any ordinary Dephts. In philosoph.
Transact. Vol. XXIX. N. 349. p. 492.
Es entstehet aber hier die Frage, was für
Veränderungen die eingeathmete Luft in den Lun-
gen erleidet; Veränderungen, die nicht von dem
Verlust ihrer Elasticität herrühren, wie man eh-
mals glaubte, sondern vielmehr von der Entmi-
schung ihrer Bestandtheile herzuleiten sind. Denn
die atmosphärische Luft, welche der Mensch ein-
athmet, ist das seltsamste Gemische verschiedener
Bestandtheile. Sie ist (die fremdartigen Theile,
z.B. die feinsten Pflanzensaamen, riechbare Theil-
then, Staub, und tausend andere Dinge zu ge-
[Seite 88] schweigen, die in der Atmosphäre immer schwe-
ben), mit wäßerigten Dünsten geschwängert; ent-
hält elektrische und magnetische Materie; und end-
lich ist die Luft selbst aus verschiedenen Luftarten
zusammengesetzt, nämlich aus der dephlogistisir-
ten, phlogistischen, und fixen Luft.
Das Verhältniß dieser Bestandtheile unter
einander ist nach Verschiedenheit der Oerter, und
der sich dort aufhaltenden Körper, verschieden.
Gemeiniglich nimmt man an, daß die atmosphä-
rische Luft 1/4 dephlogistisirte, 11/16 phlogistische, und
1/16 fixe Luft enthalte a).
a) Fixe und phlogistische Luft scheinen wieder nur
dem Grade nach von einander unterschieden zu
seyn. Kirwan betrachtet beyde, als eine de-
phlogistisirte Luft, die, wenn sie mit Brennstoff
gesätigt ist, fixe Luft, wenn sie aber mit Brenn-
stoff übersättigt ist, phlogistische Luft genennet
wird. Dieser Unterschied erlangt durch Herrn
Lichtenbergs Versuche einen hohen Grad der
Wahrscheinlichkeit.
Wir wissen aber aus der Erfahrung, daß
der erwachsene Mensch, wenn das Athemholen
ruthig von statten geht, mit jedem Athemzug drey-
ßig Kubikzoll Luft einathmet; allein der vierte
Theil der dephlogistisirten Luft wird entmischt,
und theils zur festen, theils zur phlogistischen Luft;
so daß die ausgeathmete, in einem Gefäß be-
hutsam gesammelte Luft, Licht oder glühende
Kohlen plötzlich auslöscht, den Kalk aus dem
[Seite 89] Kalkwasser niederschlägt, und an specifischer Schwe-
re die atmosphärische Luft weit übertrift a).
a) Um durch Versuche genau zu bestimmen, wie
lange ein Thier die nämliche Luftart einathmen
könne, ohne daran zu sterben, wählte ich drey
Hunde, die beynahe gleich groß und stark wa-
ren. Dem ersten band ich eine Blase, die etwa
20 Kubikzoll dephlogistisirte Luft enthielt, mit-
telst einem Röhrchen, an die abgeschnittene Luft-
röhre. Dieser Hund starb nach 14 Minuten.
Bey dem zweyten, ward die Blase mit atmosphä-
rischer Luft gefüllt; dieser war nach sechs Minu-
ten tod.
Dem dritten aber ward die Blase des zweyten Hun-
des, die von ausgeathmeter phlogistischer Luft
strotzte, angebunden; das Thier starb schon in
der vierten Minute.
Diese phlogistische Luft ward nachher in einem da-
zu bequemen Gefäß gesammelt, da man sodann
die vorerwähnten Erscheinungen beobachtete.
Die Geräthschaften, deren ich mich zu diesen Ver-
suchen bediente, stehen in meiner medicinischen
Bibliothek B. 1. beschrieben, und abgebildet.
Es ist höchst wahrscheinlich, daß bey dieser
Entmischung die losgebundenen Feuertheilchen der
dephlogistisirten Luft, in das arteriöse Blut auf-
genommen, und so in dem Körper herumbewegt
werden; die Grundlage der fixen Luft hingegen
mit dem Brennstoff in das venöse Blut überge-
he, nach der rechten Herzkammer zurückfließe, und
[Seite 90] so gleichsam als ein Auswurf durch die Lungen
ausgeflossen werde a).
Die lebhaftere Röthe des arteriösen, und
die dunklere Farbe des venösen Blutes, und die
ähnlichen Farben, die das Blut, wenn es diesen
verschiedenen Luftarten (§. 16.) ausgesetzt wird,
annimmt, stimmen mit dieser Theorie genau
überein b).
a) Der größte Theil dieser merkwürdigen Erschei-
nungen von den künstlichen Luftarten, womit in
dem letztern Jahrzehente so ansehnlich bereichert,
und das ganze Geschäft des Athemholens in ein
so helles Licht gesetzt worden, waren bereits vor
hundert Jahren dem scharfsinnigen englischen Arzt
Majon bekannt. Jo. Mayon de sal-nitro, et
spiritu nitro-aëreo. Oxon. 1674. 8.
b) Jo. Andr. Hammerschmidt de notabili discri-
mine inter sanguinem arteriosum et venosum.
Gotting. 1753. 4.
Ueberhaupt ist der Unterschied des arteriösen
und venösen Blutes in dem ungebohrnen Kinde
nicht so auffallend, als in dem erwachsenen Men-
schen, weil die Lungen des ungebohrnen Kindes
noch keine mit Feuerstoff geschwängerte Luft ein-
geathmet haben.
Nachdem aber das Kind auf die Welt ge-
kommen ist, entstehen sowohl von dem fremden
Gefühl des neuen Elements, wohin das im Was-
ser bisher lebende Thier auf einmal versetzt wird,
als auch von so vielen anderen neuen Reitzen ver-
schiedene neue Bewegungen in dem Körper, be-
[Seite 91] sonders aber die Erweiterung der Brusthöhle,
und zugleich die Nothwendigkeit des ersten Athem-
holens.
Nachdem aber die Lungen durch den ersten
Athemzug einmal erweitert worden, gewinnt das
Blut, indem es durch die Nabelgefäße nicht mehr
ausströmen kann, einen neuen Weg durch die
Lungen.
Da nun diese eingeathmete Luft durch die
erfolgende Entmischung ihrer Bestandtheile den
Lungen nachtheilig und lästig wird, so veranstal-
tet die heilende Natur, um dieses schädlichen
Stoffes sich zu entledigen, die unmittelbar darauf
folgende Zusammenziehung der Brust, um die
faule Luft auszustossen, und mit einem frischen
Luftvorrath zu vertauschen.
Aus dem, was bisher gesagt worden, und
besonders aus dem großen Einfluß, den das
Athemholen auf den ganzen Umlauf des Blutes
hat, wie der Hookische Versuch a) deutlich zeigt,
läßt sich das berühmte Harväische Problem b)
weit leichter auflösen, als durch die meisten übri-
gen Bemühungen der Physiologen c).
a) Dieser Versuch hat den Nahmen von Hooke,
der ihn mit der größten Genauigkeit anstellte.
Sprat History of the royal society. Lond. 1667
p. 232. Diesen Versuch hat schon lange vorher
Vesal gemacht, und wegen seiner Simplicität
empfohlen. d. c. h. fabrica. p. 824.
b) Harvey de circulatione sauguinis ad Joh.
Riolanum. Glasgou. 1751. 12. p. 258.
– Exercitat. de generatione. p. 263. Edit.
princeps. Lond. 1651. 4.
c) Petr. Jac. Daoustenc de respiratione. Lugd.
1743. 4.
Rob. Whytt on the vital and other involunta-
ry motions of animals. p. 222. Ed. Edinb.
1751. 8.
Wir haben nun den Hauptnutzen des Athemho-
lens betrachtet; von dem Einfluß desselben auf
die innige Vermischung des Nahrungssaftes mit
dem Blute, überhaupt, auf die ganze Klasse der
natürlichen Verrichtungen (§. 63. 111.), werde
ich an einem andern Orte handeln. Wir wol-
len nun noch einige Nebenvortheile des Athem-
holens betrachten.
Und zwar zuerst die Stimme, die ein Vor-
recht des erwachsenen Menschen ist a), und aus
den Lungen entspringt; wie schon längst Aristo-
teles angemerkt hat, daß nur diejenigen Thie-
re, die Luft durch die Lungen einathmen, mit
einer Stimme begabt sind. Die Stimme ist
aber eigentlich derjenige Schall, der erzeugt
wird, indem die ausgeathmete Luft aus dem
Kehlkopf, einem ungemein künstlichen Werkzeu-
ge, das an der Luftröhre, wie ein Aufsatz an
einer Säule angebracht ist, herbor dringt b).
a) P. L. M. Maloet et Jac. Savary. E. ut cete-
ris animalibus, ita homini sua vox peculiaris.
Paris 1757. 4.
b) Fabr. ab Aquapendente, de visione, voce, et
auditu. Patav. 1603. fol.
Julius Casserius Placentinus de vocis, auditusque
organis. Ferrar. 1600. fol.
Jan. Marc. Busch de mechanismo organi vocis,
hujusque functione. Groning. 1770. 4.
Dieses Stimmwerkzeug bestehet aus ver-
schiedenen Knorpeln, die in Gestalt einer Capsel
untereinander verbunden a), mit einem großen
Muskelvorrath ausgerüstet b) sind, wodurch so-
wohl alle Knorpeln zusammengenommen, als
auch, nach Verschiedenheit der Stimme, einige
besonders, ihre Beweglichkeit erhalten.
Morgagn. advers. anatom. prim. T. II.
Santorini observ. anat. Tab. III. f. 1. 2. 3.
b) B. S. Albini Tab. muscul. tab. X. fig. 1-15.
Tab. XI. fig. 45-48. tab. XII. fig. 1–7.
Der vornehmste Theil an diesem Stimm-
werkzeuge ist die Stimmritze, nämlich die enge
Mündung der Luftröhre, die von dem darüber
schwebenden Kehldekel zugedeckt wird. Daß aber
ausgeathmete Luft, indem sie an die Ränder die-
ser Mündung stößt, den Schall erzeuge, ist eine
ausgemachte Wahrheit.
Nur darüber wird noch gestritten, auf wel-
che Art die Stimmritze die Stimme hervorzubrin-
gen im Stande ist? ob sie nämlich erweitert, und
[Seite 95] dann wieder zusammengezogen wird, nach Ga-
len's und Dodarts Meinung, oder ob die Ver-
änderung der Stimme von der Spannung und
Erschlaffung ihrer Bänder herrühret, wie Fer-
rein behauptet.
Diese vergleichen die Menschenstimme mit
den Saiten einer Violine, diese mit einem Flö-
tenton.
Am wahrscheinlichsten ist es, daß beyde Er-
klärungsarten zugleich statt finden, jedoch mit
dem Unterschiede, daß die Spannung der Bän-
der, besonders die thyreo-arytaenoidei inferio-
res (Ferreins Stimmsaiten) den größten Antheil
an der Bildung der Menschenstimme haben a).
a) Versuche zur Entscheidung dieser Streitfrage
sind hier in Göttingen angestellt worden. J. G.
Runge diss. de voce ejusque organis. L. B.
1753. 4.
Jos. Ballani comment. institut. Bonon. T. VI.
Vicq-d'Azyr. Mem. de l'acad. des scienc. de
Paris. 1779.
Daß aber alle Bewegungen der Stimmritze
von den Muskeln des Kehlkopfes hervorgebracht
werden, erhellet aus dem Versuche, indem man
die Stimme durch die Unterbindung oder Zer-
schneidung der zurückkehrenden oder herumschwei-
fenden Nerven, entweder vertiefen, oder gar be-
nehmen kann a).
a) Diesen berühmten Versuch hat bereits Galen
angestellt. Uebrigens sehe man:
W. Courten in Philos. Transact. N. 335.
[Seite 96]Das Pfeifen hat der Mensch mit den Sing-
vögeln gemein. Letztere haben zwar zu diesem
Endzweck einen bis zur Abtheilung der Luftröhre
gespalteten Kehlkopf; doch ist der Mensch auch mit
einem einfachen Kehlkopf, vorzüglich durch die
Verengerung der Lippen, den Gesang der Vögel
nachzuahmen im Stande a).
a) Wie biegsam die Menschenkehle zur Nachah-
mung der Thierstimmen ist, lehren uns die Bey-
spiele der Wilden. Z.B. die Einwohner von
Neuguinea in den Südländern. Nic. Witsen
Noord-en Ooft-Tartarye. Ed. 2. Amsterd. 1705.
Vol. I. p. 165.
Singen heißt man, wenn die Stimme ver-
schiedene Grade der Höhe und Tiefe harmonisch
durchläuft. Der Gesang ist dem Menschen eigen,
und ein besonderes Resultat seiner Stimmwerk-
zeuge. Das Pfeifen ist den Vögeln angebohren;
die meisten Vögel, und sogar auch Hunde lernen
zuweilen Wörter aussprechen. Doch zweifle ich,
ob Thiere jemals einen ordentlichen Gesang her-
vorgebracht haben; so wie es hingegen ausgemacht
ist, daß bis itzt kein wildes Volk ohne Gesang
angetroffen worden a).
a) Daß dieses bey den Aethiopiern, Grönländern,
Canadiern, Californiern, Kamtschadalen u.a.m.
sich so verhalte, wissen wir aus den glaubwür-
[Seite 97] digsten Reisebeschreibungen. Daher mir auch
Rousseaus Meinung, daß der Gesang der mensch-
lichen Natur zuwider sey, allerdings paradox
scheinet. Dictionaire de musique. Vol. I. p.
170. Ed. Genev. 1781. 12.
Die Sprache selbst ist eine besondere Ver-
änderung der Stimme, wo die Töne durch Bey-
hülfe der Zunge, der Lippen, der Zähne, des
Gaumes, und der Nase in Buchstaben umgeschaf-
fen werden.
Daher der Unterschied zwischen Stimme und
Sprache; jene entspringt aus dem Kehlkopfe; die-
se wird (einige Völker, z.B. die Sinesen aus-
genommen, bey denen gleichlautende Wörter bloß
durch die Höhe und Tiefe unterschieden werden)
durch Mitwirkung der übrigen Stimmorganen her-
vorgebracht.
Nicht nur der Mensch, sondern auch das
Thier, auch das neugebohrne Kind hat eine Stim-
me; sogar unter wilden Thieren erwachsene Kin-
der, sogar stummgebohrne verrathen Spuren der
Stimme. Die Sprache aber ist ein Resultat des
gebildeten Verstandes und der Uebung, folglich
ein ausschließendes Vorrecht des Menschen. Denn
die Thiere werden durch Naturtriebe geleitet; der
Mensch hingegen, dem solche Beförderungsmittel
zu seiner Selbsterhaltung versagt sind, bedarf al-
lerdings dieses Vorzuges, des Verstandes und
der Sprache, um in dem gesellschaftlichen Leben,
wozu er von Natur bestimmt ist, seine Bedürf-
nisse ausdrücken, und befriedigen zu können.
Bewunderungswürdig ist dieser Mechanis-
mus der Aussprache, der nach den ersten treffli-
chen Versuchen des Franz Merc. Helmont a),
durch die Bemühungen eines Jo. Wallis b),
und Conrad Ammann c), in ein helles Licht
gesetzt worden.
Ammans Eintheilung der Buchstaben scheint
mir die natürlichste zu seyn, nämlich: I. in Vo-
cale; II. Halbvocale; III. Consonanten d).
I. Die Vocale theilt er wiederum
a) in einfache a. e. i. y. o. u.
II. Unter die Halbvocale zählt er:
a) die durch die Nase ausgesprochen werden
(nasales)
m. n. ng. (d. i. das n vor dem deut-
schen g).
b) die durch den Mund gebildet werden
(orales, nasales)
III. Die Consonanten theilt er wieder ver-
schiedentlich ein:
a) in blasende (welche allmählig ausgespro-
chen werden)
b) in herausstoßende (explosivae)
c) doppelte oder zusammengesetzte.
a) Franc. Mercur. ab Helmont alphabeti vere
naturalis Hebraici delineatio. Sulzbac. 1657. 12.
b) Io. Wallisii Grammatica linguae anglicanae
cui praefìgitur de loquela, seu sonorum om-
nium loquelarium formatione, tractatus gram-
matico-physicus. Ed. VI. Londin. 1765. (Ed.
curante Th. Hollis).
c) Io. Conrad. Amman surdus loquens. Amsterd.
1692. 8. Ed. princeps.
d) Chr. Theoph. Krazenstein tentamen praemio
coronatum, resoluendi problema ab acad. scien-
tiarum Petropolit. proposìtum; de natura et
charactere sonorum litterarum vocalium etc.
Petrop. 1781. 4.
Zum Beschluß will ich noch einige andere
Veränderungen der Stimme anführen, die ent-
weder als begleitende Zufälle gewisser Gemüths-
bewegungen anzusehen sind, oder auf eine hefti-
gere Anstrengung der zum Athemholen bestimm-
ten Werkzeuge zu folgen pflegen; und von denen
einige z.B. das Weinen und Lachen, dem Men-
schen ausschließungsweise zukommen.
Die meisten dieser Veränderungen sind mit
einander verwandt, und nicht selten verliert sich
eine in die andere; auch pflegen sich diese Neben-
veränderungen der Stimme nicht immer auf glei-
che Weise zu äußern.
Das Lachen besteht meistentheils aus kur-
zen, absatzweise auf einander folgenden Ausath-
mungen a).
[Seite 100] Das Weinen fängt mit einer starken Ein-
athmung an, auf welche kleine Ein- und Ausath-
mungen wechselweise folgen b).
Das Seufzen entsteht durch ein langsames,
anhaltendes Einnehmen, und langsames Ausath-
men; und ist zuweilen mit Aechzen (gemitus)
verbunden c).
Der Husten entsteht, wenn abwechselnde
starke Einathmungen auf starke Ausathmungen
schnell, und mit einem Schall erfolgen d).
Das Nießen besteht in einem einzigen kur-
zen sehr starken Ein- und einem sehr heftigen
Ausathmen e).
Das Schluchzen hingegen ist ein schallend,
starkes, und gleichsam convulsivisches Einath-
men f).
Aber auch das Gähnen gehört hieher, das
in einer langsamen, und langen Einathmung be-
stehet, mit einer darauf folgenden, nicht minder
langsamen Ausathmung, woben zugleich die
Kiefern von einander sich entfernen, und die Luft
durch den offenstehenden Mund in die Eustachische
Röhre eindringen kann. Das Gähnen hat noch
das Besondere, daß es die Umstehenden so leicht
zur Nachahmung reitzt; wovon die Ursache wahr-
scheinlich in der Erinnerung der angenehmen Em-
pfindung, die uns das Gähnen verschaft, herzu-
leiten ist g).
a) Fr. Lutichius de risu. Basil. 1738. 4.
b) Ioh. Frid. Schreiber de fletu. L. B. 1728. 4.
c) Dav. C. Imm. Berdot de suspirio. Basil 1736. 4.
[Seite 101]d) Ioh. Melch. Fr. Albrecht (praes. Hallero) ex-
perimenta in vivis animalibus circa tussis or-
gana expIoranda instituta. Goetting. 1751. 4.
e) Marc. Beat. L. Iac. Porta de sternutatione
Basil. 1755. 4.
f) C. Io. Sig. Triel de singultu. Götting. 1761. 4.
g) Ioh. God. Günz (praes. Walthero) diss. de
oscitatione. Lips. 1738. 4.
Der lebendige Mensch genießt mit den übrigen
Säugthieren und Vögeln, vor anderen Thiergat-
tungen den Vorzug, daß die angebohrne Wärme
ihres Körpers, die Wärme der Atmosphäre, in
der sie leben, bey weitem übertrift. Doch ist
es sonderbar, daß unter diesen Thieren der Mensch
einen geringern Grad der Wärme besitzt, die in
unserm Klima nicht über den 96° des Fahren-
heitischen Thermometers zu steigen pflegt, da sie
doch in anderen Saugthieren, vorzüglich aber
bey Vögeln diesen Grad weit übersteigt a).
a) Es versteht sich von selbst, daß hier der Win-
terschlaf einiger warmblütigen Thiere aus-
genommen werden muß; denn so wie in diesem
Zustande alle Verrichtungen des thierischen Le-
bens stillstehen, oder wenigstens ermatten, so
sinkt auch die thierische Wärme zu einer kaum
fühlbaren Lauigkeit herunter.
Dieser Stand der natürlichen Wärme ist
bey dem gesunden Menschen so beharrlich, daß die
Abweichungen in einzelnen Körpern, sowohl un-
[Seite 103] ter den kältesten als heißesten Klimaten, nur we-
nige Grade betragen. Denn Boerhaavens a)
Meinung, daß der Mensch in einer Atmosphäre,
die an Wärme seinen Körper übertrift, nicht le-
ben könne, ist sowohl durch die Beobachtungen
des berühmten Ellis b), als durch verschiedene
in dieser Absicht angestellte Versuche c) hinläng-
lich widerlegt. Es ist sogar ein besonderer Vor-
zug des Menschen, daß er an keinen Himmels-
strich gebunden ist, sondern die ganze weite Welt
bewohnen, und an der Hudson's Bay, wo das
Quecksilber von freyen Stücken gefriert d), oder
in Nova Zembla e), eben so gut, als an den
glühenden Sandufern von Senegal f) ausdau-
ren kann.
a) Philosoph. Transact. Vol. I. P. II. 1758. An
Thieren ist dieß schon früher beobachtet worden
von Arn. Duntze Experimenta calorem anima-
lem spectantia L. B. 1754.
b) Duhamel et Thlet in Memoires de l'Academie
des Sciences de Paris 1704.
Bradgen et Dobson in Philosophical Transactions
a. 1765.
c) Es ist bekannt, daß auch in den Europäischen
Klimaten die Sommerhitze die Wärme des mensch-
lichen Körpers zuweilen übersteigt. Ich erfuhr
dieses an mir selbst, als ich am 3. August 1783
in Gesellschaft des Herrn Schnyder de Warten-
see, um die Mittagszeit auf den Lucerneralpen
mich befand. Das Thermometer, welches im
Schatten auf 100° stieg, sank, als es an den Kör-
per gehörig gelegt wurde, auf 96°.
d) Th. Hutchins (Governor of Albany fort in
Hudson's Bay) Experiments for ascertaining
the point of mercurial congelation. London
1784. 4. p. 66.
e) Gerrit de Veer waterachtighe Beschryvinghe
van drie Seylagien, ter werelt neyt soo vreemt
gheboort etc. Amst. 1598.
f) I. P. Schotte on the Synochus atrabiliosa wich
reged at Senegal. a. 1778. Lond. 1782. 8
Es ist nun aber die Frage, woher die thie-
rische Wärme ihren Ursprung hat. Ohne itzt al-
le Hirngespinste der Alten anzuführen, will ich
nur anmerken, daß einige neuere Physiologen die
Wärme von der elektrischen Materie und von den
Nerven a), andere von der Reibung und von der
fortschreitenden Bewegung des Blutes b), eini-
ge von der Reibung der festen Elementartheile c),
andere aus anderen Ursachen zu erklären sich be-
mühet haben.
a) Io. Schebbeake's practice of physik. Vol. I.
b) Diese Boerhaavische Hypothese hat noch unlängst
an Herrn Crell einen Vertheidiger gefunden; am
Ende der deutschen Uebersetzung von Dobson's
und Bläyden's Abhandlungen. Helmstädt 1778. 8.
c) Edward Tryer cogitationes physiologicae de
vita animantium et vegetabilium. L. B. 1785. 8.
Allein gegen alle diese Hypothesen erheben
sich viele Schwierigkeiten; da hingegen diejenige
Theorie, der zufolge die natürliche Wärme in den
[Seite 105] Lungen durch die eingeathmete dephlogistisirte Luft
erzeugt wird, sowohl durch ihre Simplicität, als
durch ihre Uebereinstimmung mit den Naturer-
scheinungen, sich besonders auszeichnet. Den er-
sten Grund zu dieser Theorie legte der oben er-
wähnte Mayow; sie ist aber nachher erst in un-
serm Zeitalter, vorzüglich aber von Crawford
verbessert, und erweitert worden a).
a) Crawford Experiments and observations on
animal heat, and the inflammation of com-
bustible bodies. Lond. 1779. 8.
Crawford's Theorie ist ungefähr folgende:
Sowohl das Athemholen, als das Verbrennen
beruhet auf einer chemischen Operation, wobey
das in den Körpern befindliche Brennbare durch
den Beytritt des losgebundenen, oder fühlbaren
Feuers (das man von dem gebundenen Feuer
wohl unterscheiden muß) ausgetrieben wird.
Denn das Brennbare, und die Feuerma-
terie sind einander entgegengesetzte Elemente, und
jemehr von dem einem in dem Körper sich befin-
det, destoweniger ist von dem anderen zugegen;
so soll die fixe Luft nur 1/67 derjenigen Feuerma-
terie, die in einer gleich großen Menge atmos-
phärischer Luft vorhanden ist, enthalten.
Aus den Versuchen erhellet aber, daß die
atmosphärische Luft mit dem Brennbaren eine
größere Verwandtschaft hat, als mit der Feuer-
materie, so daß sie lieber mit dem Brennbaren,
als mit der Feuermaterie sich verbindet, und folg-
lich von dem Feuer, mit dem es bisher verei-
nigt war, sich entladet.
Wenn wir mit dieser Theorie die Erschei-
nungen des Athemholens vergleichen, so wird es
höchst wahrscheinlich, daß die thierische Wärme
durch eine ähnliche chemische Operation erzeugt
werde. (145.)
Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß die
Feuertheilchen, welche wir mit der Luft einath-
men, in den Lungen von den feinsten Gefäßen,
die von den Luftzellen nur durch dünne Zwischen-
wände getrennt sind (§. 135.) eingesogen, und
so mit dem venösen Blute in das arteriöse, und
von da in den ganzen Körper geführt werden.
Dieses mit Feuer bereicherte Blut läßt in
seinem Kreislaufe immer etwas von seinem Feuer
fahren, und bekömmt dafür Brennbares zurück.
Dieses mit dem venösen Blute vermischte Brenn-
bare strömt zum Herzen, und wird durch die Lun-
genarterie in die Lungen geführt, wo es sodann,
nach den itzt eben angeführten Gesetzen der Ver-
wandtschaft, mit der frisch eingeathmeten Luft sich
wieder vermischt, und die Feuermaterie losbindet,
die sodann von neuem in die Blutmasse übertritt.
Mit diesem stimmt auch dasjenige überein,
was ich von dem Unterschiede des arteriösen und
venösen Blutes angeführt habe; auch die specifi-
sche Wärme des Blutes in den Arterien und Ve-
nen a), denn die Schwere des arteriösen Blu-
tes wird auf 11 1/2, das venöse aber nur auf 10
geschätzt; auch das, was von der Wirkung der
kleinsten Blutgefäße gesagt worden, trift mit die-
ser Theorie zu (§. 126.).
a) Schon Galen hat an verschiedenen Stellen be-
hauptet, daß die linke Herzkammer wärmer sey
als die rechte. De temperamentis L. II. p. 34.
Ed. op. Bas. L. de inaequali temperie Ed. cit.
Cl. III. p. 88.
Es ist höchst wahrscheinlich, daß auch die
kleinsten Blutgefäße das ihrige zur Beschleuni-
gung oder Verzögerung dieser chemischen Opera-
tion beytragen, wodurch die Feuermaterie des
Blutes gegen Brennbares abgesetzt, und folglich
auch der Grad der thierischen Wärme vermehrt,
oder vermindert wird.
Die Beharrlichkeit der thierischen Wärme,
die (wenn wir sie nach dem Thermometer, aber
nicht nach unserm täuschenden Gefühle beurtheilen
wollen) in der größten Sommerhitze, und in
dem heftigsten Winterfroste sich beynahe immer
gleich bleibt a), sogar beym Untertauchen in kal-
tem Wasser zuweilen zunimmt b), ist eine so son-
derbare Erscheinung, aus der man einigermassen
schließen kann, daß die Wirkung der kleinsten
Gefäße, je nachdem die Atmosphäre, worinn
wir leben, mehr oder weniger warm ist, gleich-
falls verschieden seyn müsse; so daß sie in der
Kälte (wodurch ihre Spannung ohne Zweifel mehr
erhöht wird), eine größere Menge Feuermaterie
gegen Brennbares umsetzen, und einen größern
Grad der Hitze, in einer feuchten und erschlaffen-
den Atmosphäre hingegen eine geringere Wärme
hervorbringen.
a) Crawford Philosoph. transact. Vol. LXXI.
P. II.
b) G. Pickel Experimenta physico-medica de
electricitate, et calore animali. Virceburgi
1778. 8.
Die Haut, welche den menschlichen Körper
überzieht, hat so mannigfaltige Verrichtungen,
daß man sie nicht alle zugleich befassen kann, son-
dern jede einzeln an ihrem gehörigen Orte be-
trachten muß.
Denn die Haut ist einmal das Organ des
Gefühls; und in dieser Rücksicht gehört die Un-
tersuchung zu den thierischen Verrichtungen.
Die Haut ist aber auch das Werkzeug der
Einsaugung, und in sofern gehört die Betrach-
tung in das System der einsaugenden Gefäße,
folglich zu den natürlichen Verrichtungen.
Sie ist aber auch das Organ der unmerkli-
chen Ausdünstung, und hängt also von dieser
Seite mit dem Geschäfte des Athemholens zu-
sammen, daher auch die Betrachtung der Haut-
ausdünstung hier, wie mich dünkt, an seinem
rechten Orte steht.
Die Haut besteht aus einer dreyfachen Mem-
bran: 1. die Haut selbst, 2. das Malpighische
Netz, 3. das Oberhäutchen.
Das Oberhäutchen a) ist die äußere Decke
des menschlichen Körpers, und, was nur die
Glasur der Zähne, die Werkzeuge des Atemho-
lens, und der Darmkanal ohne Nachtheil ertra-
gen können, der Luft unmittelbar ausgesetzt.
a) Al. Monro (patris) or. de cuticula humana.
Op. Ed. Angl. Edinb. 1781. 4.
Ihr Bau ist äußerst einfach, ohne Nerven,
ohne Löcher, überhaupt wenig organisch, aber
doch besonders ausgezeichnet a); sie besitzt, ihrer
trüben Durchsichtigkeit ohnerachtet, eine ausneh-
mende Zähigkeit, so daß sie der Maceration und
andern Arten des Verderbnisses hartnäckig wi-
dersteht.
a) Bey einigen Thieren ist das Oberhäutchen unge-
wein dicht, und scheint aus geraden Fasern gewebt
zu seyn; ihre innere Fläche ist durchlöchert, und
wird von wollartigen Fasern der darunterliegen-
den Haut durchdrungen. Diese sonderbare Struk-
tur des Oberhäutchens sieht man ganz deutlich
an anatomischen Präparaten von einer balaena
mysticeti.
Auch das Oberhäutchen des menschlichen Körpers
hat im kranken Zustande manchmal diese Struk-
tur, z.B. in jener angeerbten Hautkrankheit,
womit in England der sogenannte Igelmann
sammt seinen Kindern behaftet war. G. Edwards
Gleanings of natural history. Vol. I. Tab. CCXII.
Aber auch die Hühneraugen, und die Schwielen
an der Fußsohle, besonders bey Personen, die
bloßfüßig gehen, haben mit dieser Struktur viel
Aehnliches.
Die Entstehung des Oberhäutchens ist noch
etwas zweifelhaft. Wahrscheinlich ist es, daß
das Oberhäutchen sammt den Haarzwibeln aus
der Haut selbst hervorkeimt, an die es mit un-
zähligen, und äußerst zarten Fäden befestiget
ist a).
Vor allen gleichartigen Theilen des Körpers
wird das Oberhäutchen am geschwindesten wie-
der ersetzt:
a) G. Hunter in medical obs. and inquir. Vol.
II. Inzwischen scheint mir doch seine Meinung,
indem er diese Fäden für Ausführungsgänge der
Ausdünstungsmaterie hält, sehr unwahrscheinlich.
Da man das Oberhäutchen sowohl in dem
Pflanzen- als Thierreiche durchgängig findet, so
kann man schon hieraus auf den allgemeinen Nu-
tzen schließen, den diese Hülle allen organischen
Körpern verschaft; sogar in dem ungebohrnen
Kinde findet man, wenigstens schon im dritten
Monate nach der Empfängniß, Anfänge des
Oberhäutchens.
Unter dem Oberhäutchen liegt ein schleimich-
tes Häutchen, das von seinem Erfinder das Mal-
pighische Netz genennt wird a).
[Seite 112] Es hat die Gestalt eines leicht auflöslichen
Schleimes, und kann nur an dem Hodensacke des
Mohren als eine förmliche, sowohl von dem Le-
der, als von dem Oberhäutchen deutlich abge-
sonderte Membran dargestellt werden. b)
a) Marcell. Malpighii tetras anatomicarum epi-
stolarum. Bonon. 1665. 12.
b) Die Absonderung des Malpighischen Schlei-
mes an diesem Theile ist vom Herrn p. Söm-
mering zuerst bewerkstelligt worden. Ueber die
körperliche Verschiedenheit des Negers vom Eu-
ropäer. Ausg. 2. 46.
In diesem Malpighischen Schleime ist der
Sitz der verschiedenen Farbe des Menschen a).
Die wahre Haut ist fast bey allen Menschen
weiß, das Oberhäutchen aber fast bey allen weiß,
und halbdurchsichtig, den Neger ausgenommen,
bey dem es in das Graue und Dunkle fällt. Das
Malpighische Netz hingegen ist in dem erwachse-
nen Menschen, nach Verschiedenheit des Alters,
der Lebensweise, und des Klima, und auch nach
seiner krankhaften Beschaffenheit verschieden b).
In dieser Rücksicht können wir fünf Abarten
(race) des Menschengeschlechts annehmen:
1) Zur ersten Abart gehören, außer den
Europäern, die Bewohner des westlichen Asiens,
und des nördlichen Afrika's, ferner die Grönlän-
der, und Esquimoten, deren Malpighisches Netz
mehr oder weniger weiß ist.
2) Die zweyte Abart begreift die Asiaten,
die sich durch eine olivenbraune Farbe auszeichnen.
[Seite 113] 3) In der dritten Abart stehen die Negern c).
4) Die Bewohner des übrigen Amerika ha-
ben eine kupferfahle Leibesfarbe.
5) Endlich die Neuseeländer, die mehr oder
weniger braun aussehen.
Aber alle diese Abstuffungen der Farben ver-
lieren sich, wie alle National- und Familienphy-
siognomien so unvermerkt in einander, daß man
sie unmöglich auf festgesetzte Klassen zurückfüh-
ren kann.
a) B. S. Albini de sede et caussa coloris aethiop.
et caeteror. hominum. e. icon. colorib. di-
stinct. L. B. 1737. 4.
b) Dieß habe ich in einer besondern Abhandlung
weitläuftiger abgehandelt. De generis huma-
ni varietate nativa. Ed. 2.
c) Pechlin de habitu et colore aethiopum, qui
vulgo, et nigritae. Kilon. 1667. 8.
Camper Oratio. in desselben kleinen Schriften. B.
1. Th. 1. S. 24-49.
Das Leder aber, oder die wahre Haut,
das von dem Malpighischen Netze, und dem
Oberhäutchen bedeckt wird, ist eine besondere,
durchlöcherte a), zähe, ausdehnbare, mehr oder
weniger dichte Membran, die größtentheils aus
Zellgewebe besteht, das an der äußern Oberflä-
che straffer, an der innern aber lockerer gewebt
ist, wo (wenige Gegenden des Körpers ausgenom-
men), das gewöhnliche Fett angesammelt wird.
(§. 36.).
Die Haut besteht außer den Nerven, und
einsaugenden Gefäßen, von denen ich an einem
andern Orte handeln werde, aus unzähligen
Blutgefäßen, die, wie man durch glücklich ge-
rathene anatomische Einspritzungen erweisen kann,
ihre äußere Oberfläche mit gefäßreichen Netzen
überziehen.
Ueberdieß ist beynahe die ganze Oberfläche
der Haut mit unzähligen Talgdrüsen besetzt, die
ein sehr feines, klares, und schwer auszutrock-
nendes a) Oel absondern b), das weder mit
dem gemeinen Schweiße, noch mit dem böckeln-
den Schweiße gewisser anderer Theile zu ver-
wechseln ist.
Endlich ist beynahe die ganze Haut mit ver-
schiedenen Arten von Haaren besetzt a); sie sind
meistens kurz, zart, und wollartig, und fehlen
nirgends als blos an den Augenliedern, an dem
männlichen Zeugungsgliede, in der flachen Hand,
und an der Fußsohle; an einigen Orten sind sie
länger, und zu besondern Absichten bestimmt, näm-
lich: das Haupthaar, die Augenbraunen, die
Augenwimpern, die Nasenhaare, der Bart, und
[Seite 115] die Haare unter den Achseln, und an den Schaam-
theilen.
Obgleich der Mensch in Vergleichung mit
andern Thieren weniger behaaret ist, so bemerkt
man doch bey verschiedenen Nationen einen auf-
fallenden Unterschied. Denn so, wie einige Völ-
ker den Bart, oder die Haare anderer Theile
ausreißen, so giebt es andere, die von Natur
kahl sind, z.B. die Tungusen. So wissen wir
hingegen aus glaubwürdigen Reisebeschreibungen,
daß die Einwohner von Nadisga, welche zu den
südlichen Kurilikischen Inseln gehören, auf eine
ganz sonderbare Weise behaaret sind a).
a) King a voyage to the pacifice Ocean for
making discoveries in the northern hemisphe-
re. Vol. III. p. 377.
Eben so verschieden sind die Haare an Län-
ge, Biegsamkeit, Krause, und besonders an
Farbe, worauf sowohl Klima, Alter, und an-
dere nicht natürliche Dinge, als auch besonders
die krankhafte Beschaffenheit des Körpers, wie
z.B. bey den Kakerlacken, einen mächtigen Ein-
fluß haben.
Auch die Richtung der Haare ist an den ver-
schiedenen Theilen des Körpers verschieden; spi-
ralförmig auf dem Scheitel, emporstrebend an
der Schaam; an der Rückseite des Armes laufen
die Haare in entgegengesetzter Richtung, fast wie
bey der simia satyro (nämlich von der Schulter
abwärts, von der Mittelhand aber aufwärts;
der Augenlieder und Augenwimpern nicht zu ge-
denken.
Die Haare entspringen aus der innern, mit
Fett angefüllten Fläche der eigentlichen Haut, an
die sie mittelst kleiner Knötchen (bulbi) befestigt
sind a). Diese Knötchen bestehen aus einer dop-
pelten Hülle b); einer äußern, gefäßreichen, ey-
förmigen, und einer innern, cylindrischen, die
wie es scheint, eine Fortsetzung des Oberhäut-
chens ist c), und den elastischen Fäden, deren
5-10 zusammgenommen, in einen Bündel ge-
faßt, ein Haar ausmachen, zu einer Scheide
dienet.
a) Dieses Knötchen scheint mir vielmehr zur Befe-
stigung, als zur Ernährung der Haare bestimmt
zu seyn; denn diejenigen Borsten der Haare, die
man in Brey- und Honiggeschwülsten des Netzes,
vorzüglich aber der Eyerstöcke findet, haben kei-
ne solche Knötchen, und liegen frey und unbe-
festigt in dieser breyweichen Materie.
b) Duverney oeuvres anatomiques. Vol. I. Tab.
XVI. f. 7. 9-14. Tab. XVII. f. 3. seqq.
c) B. S. Albini annot. anatomicae. L. VI. Tab.
III. fig. 4. 5.
Die Haare sind beständig mit einem ölichten
Dufte befeuchtet, und sind unverweslich. Sie
sind vor allen Theilen des menschlichen Körpers
vorzüglich idio-elektrisch. Sie werden leicht er-
nährt, und wenn sie auch ausfallen, wofern nur
die Haut noch unverletzt ist, leicht wieder ersetzt.
Alle diese Decken des Körpers gehören, ih-
ren Nebennutzen abgerechnet, vorzüglich zu den
Reinigungsorganen, wodurch sich die Blutmaße
von allen fremdartigen, oder zu fernerm Gebrau-
che untauglichen, folglich schädlichen Materien,
entlediget a).
Dieß sieht man besonders an den Krank-
heitsmiasmen, die in Gestalt der Hautausschlä-
ge auf die Oberfläche des Körpers geworfen
werden; an dem Bisamgeruche der Ausdünstung
auf eingenommenen Moschus; an dem Schweiße,
und andern dergleichen Erscheinungen.
a) Abr. Kaau Perspiratio dicta Hippocrati, per
universum corpus anatomice illustrata. L. B.
1738. 8.
Durch diese Organe dringt vorzüglich jene
Ausdünstungsmaterie, die von dem scharfsin-
nigen Sanctorius zuerst mit der erforderlichen
Genauigkeit untersucht worden ist a).
Nur muß ich vorläufig anmerken, daß man
gemeiniglich ganz verschiedene und fremdartige
Auswurfsmaterien unter der Ausdünstung zu ver-
stehen pflegt, die man doch wohl von einander
[Seite 118] unterscheiden muß. Vorzüglich aber ist der Schweiß
von der Ausdünstung unterschieden.
Denn der Schweiß ist eine wäßerigte, et-
was salzigte Feuchtigkeit, die in einem gesunden
und ruhenden Körper fast nie von freyen Stücken
ausbricht.
Die Ausdünstung, hingegen ist eine luftarti-
ge, beständig elastische, und dem Dufte, den
wir aus den Lungen ausathmen, ungemein ähn-
liche Flüßigkeit.
a) A. Sanctorii de statica medicina aphorismi.
Sectionibus VII. comprehensa. Venet. 1634.
Dieß ist die vollständigste, und ächte, von dem
Verfasser selbst besorgte Ausgabe jenes berühm-
ten Werkes, das Boerhaav selbst den Aphoris-
men des Hippokrates vorzuziehen kein Bedenken
trug.
Denn auch die Ausdünstungsmaterie ist mit
Brennbarem geschwängert, fällt den Kalk aus
dem Kalkwasser, und ist gleichfalls zur Unter-
haltung einer Flamme, und zur Fortsetzung des
Athemholens untüchtig.
Die Menge dieses flüßigen Wesens, das
aus der Oberfläche unsers Körpers, (die man
bey einem Erwachsenen von mäßiger Leibesgröße
auf 15 Quadratfuß schätzt) auszudunsten pflegt,
läßt sich auf keinen bestimmten Kalkul zurück-
führen.
[Seite 119] Denn daß alle Waagen, die man seit den
Zeiten des Sanctorius ersonnen hat, um das
Gewicht unsers Körpers ausfindig zu machen a),
ihren Endzweck nothwendig verfehlen müssen,
erhellet aus dem, was ich kurz vorher von der
Beymischung fremdartiger Materien erinnert habe.
Daß aber die Ausdünstung bey einzelnen
Menschen ungemein verschieden zu seyn pflege,
ist eine allgemein bekannte Sache. Es gibt
hierinn sogar Nationalverschiedenheiten, wie wir
aus den Nachrichten glaubwürdiger Reisebeschrei-
ber zuverläßig wissen; so hat die Ausdünstung
der Caraiben b), der Grönländer c), der
Mohren d), und anderer wilder Völker, einen
ganz eigenen, und specifischen Geruch.
a) Sanctorii comment. in Iam Fen. Imi L. Canon
Avicennae. Venet. 1646. 4. p. 781.
Jo. Andr. Segner de libra, qua sui quisque cor-
poris ponduse xplorare possit. Götting. 1748. 4.
b) Thibault de Chantalon voyage à la Martinique.
Paris. 1763. 4. p. 43.
c) David Cranz Historie von Grönland. Ausg. 2.
S. 179.
d) Estwik History of Jamaica. Lond. 1774, 4.
Vol. II. p. 352. seq. 425.
Diesen specifischen Geruch, den die Ausdünstung
der Mohren hat, besonders bey denen aus An-
gola, habe ich selbst an Mohren von verschiede-
nem Alter und Geschlechte öfters wahrzunehmen
Gelegenheit gehabt.
Aus dem, was ich von der gefäßreichen
Struktur der Haut (§. 176.), von der Aehnlich-
keit zwischen der ausgeathmeten Luft, und der
Ausdünstungsmaterie (§. 186.), und von dem
Vermögen der kleinsten Gefäße Wärme zu erzeu-
gen (§. 166.), angeführt habe, ist es sehr
wahrscheinlich, daß zwischen den Verrichtungen
der Lungen und der Haut eine große Aehnlichkeit,
und eine wechselsweise Uebereinstimmung Statt
finde, so daß eine Verrichtung der andern zu
Hilfe kömmt, und wenn eine in Unordnung ge-
räth, einigermassen zu ersetzen im Stande ist.
Verschiedene Erscheinungen, sowohl im ge-
sunden als kranken Zustande, stimmen mit dieser
Theorie genau überein.
Z.B. Der Unterschied des ungebohrnen
Kindes, und der übrigen Säugthiere, von dem
bebrüteten Hühnchen a).
Die besondere Kälte, die man an einigen
Theilen warmblütiger Thiere wahrnimmt (z.B.
die Nase bey den Hunden) kann am schicklichsten
aus der schwächern phlogistischen Einwirkung der an
diesen Theilen befindliche Gefäße hergeleitet werden.
So wie man hingegen aus der verstärkten
Einwirkung der kleinen Gefäße an gewissen Thei-
len einige krankhafte Symptomen erklären kann,
z.B. die besondere Hitze der Schwindsüchtigen
an der flachen Hand.
Diese wechselsweise Uebereinstimmung zwi-
schen den Verrichtungen der Lungen und der Haut
wird noch durch einige besondere pathologische Er-
scheinungen unterstützt. Man hat nämlich beob-
[Seite 121] achtet, daß erwachsene Personen, deren Lungen
größtentheils vereitert, oder auf eine andere
Weise verdorben waren, dem ohnerachtet noch
einige Zeit ihr Leben fortsetzen, und sogar meh-
rere Jahre, ohne Athem zu holen, gelebt ha-
ben b).
a) In der ungebohrnen Leibesfrucht, sowohl beym
Menschen, als bey den übrigen Säugthieren,
wird die thierische Wärme aus dem Leibe der
Mutter mittelst dem Mutterkuchen mitgetheilt.
Die Mutter giebt der Leibesfrucht die Feuerma-
terie, und nimmt dafür Brennbares zurück. Da-
her das ungebohrne Kind weder Athem zu holen,
noch auszudunsten braucht.
Nicht so in dem bebrüteten Hühnchen. Zwar ist
auch bey diesem das Athmen unnöthig, indem
es von der brütenden Mutter mit Feuermaterie
versehen wird. Damit aber das Brennbare,
welches durch den Eintritt der Feuermaterie ent-
wickelt worden, ausströmen kann, so sind die
Eyer mit einer durchlöcherten Schaale überzo-
gen, wodurch sie, besonders in der Wärme,
stark ausdunsten können.
Wie leicht aber der Uebergang der Feuermaterie
aus der Mutter in das Hühnchen, und der Rück-
fluß des Brennbaren aus dem Hühnchen in die
Mutter zurückfließt, erhellet aus der Aehnlich-
lichkeit zwischen dem Eyweiß und Blutwasser
(§. 11.), und aus der schnellen Einwirkung
der Luft durch das Blutwasser in den Blutku-
chen (12.).
b) Ein merkwürdiges Beyspiel hat Tanoni auf-
gezeichnet in Commentar. institui Bononiensis.
Vol. VI. p. 74.
Daß aber auch die innere Fläche des Spei-
sekanals, außer seinen Hauptverrichtungen, auch
noch diese phlogistische Verrichtung leiste, ist
höchst wahrscheinlich.
Denn nebst den Lungen ist dieß der einzige
Theil, dessen innere Oberfläche keiner freyen
Luft beständig ausgesetzt ist; denn daß wir eine
große Menge Luft hinterschlingen, ist außer allem
Zweifel.
Daß aber die heruntergeschluckte Luft, eben
so wie in den Lungen, verändert werde, zeigt die
Beschaffenheit der in den ersten Wegen befindli-
chen Luft an a).
Diese Meinung erlangt endlich durch die
große Menge der Blutgefäße, womit die ganze
Oberfläche der Gedärme, die man der Oberflä-
che des ganzen Körpers gleich schätzt, so reichlich
versehen ist, sehr ein großes Gewicht.
a) Schon van Helmont wußte dieß. de flatibus.
I. Sect. LXIX. p. 405. Ed. op. 1682. 4.
Wir gehen nun zur zweyten Klasse der Verrich-
tungen des menschlichen Körpers über, nämlich
zu den thierischen (§. 63. 11.), wodurch die Ge-
meinschaft zwischen Körper und Seele unterhalten
wird; sie sind nur das Vorrecht belebter organi-
sirter Körper, und haben sogar, indem sie durch
das ganze Thierreich sich erstrecken, einen weitern
Umfang, als die Lebensverrichtungen.
Die vornehmsten Werkzeuge dieser Verrich-
tungen sind das große und kleine Gehirn, das
daranhangende Rückenmark, und die aus dieser
dreyfachen Quelle entspringenden Nerven a). Al-
le diese Werkzeuge werden ganz schicklich in zwo
Hauptklassen eingetheilt, nämlich in das Senso-
rium, und in Nerven; das Sensorium begreift
alles dasjenige, was außer den Nerven und ih-
ren ersten Anfängen zum Nervensystem gehört,
und zwischen den Nervenverrichtungen und unserer
Geistesfähigkeit die eigentliche Verbindung aus-
zumachen scheint.
a) Eustachii Tab. XVIII. f. 2.
Mayer vom Gehirn und Rückenmark, und Ur-
sprung der Nerven.
Monro (Fil.) observations on the structure and
functions of the nerveous system. Edinburg
1783. fol.
Diese Eintheilung gründet sich auf Herrn
Sömmerings Beobachtung a), daß die Seelen-
fähigkeit des Menschen, und die Gelehrigkeit der
übrigen Thiere von dem größern Ueberschuße der
Hirnmasse zu den Nerven herrühre; denn der
Mensch hat unter allen Thieren bey dem größten
Gehirn die kleinsten Nerven.
Das Gehirn a) selbst besteht, außer dem
Hirnschädel, aus einer dreyfachen Hülle: aus
der harten und weichen Hirnhaut, und aus der
Spinnenwebenhaut.
Die harte Hirnhaut a) umkleidet den gan-
zen Knochenschädel; sie macht mit ihren Fortsä-
[Seite 125] tzen verschiedene Scheidewände; mit dem sichel-
förmigen Fortsatze theilt sie sowohl das große als
kleine Gehirn in zwo Hälften; die Zelte b) aber
stützen die hintern Lobos des Gehirns, damit sie
nicht das kleine Gehirn drücken.
Ferner bildet und unterstützt diese Membran
durch ihre Umschläge die sogenannten Blutbehäl-
ter, durch welche das Geblüt aus dem Gehirne
nach dem Herzen zurückfließt. Dieses aus dem
Gehirne zurückfließende Blut zeichnet sich nicht
allein durch seine eigenthümliche Schwere c), son-
dern noch überdieß durch seine Menge aus, in-
dem es ungefähr den zehnten Theil der ganzen
Blutmasse ausmachen soll.
a) Vieussens neurograph. univers. Tab. XVII.
fol. 1.
Duverney. oeuvres anatomiques. Vol. I. Tab. IV.
Haller icon. anatom. fascic. I. Tab. VI.
Walther de morbis peritonaei et apoplexia. Be-
rolin. 1785. Tab. III. IV.
b) Ruyschii resp. ad epistol. problem. novam.
Amst. 1670. Tab. X
c) Taube de sanguinis ad cerebrum tendentis in-
dole. Götting. 1747. 4.
Zunächst folgt die Spinnenwebhaut, die mit
keinen Blutgefäßen versehen ist (§. 5.), aber
eben so, wie die harte Hirnhaut, in alle grö-
ßere und kleinere Furchen des Gehirns legt, und
die Hirnmasse vergrößert.
Anders verhält es sich mit der weichen Hirn-
haut, welche überall genau an die graue Sub-
stanz anliegt a), und unzählige, in diesen Theil
des Gehirns eindringende Blutgefäße aufnimmt.
Das äußere Blatt dieser von dem Gehirne abge-
sonderten Membran ist glatt, das innere hinge-
gen ist zottig, und gleicht dem Moose, das mit
seinen Wurzelfaserchen in der Erde festsitzt.
Das große Gehirn besteht aus mannigfal-
tigen Theilen von verschiedener Gestalt und Struk-
tur, deren Nutzen aber noch wenig bekannt ist;
besonders zeichnen sich die sogenannten Gehirnhöh-
len aus, die unlängst vom Herrn Monro ge-
nauer untersucht worden sind; die zwo vordern,
und die vierte Hirnhöhle schließen das Aderge-
flecht ein, dessen Nutzen eben so wenig bekannt ist.
Das ganze, sowohl große als kleine Gehirn
besteht aus einer zweyfachen Substanz, aus einer
aschgrauen, die man auch die Rinde nennt, ob
sie gleich nicht immer auf der Oberfläche sich be-
findet, und einer markichten, wozu noch eine mitt-
lere Substanz kömmt, die Herr Sömmering zu-
erst entdeckt hat a), und die man an den hintern
Lappen des Gehirns, und an dem sogenannten Lebens-
baum des kleinen am deutlichsten wahrnimmt.
a) Sömmering de basi encephali p. 63.
Gennari de peculiari structura cerebri. 1782. 8.
Tab. II. III.
Die graue Substanz nimmt a) im Verhält-
nisse mit dem Hirnmarke mit dem zunehmenden
Alter immer ab; denn sie ist bey Kindern stär-
ker, als bey Erwachsenen. Sie besteht größten-
theils aus unzähligen, sowohl blutführenden, als
auch aus einer kleinen Gattung Gefäßen (§. 79.),
von denen aber nur wenige in die Marksubstanz selbst
eindringen b); übrigens scheint diese Substanz
aus einem sehr zarten Zellgewebe, und einem
dreyartigen Parenchyma zu bestehen, an dem
man auch mit Vergrößerungsgläsern bis itzt keine
bestimmte Struktur entdecken konnte c).
a) Malpighi de cerebri cortice, cum reliquis de
viscerum structura exercit. Lond. 1669. 12.
Ruysch de cerebri substantia epistola problema-
tica XII. Amstelod. 1669. 4.
Chr. Frid. Ludwig de cinerea cerebri substantia.
Lips. I779. 4.
b) B. S. Albini annot. acad. L. I. Tab. II. §. 4. 5.
c) Metzgeri animadversiones in doctrinam ner-
vorum. Regiomonti 1783. 4.
Das Gehirn ist in einer beständigen, aber
mäßigen Bewegung a), die mit dem Athmen in
wechselweiser Beziehung steht, so daß das Hirn,
wenn die Lungen bey dem Ausathmen zusammenfal-
len, sich erhebt, sobald aber die Brust durch
das Einathmen erweitert wird, wieder sinkt b).
a) Diese merkwürdige Erscheinung hat zuerst Joh.
Daniel Schlichting beschrieben in Commerc.
[Seite 128] litter. Noric. anno 1744. Und weitläufiger in
Memoires présentés à l'academie des scienc.
de Paris T. I. p. 113.
Die Ursachen dieser Erscheinung hat Herr v. Haller
durch zahlreiche an lebendigen Thieren angestellte
Versuche auseinandergesetzt. Auch Walstorf ex-
perimenta circa motum cerebri, cerebelli etc.
Götting. 1753.
La Mure et Larry dissert. in Memoir. présentés.
Tom. III. p. 277.
b) Ich hatte erst vor kurzem Gelegenheit diese Be-
wegung des Gehirns an einem erwachsenen Men-
schen wahrzunehmen, und Versuche darüber an-
zustellen. Ein Jüngling von 18. Jahren hatte
sich vor zehn Jahren durch einen hohen Fall den
Hirnschädel oberhalb dem Stirnbeine bis an die
linke Seite der Kranznath gebrochen. Seit die-
ser Zeit standen die Knochen von einander, und
waren nur mit den allgemeinen Bedeckungen,
und einer dünnen Narbe überzogen. Diese Spal-
te stellte eine Grube vor, die bald mehr, bald
weniger tief war; sie war am tiefsten, wenn der
Mensch schlief, am vollsten hingegen, wenn er
wachte. Sie veränderte auch ihre Gestalt mit
dem Aus- und Einathmen; sie fiel stark ein,
wenn ich den Kranken den Athen an sich halten
ließ, erhob sich aber in eine strotzende Geschwulst,
wenn er heftig ausathmete, und eine Weile kei-
nen Athem holte. Auch konnte man in dieser Vertie-
fung das Pulsiren wahrnehmen; dieser Puls war
mit dem Pulse des ganzen Arteriensystems gleich-
zeitig; Petriolus, Vandell, und andere Gegner,
[Seite 129] des Herrn von Haller verwechselten dieß Pulsiren
der Arterien sehr ungereimt mit der Bewegung
des Einathmens. Beyläufig will ich hier anmer-
ken, daß dieser junge Mensch, dessen linke Seite
des Hauptes verwundet worden, an dem rech-
ten Arm und Schenkel gelähmt war.
Das verlängerte Mark geht in das Rücken-
mark a) über, welches in dem längsten Rück-
gradkanale enthalten ist, und von den fortgesetz-
ten Hüllen des Gehirns bekleidet wird. Es be-
steht gleichfalls aus einer zweyfachen Substanz,
nur mit dem Unterschiede, daß die graue Sub-
stanz nach innen zu, das Mark aber auswärts
liegt.
a) Ioh. Iac. Huber de medulla spinali, Götting.
1741. Haller icon. anatomicae. fasc. I. Tab.
II. fasc. VII. Tab. IV. V.
Aus dieser doppelten Quelle, nämlich aus
dem großen und kleinen Hirn, und aus dem Rü-
ckenmark entspringen die Nerven a), diese mehr
oder weniger weiße, markigte Bündel, die in
alle weichen Theile des menschlichen Körpers ver-
theilt werden.
a) Rol. Martin, de proprietatibus nervorum ge-
neralioribus; praemissa ejus institutionibus neu-
rologicis.
Denn es ist nun durch die unzähligen Ver-
suche des Herrn von Hallers, und so vieler an-
derer großer Beobachter, entschieden a), daß es
in dem menschlichen Körper mehrere gleichartige
Theile giebt, an denen man durch die genauesten
und behutsamsten Zergliederungen nicht die min-
deste Spur eines Nerven, und weder bey chirur-
gischen Operationen b), noch durch wiederholte
Versuche an lebendigen Thieren c), den gering-
sten Grad der Empfindung entdecken konnte.
Zu diesen unempfindlichen Theilen gehört
das Zellengeweb, das Oberhäutchen mit dem
Malpighischen Netze, den Haaren, und Nägeln.
Ferner die Knorpeln, und Knochen sammt
ihrem Mark.
Die Flechsen, sehnichte Ausbreitungen, und
Bänder.
Die meisten breitern Membranen, die harte
Hirnhaut, und die Spinnenwebhaut; das Rippen-
fell, sammt dem Mittelfell und Herzbeutel; das
Darmfell, die Hornhaut, u.s.w.
Die meisten Theile des einsaugenden Sy-
stems, besonders die Milchbruströhre., Endlich
der Mutterkuchen, und der Nabelstrang.
a) v. Haller de partibus c. h. sensibilibus in com-
ment. societ. sc. Götting. T. I.
– Sermo III. in nov. comment. Götting. T. III.
Petri Castell experimenta, quibus constitit, va-
rias h. c. partes sentiendi facultate carere. Göt-
ting. 1753. 4.
Sull' insensibilità dissertazioni transportate da
I. G. v. Petrini, Rom, 1755. 4.
Sull' insensibilità ed irritabilità Halleriana opu-
scoli raccolti da G. B. Fabri. Bonon. 1757–
59. IV. Vol. 4.
v. Haller Memoires sur la nature sensible et ir-
ritable des parties du corps humain. Lausan.
1756–59. IV. Vol. 12.
b) Anlangend die verschiedenen, und sogar wider-
sprechenden Meinungen über die Empfindlichkeit
oder Unempfindlichkeit gewisser Theile des Kör-
pers, so halte ich die negativen Zeugnisse über-
zeugender als die positiven; denn nichts ist un-
zuverläßiger, als das Urtheil des Kranken über
den Sitz der innerlichen Schmerzen; denn zu
geschweigen, daß zuweilen Personen, denen ehe-
mals irgend ein Glied abgelöset worden, noch
über Schmerzen an dem nämlichen Theile sich
beklagen, so wissen wir auch aus Alltagserfah-
rungen, daß viele Personen über festsitzende und
anhaltende Schmerzen an irgend einem Theile
sich beschweren, den man doch nach dem Tode
ganz gesund fand; da hingegen ein anderer ent-
fernter Theil schadhaft war, den der Kranke
für unschmerzhaft hielt.
Auf diese Weise lassen sich die Knochenschmerzen
der mit der Lustseuche behafteten Kranken leich-
ter erklären; denn aus vielen, und auch aus
meinen Erfahrungen ist vielmehr das Gegentheil
erwiesen, daß das Knochenmark, wenn es auch
mit Bewußtseyn des Kranken gereizt wird, nicht
den geringsten Grad von Empfindung verräth.
c) Ich werde täglich mehr überzeugt, wieviel Be-
hutsamkeit, und Uebung zu dergleichen Versuchen
[Seite 132] fordert wird, wie oft derselbe Versuch an ver-
schiedenen Gattungen von Thieren angestellt wer-
den muß, um physiologische Gesetze daraus her-
leiten zu können. Denn der nämliche Versuch,
z.B. über die Empfindlichkeit des Knochen-
marks, den ich sowohl an Saugthieren, als
Vögeln angestellt, hatte oft einen ganz verschie-
denen Erfolg. Denn bey einigen Thieren konn-
te ich das Mark in den Knochenröhren ohne
allen Schmerz zerstören, da hingegen andere
schon von der bloßen Berührung des Messers
in Zuckungen verfielen, heulten u.s.w. Viel-
leicht erregte bey diesen schon die bloße Furcht
vor neuen Schmerzen Konvulsionen; da hinge-
gen jene, von einem vorhergegangenen hefti-
gern Schmerz betäubt, den an dem Knochen-
marke angebrachten schwächern Reiz nicht fühl-
ten, obgleich dieser Theil vielleicht nicht ganz
ohne Nervenzweige war.
Wir können aber die Nerven weder durch
die Zergliederung, noch durch die Schärfe des
Gesichts bis zu ihrem ersten Ursprung verfolgen;
es ist sogar noch zweifelhaft, ob die Nerven ei-
ner Seite des Körpers auch aus derselben, oder
von der entgegengesetzten Seite des Sensoriums
entspringen a). Die letztere Meinung wird durch
einige pathologische Erscheinungen sehr wahrschein-
lich b). Daß wenigstens bey den Sehnerven ei-
ne solche Durchkreuzung vorhanden ist, hat Herr
Sömmering erwiesen c).
a) Die verschiedenen Meinungen der Physiologen
über diesen Gegenstand hat Lassus gesammelt.
Lassus. sur les decouvertes faites en anatomie
Paris. 1783. p. 299.
b) Du Pui de homine dextro et sinistro. L. B.
1780. 8. p. 107.
c) Hessische Beyträge zur Gelehrsamkeit. Th. I. u. IV.
Nöthig de decussatione nervorum opticorum.
Mogunt. 1786. 8. (Praes. Sömmering).
Die Nerven werden in ihrem Verlauf a)
mit der Fortsetzung der weichen Hirnhaut beklei-
det, und gleichsam mit einer gefäßartigen Hülle
überzogen b). Sobald aber die Nerven aus dem
Gehirn, oder aus dem Rückenmarke hervorgehen,
nehmen sie eine ganz eigene Gestalt an, wodurch
sie sich von allen andern gleichartigen Theilen des
Körpers auszeichnen; sie bilden querlaufende,
mehr oder weniger schiefwinkligte Falten, wie sie
Mollinelli c) beschreibt, der sie ganz schicklich
mit den Gliedern des Regenwurms, oder mit
den Ringen der Luftröhre vergleicht.
a) Pfeffinger de structura nervorum. Argent. 1782. 4.
b) Battie de principiis animalibus. Lond. 1757.
4. p. 126.
c) Molinelli Comment. institut. Bononiens. T. III.
1755. p. 282. f. 1. 2.
Diese Beobachtung des Molinelli haben neuer-
dings Fel. Fontana, und Alexander Monro
bestätigt. Dieser in seinem schon oft angeführ-
ten Werke; jener im: Traité sur le venin de la
vipere. Flor. 1781. 4. Vol. II.
Einige Nerven, besonders von einem ge-
wissen Range, z.B. der Interkostal- und der
herumschweifende Nerve, sind mit Nervenknoten
(ganglia) versehen, die aus einer festeren,
röthlichgrauen Substanz bestehen; deren Nutzen
noch nicht hinlänglich bekannt ist. Zinn's Mei-
nung scheint mir die wahrscheinlichste zu seyn a);
diese Knoten scheinen in der Absicht vorhanden
zu seyn, um die verschiedenen Nervenfaden,
welche aus ganz verschiedenen Quellen entsprin-
gen, und in diesen Knötchen zusammentreffen,
inniger unter einander zu verbinden; so daß jedes
Nervenästchen, indem es aus diesem Knoten
austritt, mit allen übrigen Aestchen in einiger
Verbindung steht a).
a) Haase disser. de gangliis. Lips. 1722. 4.
Io. Caverhill Tr. of ganglious. Lond. eod. 8.
Scarpa anatom. annot. L. I. de nervorum gan-
gliis et plexubus. Mutin. 1779. 4.
Einen ähnlichen Nutzen scheinen auch die
Nervengeflechte (plexus) zu haben, die gleich-
falls aus solchen netzförmigen Verbindungen meh-
rerer Nerven entstehen.
So wenig wir aber die Uranfänge der Ner-
ven genau kennen, eben so sehr liegen auch die
letzten Endungen, in die die Nerven sich allmä-
[Seite 135] lig verlieren, noch im Dunkeln. Denn außer
einigen Nerven, die gleichsam in eine Markhaut
übergehen, z.B. der Sehnerve in die Netzhaut,
und die weiche Portion des siebenten Paares zwi-
schen den Spiralblättchen der Schnecke, zerflie-
ßen die letzten Nervenendungen in dem Parenchy-
ma der Haut, der Muskeln, und der Einge-
weide in ein markigtes Wesen, und werden dem
Auge des Forschers unsichtbar.
a) Tissot Tr. des nerfs et de leurs maladies. T. I.
Stuart de systematis nervosi officiis. Edinburg
1781. 8.
Prochaska annot. acad. fasc. III. Sc. L. I.
So macht nun das Sensorium in Verbindung
mit den Nerven, die aus demselben entspringen,
und zu allen Theilen des Körpers hingeleitet wer-
den, ein eigenes System aus, wodurch, so lan-
ge der Mensch lebt, die Gemeinschaft zwischen
Seele und Körper unterhalten wird a).
a) Io. H. Rahn Exercit. de causis physicis sym-
pathiae I. (de miro inter animum et c. h.
consensu) Turic. 1786. 4.
Mit dem Gehirn steht die Seele in der ge-
nauesten Verbindung: dieß erhellet sowohl aus
der Nachbarschaft der Sinnorgane, als auch aus
dem sonderbaren Bau der verschiedenen Theile
des Gehirns, und aus einigen Krankheiten die-
ses edlen Eingeweides.
Einige Physiologen haben sogar durch die
Gestalt und Lage gewisser Theile des Gehirns sich
verleiten lassen, irgend einen besondern Theil für
den eigentlichen Sitz der Seele zu erklären; ei-
nige haben der Zirbeldrüse a), einige dem klei-
nen Gehirn b), dem großen markigten Queerban-
de (corpus callosum), andere endlich der Va-
rolischen Brücke diese Ehre erwiesen.
a) Des Cartes Meinung erhielt durch Leichenöff-
nungen wahnsinniger Personen, in deren Zir-
beldrüse Steinchen gefunden wurden, einige
Wahrscheinlichkeit. Allein genauere Beobachtun-
gen zeigten, daß fast alle, auch die gesundesten
Menschen, schon von dem zwölften Jahre an, solche
Steinchen in der Zirbeldrüse haben. Sömmering
de lapillis vel prope, vel intra glandulam
pinealem sitis; seu de acervulo cerebri. Mo-
gunt. 1785. 8.
b) Diese eingebildeten Vorzüge, sowohl des klei-
nen Gehirns, als des großen markigten Queer-
bandes sind von Zinn nachdrücklich widerlegt
worden. Zinn Experimenta circa corpus cal-
losum, cerebellum, duram meningem in vivis
animalibus institut. Götting. 1749. 4.
Doch hängt nicht die ganze Wirksamkeit des
Nervensystems von dem Gehirn allein ab; son-
dern auch das Rückenmark, und sogar die Ner-
ven haben Antheil daran; auch besitzen die Ner-
ven Kraft genug Zuckungen in den Muskeln her-
[Seite 140] vorzubringen – eine Kraft, die den Nerven
wahrscheinlich durch ihre gefäßartige Rinde (§.
203.) zugeführt, und beständig erneuert wird.
Inzwischen ist diese eigenthümliche Kraft der
Nerven im Menschen viel geringer, ihre Abhän-
gigkeit hingegen von dem Gehirn ungleich grö-
ßer, als man bey andern, besonders kaltblütigen
Thieren, beobachtet.
Das Nervensystem hat überhaupt eine zwey-
fache Verrichtung. Es setzt andere Theile, be-
sonders diejenigen Muskeln, welche der Willkühr
der Seele unterworfen sind, in Bewegung, so-
dann ist es die Quelle der Empfindungen, indem
es alle Rührungen der äußerlichen Sinnorgane
auf das Sensorium fortpflanzt, und dadurch das
Bewußtseyn der Seele hervorbringt.
Das Sensorium hat noch überdieß das Ver-
mögen, die empfangenen Nervenrührungen sogar
auf andere Nerven, die nicht die Leiter dieser
Rührungen waren, überzutragen, und so gleich-
sam auf die Nerven zurückzuwirken. So wirkt
die Markhaut des Auges, wenn es von den Licht-
strahlen berührt wird, auf das Sensorium, dieses
aber wirkt auf den Regenbogen (iris) zurück,
wodurch derselbe entweder erweitert, oder zusam-
mengezogen wird.
Und zwar besonders aus dieser letztern Quel-
le entspringen die Wirkungen der Einbildungs-
kraft und der Gemüthsbewegungen auf den mensch-
lichen Körper, die über den ganzen Körper aus-
[Seite 141] gebreitete Mitempfindung a) (§. 54.), und ihr
Einfluß auf die ganze thierische Oekonomie.
a) Egger (auctore Laur. Gasser) de consensu
nervorum. Vindob. 1766. 8. recus. in Wasser-
berg collect. Fasc. II.
Camper de consensu nervorum observationes, in
Coopmans comment. in Alex. Monro (patr.)
tract. de nervis. Harling. 1763. 8.
Isenstamm Versuch einiger praktischer Anmerkun-
gen über die Nerven. Erlang. 1774. 8. p. 116.
Diese Geschäfte des Nervensystems sind
durch Versuche und Beobachtungen außer allen
Zweifel gesetzt; aber desto schwerer läßt sich die
Art und Weise erklären, wie diese Organe solche
Bewegungen hervorzubringen im Stande sind.
Diese verschiedene Erklärungsarten können
auf zwo Hauptklassen zurückgeführt werden. Ei-
nige leiten die Einwirkungen des Nervensystems
von einer schwingenden Bewegung her. Andere
aber erklären die Nervenwirkungen aus der Be-
wegung einer Flüßigkeit, über deren Natur und
Beschaffenheit die Physiologen eben so wenig ei-
nerley Meinung sind; denn einige nehmen Lebens-
geister an a), die in den Nerven fortströmen,
andere eine elektrische Feuer- oder wohl gar mag-
netische Materie.
a) Micheliz scrutinium hypotheseos spirituum
animalium. Prag. 1782. 8.
Ohne mich zu einer oder der andern Er-
klärungsart zu bekennen, will ich nur so viel hier
anmerken, daß die mehresten Beweisgründe, mit
denen eine Parthey die Meinung der andern ge-
wöhnlich zu bestreiten pflegt, für das Daseyn so
feiner Nervenschwingungen, oder einer so feinen
Nervenflüßigkeit allzusinnlich ausfallen.
Vielleicht ließen sich beyde Meinungen ver-
einigen, wenn man nämlich annähme, daß
eine flüßige Nervenmaterie durch einwirkende
Reizmittel (stimulos) in schwingende Bewegun-
gen gesetzt wird.
Die Meinung von dem Daseyn einer flüßi-
gen Nervenmaterie wird, außer andern Grün-
den, durch die Struktur des Nervensystems, vor-
züglich aber des Gehirns, das mit andern abson-
dernden Eingeweiden eine große Aehnlichkeit hat,
nicht wenig begünstigt. Daraus folgt aber noch
nicht, daß nothwendig Röhrchen und Gefäße vor-
handen seyn müssen, so wenig als im Fließpapie-
re, und in jedem andern Siebe.
Ich übergehe hier die abgeschmackten Be-
rechnungen über die Geschwindigkeit, mit der die
Lebensgeister in den Nerven bewegt werden sollen.
Was aber die Nervenschwingungen betrifft,
so stimmen die mehresten Erscheinungen mit die-
ser Theorie genau überein; doch muß man sich
die Nerven nicht wie gespannte Saiten vorstellen,
sondern nur als so feine Bebungen denken, deren
auch die so äußerst weiche Substanz des Gehirns
[Seite 143] fähig ist. Von dem Gehör ist es nun entschie-
den, daß es durch solche Schwingungen hervor-
gebracht wird. Daß beym Sehen etwas Aehn-
liches sich zutrage, ist, wenn man auch nicht ganz
Eulers Meinung annimmt, sehr wahrscheinlich.
Aber auch die Wirkung der übrigen Sinnorgane
läßt sich aus solchen Schwingungen erklären;
schon der große Newton a) äußerte diese Muth-
massung; der scharfsinnige Hartley b) wußte die-
se Meinung zu einem so hohen Grad von Wahr-
scheinlichkeit auszubilden, daß er daraus die As-
sociation der Ideen, und aus dieser endlich die
vornehmsten Fähigkeiten der menschlichen Seele
mit einem ungemeinen Scharfsinne erklären konnte.
a) Newton Quaestiones ad calcem optices. R.
23. Ed. Lond. 1719. 8.
b) David Hartley's Observations on man, his
frame, his duty, and his expectations. Lond.
1749. II. Vol. 8.
Die andere Hauptverrichtung der Nerven be-
steht, wie ich bereits angezeigt habe, darinn,
daß sie die Eindrücke der äußern Gegenstände
dem Sensorium überliefern; dieß geschieht nun
durch die Sinnwerkzeuge, welche den menschlichen
Körper gleichsam bewachen, und der Seele von
allem Nachricht ertheilen.
Und nur von diesen soll hier die Rede seyn;
denn auch den Reiz zum Stuhlgange, den Hun-
ger, und andere solche Naturtriebe unter die
Sinne zählen, ist, wie schon Haller angemerkt
hat, eine übertriebene Spitzfindigkeit.
Es ist allerdings merkwürdig, daß in der
ganzen thierischen Oekonomie keine Verrichtung
des Körpers bey verschiedenen Personen so man-
nigfaltigen Abänderungen ausgesetzt ist, als die
sinnliche Empfindung; denn die Abstuffungen an
Schärfe, Feinheit, und an verschiedener Em-
pfänglichkeit der Sinnorgane für verschiedene Reiz-
[Seite 145] mittel verlieren sich ins Unendliche; dieser Unter-
schied der äußern Sinne ist entweder angeboh-
ren a), oder wird erst durch die Uebung der
Sinnwerkzeuge hervorgebracht.
a) So haben einige Personen, die übrigens feine
Sinne haben, die besondere Anlage, daß sie
von einem oder dem andern Reizmittel, das
auf andere Menschen einen heftigen Eindruck
macht, gar nicht gerührt werden.
Ich kannte einen vortrefflichen Engländer, der ei-
nen sehr feinen Geruch hatte, keinen Toback
schnupfte u.s.w. aber an der reseda odorata
nicht den geringsten Geruch wahrnehmen konnte.
Beyspiele solcher Menschen, welche nur diese oder
jene Farbe nicht unterscheiden konnten, sind nicht
so ungewöhnlich.
Wir machen billig den Anfang mit dem Ge-
fühle, das bey dem neugebohrnen Menschen zu-
erst sich äußert, dessen Organ über die ganze
Oberfläche des Körpers verbreitet ist, und von
ganz verschiedenen Eigenschaften der äußern Ge-
genstände Eindrücke annimmt.
Wir erhalten durch das Gefühl nicht blos
Vorstellungen von solchen Eigenschaften der Kör-
per, die auf dieses Sinnorgan allein wirken, z.
B. von der Wärme, der Härte, der Schwere,
sondern auch von andern Eigenschaften, welche
zwar auch auf andere Sinnwerkzeuge wirken, aber
durch Beyhilfe des Gefühls zu einem größerem
[Seite 146] Grad der Gewißheit gedeihen, z.B. unsere Vor-
stellungen von der Figur, Entfernung der Kör-
per u.s.w.
Auch ist das Gefühl nicht so vielen Täu-
schungen unterworfen, als die übrigen Sinne: es
kann durch Uebung und Fleiß so sehr verfeinert
werden, daß es den Mangel anderer Sinne, be-
sonders des Gesichts einigermassen ersetzen kann a).
Das Organ dieses Sinnes ist die Haut
a), deren Struktur ich oben beschrieben ha-
be; der eigentliche Sitz des Gefühls ist eigent-
lich in den Hautwärzchen, die an verschiedenen
Theilen des Körpers eine verschiedene Gestalt ha-
ben, aber doch meistens walzenförmig a), pil-
senförmig b), an einigen Stellen aber fadenar-
tig c) sind u.s.w. In diese kleine Erhaben-
heiten der Haut endigen sich die letzten markigten
Endungen der Nerven in Gestalt kleiner Bündel.
a) Corn. de Courcelles icones musculorum capitis.
T. I. f. 2. 3.
b) B. S. Albini Annotat. academ. L. III. T. IV. f. 1. 2.
c) Ruysch Thesaur. anat. III. Tab. IV. f. 5. Th.
VII. Tab. II. f. 5.
Die Hauptwerkzeuge des Gefühls sind die
Hände, deren Haut besondere Eigenschaften hat.
[Seite 147] In der flachen Hand, und an den Fingergliedern
ist die Haut faltig, und unbehaart. Die Fin-
gerspitzen, sowohl an Händen, als Füßen sind in-
wendig mit spiralförmigen, zierlichen Streifen
gezeichnet a), auswendig aber mit Nägeln be-
setzt.
Diese schildförmigen Nägel a) sind nur
Menschen, und einigen Gattungen der Säugthie-
re (die gleichfalls Hände und ein sehr feines Ge-
fühl haben) in der Absicht verliehen worden b),
damit sie dem Drucke des fühlenden Fingers ge-
linde widerstehen, und so das Gefühl selbst be-
fördern helfen.
Sie sind hornartig, und haben überhaupt
mit dem Oberhäutchen eine große Aehnlichkeit;
denn auch unter dem Nagel liegt der Malpighi-
sche Schleim, der in dem Mohren schwarz ist,
und unter diesem Schleime befindet sich erst die
eigentliche Haut, welche mit der Beinhaut der
letzten Fingerglieder verwachsen ist. Alle diese
Bestandtheile der Nägel bestehen aus länglichten
mit Furchen durchzogenen Fasern; an dem hin-
tern Rande (der an den Händen mit einem halb-
mondförmigen Einschnitt bezeichnet ist), sitzt der
Nagel in einer Furche der umgestülpten Haut
fest, wächst beständig vorwärts, und wird fast
jedes halbe Jahr ganz von neuem ersetzt.
a) Besonders die Affen, Papiones, und lemu-
res, und die meisten Krecophiten; alle ihre
[Seite 148] Fingerspitzen sowohl an Händen, als Füßen
sind ungemein weich, und wie die Fingerspitzen
der Menschenhände mit spiralförmigen Streifen
durchschlängelt.
b) B. S. Albini de habitu et colore Aethio-
pum.
Der Geschmack wird mit der Zunge, und ei-
nigermassen auch mit den angrenzenden häutigen
Theilen des innern Mundes empfunden; beson-
ders durch Beyhilfe des Gaumes, des Rachen,
der Backenhöhle, und sogar der Lippen; doch
sind diese Theile nur zur Empfindung sehr schar-
fer, und sehr bitterer Dinge geschickt a).
Das Hauptwerkzeug des Geschmacks ist die
Zunge a), die ungemein beweglich, nachgebend,
und mannigfaltige Gestalten anzunehmen geschickt
ist; sie hat eine wunderbare fleischigte Struktur,
die einigermassen dem Herzen ähnlich ist.
Die Decken der Zunge sind den Decken der
Haut ähnlich; sie hat zuerst einen dünnen Ueber-
[Seite 150] zug (epithelium) der die Stelle des Oberhäut-
chens vertritt; darauf folgt der Malpighische
Schleim a), und endlich die walzenförmige Haut,
deren Bau von der gemeinen Haut nicht beson-
ders verschieden ist.
a) Bey Hunden und Schaafen von verschiedener
Farbe habe ich auch die Zunge und den Ra-
chen gemeiniglich mit einem buntfärbigen Schlei-
me überzogen gefunden.
Nur darinn unterscheidet sich diese Haut von
der gemeinen, daß das Oberhäutchen nicht mit
einer Hautschmiere, sondern mit einem Schleime
befeuchtet wird, der aus dem sogenannten blin-
den Loche a), und aus der übrigen drüsenförmi-
gen Ausbreitung dieser Haut, wie Morgagni b)
gezeigt hat, abgesondert wird; sie unterscheidet
sich ferner durch die besondere Bildung der Ge-
schmackwärzchen, welche gemeiniglich in gestielte,
stumpfe, und kegelförmige eingetheilt werden c);
die gestielten Wärzchen, deren es nur wenige
gibt, sitzen an dem hintersten Theile der Zunge
in einer halbmondförmigen Reihe; die übrigen
Wärzchen sind von verschiedener Größe, und
sitzen zerstreut auf dem Rücken, besonders aber
an dem Rande und an der Spitze der Zunge,
wo nämlich der Sitz des feinsten Geschmackes
ist d).
a) Schröder Observat. et Histor. e Harvaei L. de
generat. animal.
b) Morgagni adversar. anatom. prima. Tab. I.
c) Ruysch observ. anatom. Tab. IV.
B. S. Albini annot. acad. L. I. Tab. I. fìg. 6–11.
d) v. Hallers vortreffliche Beschreibung der Zunge
in Dictionaire encyclop. Ed. Ebrod. Vol. XXII.
p. 28.
In diese Zungenwärzchen gelangen die äu-
ßersten Endungen des Zungennervens von dem
fünften Nervenpaare a), die, wie es wahrschein-
lich ist, zur Empfindung des Geschmackes am
meisten beytragen.
Denn das neunte Nervenpaar b), und der
Zweig des achten Paares c) scheinen vielmehr zu
den mannigfaltigen Bewegungen der Zunge beym
Essen, Schlucken, Sprechen, u.s.w. bestimmt
zu seyn.
a) Io. Fr. Meckel de quinto pare nervorum ce-
rebri. Götting. 1748. p. 97. fig. I. n. 80.
b) Io. F. W. Böhmer de nono pare nervorum ce-
rebri. Götting. 1777, 4.
c) v. Haller Icon. anat. fasc. II. Tab. I. lit. g.
Monro on the nervous system. Tab. XXVI.
Zur Empfindung des Geschmackes wird er-
fordert, daß die Zunge feucht ist, die schmack-
haften Körper aber flüßig, und mit Salztheil-
chen angefüllt sind a), wenn aber die Zunge,
oder die Gegenstände des Geschmackes trocken
sind, so kann die Zunge, da sie sehr em-
[Seite 152] pfindlich ist, diese Körper zwar fühlen, aber nicht
eigentlich schmecken.
Wenn die Zunge am feinsten schmeckt, so
bemerkt man gar deutlich, daß die Wärzchen,
die an der Zungenspitze sitzen, sich in die Höhe
richten.
a) Bellini gustus organum novissime deprehen-
sum. Bonon. 1665. 12.
Wir empfinden durch den Geruch die flüchtigen
und riechbaren Bestandtheile der Körper, welche
durch das Einathmen angezogen, und auf die
Schleimhaut, welche sowohl die Scheidewand,
als die Muscheln der Nase begleitet, abgesetzt
werden a).
a) Conr. Vict. Schneider de osse cribriformi et
sensu et organo adoratus. Witteb. 1655.
Dieses klassische Werk machte in der Geschichte der
Physiologie Epoche, indem der Verfasser dessel-
ben nicht nur die Verrichtung des Geruchs zuerst
deutlich entwickelte, sondern auch die Träume
der Alten, von der Reinigung des Hauptes durch
die Nase, vernichtete.
Obgleich die ganze innere Höhle der Nase a)
mit ihren angrenzenden Nebenhöhlen b) mit einer
ähnlichen befeuchteten Membran überzogen ist,
so ist doch diese Schleimhaut selbst nicht überall
von gleicher Beschaffenheit.
[Seite 154] Zunächst an den Nasenlöchern ist diese Mem-
bran der gemeinen Haut ähnlicher, mit Talgdrü-
sen und Hauthaaren (Fibrissae) besetzt.
Da, wo sie die Scheidewand und Muscheln
der Nase überzieht, ist sie schwammigt, und mit
Schleimhöhlchen angefüllt.
Wo sie hingegen die größern Nebenhöhlen
der Nase begleitet, ist sie am feinsten, und mit
unzähligen kleinen Blutgefäßen durchwebt, aus
denen eine feine wäßerige Feuchtigkeit ausduftet.
a) Sam. Aurevillius de naribus internis. Upsal.
1760. 4.
b) Haller icones anat. fasc. IV. Tab. VI.
Dieß scheint auch der vorzüglichste, und
vielleicht der einzige Nutzen dieser Nebenhöhlen
zu seyn a), da sie einen wäßerigen Duft erzeu-
gen, der zuerst in die Nasenmuscheln, sodann
aber in das eigentliche Werkzeug des Geruchs
sich ergießt, und dasselbe in dem Maaße, als
die Feinheit dieses Sinnes erfordert, anfeuchtet.
In dieser Absicht haben diese Nebenhöhlen
eine so verschiedene Lage erhalten, daß bey jeder
Haltung des Kopfes wenigstens etwas von dieser
Feuchtigkeit in das Geruchwerkzeug ausduften
kann.
a) Daß diese Nebenhöhlen für den Geruch, aber we-
nig oder gar nicht zur Stimme oder Sprache,
bestimmt sind, (wie so viele Physiologen ge-
[Seite 155] glaubt haben) habe ich ausführlich erwiesen in
Prolusion. de sinubus frontalibus. Götting.
1779. 4.
Der schwammigte Theil der Schleimhaut,
der das Hauptwerkzeug des Geruchs ist, wird
nicht nur von unzähligen Blutgefäßen durchdrun-
gen, (welches schon aus dem so häufigen Nasen-
bluten erhellet) sondern ist auch mit Nerven ver-
sehen, die zwar vorzüglich von dem ersten Ner-
venpaare a), aber auch von zweyen Zweigen des
fünften Paares entspringen; doch scheint das er-
ste Nervenpaar den größten Antheil an dem Ge-
ruche zu haben b), die übrigen Nerven scheinen
vielmehr zur gemeinschaftlichen Empfindung dieser
Theile, z.B. zu derjenigen, welche das Niesen
erregt, bestimmt zu seyn.
a) Metzger nervorum primi paris historia. Ar-
gentor. 1766. 4. recus. in Sandiforti Thesau-
ro. Vol. III.
Monro on the nervous system. Tab. XXIV.
b) Loder observatio tumoris scirrhosi in basi cra-
nii reperti. Tem. 1779. 4. – Diese Schrift ent-
hält die Geschichte einer Geruchlosigkeit, welche
von dem Drucke des ersten Nervenpaares her-
rührte. Mann könnte zwar dieser Beobachtung
eine andere Wahrnehmung des Mery entgegen-
setzen, der diese Nerven verletzt sah, aber ohne
Verlust des Geruches. Demohnerachtet nehme
ich keinen Anstand dem ersten Nervenpaare den
größten Einfluß auf den Geruch zuzuschreiben,
[Seite 156] wozu ich durch Betrachtungen aus der verglei-
chenden Anatomie besonders berechtiget zu seyn
glaube; denn auch bey denjenigen Säugthieren,
welche den feinsten Geruch besitzen, z.B. Ele-
phanten, Bären, Hunden, u.s.w. ist das ho-
rizontale Plätchen des Siebbeines am breitesten,
und von unzähligen feinen Röhrchen durchbohrt.
Die äußersten Fäden des ersten Nervenpaa-
res endigen sich nicht, wie in den Werkzeugen
des Gefühles und des Geschmacks, in Wärzchen,
sondern zerfließen gleichsam in ein schwammichtes,
der Schleimhaut ähnliches Gewebe.
Bey neugebohrnen Kindern ist das Geruch-
werkzeug noch ziemlich eng, und unausgebildet.
Man sieht noch kaum eine Spur von den Neben-
höhlen: daher auch bey Kindern der Geruch sich
später einstellt, sobald nämlich die innere Nasen-
höhle ausgebildet ist, und wird in dem Maaße
feiner, je weiter und vollkommener diese Werk-
zeuge werden a).
a) So wie diejenigen Säugthiere, welche den Men-
schen an Feinheit des Geruchs übertreffen, Ge-
ruchswerkzeuge von einem größern Umfange be-
sitzen, so zeichnen sich auch die Geruchswerkzeuge
der Wilden, welche einen ungleich feinern Ge-
ruch haben als die Europäer, durch die Größe
ihrer Geruchswerkzeuge aus.
So sieht man an dem Hirnschädel eines Nordame-
rikanischen Wilden (der als ein Heerführer seiner
[Seite 157] Nation vor ohngefähr dreyßig Jahren zu Phila-
delphia enthauptet wurde) mit dem Herr Pro-
fessor Michaelis mein Hirnschädelkabinet zu be-
reichern die Güte hatte, die Nasenhöhle von ei-
nem außerordentlichen Umfange: so daß z.B.
die mittlere Muschel gleichsam in weitumfassende
Blasen aufgetrieben war, und die besondern
Schleimhöhlen, die Santorini zuerst entdeckte,
eine außerordentliche Größe erreicht hatten.
Zunächst kommen alsdann die Mohrenschädel, de-
ren ich drey vor mir liegen habe, und die, so
sehr sie übrigens voneinander unterschieden sind,
doch darinnen übereinkommen, daß ihre Nasen-
höhlen von einem ungemein weiten Umfange sind,
welches auch Herr Sömmering bey dieser Na-
tion beobachtet hat.
Sömmering über die körperliche Verschiedenheit
des Negers u.s.w. S. 22.
Mit diesem besonderen Baue der Geruchswerkzeuge
stimmen auch die Nachrichten überein, welche
uns Reisende von dem äußerst feinen Geruche
der Wilden aufgezeichnet haben.
Von den Nordamerikanischen Wilden lese man:
Urlsperger Nachrichten von der Großbrittanni-
schen Kolonie Salzburg. Emigranten in Ame-
rika. Vol. I. p. 862. Von Negern aber: Jour-
nal des scavans. a. 1667. p. 60.
Es ist äußerst merkwürdig, daß kein Sinn
sowohl mit dem Sensorium, als mit den innern
[Seite 158] Sinnen, in einer so genauen und wichtigen Ver-
bindung steht.
Kein Sinn ist so vielen Eigenheiten unter-
worfen; kein Sinn ist so leicht im Stande Ohn-
machten zu erregen, oder zu vertreiben.
Fast kein anderer Sinn ist für feinere und
angenehmere Rührungen so empfänglich, als der
Geruch; daher ihn auch Rousseau sehr passend
den Sinn der Einbildungskraft nannte a).
Fast keine andern sinnlichen Eindrücke las-
sen so lebhafte Erinnerungsideen zurück, als die
Eindrücke des Geruchs.
Der Schall, welcher durch die Schwingungen
elastischer Körper erzeugt, und durch die Luft
fortgepflanzt wird, gelangt auf folgende Weise
zu dem Gehörwerkzeuge a). Die Luftwellen
werden zuerst von der äußern und knorplichten
Ohrmuschel b), (welche nur bey sehr wenigen
Menschen beweglich ist) c), aufgenommen, in
der Muschel gleichsam gesammelt, und in den
Gehörgang, der mit einem bittern, ölichten Saf-
te überzogen ist d), gebracht, und prellen dort
an das Pauckenfell an, das der Höhle des Fel-
senbeines vorgespannt ist, und diesen Gehörgang
von dem mittleren Ohre trennt.
Außer den bekannten Werken des Düverney, Val-
salva, und Cassebohm, über das Gehörwerk-
zeug, sind noch folgende Schriften merkwürdig.
a) Mery ap. Lamy explication des functions de
l'ame sensitive. Paris 1683. 12.
Vieussens de la struction de l'oreille. Tolos. 1714. 4.
B. S. Albini annotat. acad. L. IV. Tab. I. II.
Le Cat theorie de l'ouie. Paris 1768. 8.
Monro on the nervous system. Tab. XXVI–
XXXI.
b) B. S. Albini annotat. academ. L. IV. Tab. IV.
c) I. Rhodius ad Scribon. Largum. p. 44. seq.
Io. Alb. Fabricius de hominibus ortu non diffe-
rentibus. Opusculor. p. 441.
d) Io. Haygart in medical observat. and Inqui-
ries. Vol. IV.
Hinter dem Trommelfelle liegt das mittlere
Ohr, oder die Pauckenhöhle, deren Grund et-
was schrege nach innen und oben liegt. In die-
sem Behältnisse liegen die drey kleinen Gehör-
knochen a), nämlich der Hammer, welcher der
äußerste, und mit seinem Griffe an das Paucken-
fell befestiget ist; der dornförmige Fortsatz des
Hammers, (processus spinosus) der wenigstens
bey Erwachsenen mit dem Pauckenfellringe ver-
wächst; der stumpfrunde Fortsatz (capitulum) aber
liegt in der Gelenkfläche des Amboses auf.
Der Ambos ragt mit seinem schlankern Fort-
satze bis in die Pauckenhöhle hinab, wo er mit
dem Steigbügel eingelenkt ist.
Dieser Steigbügel sitzt mit seinem Fußtritte
an dem eyförmigen Fenster, und ist gegen den
Vorhof des Labyrinths gerichtet, wohin der Schall,
indem er an das Pauckenfell anschlagt, durch die
Verbindungen dieser drey Gehörknöchelchen fort-
gepflanzt wird.
a) Denn der vierte kleine Gehörknocken, den man
seit den Zeiten des Sylvius angenommen hatte
und den linsenförmigen nannte, verdient nicht,
wie ich in meiner Beschreibung der Knochen an-
[Seite 161] gemerkt habe, als ein besonderes Beinchen ange-
sehen zu werden.
In dem hintersten Rachen entsteht die Eu-
stachische Trompete a), welche bis in die Paucken-
höhle dringt: auch der untere Gang der Schne-
cke reicht bis in die Pauckenhöhle, dessen Oeff-
nung, welche das rundliche Fenster heißt b),
mit einer zarten Haut verschlossen ist. Der Nu-
tzen dieser beyden Theile scheint uns noch nicht
hinlänglich bekannt zu seyn.
a) Eustachius de auditus organis. Opusculorum
p. 161. seq.
b) Scarpa de structura fenestrae rotundae etc.
Matin. 1772. 8.
Tief in dem Felsenbeine liegt endlich das La-
byrinth, oder das innere Ohr, das wieder in
drey Abschnitte eingetheilt wird.
Nämlich der Vorhof, der zwischen den bey-
den andern mitten inne liegt, in den sich außer
dem eyförmigen Fenster nach hinten die fünf run-
den Mündungen der Bogengänge, nach vornen aber
der obere Gang der Schnecke öffnen.
Das Labyrinth selbst enthält einen wässeri-
gen Duft, der, wie Cotunni entdeckt hat, von
zwey Röhrchen eingesogen wird, die er Wasser-
leitungen a), Meckel aber, diverticula nennt b),
deren eine aus dem Vorhofe, die andere aber
aus der Schnecke entspringt.
a) Cotunni de aquaeductibus auris humanae;
Neapol. 1760. 4.
b) Ph. Fr. Meckel de labyrinthi auris contentis.
Argent. 1777. 4.
Nachdem der weiche Gehörnerve mit dem
harten (welcher nachher seinen Weg durch den
Fallopischen Gang nimmt a), in dem innern Ge-
hörgange herauskömmt, dringen seine markigte
Faden durch die siebförmigen Oeffnungen b) theils
in den Vorhof, und in die Bogengänge, größ-
tentheils aber in den Grund der Schnecke selbst,
wo sie zwischen den Knochenblätchen der knöcher-
nen Zone in ein breyartiges zartes Netz sich aus-
breiten c).
a) Fallopii observat. anatom. p. 276. seq. ed.
Venet. 1561. 8.
b) Brendel analecta de concha auris humanae.
Götting. 1747.
Diese Schwingungen also, die wir vorher
(§. 245.) bis an das eyförmige Fenster verfolgt
haben, kommen nun bis in den Vorhof, wo sie
mittelst dieses wässerigen Duftes (§. 248.) die
Gehörnerven selbst berühren, welche durch alle
Schraubengänge des Labyrinths auf eine so künst-
liche Weise vertheilt sind.
Um aber die Gewalt des Schalles, welcher
auf das Pauckenfell fällt, und durch die Pau-
ckenhöhle fortgepflanzt werden soll, zu verstärken
oder zu dämpfen, sind der Hammer und der Steig-
bügel mit Muskeln a) versehen, wodurch sie nach
Willkühr angespannt, oder erschlafft werden kön-
nen b); auch die Trommelsehne c), die zwischen
dem Griffe des Hammers und dem schlanken Fort-
satze des Amboses liegt, scheint etwas dazu bey-
zutragen d).
a) B. S. Albini Tab. muscul. Tab. XI. fig. 29.
b) Eustach. de auditus organ. p. 157.
Caldani institut. physiolog. p. 245. seq.
c) Io. Frid. Meckel de quinto pare nervor. cereb.
fig. I. p. 71.
Marrherr praelect. in Boerh. institut. Vol. III.
p. 343.
Die Organe des Sehens sind die kugelartigen,
äußerst schnell beweglichen Augen b); sie hängen
an ihrem Sehenerven (von dessen Durchkreuzung
bereits Erwähnung geschehen §. 205.), gleich-
sam wie ein Apfel an seinem Stiele, doch so,
daß der Sehenerve nicht in der Mitte des Aug-
apfels befestigt ist, sondern neben dem hintern
Ende der länglichten Axe, die man sich durch das
Auge denken kann, etwas mehr nach innwärts
(– Tab. II. fig. 1. h. –).
a) Priestley History and present state of disco-
very relating to vision. London 1772. II. Vol. 4.
Für Anfänger Hanselers Beobachtungen über das
menschliche Aug. Hamburg 1771. 8.
Haller icon. Easc. VII. Tab. VI.
Zinnii descriptio oculi humani. Götting. 1755. 4.
Recus. 1780.
Der Augapfel besteht aus vielen Häuten und
Feuchtigkeiten, welche letztere in den erstern ein-
[Seite 165] geschlossen, und von verschiedener Dichtigkeit
sind; damit die Lichtstraleu durch die vordere
Oeffnung der Hornhaut bis auf den Grund des
Auges ungehindert eindringen können.
Die äußerste Hülle des Augapfels besteht aus.
der Sclerotica (– Tab. II. fig. I. a; fig. II.
a –) in welcher vorwärts die durchsichtige Horn-
haut (– fig. I. b –), welche blättrig, mehr
oder weniger convex ist, und wie ein kleiner Ku-
gelschnitt aus dem größern hervorraget, einge-
fügt ist a).
a) Ad. Jul. Bose de morbis corneae ex fabrica
declaratis. Lips. 1767. 4.
Zunächst folgt die Gefäßhaut (chorioidea)
(– fig. I. c –) die mit vielen Blutgefäßen be-
sonders mit strotzenden Venen angefüllt ist; sie
ist an beyden Flächen mit einem schwärzlichten
Safte überzogen, der besonders an der innern
Fläche ohne Mühe sich abstreifen läßt.
Von der Gefäßhaut wird die Markhaut a)
eingeschlossen, welche die innerste Augenhülle, und
eine Verlängerung des Sehenervens ist, (der die
Sclerotica und die Gefäßhaut durchbohret b),
und eine sehr niedliche Struktur hat c).
a) B. S. Albini annot. academ. L. III. pag. 59.
seq. L. IV. p. 75. L. V. p. 66. seq.
b) Walter de venis oculi etc. Berol. 1778. 4. Tab.
I. fig. 2. Tab. II. fig. 2.
c) Wie man die schönen Blutgefäße der Markhaut
in einer ertränkten Katze vorzeigen kann, hat
zuerst Mery gelehrt in Memoir. de l'acad. des Sc.
de Paris avant. 1699. T. X. p. 656. et a. 1704.
p. 265.
Eine sehr schöne Zeichnung von der stralenförmigen
Gestalt der Markhaut in dem Auge eines Haa-
seu hat Zinn geliefert. Commentar. soc. scient.
Götting. Tom. IV. a. 1754. Tab. VIII. fig. 5.
In einem Kaninchen aber Fontana sur le venin
de la vipere. Vol. VI. fig. 12.
Sehr niedlich gefaltet finde ich die Markhaut eben
itzt in dem Auge einer Eule.
Der vordere Theil der Gefäßhaut endiget
sich in einem zellichten Kreise, (– fig. I. d –)
den man den Ciliarkreis (orbiculus ciliaris)
nennt. Er ist in einer Furche der Sclerotica stark
befestigt. Von diesem Ringe trennen sich sodann
zwey andere Membranen, nämlich die Blendung,
(iris) und die Ciliarfortsätze (processus cilia-
res) die wie entfaltete Ringe in einer Entfernung
von einander stehen.
Die Blendung (ihre hintere, mit einem
schwarzen Pigmente überzogene Fläche heißt die
Traubenhaut – uvea –) liegt vorwärts, ist
gegen die Hornhaut etwas convex, und wird
überall von der wässerichten Feuchtigkeit umflos-
sen; sie ist gegen die Nase schmäler, gegen die
Schläfe zu weiter. Die Blendung besteht übri-
gens aus einem festen zellichten Gewebe, ohne
[Seite 167] Spuren von einer Muskelfaser. Sie ist über-
haupt eine für sich bestehende Membran, wie
schon Zinn a) angemerkt hat, und keineswegs
eine Fortsetzung der Gefäßhaut; das vordere Blatt
der Blendung (– fig. I. e –) ist in verschie-
denen Menschen von verschiedener Farbe, und hat
noch in kraftvollen Körpern ein flockigtes Ansehen.
Die Blutgefäße der Blendung befinden sich
größtentheils auf dieser vordern Flache, und ver-
längern sich in dem ungebohrnen Kinde in die
Sehelochhaut (– fig. II. d –) a); der Nutzen
dieser Sehelochmembran scheint mir darinn zu be-
stehen, daß sie die Blendung bey einem so schnel-
len Wachsthume des Augapfels in der gehörigen
Lage erhält, und zu den in der Folge erforderli-
chen Bewegungen vorbereitet: wovon ich bey ei-
ner andern Gelegenheit ausführlicher gehandelt
habe b).
Gegen den siebenten oder achten Monat der
Schwangerschaft, wenn der Augapfel zu einer be-
trächtlichen Größe angewachsen ist, geht diese
Membran allmälig verloren; die elliptischen aus
Gefäßen gebildeten Bögen ziehen sich unmerklich
zurück, und bilden auf diese Weise, wie mir
scheint, den innern Ring der Blendung; denn
vor diesem Zeitpunkte findet man in den Augen
ungebohrner Kinder keine Spur dieses Ringes.
a) Dieses Häutchen, das Franz Sandys zuerst be-
obachtet hatte, ist von Jakob Wachendorf zuerst
[Seite 168] beschrieben, und abgebildet worden. Commerc.
litt. noricum. a. 1740. hebd. 18.
Der hintere dieser beyden Ringe (§. 257.)
heißt das Ciliarbändchen (ligamentum ciliare),
liegt mehr rückwärts in einiger Entfernung von
der Blendung; der äußere, und dickere Rand a)
hängt an dem Ciliarkreise (§. 257.), der inne-
re, und dünnere Rand legt sich an die Linsen-
kapsel; auch dieser Ring ist, wie ich schon er-
wähnt habe, mit dem Pigmente überzogen.
Die vordere, gegen die Traubenhaut gekehr-
te Fläche dieses Ringes (– fig. I. a –) ist
streifigt.
Die hintere Fläche (– fig. II. b –), wel-
che auf der gläsernen Feuchtigkeit liegt, besteht
aus ohngefähr siebenzig ungemein feinen und ge-
fäßreichen Falten, die den Namen der Ciliar-
fortsätze führen.
a) In diesem Wulste von Zellstoff bleibt noch ein
dreyeckigter Kanal übrig, den Fontana zuerst
entdeckt, (sur le venin de la vipere. Vol. II.
Tab. VII. f. 8. 9. 10.); und Adolph Muray
noch genauer beschrieben hat: Nov. acta upsa-
liens. Vol. III.
In diesen Membranen des Augapfels sind
vorzüglich dreyerley Feuchtigkeiten enthalten.
Den hintern und fast größten Theil des Aug-
apfels füllt die Glasfeuchtigkeit aus, die aus
[Seite 169] unzähligen Zellen, welche von einer eigenen zar-
ten Membran (membrana hyaloidea) gebildet
werden, tropfenweis vertheilt sind; so daß dieser
ganze zellicht-wässerige Körper eine zitternde, gal-
lertartige Feuchtigkeit vorstellt.
Vorwärts verbindet sich dieser Glaskörper
mittelst des Petitischen Zirkels mit der Kapsel
der Kristalllinse, welche in der Morgagnischen
Feuchtigkeit schwebt.
Die Kristalllinse hat zwar auch einen zellig-
ten, aber dichtern Bau als der Glaskörper; ent-
hält aber so wenig Feuchtigkeit in sich, daß sie
vielmehr einer klebrigten aber durchsichtigen Gal-
lerte ähnlich sieht.
Der übrige Raum des Augapfels wird von
der wässerigen, durchsichtigen Feuchtigkeit aus-
gefüllt, und durch die Blendung in zwey Kam-
mern abgetheilt: die vordere und geräumigere
liegt zwischen der Hornhaut und Blendung; die
hintere und kleinere zwischen der Traubenhaut und
der Kapsel der Linse.
Diese so wichtigen Werkzeuge des Körpers
werden sowohl durch ihre Lage, als durch die be-
weglichen Augenlieder gegen äußere Verletzungen
geschützt.
Zwischen der Hautfalte der Augenlieder lie-
gen die Meibomischen Fettdrüsen a) in kleinen
Haufen traubenförmig bey einander: an den bey-
den wülstigen Rändern der Augenlieder befinden
sich nach auswärts dreyfache oder vierfache Rei-
hen von Haaren, welche Augenwimpern (cilia
[Seite 170] b) heißen, und sehr genau an einem Knorpel
(tarsus) in einer ausgespannten Richtung erhal-
ten werden, damit die Augenlieder desto leichter
über den Augapfel hinglitschen.
a) H. Maibomii de vasis palpebrarum novis ep.
Helmst. 1666. 4.
Die Thränen haben den Nutzen, daß sie
die Augen befeuchten, bey ihren Glanz erhalten,
und fremde in das Aug gefallene Körper wegwa-
schen. Ihre Hauptquelle ist die Thränendrüse,
welche in einer eigenen Grube am äußern Theile
der Decke der Augenhöhle liegt, und zum Ge-
schlechte der zusammengesetzten Drüsen gehört.
Sie hat sehr viele höchst feine Ausführungsgänge,
welche in beyden Augen innerhalb vier und zwan-
zig Stunden ungefähr zwey Unzen Thränenfeuch-
tigkeit absondern, die sodann von den Thränen-
punkten eingesogen, von da durch die kleinern ge-
krümten Thränenkanäle in den Thränensack, und
endlich in den untern Nasengang hingeleitet wird.
Soviel von der Anatomie des Auges; wir
wollen nun die Verrichtung des Sehens genauer
betrachten.
Die Lichtstralen fallen unter einem spitzeren
Winkel, als den von 48. Grad, auf die convexe
Haut, und werden in derselben sowohl wegen ih-
rer Gestalt, als wegen ihrer größern Dichtigkeit
gebrochen; etwas geringer ist diese Stralenbre-
chung in der wässerigten Feuchtigkeit.
[Seite 171] Diejenigen Stralen aber, welche durch das
Seheloch (pupilla) auf die Krystalllinse fallen,
werden, da dieses Medium dichter, noch näher
aneinander gebrochen.
Die gläserne Feuchtigkeit, welche dünner
ist, als die Krystalllinse, verhindert die zu frühe
Vereinigung der Stralen; so daß die Gegenstän-
de hinter dem verlängerten Brennpunkte auf der
Markhaut verkehrt abgebildet werden.
Diese verschiedene Dichtigkeit der Feuchtig-
keiten zeugt von der hohen Weisheit des Schö-
pfers; denn durch diese Einrichtung werden die
Stralen, welche sonst wegen der mannigfaltigen
Zurückwerfung der Farben zerstreut würden, in
einem Brennpunkte vereinigt a)
a) Leon. Euler sur la perfection des verres ob-
jectifs des lunettes, in Mem. de l'acad. des sc.
de Berlin. 1747. p. 274.
Die Frage, warum wir die Gegenstände,
die doch auf der Markhaut verkehrt abgebildet
werden, aufrecht sehen, ist leicht aufzulösen;
denn die Gegenstände werden nur in Beziehung
auf andere Gegenstände, die aufrecht dargestellt
werden, verkehrt genennt.
Da nun alle äußere Gegenstände, und auch
das Bild unsers eigenen Körpers in gleicher Ord-
nung und Lage verkehrt auf der Markhaut erschei-
nen, so behalten alle diese Gegenstände die näm-
liche Lage gegen einander so gut, als ob sie auf-
recht dargestellt würden; und auf diese Weise wird
[Seite 172] die Seele (der nicht das Bild, sondern nur der
Eindruck, den dieses Bild auf die Markhaut
macht, mitgetheilt wird), vor aller Verwirrung
gesichert a).
Da übrigens sowohl die Schärfe als Deut-
lichkeit des Gesichts mannigfaltige Abänderungen
voraussetzt, so sind auch in dieser Rücksicht ver-
schiedene weise Einrichtungen getroffen worden.
Da nun zum deutlichen Sehen vorzüglich er-
fordert wird, daß keine überflüßige, und blen-
dende Lichtstralen in das Aug fallen, so war hier
auch eine doppelte Einrichtung nothwendig: es
müssen nämlich nach Verhältniß des stärkern oder
schwächern Lichts mehr oder weniger Lichtstralen
auf die Krystalllinse fallen; die überflüßigen Licht-
stralen aber, welche das Bild nur undeutlich ma-
chen würden, müssen eingesogen werden.
Die erste Absicht wird durch die Bewegung
der Blendung, die zweyte durch das schwarze
Pigment erreicht.
Denn die Blendung besitzt eine ganz eigene
Beweglichkeit, die der Menge und Entfernung des einfallenden
Lichts genau entspricht; sie wird breiter, und ver-
enget das Seheloch (pupilla), wenn starkes
Licht einfällt und die Gegenstände nahe
sind; bey mattem Lichte hingegen
und die Gegenstände entfernt sindwird
die Blendung schmäler, und das Seheloch er-
weitert a).
a) Zinn de motu uveae. 1757. in comment so-
ciet. scient. Götting. T. I.
Fel. Fontana dei moti dell' iride. 1765. 8.
Die Physiologen haben diese Beweglichkeit der Blen-
dung auf verschiedene Weise zu erklären gesucht;
einige leiten diese Bewegung von dem Andrang
des Blutes in die Gefäße der Blendung her; an-
dere haben sich Muskelfasern erdichtet; mir scheint
aber keine dieser Ursachen gegründet zu seyn.
Es ist mir daher wahrscheinlicher, wie ich auch
unlängst in einer eigenen Abhandlung gezeigt ha-
be, daß die nächste Ursache dieser Beweglich-
keit von der eigenthümlichen Belebung der Blen-
dung (vita propria §. 75), die entfernte Ursa-
che aber von der Zurückwirkung des Sensoriums
(§. 255.) hergeleitet werden muß.
Daß aber das schwarze Pigment (§. 255.
258. 260.) zum Einsaugen der überflüßigen Licht-
stralen bestimmt sey, erhellet, außer andern
Gründen, am deutlichsten an den Augen eini-
ger Thiere, und besonders an den Augen der Ka-
kerlacken, die ein äußerst schwaches Gesicht ha-
ben, und kein starkes Licht ertragen können a).
a) Ich habe von dieser Materie weitläuftiger ge-
handelt, sowohl in meiner Abhandlung de gene-
ris humani varietate nativa. ed. 2. p. 106–
122. als auch in der Abhandlung de oculis leu-
caethiopum.
Ferner muß der Brennpunkt der gebroche-
nen Stralen in einem bestimmten Verhältnisse
von der Markhaut entfernt seyn, so daß der Se-
hepunkt weder zu sehr sich verlängert, und hin-
ter die Markhaut, aber auch nicht zu kurz wird,
und auf den Glaskörper fällt.
Den letztern Fehler haben die Kurzsichti-
gen (myopes), bey denen sowohl die Hornhaut,
als Krystalllinse eine convexere Gestalt hat.
Den erstern Fehler findet man bey Weit-
sichtigen (presbytae) deren Hornhaut und Kry-
stalllinse eine entgegengesetzte Bildung erhalten
haben.
Da der Mensch im gesunden Zustande sowohl
entfernte als nahe Gegenstände deutlich sehen muß,
so ist das Aug so eingerichtet, daß es auf die
verschiedene Entfernung der Gegenstände paßt a);
diese innerlichen Veränderungen des Augapfels
werden größtentheils durch die geraden Augen-
muskeln hervorgebracht; dieß sieht man deut-
lich an dem Auge des Grönländischen Robbe
(phoca Grönlandica), den die Natur, indem
er als ein Amphibium durch verschiedene Zwischen-
körper sehen muß, mit einer ganz besondern, und
äußerst nachgebenden Sclerotica versehen hat b).
a) Math. Olbers de oculi mutationibus internis.
Götting. 1780. 4.
Durch diese Muskeln werden die Augen in
dem wachenden Menschen in einer beständigen,
obgleich unmerklichen Bewegung erhalten, und
gerade nach dem Gegenstand, der betrachtet wer-
den soll, hingerichtet.
Denn obgleich die ganze Markhaut empfind-
lich ist, so ist sie doch nicht in allen Gegenden
zur deutlichen Empfindung der auf ihr sich for-
menden Bilder geschickt.
Daß das menschliche a) Aug an der Stelle,
wo der Sehenerve eintritt, keinen Gegenstand
deutlich empfindet, ist aus dem Mariottischen
Versuche bekannt.
Der Hauptbrennpunkt der Markhaut, der
das eigentliche Werkzeug des Sehens ist, fällt in
das hintere End der länglichten Axe, die man
sich von der Mitte der Hornhaut mitten durch den
Augapfel hindurch denken kann. Doch ist dieß
nicht so zu verstehen, wie unlängst Herr Kästner
gegen Boerhaaven b) angemerkt hat, als ob
der Mensch mit unverwandtem Auge nur einen
einzigen Punkt eines Gegenstandes deutlich wahr-
nehmen könne, und seine Richtung, um den gan-
zen Gegenstand nach und nach zu empfinden, be-
ständig ändern müsse; da doch vielmehr der gan-
ze Gegenstand einen einzigen Totaleindruck auf die
Markhaut macht.
a) Bey dem menschlichen Aug; denn in den Augen
einiger Thiere, z.B. in dem Robbe, im Igel,
sind die wahre und eingebildete Axe eine und
dieselbe.
b) In optica quaedam Boerhaavii et Halleri com.
Abr. Gotth. Kaestner. Lips. 1785. 8. p. 7.
Die Fertigkeit, die Augen schnell von einem
Gegenstande auf den andern zu richten, wird erst
durch öftere Uebung erlangt. Dieß sieht man
im Blindgebohrnen, denen das Gesicht in erwach-
senen Jahren hergestellt wurde a); auch bey Kin-
dern, die kaum vor dem dritten Monate ihres
Alters zu dieser Fertigkeit gelangen.
a) Bortolazzi sopra una cieca nata guarita. Ve-
ron. 1781. pag. 99. seq.
Von eben dieser Fertigkeit und Gewohnheit
scheint es herzurühren, daß wir mit beyden Au-
gen nur einen Gegenstand sehen; denn auch neu-
gebohrne Kinder sehen die Gegenstände doppelt;
und auch nach einigen Augenkrankheiten bleibt
dieser Fehler des Doppelsehens (diplopia) zu-
rück, der sich nur durch eine lange Uebung ver-
bessern läßt.
Uebrigens ist die Schärfe, mit den beyden
Augen einen Gegenstand, nach Iurin's Berech-
nung, von der Schärfe eines einzelnen Auges nur
um 1/13 unterschieden.
Und schon Leon da Vinci hat angemerkt,
daß wir die Entfernung der Gegenstände viel bes-
ser mit einem Auge messen können a).
a) Lambert sur la partie photometrique de l'art
du peintre in Mem. de l'acad. des sciences de
Berlin. 1768. p. 80.
Uebrigens muß der Sehewinkel nach Tobias
Mayers a) Versuchen wenigstens vier und drey-
ßig Sekunden groß seyn, wenn sich noch ein deut-
lich empfindbares Bild des Gegenstandes im Au-
ge darstellen soll. Diese Einrichtung ist in der
That das optische Meisterstück des menschlichen Au-
ges, indem auf diese Weise sowohl im hohen
Mittagslichte, als bey dem matten Scheine einer
Lampe der Sehewinkel fast einerley Größe behält,
und das Gesicht auch bey einem so großen Ab-
stande vom Licht, wenig oder nichts an Deutlich-
keit verliert.
a) Tob. Mayer experimenta circa visus aciem.
in Comment. Soc. scient. Götting. T. IV.
Man kann hieraus auf die Kleinheit der Bil-
der schließen, welche von den äußern Gegenstän-
den auf die Markhaut hingeworfen werden a),
aber dem ohnerachtet so lebhaft sind, daß sie un-
ter gewissen Umständen, wenn die Gegenstände
nicht mehr vor Augen stehen, Eindrücke zurück-
lassen b).
a) de la Hire Accidens de la vue. p. 375.
b) Gassendi Vita Peireskii, p. 175. Ed. Hagens.
1655. 4.
Franklin's lettres on philos. subjects. am Ende
der Exper. on electricity. Lond. 1769. 4. p.
469. seq.
Rob. War. Darwin Experimenta nova de spec-
tris seu imaginibus ocularibus, quae objectis
lucidioribus antea visis, in oculo clauso vel
averso percipiuntur. L. B. 1785. 4.
Meister im Hamburgischen Magazin. B. XXIII.
Th. 3.
a) Sulzers Abhandlung über die Geistesfähigkei-
ten in seinen vermischten Schriften. B. 1. Leipz.
1773. 8.
Bonnet Essai de psychologie. Oeuvres. T. VIII.
Die äußern Sinne, welche wir nun einzeln
durchgegangen sind, müssen unserer Seele die
Ideen herbeyführen; daher der bekannte Lehrsatz
entstanden ist, daß keine Vorstellung in dem Ver-
stande sich befindet, die nicht durch den Weg der
äußerlichen Sinne dahin gelangt wäre.
Die Uebernehmung, Aufbewahrung, und
Benutzung dieser sinnlichen Ideen ist das Werk
verschiedener Geistesfähigkeiten, die zwar von
den körperlichen Lebenskräften (§. 42.) ganz un-
terschieden, aber doch mit denselben mittelst des
Nervensystems dergestalt verbunden sind, daß ei-
ne allgemeine Verbindung zwischen Körper und
[Seite 180] Seele daraus entspringt, und unterhalten wird.
(§. 210.).
Die erste und gleichsam die unterste dieser
Fähigkeiten ist das Wahrnehmungsvermögen,
wodurch sich die Seele der auf die Sinnwerkzeu-
ge gemachten Eindrücke bewußt ist.
Diese Fähigkeit wird durch eine andere und
wichtigere unterstützt, nämlich durch die Auf-
merksamkeit, wodurch die Seele auf eine durch
die Sinne hervorgebrachte Idee dergestalt gerich-
tet wird, daß sie sich einzig und allein mit dieser
Vorstellung beschäftigt.
Sowohl die Aufbewahrung dieser Wahrneh-
mungsideen, als ihre lebhaftere Darstellung,
und mannigfaltigere Verbindung untereinander,
wird durch zwo andere Fähigkeiten bewirkt, wel-
che man die innern Sinnen nennt, nämlich von
dem Gedächtnisse und der Einbildungskraft;
obgleich diese beyden Fähigkeiten sehr nahe mit
einander verwandt sind, so sind sie doch durch
bestimmte Merkmaale von einander unterschie-
den. Das Gedächtniß beschäftigt sich vielmehr
mit der Sammlung und Aufbewahrung willkühr-
licher Zeichen a); die Einbildungskraft hingegen
erzeugt die Bilder selbst, die sie als gegenwärtig
darzustellen, und zu erheben weis, besonders als-
dann, wenn sie von einem lebhaften Gefühle von
Lust oder Unlust begleitet werden.
a) G. Gotti. Richter de natura, labe, et praesi-
diis memoriae humanae. Götting. 1752. 4.
E. Platner de vi corporis in memoria. Spec. I.
II. Lips. 1767. 4. recus. in cl. Baldingeri syllo-
ge opusc. medico-practic. Vol. III.
Die Einbildungskraft ist auch die Quelle der
Gemüthsbewegungen, die bey einzelnen Menschen
nach der Verschiedenheit ihrer Temperamente (§.
59.) so verschieden sind, und die sich durch ih-
ren genauen, und oft augenblicklichen Einfluß auf
verschiedene Verrichtungen des Körpers auszeich-
nen a); denn es gibt beynahe keine Gemüthsbe-
wegung, die nicht auf den Kreislauf des Blu-
tes, auf die Eßlust, und Verdauung mehr oder
weniger wirkt: die besondern Einwirkungen zu
geschweigen, z.B. die Wirkung der Schaam auf
das Erröthen, der Liebe und des Haßes auf die
Geschlechtstheile, des Zorns auf die Absonderung
der Galle, u.s.w.
Die Gemüthsbewegungen können sogar in
Rücksicht ihrer allgemeinen Veränderungen, wel-
che sie in dem Körper hervorbringen, in erwe-
ckende und niederschlagende eingetheilt werden.
In die erste Klasse gehören Freude, Liebe,
Hoffnung, Zorn, u.s.w.
In die zweyte Klasse gehören Furcht, Trau-
rigkeit. Heimwehe, und andere Arten der Sehn-
sucht, Schrecken, Neid, u.s.w.
a) de Marées de animi perturbationum in cor-
pus potentia specim. Götting. 1775. 4.
Diese bisher angezeigten Fähigkeiten besitzt
zwar der Mensch mit den übrigen Thieren gemein-
[Seite 182] schaftlich, obgleich in einer ungleich größern Voll-
kommenheit; denn keine Gattung der Thiere hat
ein so viel befassendes, dauerhaftes Gedächtniß,
eine solche Lebhaftigkeit der Einbildungskraft, und
so einherstürmende Leidenschaften.
Allein das größte und einzige Vorrecht der
Menschenseele besteht in dem Gebrauche des Ver-
standes, der nicht nur die Quelle unserer Beur-
theilungskraft und unserer abgezogenen Begriffe
ist, sondern auch über alle andere Geistesfähig-
keiten seine Herrschaft verbreitet; da hingegen
die Thiere, damit die Verrichtungen den Absich-
ten der Natur entsprechen, in Ermanglung des
Verstandes mit blinden und unwillkührlichen Trie-
ben (instinctus) ausgerüstet sind, die dem Men-
schen, den Geschlechtstrieb ausgenommen, ver-
sagt sind.
Der Unterschied aber, welcher zwischen dem
Instinkt der Thiere, und zwischen dem menschli-
chen Verstande Statt findet, fällt deutlich in die
Augen.
Der Instinkt ist eine angebohrne Fähigkeit,
der Verstand hingegen ein Resultat der Kultur,
und der Erziehung.
Die Instinkte bleiben immer dieselben, sind
keiner Erweiterung fähig, u.s.w. Die Erwei-
terung des Verstandes hat keine bestimmten
Grenzen.
Der Instinkt entspricht genau der Lebenswei-
se, dem Klima u.s.w. einer jeglichen Thiergat-
tung, und paßt also schon aus diesem Grunde
nicht auf dem Menschen, der an kein Klima, an
[Seite 183] keine Lebensweise gebunden, in allen Theilen der
Welt seinen Wohnplatz aufschlagen kann: aber
eben dieser unbeschränkte Vorzug wird eine reich-
haltige Quelle so mannigfaltiger Bedürfnisse, die
keinesweges durch blinde Triebe, sondern nur
durch eine sehr mannigfaltige Anwendung des
Verstandes befriedigt werden können.
Mit diesem ausgezeichneten Gebrauche des
Verstandes ist noch ein anderer Nebenvorzug ver-
bunden, nämlich der Gebrauch der Sprache, von
der wir im vorhergehen gehandelt haben (§. 154.),
die dem Menschen ausschließungsweise zukömmt,
indem die Thiere nur mit der bloßen Stimme be-
gabt sind.
Wir wissen aus dem Vorhergehenden (§. 214.),
daß die Nerven eine doppelte Verrichtung haben,
nämlich zu empfinden, und zu bewegen. Wir
haben das erstere Geschäft bereits untersucht, und
wollen nun auch über das letztere einige Betrach-
tungen anstellen.
Alle Bewegungen in dem menschlichen Kör-
per lassen sich auf zwey Hauptklassen zurückfüh-
ren; einige nämlich sind der Willkühr unterwor-
fen, andere aber nicht.
Zur letztern Klasse zahlt man gewöhnlich die
Bewegung des Herzens, die wurmförmige Be-
wegung der Gedärme und anderer Eingeweide.
In die erste Klasse aber setzt man die Be-
wegung der meisten übrigen Muskeln.
Von einigen Arten der Bewegungen, z.B.
dem Athemholen, dem Nießen, Anspannung des
Pauckenfells u.a.m. ist es noch zweifelhaft, ob
sie zu den willkührlichen oder unwillkührlichen ge-
[Seite 185] hören, oder eine gemischte Klasse der Bewegun-
gen ausmachen.
Allein bey einer genauern Erwägung sieht
man, daß diese Eintheilung großen Schwierigkei-
ten ausgesetzt ist, und daß überhaupt zwischen
diesen beyden Gattungen der Bewegung keine be-
stimmten Grenzen sich ziehen lassen.
Denn einmal ist es gewiß, daß es nur we-
nige Verrichtungen des menschlichen Körpers gibt,
die ganz außer dem Gebiethe des Willens liegen,
besonders wenn man auf die Verbindung der Ein-
bildungskraft und Leidenschaften mit dem Willen
Rücksicht nimmt.
Auf der andern Seite hingegen haben wir
Beyspiele von Muskelbewegungen, welche zwar
nach ihrer natürlichen Bestimmung der Willkühr
unterworfen sind, aber durch die Macht der Ge-
wohnheit (die überhaupt auf alle thierische Bewe-
gungen einen großen und wichtigen Einfluß hat)
in unwillkührliche Bewegungen übergehen.
Unter diese letzteren gehören vorzüglich diejeni-
gen Muskelbewegungen, die zwar von der Will-
kühr abhangen, aber doch unter gewissen Umstän-
den, ohne Bewußtseyn, und sogar wider den
Willen der Seele sich ereignen.
So z.B. schließen wir wider unsern Willen
das Aug, wenn ein Freund mit dem Finger vor-
beyfährt, obschon er das Aug selbst nicht berühret;
– oder die Beugung des Ringfingers, den die
meisten Menschen mit dem kleinen Finger zugleich
biegen.
[Seite 186] Wir bewegen zuweilen die Glieder ohne Be-
wußtseyn der Seele, auch in dem tiefsten Schlafe.
Hingegen gibt es auch einige Bewegungen
der Muskeln, die zwar gewöhnlich ganz unter der
Bothmäßigkeit des Willens stehen, aber doch un-
ter gewissen Umständen sich widerspenstig bezeigen;
hieher gehört die Schwierigkeit mit der Hand und
mit dem Fuße einer und derselben Seite zugleich
einen Kreis in entgegengesetzter Richtung zu be-
schreiben, und andere dergleichen Bewegungen,
die zwar einzeln sehr leicht, und ganz nach Will-
kühr, in Verbindung aber mit andern Bewegun-
gen sehr schwer von statten gehen a).
Was aber diejenigen Bewegungen betrifft,
die der Willkühr, wie man sagt, nicht unterwor-
fen sind, so zweifle ich, ob man dieses von an-
dern Bewegungen, die Krämpfe der Gebährmut-
ter bey der Entbindung ausgenommen, so allge-
mein behaupten kann.
So haben wir das Beyspiel eines Englän-
ders, der, wie uns sehr glaubwürdige Augenzeu-
gen, Baynard und Chenay a) versichern, die
Bewegung des Herzens in seiner Gewalt hatte.
Das auch die Bewegung des Magens will-
kührlich ist, sieht man an dem Widerkauen, wie
ich erst vor Kurzem ganz deutlich an einem Man-
ne sah, der diese Bewegung ganz nach Willkühr
hervorbrachte.
[Seite 187] So weis ich aus dem Munde glaubwürdiger
Zeugen das Beyspiel von einem Manne, der durch
eine eigene Art von Anstrengung die Blendung
willkührlich bewegen, und das Seheloch sogar im
Dunkeln zusammenziehen konnte:
Ueberhaupt gibt es mannigfaltige Arten thie-
rischer Bewegungen, die zwar gemeiniglich nicht
unter der Herrschaft der Seele stehen, aber doch
bey einigen Menschen von der Willkühr abhan-
gen, besonders wenn Aufmerksamkeit und eine
entflammte Einbildungskraft mitwirken b). So
kenne ich Personen, die bey einer jedesmaligen
Erinnerung an eine unangenehme Empfindung
nach Willkühr sich eine fieberartige Gänsehaut
machen können.
a) Cheynes Treat. of nervous diseases. p. 307.
b) Rapport des commissaires chargés par le Roi
de l'examen du magnetisme animal. Paris.
1784. 4. P. 16.
Vielleicht lassen sich diese Erscheinungen aus
der zurückwirkenden Kraft des Sensoriums erklä-
ren, die, wie es scheint, eben so leicht durch
den von der Einbildungskraft vorgestellten sinnli-
chen Reiz, als von dem sinnlichen Gegenstande
selbst, erweckt werden kann. Viele Erscheinun-
gen lassen sich aus dieser Theorie ganz leicht er-
klären, z.B. die verschiedenen Ursachen des
Steifwerdens des männlichen Zeugungsgliedes.
Ueberhaupt sind diese willkührlichen Bewe-
gungen die wesentlichen Unterscheidungszeichen zwi-
[Seite 188] schen dem Thier- und Pflanzenreich; kein Pflanzen-
gewächs kann sich nach Willkühr bewegen: aber auch
die einfachste Thiergattung ist mit der willkührli-
chen Bewegung begabt.
Wir haben an uns selbst die auffallendsten
Beyspiele der innigsten Verbindung, welche zwi-
schen Körper und Seele festgesetzt ist: man denke
sich nur die außerordentliche Geschwindigkeit, mit
der die Finger eines geübten Violinspielers auf
einander folgen, oder die schnellen und abwechseln-
den Bewegungen der Sprachorgane beym Spre-
chen.
Die vornehmsten Werkzeuge der meisten körper-
lichen Bewegungen sind die Muskeln, die unter
allen gleichartigen Theilen des Körpers die größte
Masse ausmachen.
Die Muskeln unterscheiden sich von den übri-
gen gleichartigen Theilen des Körpers, sowohl
durch ihre besondere Struktur, als auch durch ih-
re eigenthümliche Lebenskraft.
Der Bau der Muskeln a) besteht aus eige-
nen, blaßrothen Fasern. Jede Muskel besteht
aus Bündeln solcher Fasern, jeder größere Bün-
del aus kleinern, und diese endlich, indem sie be-
ständig verhältnißmäßig abnehmen, aus den klein-
sten Fleischfäserchen b).
a) B. S. Albinus histor. musculorum hominis. L. I.
b) Wyer. Gul. Muys de carnis musculosae struc-
tura. L. B. 1730. 4.
Die Muskeln sind mit einer zelligten Hülle
bekleidet, die in die Muskelsubstanz selbst ein-
dringt, und auf das innigste mit derselben ver-
webt wird, indem sie zwischen den Bündeln und
Fasern des Muskels gleichsam Scheidewände
bildet.
Uebrigens wird das ganze Gewebe der Mus-
keln von unzähligen Blutgefäßen und Nervenzwei-
gen durchdrungen; die Nerven zerfließen in einen
Brey, der mit den Muskelfasern auf das innig-
ste sich verbindet; die Blutgefäße hingegen ver-
theilen sich zwischen die feinsten Muskelfasern,
und durch das zuströmende Blut erhalten die Mus-
keln ihre Röthe; sobald aber diese rothe Farbe
weggewischt wird, erscheinen die Muskeln in ih-
rer natürlichen Blöße (§. 300.).
Die meisten Muskeln endigen sich in Seh-
nen, die zwar auch aus Fasern bestehen, aber
an Farbe, Struktur, Elasticität u.s.w. a) von
den Muskelfasern wesentlich verschieden sind. Die-
jenigen Physiologen haben sich also sehr geirrt,
welche die Sehnen als bloße Fortsätze der Mus-
keln betrachten; wozu sie wahrscheinlicherweise
durch die Erscheinung verleitet worden sind, daß
die Kinder, in Vergleichung mit Erwachsenen,
mehrere Sehnen haben.
Der andere Hauptkarakter des Muskels ist
die Hallerische Reizbarkeit a), die ich schon im
vorhergehenden von der Zusammenziehbarkeit un-
terschieden habe (§. 44.), aber nun etwas ge-
nauer untersuchen will.
a) Ich nenne sie die Hallerische Reizbarkeit, nicht
als ob sie vor Hallern, der allen seinen Vor-
gängern von Glisson bis auf seine Zeitgenossen
alle Gerechtigkeit widerfahren ließ, unbekannt
gewesen, sondern weil Haller diese Kraft zuerst,
in ihrem ganzen Umfange untersuchte, durch
unzählige Versuche an lebendigen Thieren erläu-
terte, und den wichtigen Einfluß dieser Lehre auf
die ganze Physiologie in das helleste Licht setzte.
Uebrigens ist die Hallerische Reizbarkeit von der
Reizbarkeit des Gaubs verschieden, der mit die-
sem Worte die krankhafte Empfindlichkeit des
belebten körperlichen Stoffes bezeichnet.
Diese Reizbarkeit, öder Muskelkraft, oder
angebohrne Kraft ist zwar allen muskelartigen
Theilen eigen, jedoch nicht in gleichem Grade, indem
einige vor andern Theilen vorzüglich reizbar sind a).
a) Haller de partibus c. h. irritabilibus in com-
ment. soc. scient. Götting. T. II.
– in Nov. Commentar. Götting. T. IV.
Zimmermann de irritabilitate. Götting. 1751. 4.
Oeder de irritabilitate. Hafn. 1752. 4.
[Seite 192]Iac. Eberh. Andreae. (praes. Ph. Fr. Gmelin) diss.
de irritabilitate. Tubing. 1758. 4.
Die reizbarsten Theile sind diejenigen hohlen
Muskeln, welche zu den Lebens- und natürlichen
Verrichtungen bestimmt sind; unter denen das
Herz, wie ich schon erwähnt habe (§. 118.),
den ersten Rang behauptet; denn das Herz ist
nicht nur, besonders an seiner innern Oberfläche,
am reizbarsten, sondern behalt auch diese Eigen-
schaft vor allen andern Muskeln am längsten.
Den nächsten Rang nach dem Herzen nimmt
der Darmkanal ein, besonders die dünnen Där-
me, die in warmblütigen Thieren ihre Reizbar-
keit zuweilen länger als das Herz behalten.
Auf diesen die Harnblase, u.s.w.
Unter den übrigen Muskeln sind diejenigen
die reizbarsten, welche zum Athemholen bestimmt
sind, z.B. das Zwerchfell, die Interkostalmus-
keln, der dreyeckigte Muskel des Brustblattes.
Hierauf folgen die übrigen Muskeln.
Sehr schwach ist die Reizbarkeit der Arte-
rien (§. 123).
Doch scheint mir Herr von Haller, der in die-
ser Lehre der vornehmste Schiedsrichter ist, eini-
gen Theilen mit Unrecht eine Reizbarkeit zuge-
schrieben zu haben, an denen ich zwar nach mei-
[Seite 193] nen Versuchen Zusammenziehbarkeit (§. 50.),
aber keine Reizbarkeit entdecken konnte.
Hieher gehören die Milchgefäße, die Drü-
sen, die Gallenblase, die Gebährmutter, die Ho-
denhaut (dartos), und das männliche Zeugungs-
glied.
Aber eben so unverdient haben einige Phy-
siologen die Blendung, die äußere Oberfläche der
Lungen u.s.w. als reizbare Theile anerkannt,
denen diese Eigenschaft mit keinem größern Rech-
te, als dem Zellenstoffe, und den übrigen daraus
gebildeten Theilen, nämlich den allgemeinen Be-
deckungen, den Hirnhäuten, dem Rippenfelle,
dem Bauchfelle, u.s.w. der Beinhaut, den
Flechsen, den sehnichten Ausbreitungen, oder den
Eingeweiden, die aus einem eigenen Parenchyma
(§. 27.), z.B. die Leber, die Milz, die Ner-
ven, der Mutterkuchen, das Gehirn sammt dem
ganzen Nervensystem, zugeschrieben werden kann.
So wie aber die Reizbarkeit der Muskelfa-
sern mit der Zusammenziehbarkeit des Zellstoffes
manchmal verwechselt worden, so hat man hin-
gegen in neuern Zeiten die Reizbarkeit für eine
bloße Wirkung der Nervenkraft erklärt a).
Obgleich nicht zu läugnen ist, daß die Ner-
ven einen großen Einfluß auf die Muskelbewegung
haben, von der ich sogleich handeln werde; und
daß man auch der feinsten Muskelfaser nicht alles
Nervenwesen absprechen kann; so glaube ich doch
berechtigt zu seyn, die Reizbarkeit eben so, wie
die Zusammenziehbarkeit, als eine eigenthümli-
che, und von der Nervenkraft offenbar verschie-
dene Kraft zu betrachten. Denn alle übrige nicht
[Seite 194] muskelartige Theile, so reich sie übrigens an Ner-
ven seyn mögen, besitzen keine Reizbarkeit, z.B.
die Haut, und verschiedene andere nervenreiche
Eingeweide; sodann werden die ächten Erschei-
nungen der Reizbarkeit nur an den Muskelfasern
wahrgenommen u.s.w. Wenn man diese und
so viele andere Gründe genau erwäget, so scheint
es mir der Vernunft gemäßer, wenn man die
Reizbarkeit als eine eigenthümliche Kraft der
Muskelfasern betrachtet, und nicht von den Ner-
ven herleitet, die an so verschiedenen Theilen des
Körpers in Gesellschaft der Muskeln sind, aber
nicht die geringste Spur von Reizbarkeit verra-
then. Ich übergehe so viele andere wichtige Be-
weisgründe, z.B. das zwischen dem Grade der
Reizbarkeit, und der Menge der Nerven eines
und desselben Theiles kein Verhältniß Statt fin-
det.
a) Whytt's Essay on the vital and other invo-
luntary motions of animals. Edinb. 1751. 8.
Joh. Aug. Unzer Gründe einer Physiologie der
eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper.
Leipz. 1771. 8.
Der Haupteinfluß also, den das Nervensy-
stem auf die Muskelbewegung hat, scheint darinn
zu bestehen, daß die Nerven als entfernte, oder
erregende Ursachen auf die Muskeln wirken, aber
nicht die nächste Ursache der Muskelbewegung sind,
die ganz allein in der angebohrnen Kraft der
Muskelfasern liegt.
[Seite 195] Die Gemüthsbewegungen z.B. wirken auf
das Sensorium, dieses wirkt zurück auf die Herz-
nerven, wodurch die Reizbarkeit des Herzens er-
regt wird, und das Herzklopfen sowohl als ande-
re unordentliche Bewegungen hervorgebracht wer-
den.
Auch der Wille wirkt auf das Sensorium;
dieses wirkt zurück auf die Armnerven, welche
sodann auf die nämliche Weise als entfernte Ur-
sachen die Muskelbewegung erregen, die aber un-
mittelbar von der Reizbarkeit herrührt u.s.w.
Mit dieser Eintheilung der Ursachen, welche
bey der Muskelbewegung zusammenwirken müssen,
stimmen die so oft wiederholten Versuche vollkom-
men überein, welche uns belehren, daß an dem-
jenigen Muskel, dessen Nerven unterbunden, oder
abgeschnitten werden, eine Lähmung erfolgt, ohn-
erachtet seine Reizbarkeit noch lange fortdauert a).
a) Io. H. Brunn experimenta circa ligaturas ner-
vorum in vivis animalibus instituta, Götting.
1753. 4.
Was aber das Blut, von dem die Muskeln
strotzen (§. 302.), zu ihrer Verrichtung beyträgt,
ist noch nicht ausgemacht.
Aus dem Stenonianischen Versuche a) er-
hellt, daß auf die Unterbindung der aorta abdo-
minalis eine Lähmung der Schenkel erfolge b).
a) Stenonis elementorum myologiae specimen
Florent. 1667. 4. p. 86.
b) v. Courten in philosoph. Trans. n. 335. p. 500.
v. Haller in comment. soc. scient. Götting.
T. IV. p. 293.
Außer diesen angebohrnen, und gemeinschaft-
lichen Kräften erhalten die Muskeln noch verschie-
dene Nebenkräfte, welche von ihrer Gestalt, La-
ge u.s.w. abhangen, und den verschiedenen
Muskelbewegungen genau entsprechen.
Daher auch die Muskeln in hohle und brei-
te eingetheilt werden; jene sind, wie wir gezeigt
haben, der Willkühr nicht unmittelbar unterwor-
fen, und zu den Lebens- und natürlichen Ver-
richtungen bestimmt; wir wollen nun die andere
Gattung von Muskeln betrachten, welche die
Werkzeuge der thierischen Verrichtungen sind.
Aber auch unter diesen Muskeln findet man
eine große Verschiedenheit; denn außer ihrer Grö-
ße ist die Anlage, und die Richtung ihrer Faszi-
keln, das Verhältniß ihres fleischigten Theiles zu
dem sehnigten, ihr Verlauf, und ihre Art der
Befestigung u.s.w. höchst mannigfaltig.
Doch haben die meisten Muskeln eine mehr
oder weniger länglichte Gestalt; ihr fleischigter
und bauchigter Theil verlängert sich an beyden
Enden in sehnigte Stricke, die aber nicht im ge-
ringsten reizbar sind, und die Knochen, an denen
sie befestigt sind, gleichsam als Hebel bewegen.
Die meisten Muskeln sind mit Sehnen ver-
sehen, nur wenige, z.B. den breiten Halsmus-
kel ausgenommen; auch sind die meisten Muskeln
an Knochen befestigt; außer einigen, worunter
der eben erwähnte Halsmuskel, der Hodenmus-
kel, der Muskel des Zäpfchens, die meisten Au-
genmuskeln gehören.
Aus diesen sowohl allgemeinen (§. 304.)
als besondern Kräften der Muskeln entstehen ihre
verschiedenen Wirkungen, welche gleichfalls in all-
gemeine und besondere eingetheilt werden.
Die Hauptwirkung der Muskeln, welche zu-
nächst aus der Reizbarkeit fließt, besteht darin-
nen, daß der fleischigte Theil sich verkürzt, straf-
fer wird, meistentheils eine ungleiche und gleich-
sam eckigte Gestalt annimmt, und, wie es aus
Glisson's a) Versuche zu erhellen scheint, in sei-
nem Umfange etwas vermindert wird.
Doch läßt sich diese Abnahme des Umfan-
ges unmöglich berechnen, wie Joh. und Daniel
Bernoulli und andere Jathromathematiker ver-
sucht haben; wie man ohnehin aus der großen
Verschiedenheit, welche zwischen hohlen und brei-
ten Muskeln, und auch zwischen den breiten Mus-
keln selbst, Statt findet, leicht schließen kann.
a) Glisson de rentriculo et intestinis. p. 191.
Doch hatte schon vorher Jonath. Goddard diesen
Versuch der k. Gesellschaft mitgetheilt. Birch's
hist. of the royal society. Vol. II. p. 356.
Die besondern Wirkungen der Muskeln hän-
gen von ihren verschiedenen Nebenkräften ab, und
sind, wie man leicht sieht, so mannigfaltig, daß
man sie auf keine allgemeinen Gesetze zurückfüh-
ren kann.
Denn das angenommene allgemeine Gesetz,
daß jeder Muskel, indem er wirkt, den nachge-
benden Theil, woran er befestigt ist, nach dem
unbeweglichern Theil hinziehe, gilt, wie schon
Winslow a) erinnert hat, nur beziehungsweise,
und leidet unzählige Einschränkungen; so kann z.
B. das eine oder das andere Ende beweglicher
gemacht werden, nachdem dieses oder jenes Ende
durch die Mitwirkung anderer Muskeln befestigt
wird.
Im Gegentheile darf die Wirkung der Beug-
muskeln, die zwar gemeiniglich etwas stärker als
ihre Antagonisten, die Streckmuskeln, sind, so
daß bey einer ganz ruhigen Leibeshaltung die Ar-
me, Finger u.s.w. ein wenig gebogen erschei-
nen, nicht so sehr aus ihrem eigenen Bestreben
die Beugung hervorzubringen, sondern vielmehr
aus der willkührlichen Entspannung der Streck-
muskeln, wodurch wir die Beugung befördern
wollen, geschätzt werden.
Hierzu kömmt noch, daß jeder einzelner Mus-
kel durch einen besondern Mechanismus sich aus-
zeichnet, der seinen bestimmten Bewegungen ge-
nau entspricht a).
[Seite 199] Zu den Hilfsmitteln, welche die Bewegung
der Muskeln erleichtern, gehören, außer ihrer
verschiedenen Gestalt, die runden ligamentösen
Ringe, von denen einige Muskeln eingeschlossen
werden; das Fett, das sich fast in alle Muskeln
ergießt; der wäßerigte Duft, von dem sie bey-
nahe im ganzen Körper befeuchtet werden; vor-
züglich aber der Knochenbau des Körpers selbst,
der sowohl durch die besondere Bildung seiner
Fortsätze, als auch durch die mannigfaltige Ver-
bindung seiner Gelenke die Muskelbewegungen
ungemein erleichtert; sogar sind einzelne Knochen,
z.B. die Kniescheibe, und die Sesamsbeinchen
zur Erleichterung einiger besondern Muskelbewe-
gungen bestimmt.
a) Io. Alph. Borellus de motu animalium. Rom.
1680. II. Vol. 4.
Durch diese weise Einrichtung wird ein gro-
ßer Theil der Muskelkraft, welche sonst verloren
gehen müßte, erhalten, oder wenigstens ersetzt;
denn die Einsenkung der Muskeln unter so spitzen
Winkeln, und so nahe am Ruhepunkt, erschwert
die Bewegungen der Muskeln beträchtlich.
Der menschliche Körper, der ohngefähr mit
450. Muskeln (den Geschlechtsunterschied, und
einige Varietäten ausgenommen) ausgerüstet ist,
erhält dadurch sowohl im Ganzen, als in seinen
einzelnen Gliedern eine außerordentliche Behen-
digkeit, und Stärke. Beydes hängt zwar theils
von, der vollkommenen Struktur des Muskels ab,
[Seite 200] die so, wie der vollkommene Knochenbau, erst
bey reifern Jahren vollendet wird; theils aber
von der anhaltenden Uebung, die, wie wir wissen,
sowohl auf die Stärke als Behendigkeit der Mus-
keln einen außerordentlichen Einfluß hat, wovon
man sich z.B. an Seiltänzern, Athleten, Trä-
gern, und an den Wilden überzeugen kann.
Das Nervensystem wird durch die tägliche An-
strengung seiner Empfindungs- und Muskelkraft
endlich so sehr ermattet, daß es der nächtlichen
Ruhe bedarf, um neue Kräfte zu sammeln, die
durch den Schlaf a), dem Bild des kalten To-
des, hergestellt werden.
a) Stephan. Dickson de somno. Edinb. 1783. 8.
Rob. Cleghorn de somno. ibid.
Der Schlaf ist eine vollkommen periodische
Verrichtung, wodurch bis Gemeinschaft zwischen
Körper und Seele einige Zeit gleichsam stillsteht,
und dessen Erscheinungen, die ich sogleich anfüh-
ren werde, mit der Theorie von dem Einfluße
eines Nervensaftes ziemlich übereinstimmen.
Unter die Vorspiele des herannahenden Schla-
fes gehören: eine allmälig überhandnehmende
Trägheit der äußern Sinne, eine Nachlassung
der meisten dem Willen unterworfenen, beson-
[Seite 202] ders längern, Muskeln; Anhäufung des Blutes
gegen das Herz, und ein daher entstehendes Ge-
fühl von Unbehaglichkeit, das durch das Gähnen
etwas vermindert wird; endlich bey dem wirkli-
chen Uebergang aus dem Wachen in den Schlaf
eine besondere Verwirrung der Gedanken.
Die Erscheinungen des Schlafes selbst beste-
hen eigentlich darinn, daß die thierischen Ver-
richtungen ganz stillstehen, die übrigen aber lang-
samer und träger erfolgen; denn in dem schlafen-
den Zustande schlägt der Puls langsamer, die Wär-
me ist gemeiniglich etwas geringer, auch die un-
merkliche Ausdünstung ist sparsamer, die Ver-
dauung schwächer; überhaupt sind alle Ausleerun-
gen (die zwar seltnere Saamenergießung ausge-
nommen) gehemmet u.s.w.
Die entfernten Ursachen des Schlafes sind
leicht zu finden, nämlich: schlafmachende Arzneyen,
Verlust der thierischen Kräfte von Ermüdung,
Wachen; die Macht der Gewohnheit, und die
eben daher einschläfernde Kraft der Finsterniß,
der Stille, der Ruhe u.s.w.; ferner gelinde,
gleichförmige, und anhaltende Rührungen der Sin-
ne, z.B. Das Murmeln eines Baches u.s.w.;
ferner vorhergegangene Mahlzeit a), eine strenge
Kälte b), starke Ableitungen des Blutes von dem
Kopfe, Fußbäder, Klystire, vorzüglich aber star-
ke Verblutungen u.s.w.
a) Langhans de causis ortae a pastu somnolen-
tiae. Götting. 1747. 4.
b) Daher die so gefährliche, aber auch fast unwi-
derstehlige Neigung zum Schlaf in dem höch-
sten Grade der Kälte. Ueberbleibsel dieser sanf-
ten Todesart habe ich in Menge auf den Glet-
schern in St. Gotthard angetroffen.
Aehnliche Gefahren, welche Bank's und Solander
mit ihren Reifegefährten in tierra del fuego
ausgestanden haben, findet man in der erstern
Weltumseglung des Rooks beschrieben bey Haw-
kesworth. B. II. S. 47.
Die Betrachtung der entfernten Ursachen
führet uns auf die nächste Ursache des Schlafes,
welche, wenn wir alles genau erwägen, in einem
verminderten Antrieb des Blutes nach dem Ko-
pfe zu bestehen scheint.
Mit dieser Ursache stimmt die Erscheinung über-
ein, die ich an einem lebenden Menschen, dessen
Geschichte (§. 201.) stehet, wahrgenommen ha-
be, bey dem das Gehirn währendem Schlafe ein-
gesunken war, im wachenden Zustande hingegen
von Blut strotzte.
Diese Meinung wird noch wahrscheinlicher
durch die Schlaflosigkeit, welche auf einen starken
Antrieb des Blutes nach dem Kopf zu erfolgen
pflegt.
Das Maaß des Schlafes richtet sich nach
der Verschiedenheit des Alters, der Leibesbeschaf-
fenheit, des Temperaments u.s.w. Soviel ist
aber ausgemacht, daß ein längerer Schlaf entwe-
der ein Gefährte der Schwäche ist, wie wir an
[Seite 204] zarten Kindern sehen, oder eine ergiebige Quelle
der Blödsinnigkeit und der Dummheit wird.
Wir erwachen, wenn die Kräfte hergestellt
sind, gleichsam in ein neues Leben; wobey die
nämlichen Zufälle eintreten, welche den Uebergang
in den Schlaf begleiteten; wozu sich aber noch
das Recken der Glieder, einige Trägheit der
Sinnorgane u.s.w. gesellen.
Auch die Ursachen, welche uns aus dem
Schlafe aufwecken, stimmen mit den schlaferre-
genden Ursachen überein.
Die nächste Ursache besteht in dem wieder-
kehrenden lebhaftern Andrang des Blutes auf das
Gehirn.
Zu den entfernten Ursachen gehören, außer
dem mächtigen Einfluß der Gewohnheit, alle
Gattungen von Reizmitteln, wodurch entweder
die äußerlichen, oder innern Sinne gereizt werden,
sie mögen übrigens in dem Körper entweder un-
mittelbar entstehen, z.B. die Anfüllung der Bla-
se, oder durch Hilfe der Einbildungskraft auf das
Nervensystem wirken, wie bey den Träumen ge-
schieht.
Die Träume sind gleichsam Spiele der Ein-
bildungskraft, wodurch sie die Gestalten der em-
pfangenen sinnlichen Eindrücke zurückruft, und auf
eine mannigfaltige Weise sich damit beschäftiget.
Bey neugebohrnen Kindern habe ich vor dem
dritten Monate keine Spur eines Traumes ent-
decken können.
[Seite 205] Man hat sogar Beyspiele erwachsener Men-
schen, die in ihrem Leben nicht geträumt haben a).
Diese nächtlichen Schattenbilder sind zwar
gemeiniglich verworren, und unordentlich; aber
doch findet man auch zuweilen auffallende Merk-
maale des Verstandes b) in Träumen.
Ueberhaupt scheinen die körperlichen Reize
zur Erweckung der Träume vorzüglich geschickt zu
seyn: z.B. der Saamen zur Erzeugung wohllü-
stiger Bilder, die Ueberladung des Magens zur
Erregung der Bangigkeit u.s.w. Man hat so-
gar das Beyspiel eines Menschen, bey dem seine
Freunde, wenn sie mit ihm im Schlafe redeten,
nach Willkühr Träume hervorbringen konnten c);
doch scheint dieß vielmehr ein Mittelzustand zwi-
schen Schlafen und Wachen zu seyn d).
Doch halten Locke und andere Philosophen
die Träume selbst für einen solchen Mittelzustand
zwischen Schlafen und Wachen.
a) Sonderbar ist es, baß man dieß an Personen
bemerkte, die eine außerordentliche lebhafte Ein-
bildungskraft hatten, wie man unter andern
von dem berühmten Lessing erzählt. (Götting
Magaz. 1781. Th. 1.)
Ich kannte selbst eine vornehme Dame, die einen
außerordentlichen Witz besaß, und niemals ge-
träumt hatte.
Locke's Essay concerning human understanding.
Vol. 1. p. 74. Ed. Lond. 1726.
b) Hollmann Pneumatolog. psycholog. et the o-
log. natural. Götting. 1780. p. 196.
c) Beattie dissertations moral and critical. Lond.
1783. 4. p. 217.
d) G. Gottl. Richter de statu mixto somni et vi-
giliae, quo dormientes multa vigilantium mu-
nera obeunt. Götting. 1756. p. 4.
So wie der Verlust der thierischen Kräfte durch
den Schlaf ersetzt wird, so werden die allmälig
sich verlierenden natürlichen Kräfte, und Bestand-
theile des Körpers durch Nahrungsmittel ersetzt.
Wir werden aber von der Natur durch zweyer-
ley einander ganz entgegengesetzte, aber zur Er-
reichung einer und derselben Absicht sich vereini-
gende Triebe genöthigt, Nahrungsmittel aufzu-
suchen, und zu uns zu nehmen; nämlich durch die
unerträglichen Schmerzen des Hungers und des
Durstes, und durch die süsse Wohllust, welche
die Befriedigung dieser Bedürfnisse zu begleiten
pflegt.
Der Reiz des Hungers entsteht, wie eini-
ge Physiologen behaupten, von den Falten des
Magens, die sich gegen einander anreiben, oder
wahrscheinlicher von dem häufigen Zufluße der
Dauungssäfte, besonders des Speichels, des
Magensafts und der Galle, wozu endlich die
Schärfe dieser Säfte, wenn sie nicht bald durch
[Seite 208] frische Nahrungsmittel bey ihrer Milde erhalten
werden, kömmt.
Die Empfindung des Durstes wird theils
durch eine lästige Trockenheit der Schlundhöhle,
(fauces) und der Speiseröhre, theils durch den
besondern Reiz, den die genossenen, salzigten
Nahrungsmittel verursachen, hervorgebracht.
Die Befriedigung dieser Bedürfnisse ist nach
Verschiedenheit des Alters, der Leibesbeschaffen-
heit, besonders aber der Gewohnheit, mehr oder
weniger dringend, so daß sich hierüber nichts ge-
wisses festsetzen läßt; nur so viel scheint im Allge-
meinen zuzutreffen, daß ein erwachsener, gesun-
der, und natürlicher Mensch (bey dem diese Na-
turtriebe weder durch Wahnsinn, noch durch an-
dere krankhafte Zufälle stumpf gemacht worden a),
nicht einen Tag ohne sich merklich zu entkräften,
und nicht über acht Tage ohne Lebensgefahr, der
Speisen sich enthalten kann.
a) Iac. Barthol. Beccarius in comment. instituti
Boaoniensis. T. II. P. I.
Flor. Iac. Voltelen memorab. apositiae septen.
hist. L. B. 1777. 8.
Nicht so dringend als der Hunger ist das Be-
dürfniß des Durstes; denn daß die Gesundheit,
und das Leben auch ohne Trinken bestehen kön-
nen, sieht man an verschiedenen warmblütigen
Thieren, z.B. Mäusen, Wachteln u.a.m. es
gibt sogar Menschen, die gar kein Getränk zu sich
[Seite 209] nehmen, und doch demohnerachtet gesund und
stark sind a).
a) G. Backer medical transactions publ. by the
college of physic. in Lond. Vol. II. p. 165.
Anlangend die Speisen, so hat man die Fra-
ge aufgeworfen, ob vegetabilische Nahrungsmit-
tel, oder Fleischspeisen dem menschlichen Körper
angemessener sind, und wozu der Mensch von der
Natur vorzüglich bestimmt ist.
Daß der Mensch von Pflanzenspeisen leben
müsse, wollen einige aus dem Bau seiner Zähne
a), und aus der Länge des Darmkanals b) her-
leiten; Rousseau c) sucht diese Meinung vorzüg-
lich daraus zu erweisen, weil die Weiber nur mit
einem Kinde schwanger gehen, und mit zwo Brü-
sten versehen sind; hierzu kommen noch die Bey-
spiele des Wiederkauens bey Menschen, das nur
eine Eigenschaft grasfressender Thiere ist.
Diejenigen aber, welche mit Helvetius d)
den Menschen unter die fleischfressenden Thiere
zählen, berufen sich auf die Kürze des Blind-
darms, und andere dergleichen Beweisgründe.
a) Gassendi epistol. ad Io. Bapt. v. Helmont.
opusc. Ed. Flor. 1727. sol. Tom. VI. p. 17.
b) Io. Wallis in philos. Transactions. n. 269.
Allein bey einer genauern Untersuchung er-
hellet, daß der Mensch weder zu einer vegetabi-
lischen, noch zu einer thierischen Lebensweise aus-
schließungsweise bestimmt ist, sondern vielmehr
seine Nahrungsmittel aus beyden Naturreichen
entlehnen muß; indem sowohl die Backenzähne,
als auch der Bau des Darmkanals gleich eine Mit-
telgattung zwischen pflanzen- und grasfressenden
Thieren ausmachen; vorzüglich aber sieht man
dieß aus der besondern Einlenkung des Kieferbei-
nes mit dem Schlafbeine.
Zu diesen Gründen kömmt noch das hinzu,
daß der Mensch, der, wie wir gesehen haben,
in allen Himmelsstrichen ausdauert, bey einer
ausschließenden, entweder vegetabilischen oder thie-
rischen Nahrungsweise, keinesweges leben könnte.
Der Mensch genießt also unter allen andern
Thieren die mannigfaltigsten Speisen, und er kann
sowohl bey einer schwelgerischen, aus beyden Na-
turreichen zusammengeraften Tafel, als bey der
einfachsten Mahlzeit gesund und ungeschwächt
leben.
So leben unzählige Menschen von bloßen
Pflanzenspeisen, z.B. Erdäpfeln, Kastanien,
Datteln u. s. w, welches die Nahrung der ersten
Stammvölker war, die blos von Früchten, Wur-
zeln, Getraidarten, und Hülsenfrüchten sich er-
nährten a).
Die herumziehenden Horden der Nomaden
leben blos vom Senegalischen Gummi b).
[Seite 211] Die Kamtschadalen und andere Küstenbe-
wohner von Fischen.
In Europa leben die Morlachen fast ganz
vom Fleische c).
Sogar einige wilde Völkerschaften ernähren
sich mit rohem Fleische, z.B. die Samojeden
d), Esquimaus e), und einige südamerikanische
Nationen f).
Eben so mannigfaltig sind die verschiedenen
Getränke der Nationen.
Verschiedene Insulaner, z.B. angrenzende
Völkerschaften des Südmeeres haben kein füßes
Wasser, und bedienen sich der Kokusmilch zum
Getränke.
Andere Völker trinken Meerwasser, u.s.w.
woraus offenbar erhellet, daß der Mensch zum
Genuße mannigfaltiger Nahrungsmittel bestim-
met ist.
a) Adanson Mem. de l'acad. des sciences de Pa-
ris. 1778.
b) Ant. Pujati riflessioni sul vitte pitagorico. Feltr.
1751. 4.
c) de Klingsstaedt Mem. sur les Samojedes et les
Lappons. 1762. 8.
d) Petr. Kalm de Esquimaux, gente Americana.
Aboae 1756. 4.
e) Curtis in Philosoph. Transact. Vol. LXIV. P.
II. p. 381.
f) Io. Winter apud Hakluyt principal naviga-
tions of the. English nation. Vol. III. p. 751.
Die Hauptwerkzeuge des Kauens, wodurch die
zähern Speisen in kleinere Stückchen getheilt wer-
den, sind die beyden Kinnladen, welche mit ei-
ner dreyfachen Ordnung von Zähnen besetzt sind.
Die Schneidezähne sind bey den meisten
a) Menschen meiselförmig, und zum Zerschneiden
der Speisen in kleinere Stücke bestimmt.
Die zweyte Art sind die Eckzähne; sie ha-
ben stumpfzugespitzte, aber überaus robuste Kro-
nen, womit wir härtere Körper zerbeißen.
Die dritte ist die Ordnung der Backzähne, die
von verschiedener Größe sind, und zum Zermalmen
der Speisen dienen.
a) Bey den meisten: man sieht täglich Menschen
mit überaus stumpfen Schneidezähnen. So ha-
be ich auch an mehreren Mumienschädeln die Vor-
derzähne von der Gestalt wie kurze abgestumpf-
te Kegel mit flachen Kronen, beynahe den Back-
zähnen ähnlich, gefunden. Da überhaupt diese
Mumienschädel mit den uralten ägyptischen Na-
[Seite 213] tionalphysionomien, welche man an ägyptischen
Götzenbildern wahrnimmt, genau übereinstimmen,
so könnte vielleicht diese Bemerkung dazu dienen,
die Mumien aus den ältesten Zeiten von den nach-
wärtigen neuern zu unterscheiden; worüber ich
weitläuftiger in dem Göttingischen Magazine
gehandelt habe. 1782. Th. 1.
Der Unterkiefer ist mit dem Kopfe auf eine
besondere Weise eingelenkt, welche zwischen der
Arthrodie und dem Ginglymus das Mittel hält.
Im Gelenke selbst liegt eine ausgehöhlte beweg-
liche Knorpelscheibe, wodurch der Unterkiefer ei-
ne leichtere und ausgedehntere Bewegung erhält.
Der Unterkiefer wird, wenn wir den Mund
öffnen, von dem zweybäuchigen Muskel herunter-
gezogen; doch tragen auch die geniohyoidei und
mylohyoidei etwas dazu bey.
Der Unterkiefer wird aber, wenn wir harte
Körper zerbeißen, vorzüglich durch die Kau- und
Schlafmuskeln mit großer Kraft in die Höhe ge-
hoben.
Die Seitenbewegungen verrichtet der äußere
und innere Flügelmuskel; die letztern können auch
den Unterkiefer vorwärts ziehen.
Die in den Mund eingenommenen Speisen
werden von dem Backenmuskel, und von der nach
allen Punkten beweglichen Zunge gesammelt, her-
umgewälzt, und unter einander gemischt.
Während dieser Verrichtung des Kauens
wird der Speichel gleichsam ausgemelkt: nämlich
[Seite 214] eine wäßerigte, seifenartige Feuchtigkeit, die nur
etwas weniges Erde enthält (woraus der soge-
nannte Weinstein der Zähne, und die Steine der
untern Zungendrüsen entstehen), ihres wenigen
Harnsalzes ohnerachtet, durch Gewohnheit un-
schmackhaft wird, fäulnißwidrige a) und zerthei-
lende Kräfte besitzt, und die Pflanzenspeisen,
vorzüglich die mehligten gähren macht b).
a) Pringle on the diseases of the army. Append.
p. 48. London. 1765. 4.
b) Macbride's experimental essays. p. 16.
Daher die Kunst einiger wilden Nationen aus den
gekauten Wurzeln berauschende Getränke zu be-
reiten.
Z.B. Die Brasilianer aus den Wurzeln der Ja-
trophae manibol. Hans Staden wahrhaftig hi-
storia und Beschr. eyner Landschafft der wilden,
nacketen, grimmigen Menschfresser Leuthen. Mar-
burg. 1557. 4. L. II. c. 15.
Die Neuseeländer aus den Wurzeln des piperis
methystici. Forster voyages round the world.
Vol. I. p. 406. seq.
Der Speichel wird aus dreyerlen Arten zu-
sammengesetzter Drüsen, welche an den Seiten
und innerhalb der Kinnlade ihren Sitz haben, ab-
gesondert.
Unter diesen sind die Ohrendrüsen, (die in
hitzigen Krankheiten den Ablagerungen des Krank-
heitsstoffes am meisten unterworfen) die größten.
[Seite 215] Sie sondern ihren Speichel durch die an den Mitt-
lern obern Backzähnen sich eröffnenden Stenoni-
schen Speichelgänge a) aus.
Nahe an diesen liegen die Unterkieferdrü-
sen, die ihren Speichel durch die Warthonischen
Gänge b) abscheiden.
Die unter der Zunge liegenden sind die al-
lerkleinsten, und sind mit sehr vielen, von Ri-
vinus c) entdeckten Aussonderungsgängen ver-
sehen.
a) Stenonis observationes anatomicae. p. 20.
b) Warthonis adenographia. p. 120.
Die Aussonderung des Speichels wird sowohl
durch Reiz, mechanischen Druck und gleichsam
durch Auspressung befördert. Nach Nuck's a)
etwas willkührlicher Angabe nimmt man gemeinig-
lich an, daß innerhalb zwölf Stunden gegen ein
Pfund abgesondert werde.
Durch den Druck nämlich (den vorzüglich die
Lage der Ohrendrüsen an dem Kinnladengelenke
begünstiget) zerkäuen wir die härtern Speisen,
welche durch den herbeyfließenden Speichel vortreff-
lich erweicht werden.
Der Reiz liegt entweder in der Schärfe der
Speisen, welche sodann durch diesen Zufluß des
Speichels gemildert wird, oder wird durch die
Einbildungskraft erregt, wie wir an denjenigen
sehen, denen vor Begierde zu essen der Speichel
häufiger zufließt.
Mit der Speichelfeuchtigkeit vermischt sich
überdieß sowohl der Schleim, welcher aus den
Lippen- und Zungendrüsen a) abgesondert wird,
und die Zunge überzieht, als auch der wässerigte
Duft, der aus den weichen Theilen der Mund-
höhle durchschwitzt.
Durch diesen beständigen Zufluß des Spei-
chels wird die genossene Speise während dem
Kauen angefeuchtet, und nicht allein in eine brey-
artige zum Schlingen geschicktere Masse, sondern
auch zugleich zur weitern Verdauung und Verähn-
lichung mit den übrigen Säften des Körpers all-
mälig vorbereitet.
Der Mechanismus des Schlingens selbst, ob
er gleich äußerst zusammengesetzt zu seyn scheint,
und auch wirklich durch vereinigte Kräfte sehr vie-
ler verschiedener Werkzeuge vollendet wird, ge-
schieht, im allgemeinen betrachtet, auf folgende
Weise: Die nach ihrer eigenen Wurzel zurückge-
zogene, und dadurch anschwellende und gleichsam
steifwerdende Zunge nimmt den Bissen in die
schwache Vertiefung ihres Rückens auf, und bringt
ihn von da in die Gaumöffnung, und den erwei-
terten Schlundkopf (Pharynx), der endlich die
Speisen durch eine Art von eigenthümlicher Be-
lebung ergreift, und durch Mitwirkung seiner zu-
sammenziehenden Muskelfasern a) in die Speise-
röhre hinunterdrängt.
a) Eustachii Tab. XLII. fig. 4. 6.
Um diese Wege offen zu erhalten, und ge-
gen alle Gefahren zu sichern, hat die Natur ver-
schiedene Hilfsmittel angebracht.
Die Bewegungen der Zunge werden von dem
Zungenbeine geleitet.
Das Zurücktreten der Speisen, sowohl in
die Nase, als in die Eustachische Röhre wird durch
die weiche Gaumendecke verhindert, welche so, wie
ihre hervorragende Erhabenheit, das Zäpfchen,
durch besonders dazu bestimmte Muskeln ange-
spannt wird, und diese Oeffnungen schließt a).
Die Stimmritze wird von der Zunge selbst
beschützt, indem der Kehlkopf während dem Schlu-
cken vorwärts in die Höhe steigt, an die Zungen-
wurzel sich andrückt, wodurch die Stimmritze zu-
sammengezogen, von dem niedergedrückten Kehl-
deckel so genau verschlossen wird, daß nicht das
mindeste von Speise und Trank hineinfallen kann.
a) Santorini Tab. posthum. IV. – VI. fig. 2. et
VII. B. S. Albini Tab. musculor. XII. f. 11.
27. 28.
Das Schlucken wird überdieß sehr befördert
durch die Menge des Schleimes, welcher diese
Wege schlüpfrig macht, und sowohl aus den vor-
her angezeigten Zungenspeicheldrüsen, als auch
aus den zahlreichen Schleimdrüsen der Mandeln,
[Seite 218] a) und aus den Schleimsäcken des Schlundkopfes
selbst abgesondert werden.
Der Schlund (Oesophagus), durch den
die Speisen in den Magen gelangen, ist eine flei-
schigte, an sich zwar enge, aber doch starke, nach-
giebige, ausdehnbare, und sehr empfindliche Röh-
re, deren Membranen, ihre größere Dicke aus-
genommen, von den Membranen des übrigen
Darmkanals nicht sehr unterschieden sind a).
Die äußere Membran besteht sowohl aus
länglichten, als zirkelrunden Muskelfasern.
Die nervigte Haut verliert sich an beyden
Enden in ein Zellgewebe, wodurch sie sowohl an
die vorerwähnte, als auch an die unter ihr lie-
gende befestigt wird.
Die innerste Membran ist mit einem feinen
Schleim befeuchtet.
a) Matth. van Geuns in Verhandelingen van de
Maatschappye te Harlem. T. XI. p. 9.
Das Werkzeug der Verdauung ist der Magen,
der unter die vornehmsten Eingeweide des Körpers
gehört, da fast keine Gattung von Thieren ohne
Magen angetroffen wird.
Der Magen des Menschen a) stellt einen
weiten Schlauch vor, der bey Erwachsenen ohn-
gefähr drey Pfund Wasser fassen kann, und zwo
Oeffnungen hat.
Die obere Oeffnung heißt der obere Magen-
mund (cardia), wo nämlich die gefaltete, und
etwas schieflaufende Speiseröhre sich erweitert,
und in den Magen, dessen Grund (fundus) mehr
links liegt, sich einsenkt.
Die untere Oeffnung, in die sich der schmä-
lere Theil des Magens endigt, heißt der Pfört-
ner (pylorus) und verliert sich allmälig in den
Zwölffingerdarm.
a) Eustachii Tab. X. fig. 1. 2. 3.
Die Lage des Magens ändert sich, nachdem
er von Speisen leer, oder angefüllt ist; denn der
leere Magen hängt ganz schlapp in einer solchen
Richtung, daß der große Magenbogen (curva-
tura major) unterwärts zu liegen kömmt, der
Pförtner aber in die Höhe steigt, und mit dem
Zwölffingerdarm einen faltigten Winkel macht a).
Wenn aber der Magen voll ist, wälzt sich
dieser convexe Rand vorwärts b), so, daß der
Pförtner in einer geraden Richtung in den Zwölf-
fingerdarm übergeht, der obere Magenmund hin-
gegen gleichsam durch einen faltigten Winkel ver-
schlossen wird.
Der Magen besteht aus mehreren überein-
ander liegenden Häuten, die wiederum durch drey
Lagen von Zellgewebe unter einander verbunden
sind.
Die äußere, und uneigenthümliche, wel-
che der Magen vom Bauchfelle erhält, und wie
wir in der Folge sehen werden, sich in das Netz
verlängert.
Diese Haut ist durch ein festes Zellgewebe
mit der zweyten, nämlich der Muskelhaut ver-
bunden, von welcher sowohl die große Reizbar-
keit des Magens (§. 305.), als auch seine pe-
ristaltische Bewegung abhängt. Diese Mem-
bran besteht aus verschiedenen Lagen von Muskel-
fasern a), deren man gemeiniglich drey zu unter-
[Seite 221] scheiden pflegt, nämlich stralenförmige, gerade,
und querlaufende Ringfasern; allein die Richtung
und Verbreitung dieser Fasern ist so mannigfal-
tig, und unbeständig, daß sich keine bestimmte
Eintheilung festsetzen läßt.
Die dritte Haut hat den Namen der Ner-
venhaut erhalten; wiewohl sehr unschicklich, in-
dem sie aus einer dichten Zellhaut besteht; da
wo sie mit der Muskelhaut und mit der zottigten
sich verbindet, ist das Zellgewebe etwas lockerer.
Sie ist unter allen Membranen die stärkste, und
macht gleichsam die Grundlage des Magens aus.
Die vierte oder innerste Haut des Magens
ist die flockigte, oder zottigte; sie ist die feinste,
gleichsam schwammigte, und in unzählige Falten
zusammengerunzelte b) Membran, so daß sie ei-
ne größere Fläche hat, als die übrigen Häute;
sie bildet eine Menge kleine Zellen c), die man
mit den größern Zellen des netzartigen Gewebes
in wiederkäuenden Thieren d) einigermassen ver-
gleichen kann.
Die ganze innere Oberfläche ist von einem
Schleim überzogen, der, wie es scheint, aus
Schleimhöhlchen, die besonders gegen den Pfört-
ner häufig sitzen, abgesondert wird.
a) Bertin. Mem. de l'acad. des Sc. de Paris 1761.
b) Ruysch thesaur. anat. II. Tab. V. fig. 2.
Der Magen besitzt eine große Menge Ner-
ven a), von denen sowohl seine große Empfind-
lichkeit herrührt (indem er von allen, so ganz
verschiedenen Reizmitteln, sowohl äußerlichen,
z.B. von der Kälte, als auch von innerlichen,
entweder von genossenen Speisen, oder von ein-
heimischen Säften gereizt wird); hieraus läßt sich
auch die Mitempfindung, wodurch der Magen fast
mit allen übrigen Verrichtungen des Körpers in
Verbindung steht, erklären; diese Mitempfindung
erhellt besonders aus der Einwirkung aller Ge-
müthsbewegungen auf die Dauungskraft des Ma-
gens, so wie hingegen die gesunde Beschaffenheit
dieses Eingeweides auf die Heiterkeit des Gemüths
einen mächtigen Einfluß hat b).
a) Walther Tab. nervor. thorac. et abdom. T. IV.
b) Jo. H. Rahn mirum inter caput et viscera ab-
dominis commercium. Götting. 1771. 4.
Did. Vegens de Sympathia inter ventriculum et
caput. L. B. 1784.
Der Magen hat überdieß eine große Men-
ge Blutgefäße. Diese Gefäße vertheilen sich so
zwischen den zelligten Häuten des Magens, daß
sie ein wahres Netz vorstellen, in welchem alle klei-
ne Arterienreiserchen durch unzählige Anmündun-
gen vereinigt werden; aus diesen Gefäßen ent-
springt der Magensaft, der aus der innern Ober-
fläche des Magens beständig hervorquillt.
Im ganzen genommen ist der Magensaft dem
Speichel ziemlich ähnlich; nur besitzt er, wie
Spallanzani a) durch Versuche erwiesen hat,
keine gährungerregende Kräfte; übrigens ist er,
wie der Speichel, seifenartig, fäulnißwidrig, und
das kräftigste Auflösungsmittel, indem er sogar
die Milch, die in dem Magen allmälig zerrinnt,
eben so allmälig wieder auflöset b).
a) Dissertazioni di fisica animale e vegetabile. Mu-
tin. 1780. 8. Vol. I.
Die Vorrede des Herrn v. Sennebier in der zu
Genev 1783. in 8vo herausgekommenen franzö-
sischen Uebersetzung d. W. enthält die von Herrn
Gosse angestellten Versucht, welcher in der atmo-
sphärischen Luft eine brechenerregende Kraft, die er
zu weiterer Untersuchung des Magensaftes glück-
angewandt, entdeckt hat.
Dieser Magensaft scheint zur Verdauung das
Meiste beyzutragen, indem er die gekauten und
mit den Speichelsäften innigst vermischten Spei-
sen weiters auflöset, und in eine breyartige Masse
verwandelt a).
a) Hunter fand sogar in Leichenöffnungen, daß
der erschlappte, und seiner Lebenskraft beraubte
Magen von dem Magensafte angegriffen war.
Dieses so wichtige Geschäft wird aber auch
noch durch andere Nebenkräfte befördert, worun-
ter vorzüglich die wurmförmige Bewegung sich
auszeichnet, die durch ein beständiges wellenför-
miges Wälzen den Speisebrey desto nachdrückli-
cher verarbeitet a); diese wurmförmige Bewe-
gung hat ihren großen Nutzen, ob sie gleich nicht
so wichtig ist, wie sie von einigen Jathromathe-
matikern geschätzt worden, aber auch nicht die
Hauptursache der Verdauung ist, wie andere
Physiologen mit Unrecht geglaubt haben.
Unter diese Hilfsmittel der Verdauung ge-
hört auch die beständige Bewegung des Zwerch-
fells und der Bauchmuskeln; ferner die außeror-
dentliche heiße Lage des Magens, der von der
großen Menge Blutes der benachbarten Blutge-
fäße und Eingeweide gleichsam gebähet wird. –
Eine Wirkung, die ehmals für so wichtig gehal-
ten wurde, daß man das Verdauungsgeschäft Di-
gestion nannte.
Wieviel Zeit die genossenen Nahrungsmittel
erfordern, bis sie durch die vorerwähnten (§. 361.
u. f.) Kräfte in Nahrungssaft verwandelt wer-
den, läßt sich unmöglich bestimmen, indem die
Verdauung von so verschiedenen Umständen, näm-
lich von der Menge und Verdaulichkeit der Spei-
sen, von der verschiedenen Beschaffenheit der
Dauungssäfte, von dem vorhergegangenen sorg-
[Seite 225] fältigen, oder vernachläßigten Kauen, u.s.w.
mehr oder weniger abhängt.
In einem gesunden und starken Magen ver-
bleiben die Speisen so lange, bis sie zu einem voll-
ständigen Brey verarbeitet sind. Hieraus folgt,
daß der Zeitraum der Verdauung nach Verschie-
denheit der Nahrungsmittel länger oder kürzer
seyn müsse a). Ueberhaupt kann man annehmen,
daß binnen drey bis sechs Stunden nach dem Ge-
nusse der Speisen der in dem vollen Magen be-
findliche Speisenbrey durch den Pförtner nach und
nach ausgeführt werde.
Der Pförtner a) hat eine runde Gestalt;
seine Falten werden nicht, wie die andern Falten
des Magens, blos von der innern Sammethaut
gebildet, sondern er bekömmt auch von der darunter-
liegenden nervigten, und sogar von der Muskel-
haut einige Fasern: alle diese Falten zusammen-
genommen bilden einen kegelförmigen Ausgang,
so daß der Pförtner in den Zwölffingerdarm, wie
der Muttermund in die Scheide, eingefügt ist.
a) Leveling diss. sistens pylorum. Argentor. 1764.
4. recus. in Sandifort Thes. Vol. III.
Nachdem der Speisenbrey aus dem Pförtner in
den Zwölffingerdarm a), einen kurzen aber merk-
würdigen Darm – übergetreten ist, muß er erst
noch mannigfaltige Veränderungen ausstehen, be-
vor er die gehörigen Eigenschaften eines guten
Nahrungssaftes erlangt. Zu dem Ende vermi-
schen sich verschiedene Feuchtigkeiten mit dieser
Masse, worunter die Galle und der Pankreati-
sche Saft die vornehmsten sind.
a) Laur. Claussen de intestini duodeni situ et nexu
Lips. 1757. 4. recus. in Sandifort Thes. Vol. III.
Von jedem dieser Säfte also besonders; und
zwar zuerst von dem Pankreatischen Safte, der mit
denzwo vorerwähnten auflösenden Flüssigkeiten, näm-
lich mit dem Speichel und Magensaft in Rück-
sicht seiner Bestandtheile und seiner Verrichtung
eine große Aehnlichkeit hat.
Ob es gleich sehr schwer hält, den Pan-
kreatischen Saft aus einem gesunden Thiere rein
und unvermischt zu erhalten, so kommen doch alle
angestellte Versuche darinn überein, daß er, im
Ganzen genommen, dem Speichel am ähnlichsten
sey. Ich führe hier die physiologischen Irrthü-
mer eines Franz Sylvius a), und seiner An-
hänger Regn. de Gräf b), Flor. Schuyl c),
und anderer, die diesem Safte eine vorzüg-
liche Schärfe zuschreiben, aber von Pechlin d),
Swammerdam e), und Brunner f), gründ-
lich widerlegt wurden, nur zum Beweis an,
wie mörderisch die Arzneykunst werden kann, wenn
sie von physiologischen Hirngespinnsten geleitet
wird.
a) De chyli a faecibus alvinis secretione. L. B.
1659. 4.
b) De succi pancreatici natura et usu. ib. 1664. 12.
c) Pro veteri medicina. ib. 1760. 12.
d) De purgantium medicaminum facultatibus. ib.
1672. 8.
e) Observationum anatomicarum collegii privati
Amstelodamens. P. II. Amst. 1673. 12.
Dieser speichelförmige Saft wird in der Ma-
gendrüse a) abgesondert; sie ist unter allen zu-
sammengesetzten Drüsen die größte, und ihre
Struktur hat mit den Speicheldrüsen die vollkom-
menste Aehnlichkeit; auch darinn, daß ihre Aus-
führungsgefäße, die allenthalben mit unzähligen
[Seite 228] Würzelchen entspringen, in einen gemeinschaftli-
chen Ausführungsgang sich endigen, den Wir-
süng zuerst entdeckt, und bekannt gemacht hat b).
Dieser Ausführungsgang durchbohret die Häu-
te des Zwölffingerdarms, und ergießt den Saft,
den er aus der Magendrüse an sich gezogen hat,
beständig in die Höhle dieses Darms.
a) Santorini Tab. posthum. XIII. fig. 1.
b) Figura ductus cujusdam cum multiplicibus suis
ramulis noviter in pancreate a Jo. Georg. Wir-
süng Phil. et Med. Doct. in diversis corporibus
humanis observati. Paduae 1642.
Die Entleerung dieses Saftes scheint so,
wie die Ergießung des Speichels, durch Druck
und Reiz befördert zu werden.
Ausgepreßt wird der Saft von dem Magen,
der, wenn er von Speisen voll ist, auf das Pan-
kreas drückt.
Die Reize, welche die Ausleerung des Pan-
kreatischen Saftes befördern, sind sowohl der fri-
sche durch den Pförtner angelangte Speisenbrey,
als auch die Galle selbst, welche mit dem Pan-
kreatischen. Safte durch einen gemeinschaftlichen
Gang ausfließt.
Der Nutzen des Magendrüsensaftes besteht
darinn, daß er den Speisenbrey, besonders als-
dann, wenn der Magen nicht gut verdauet hat,
genauer auseinandersetzt; überhaupt durch seinen
häufigen Zufluß denselben den Säften des mensch-
lichen Körpers mehr verähnlichet, und zur beque-
mern Ausziehung des Nahrungssaftes vorbereitet.
Die Galle wird in der Leber a) abgesondert.
Dieses Eingeweide ist das schwerste und größte
im menschlichen Körper (besonders im ungebohr-
nen Kinde, je näher es noch seinem Ursprunge
ist.) Die Wichtigkeit dieses Eingeweides, und ihr
Einfluß auf alle körperliche Verrichtungen erhellt
schon daraus, daß die Leber, so wie das Herz,
bey allen warmblütigen Thieren niemals fehlt.
a) Eustachii Tab. XI. sig. 3. 4.
Die Leber besteht aus einer eigenen Sub-
stanz, und zeichnet sich schon beym ersten Anbli-
cke von den übrigen Eingeweiden durch ihre be-
sondere Farbe und feinere Struktur aus. Sie
hat zahlreiche Nerven a), lymphatische Gefäße,
(die besonders an beyden Flächen der Leber zum
Vorschein kommen b), ausführende Gallengänge,
und endlich zahlreiche, und darunter ziemlich gro-
ße Blutgefäße c), die aber in verschiedene Arten
[Seite 230] eingetheilt werden, und eine besondere Betrach-
tung verdienen.
a) Walter Tab. nervor. thor. et abdom. T. IV.
b) Maur. v. Reverhorst de motu bilis circulari,
ejusque morbis. Tab. I. fig. 1. 2.
Ruysch ep. problem. V. Tab. VI.
Werner et Feller descriptio vasculorum lacteor.
atque lymphaticorum. Fasc. I. Tab. III. et IV.
Obgleich Herr Walter einige Erinnerungen dage-
gen macht. Annot. academicae. p. 101. seq.
Zuerst also von der Pfortader, deren Ver-
lauf, und von dem ganzen Venensysteme abwei-
chende Gestalt oben (§. 86.) angezeigt worden.
Nämlich die meisten Venen, welche das Blut
aus den Baucheingeweiden zurückführen, vereini-
gen sich in einen Hauptstamm, der in einer zellig-
ten Scheide, die Glissonsche a) Kapsel genannt,
befestigt ist, und nachdem er in die Leber eintritt,
in neue Zweige sich verbreitet, die, je tiefer
sie in die Leber eindringen, in unzählige, äußerst
zarte Reiserchen durch die ganze Substanz dieses
Eingeweides vertheilt werden. Daher das Pfort-
adersystem schon von Galen b) mit einem Baume
verglichen worden, der im Unterleibe Wurzeln
faßt, seine Aeste aber in der Leber ausbreitet.
a) Glissonii anatomia hepatis. p. 305. ed. 1659.
b) Galen de venarum arteriarumque dissectione,
p. 109. Ed. oper. Basil. 1562. Cl. I.
Eine andere Gattung von Blutgefäßen ist
die Leberarterie, ein Zweig der Baucharterie
(coeliaca). Ob sie gleich an Größe und Menge
ihrer Abtheilungen der Pfortader nachstehen muß,
so verbreitet sie sich doch gleichfalls mit unzähli-
gen Zweigen in die ganze Substanz der Leber.
Die äußersten Endungen sowohl der Pfortader
als der Leberarterie verlieren sich in ächte Venen,
die sich allmälig vereinigen, in größere Stämme
zusammenfließen, und endlich in die untere Hohl-
ader sich einsenken.
Diese äußersten Endungen sowohl der Pfort-
ader, als der Leberarterie, welche in die Hohl-
ader übergehen, bilden ungemein feine, in kleine
Bündel zusammengewickelte Gefäße a), wodurch
Malpighi verleitet wurde, sie für drüsigte, sechs-
eckigte, hohle, absondernde Körner zu halten b).
Aus diesen Bündeln der Blutgefäße entsprin-
gen die Gallengefäße (pori biliarii), die unge-
mein zart sind, die Galle aus der Leber an sich
ziehen, und indem sie in dem gemeinschaftlichen
Lebergange zusammenstossen, dieselbe aus der Leber
ausführen.
Man hat die Frage aufgeworfen, ob die
Galle aus der Leberarterie, oder aus dem Blute,
welches durch die Pfortader zurückfließt, abge-
schieden wird.
Obgleich die erstere Meinung durch die Ana-
logie der übrigen Absonderungen, welche sämmt-
lich aus dem arteriösen Blute entspringen, einige
Wahrscheinlichkeit erhält; so zeigt sich doch bey
einer genauen Untersuchung, daß das Absonde-
rungsgeschäft der Galle, wo nicht ganz, wenig-
stens größtentheils der Pfortader zugeschrieben
werden muß. Denn das dicke, mit Brennba-
rem gesättigte Blut der Pfortader hat die größte
Aehnlichkeit mit den Bestandtheilen der Galle,
welche von dem hochrothen, mit Feuertheilchen
gesättigten Blute, das durch die Bauchschlagader
in die Leber vertheilt wird, ganz verschieden ist.
Der aus der Analogie hergenommene Be-
weis ist nicht hinlänglich; denn auch die Pfort-
ader kann sowohl in Rücksicht der Vertheilung ih-
rer Aeste, als ihres Absonderungsgeschäftes mit
einer Schlagader verglichen werden: Ueberdieß
wird unsere Meinung von der Analogie, welche
zwischen der Leber und den Lungen Statt findet,
nicht wenig unterstützt; denn auch die großen Blut-
gefäße der Lungen sind zur Hauptverrichtung des
Athemholens bestimmt, da hingegen die Lungen-
schlagader die Ernährung dieses Eingeweides zu
besorgen hat: und hiezu scheint auch die Leber-
arterie zu dienen; doch mag vielleicht auch die
Leberschlagader an der Absonderung der Galle ei-
nigen, obgleich geringern, und noch nicht hin-
länglich bekannten, Antheil haben.
Die abgesonderte Lebergalle fließt langsam,
aber beständig durch den Lebergallengang aus; sie
ergießt sich durch den gemeinschaftlichen Gallengang
sogleich in den Zwölffingerdarm, wenn derselbe
leer ist; sobald aber dieser Darm vom Speisen-
brey anschwillt, muß die Galle einen andern Weg
nehmen, und fließt alsdann aus dem Lebergallen-
gange durch den Blasengallengang in die Gal-
lenblase, wo sie einige Zeit aufbehalten wird,
und den Namen der Blasengalle erhält. a)
a) Bey Ochsen und andern vierfüßigen Thieren fin-
det man besondere Leber-Blasengänge (ductus
hepato-cystici), wodurch die Galle aus der
Leber unmittelbar in die Gallenblase hingeführt
wird. v. observationes anatom. colleg. privat.
Amstelod. P. I. Amstelod. 1667. 12. p. 16. f. 7.
Perrault Essais de physique. T. I. p. 339. Tab. IV.
Aber sehr unrichtig werden diese Gänge auch in
dem menschlichen Körper angenommen, z.B. de
Haen rat. medendi contin. P. II. p. 46.
Pitschel anatomisch- und chirurgische Anmerkungen
Dresden 1734. 8. Tab. I.
Die Gallenblase ist ein länglichtes, häuti-
ges Behältniß, das eine birnähnliche Figur hat,
an der hohlen Fläche der Leber befestigt ist, und
aus drey Häuten besteht.
Die äußere Haut, welche die Gallenblase
nicht ganz bedeckt, ist eine Fortsetzung des Bauch-
fells.
[Seite 234] Die nervigte Haut, von der die Gallenbla-
se so, wie der Magen, der Darmkanal, und die
Harnblase, ihre vorzügliche Festigkeit hat.
Endlich die innere Haut a) die man mit der
flockigten Haut des Magens (§. 359.) vergleichen
kann; indem sie eben so von unzähligen Blutge-
fäßen durchschlängelt wird, gefaltet ist b), und
sehr zierliche faserigte Netze bildet:
a) Ruysch epist. problem. quinta. T. V. f. 3.
b) Casp. Fr. Wolff de usu plicarum, quae in
vesiculis felleis nonnullorum corporum inve-
niuntur. in Act. acad. scient. Petropol. a. 1779.
P. II.
Der Hals der Gallenblase ist konisch, und
endiget sich in den Gallenblasengang, der schlan-
genförmig gewunden, und innerlich mit faltigten
Klappen versehen ist a).
a) Casp. Fr. Wolff de vesiculae felleae huma-
nae, ductusque humani cystici, et choledo-
chi superficiebus internis. l. c. P. I. Tab. VI.
In diesem Behältnisse verbleibt die Galle,
bis sie entweder in der horizontalen Lage des Kör-
pers durch ihre eigene Schwere sich ergießt, oder
durch den Druck des anliegenden Leer- und Krumm-
darms, oder des queerliegenden Grimmdarms,
während des Durchgangs des Kochs, ausgepreßt
wird. a)
[Seite 235] Auch der Reiz, den der Speisenbrey im
Zwölffingerdarm verursacht, trägt zur Entleerung
der Galle etwas bey.
Ueberdieß besitzt die Gallenblase einen be-
trächtlichen Grad der Zusammenziehbarkeit, wie
wir uns sowohl durch Versuche an lebendigen Thie-
ren, als auch durch einige pathologische Erschei-
nungen überzeugen können, (denn die Gallenbla-
se ist ohne alle Reizbarkeit §. 306.), wodurch
der Ausfluß der Galle wahrscheinlich befördert
wird, besonders alsdann, wenn die Blase von der
enthaltenen Galle gereizt wird.
a) Caldani institut. physiolog. pag. 364. seq. Pa-
tav. 1778.
Obgleich die Blasengalle von der Lebergalle
nicht wesentlich unterschieden ist, (§. 382.) so
hat sie doch das Besondere, daß sie durch ihren
längern Aufenthalt mehr eingedickt, zäher, und
bitterer wird, wozu die Lymphgefäße der Gallen-
blase, welche die wässerigten Bestandtheile der
Galle allmälig einsaugen a), nicht wenig bey-
tragen.
Wir betrachten nun die Galle selbst, eine
der wichtigsten Flüßigkeiten, worüber seit zwan-
zig Jahren mehr, als über irgend eine andere
[Seite 236] Flüßigkeit des menschlichen Körpers, gestritten
worden.
Unsere Untersuchungen beziehen sich zunächst
auf die Blasengalle, indem sie nicht nur vollkom-
mener als die Lebergalle ist, sondern auch leich-
ter in hinreichender Menge erhalten werden kann.
Die Galle, aus der frischen Leiche eines ge-
sunden Menschen genommen, ist ein etwas zäher,
dunkelgelber Saft a), ohne Geruch, und nicht so
bitter, wie die Galle anderer vierfüßigen Thiere.
a) Die Verschiedenheiten der Farbe findet man bey
Bordenave analyse de la bile in Mém. présent.
etc. T. VII. pag. 611–617.
Die Galle zerfällt zwar nicht von freien Stü-
cken, oder durch so leichte chemische Handgriffe
in ihre Bestandtheile, wie das Blut; doch ist
ihre Zerlegung eben keinen besondern Schwierig-
keiten ausgesetzt. Ueberhaupt scheint die Galle
mit dem Blute einige Aehnlichkeit zu haben.
Denn auch die Galle hat einen wässerigten
Bestandtheil, den einige neuere Physiologen den
speichelartigen Bestandtheil nennen; der zwar mit
den wässerigten Theilen des Blutes, aber
nicht ganz mit dem eigentlichen Blutwasser (se-
rum) verglichen werden kann.
Auch wird eine weißlichte geronnene Mate-
rie aus der Galle abgeschieden, welche mit der
gerinnbaren Lymphe des Blutes eine enfernte
Aehnlichkeit hat.
[Seite 237] Der vorzüglichste Bestandtheil der Galle ist
das Brennbare a), das in dem aus der Pfort-
ader zurückfließenden Blute in großer Menge sich
befindet.
Von diesem entzündlichen Bestandtheil, den
man am leichtesten an der ausgetrockneten Galle,
noch auffallender aber an den Gallensteinen a)
wahrnimmt, indem dieser eingedickte Saft Flam-
men fängt, rührt die auszeichnende Farbe, der
Geruch u.s.w. der Galle her; und von eben die-
sem Bestandtheil sind auch die Wirkungen der
Galle auf das Verdauungsgeschäft vorzüglich her-
zuleiten.
a) Obgleich die Gallensteine an Gestalt, Krystalli-
sation u.s.w. sehr verschieben sind, so kamen alle
Gallensteine, die ich untersuchte (wozu man in Göt-
tingen öfters Gelegenheit hat), darinn überein, daß
sie sich leicht entzündeten, und aus einem dem Wall-
rath ähnlichen Gewebe bestanden.
Der Nutzen der Galle besteht nicht darinn,
daß sie als ein seifenhaftes Gemische die wässe-
rigten und öligten Theile mit einander verbindet;
(ein Irrthum des Boerhaavens, der sowohl
durch Schröders a) als durch anderer Physiolo-
gen b) angestellte und wiederholte. Versuche voll-
kommen widerlegt ist.) Die Galle dient vielmehr
dazu, die schon vereinigten Bestandtheile zu zer-
[Seite 238] setzen, und von einander zu trennen c); und wi-
dersteht, ohnerachtet sie kein Laugensalz enthält
d), sowohl der sauren Gährung, als der Fäul-
niß u.s.w.
a) Experimentorum ad veriorem cysticae bilis
indolem explorandam captorum. Sect. I. Götting.
1764. 4.
b) Spielmann de natura bilis. Argent. 1767. 4.
Ger. Gysb. Ten Haaf de bile cystica. L. B. 1772. 4.
G. Chr. Utendörfer Exp. de bile. Argent. 1774. 4.
Dav. Willink Consideratio bilis. L. B. 1778. 8.
Seb. Goldwitz Neue Versuche zu einer wahren Phy-
siologie der Galle. Vamb. 1785. 8.
c) Marherr Praelect. in Boerh. institut. Vol. I.
p. 463. 478. ed. 1785.
Aus dem bisher Gesagten erhellt der wichti-
ge und mannigfaltige Einfluß der Galle auf die
Bereitung des Nahrungssaftes.
Sobald nämlich der im Magen gehörig ver-
arbeitete, und von dem Magendrüsensaft verdünn-
te Speisenbrey durch die dünnen Därme sich fort-
bewegt, schlägt die Galle die zur Ernährung un-
nützen Theile nieder, und erleichtert dadurch die
Vereinigung der Bestandtheile des Milchsaftes.
Die Galle selbst trennt sich alsdann in zwey
Bestandtheile, in den wässerigten, und in den
brennbaren; letzterer wird mit den Excrementen,
die ihre Farbe davon haben, aus dem Körper
[Seite 239] entleeret; der wässerigte Bestandtheil geht, wie
es wahrscheinlich ist, mit dem Milchsaft in das
Blut über.
So wird das in der Blutmasse überflüßige,
und nachtheilige Brennbare in der Leber abgesetzt,
und zur Bereitung eines der nützlichsten Säfte ver-
wandt, der aber, nachdem er den erzielten Nutzen
hervorgebracht hat, als ein unnützer, und sogar
schädlicher Theil mit den Excrementen ausgewor-
fen wird.
Auch die fixe Lust, welche in dem Speisen-
brey noch enthalten ist, wird von der Galle mehr
entwickelt; übrigens scheint die Galle den Darm-
kanal zu reizen, und die wurmförmige Bewegung
zu befördern.
Man hat zwar der Galle auch noch so man-
chen andern Nutzen zugeschrieben, woran ich we-
nigstens sehr zweifle. So soll z.B. die Galle,
indem sie in den leeren Magen sich zurück ergießt,
die Eßlust erregen; welches doch im gesunden Zu-
stande nicht wohl sich ereignen wird, u.a.m.
Die Milz liegt auf der linken Seite der Leber
gegenüber, mit der sie sowohl durch Blutgefäße,
als durch die Aehnlichkeit ihrer Verrichtung in ge-
nauer Verbindung steht a); sie hat eine länglich-
te Gestalt b); schmiegt sich überhaupt an alle be-
nachbarte Eingeweide, zwischen denen sie liegt; ist
aber übrigens in Ansehung ihrer Gestalt, Anzahl,
u.s.w. mannigfaltigen Launen der Natur ausge-
setzt c).
a) Alles, was bis auf seine Zeiten von der Milz
bekannt war, hat Karl Drelincourt der Sohn mit
großem Fleiß gesammelt, in seiner Abhandlung de
lienosis, welche sich am Ende der Werke seines Va-
ters befindet, nach der Boerhaavischen Ausgabe.
S. 720.
In spätern Zeiten Chr. Lud. Roloff de fabrica et
functione lienis. Frf. ad Viadr. 1750. 4.
b) Eustachii Tab. XI. fig. 8. 9.
Bidloo vindiciae delineationum anatom. contra
animadv. Ruyschii L. B. 1607. 4. Tab. III. fig. 1.
Ihre Farbe ist etwas blauroth; ihre Sub-
stanz ist locker, zerreiblich, und ist leicht zu zer-
reißen, daher sie auch in eine doppelte Haut ein-
gehüllt ist; die innere Hülle ist eine eigenthüm-
liche Membran der Milz, die äußere aber scheint
eine bloße Fortsetzung des Netzes zu seyn.
Sowohl die Lage als der Umfang der Milz
sind eben so, wie ihre Figur, sehr veränderlich,
und richten sich überhaupt nach der Völle oder
Leere des Magens; denn die Milz strozt vom Blu-
te, wenn der leere Magen erschlappt im Unterlei-
be schwebt; wird aber der Magen ausgedehnt,
so drückt er auf die Milz, und preßt das Blut
aus diesem Eingeweide aus.
Ueberdieß befindet sich die Milz, indem sie
zunächst unter dem Zwerchfelle, als dem
Hauptwerkzeug des Athemholens, liegt, in einer
gelinden aber unausgesetzten Bewegung, welche
von dem Aus- und Einathmen abhängt.
Ehmals glaubte man, die Milz bestün-
de aus einem zelligten Gewebe, und man gieng
so weit, daß man ihren Bau mit den schwam-
migten Körpern des männlichen Zeugungsgliedes
verglich; allein diese Meinung ist hinlänglich wi-
derlegt a), und man weis nun zuverläßig, daß
die Milz größtentheils aus Blutgefäßen besteht,
deren Durchmesser im Verhältniß zu dem kleinen
Umfang dieses Eingeweides so groß ist, daß die
Milz unter die blutreichsten Eingeweide gehört.
a) Lobstein diss. nonnulla de liene sistens. Argenr.
1774. 4.
Die Milzarterie, (arteria lienalis) welche
nach Wintringham's Versuchen durch eine unge-
meine Festigkeit ihrer Membranen sich auszeichnet,
theilt sich, indem sie in die Substanz der Milz
fortgeht, immer in kleinere Zweige, deren äußer-
ste Endungen in breyweiche Bündel sich verlieren,
aus denen die kleinsten Blutadern entspringen,
welche allmälig in weitere und leicht ausdehnbare
Stämme zusammenfließen.
Dieser außerordentliche Vorrath von Blut-
gefäßen wird durch etwas Zellenstoff befestigt und
unterstützt; aus diesem Gewebe entspringen die
einsaugenden Gefäße, deren Stämme vorzüglich
an der innern Fläche der Milz, zwischen beyden
oben angezeigten Membranen, sichtbar sind a)
a) Hewson's sonderbare Meinung von dem Nutzen
der Milz, indem er die einsaugenden Gefäße für Aus-
führungsgänge ansieht, steht in dem nach seinem To-
de herausgegebenen Werke: Experimental inquiries P.
the. 3d. Lond. 1777. 8. C. II.
Dieser lockere, eine so große Menge Blut
aufnehmende Bau der Milz entspricht genau dem-
jenigen, was ich vorher von dem Anschwellen die-
ses Eingeweides gesagt habe (§. 395.): Wenn
man überdieß die Anhäufung, und den langsamen
Rückfluß des Blutes in der Milz, und die Be-
schaffenheit der benachbarten Eingeweide betrach-
tet, so erlangen wir, aus diesem allen zusam-
mengenommen, über die Eigenschaften des in der
[Seite 243] Milz abgesonderten Blutes, und folglich auch über
die Verrichtung der Milz selbst, ganz befriedi-
gende Aufschlüße.
Das in der Milz abgesonderte Blut ist sehr
dünn, aufgelöst, gerinnet nicht leicht, und das
Serum läßt sich schwer von dem Blutkuchen tren-
nen; seine Farbe ist dunkel, wie das Blut im
ungebohrnen Kinde. – Lauter Anzeigen von ei-
nem Ueberfluß an brennbarem Stoffe. Dieß
erhellt aber noch deutlicher aus folgendem, leicht
anzustellendem Versuche: wenn man eine frische aus
dem menschlichen Körper genommene Milz in Stück-
chen zerschneidet, und der dephlogistisirten Luft
aussetzt, so bemerkt man deutlich, wie diese Theil-
chen der Milz eine röthere Farbe annehmen, die
Luft hingegen, indem sie ihre Feuermaterie fah-
ren läßt, von dem aus der Milz übergehenden
Brennbaren verunreinigt wird.
Aus diesem allen zusammengenommen, be-
sonders aber aus dem Umstande, daß die Milz
das einzige Eingeweid ist, welches, außer seinen
Blutgefäßen, die alle in die Leber gehen, keinen
Ausführungsgang hat, erhellt ganz deutlich, daß
die Milz vorzüglich zur Verrichtung der Leber dient,
und durch den Absatz seines überflüßigen Brenn-
baren auch zur Bereitung der Galle nicht wenig
beyträgt.
Diese Meinung wird besonders durch die Be-
obachtung unterstützt, daß die Blasengalle derje-
nigen Thiere, denen man die Milz ausschneidet,
(ein Versuch, der in altern Zeiten angestellt wor-
[Seite 244] den a), bläßer ist, weniger Brennstoff hat, und
ihr lymphatischer Bestandtheil in kleine Klumpen
zusammengeronnen erscheint.
a) I. H. Schulze de splene canibus exciso, Hal.
1735. 4.
Das sogenannte große Netz – (omentum ga-
strocolicum) – a), (um es durch diese Benen-
nung von dem kleinern Netze – (hepaticogastri-
cum) – b) zu unterscheiden), ist eine merkwür-
dige Verlängerung des Bauchfells, und entsteht
zunächst von der äußern Haut des Magens.
Halleri Icones anat. Fasc. I. Tab. IV. K. M. –
Daselbst ist auch die Abbildung des Grimmdarm-
netzes, welches Hr. v. Saller zuerst im Jahre
1740. untersucht hatte.
Rob. Steph. Henrici descript. omenti cum icone
nova. Hafn. 1748. 4.
Obgleich das Bauchfell in unzählige Fal-
ten sich verlängert, und beynahe alle in der Bauch-
höhle befindlichen Eingeweide einschließt, und über
[Seite 246] ihre Oberfläche sich ausbreitet, so sind doch diese
Verlängerungen so mannigfaltig, daß man sie un-
ter gewissen allgemeinen Beziehungen betrachten
kann.
Das Bauchfell legt sich manchmal nur über
die Eingeweide, oder überzieht nur eine Strecke
derselben; z.B. bey den Nieren, dem Mast-
darm, der Harnblase, und einigermassen auch
bey der großen Magendrüse, und der Gallenblase.
Einige Eingeweide werden nicht bloß an ih-
ren Seitenflächen, sondern an ihrer ganzen Ober-
fläche, so weit dieselbe nur immer in die Bauch-
höhle sich erstreckt, von dem Bauchfelle überzo-
gen: dieß ist der Fall bey der Leber, der Milz,
auch bey dem Magen, und der Gebährmutter,
und sogar bey den Hoden in dem ungebohrnen
Kinde.
Ganz anders verhält sich die Sache bey dem
Darmkanal (den Mastdarm ausgenommen), der
bis in die Hälfte des Unterleibs zwey ungemein
breite Falten des Bauchfells, von denen er gleich-
sam festgehalten wird, mit sich führt, nämlich
das Gekröse der kleinen Gedärme (mesenterium),
und das Grimmdarmgekröse (mesocolon); un-
ter diese breitern Fortsätze des Bauchfells können
auch die breiten Mutterbänder gerechnet werden.
Eine der längsten, und sonderbarsten Ver-
längerungen des Bauchfells ist unstreitig das Netz:
ein weiter, häutiger, äußerst zarter Sack, der
von dem untern Rande des Magens entsteht, über die
dünnen Gedärme frey in den Unterleib herabsteigt,
an allen Krümmungen dieser Därme befestigt ist,
und alle Zwischenräume ausfüllt.
Außer den häufigen Blutgefäßen, welche das
Netz durchschlängeln, besteht dieser ganze häutige
Sack aus einer Menge netzartiger Fächer, die bey
fetten Personen manchmal auf eine lästige, und
der Gesundheit nachtheilige Weise ausgedehnt wer-
den; in diese Fächer duftet beständig eine fette
Feuchtigkeit aus, wodurch das ganze Netz gleich-
sam eingeölt wird.
Viele vortreffliche Physiologen waren der
Meinung, die sogar Herr von Haller durch
neue Beweisgründe unterstützte, daß dieses Fett
eingesogen, zur Leber hingeführt würde, und so
den Hauptstoff zur Bereitung der Galle liefere u.
s. w. Allein ich zweifle noch sehr daran, indem
ich überzeugt bin, daß die Galle in dem gesun-
den Zustande keine öligten Theile enthält; Sogar
in Fröschen konnte ich jene einsaugende Mündun-
gen, die Malpighi a) gesehen haben will, nicht
entdecken, und noch viel weniger ist mir dieß in
dem menschlichen Netze gelungen.
a) De omento, pinquedine, et adiposis ductibus.
p. 96. Ed. 1669.
Allein der wahre, und allgemein anerkannte
Nutzen des Netzes besteht darinn, daß der Darm-
kanal schlüpfrig erhalten, und die Reibung, wel-
che bey der beständigen Bewegung der Gedärme
unvermeidlich ist, vermindert wird.
[Seite 248] Einen ähnlichen Nutzen scheinen auch die klei-
nen Fettsäcke zu haben, welche an dem Grimm-
a) und Mastdarm b) angetroffen werden.
Auch hindert das Netz das Zusammenwachsen
der Därme mit dem Bauchfell, wodurch das gan-
ze Dauungsgeschäft in die größte Zerrüttung ge-
rathen würde.
a) Walter Tab. nervor. thorac. et abdom. Tab.
II. m. m. m.
b) Bidloo anatomia humani corporis. tab. XXXIX.
fig. 6. C. C. C. D. D. D.
Daß aber das Netz die Kälte abhalten soll,
ist wohl nicht wahrscheinlich; indem das Netz bey
einem gesunden Menschen niemals mit einem lä-
stigen Fett beschwert seyn darf.
Indessen scheint mir der Hauptnutzen des Ne-
tzes, wenn ich besonders den Bau des kleinen Ne-
tzes betrachte, noch gänzlich unbekannt zu seyn,
und kann nur durch die vergleichende Anatomie
entdeckt werden.
Der Darmkanal, der von dem Netze überzo-
gen wird, und in den der Speisenbrey (§. 367.
368.) gelanget, aus dem sodann der Nahrungs-
saft ausgezogen, und von dem Unrathe getrennt
wird, besteht aus zwey langen Kanälen, deren
Verrichtungen wir nun insbesondere betrachten
wollen.
Die dünnen Därme a) werden wiederum in
drey Abschnitte getheilt, nämlich in den Zwölffin-
gerdarm, den Leerdarm, und den Krummdarm.
Der erste dünne Darm hat seine Benennung
einigermassen von der Länge.
Der zweyte heißt so, weil er in frischen
Leichnamen zusammengefallen, und gleichsam leer
gefunden wird, indem er schon eine breyartige
Speisemasse enthält.
In dem letzten dünnen Darm trift man schon
Koth, und entwickelte fixe Luft an; er ist auch
der längste unter den dünnen Därmen, und heißt
[Seite 250] daher auch der gewundene Darm; auch ist er
strotzender als die übrigen, und gleichsam aufge-
blasen, und schon nach Art der dicken Därme
hier und dort in Blasen abgetheilt.
a) Chr. Bernh. Albini specimen anatomicum ex-
hibens novam hominis intestinorum descriptio-
nem. L. B. 1724. 8.
Der Bau der dünnen Därme ist ohngefähr
derselbe, wie beym Magen (§. 359.)
Die äußere Haut ist eine Verlängerung des
Gekröses.
Die Muskelhaut besteht aus zweyerley Fa-
sern, nämlich aus länglichten, welche näher an
der Oberfläche der Därme sich befinden, beson-
ders an derjenigen Fläche des Darmkanals, wel-
che dem Gekröse gegenüber liegt; sodann aus
Kreisfasern, welche mehr nach innen liegen, und
den Darmkanal verengern, so wie hingegen die
erstern denselben verkürzen. In dieser Muskel-
haut hat die außerordentliche Reizbarkeit der Ge-
därme ihren Sitz (§. 305.)
Die Zellhaut (nervea) besteht aus einem
zelligten Stoffe, der durch Einblasen in ein schwam-
migtes Gewebe aufgelöst werden kann a). In
dieser Haut verbreiten sich auch die Blutgefäße
des Gekröses b) in Gestalt kleiner Bäumchen c),
wodurch die Gedärme Festigkeit und Stärke er-
langen.
Die innerste Haut endlich, welche besonders
in den dünnen Gedärmen den Namen der flockig-
ten Haut verdient, bildet mit der innern Fläche
[Seite 251] der Zellhaut (nervea) verschiedene Falten, wel-
che in aufgeblasenen und getrockneten Därmen ei-
ne klappenartige Gestalt haben, und daher von
ihrem Erfinder Kerkringische Klappen genannt
werden d).
a) B. S. Albini annot. acad. L. II. Tab. IV. fig. 1. 2.
b) Eustachii Tab. XXVII. fig. 2. 4.
c) B. S. Albini diss. de arteriis et venis intestino-
rum hominis. c. icon. colorib. distinct. L. B.
1736. 4.
Diese Flocken, die in einer überaus großen
Menge a) an der innern Haut der dünnen Därme
hervorragen, und die zuerst von Lieberkühn b)
genauer untersucht worden sind, stellen, wenn der
Darmkanal vom Nahrungssafte leer ist, frey-
schwebende, aus einem lockern Zellgewebe beste-
hende Täschchen vor, sobald sie aber von der ein-
gesogenen Nahrungsmilch aufschwellen, nehmen
sie die Gestalt unserer eßbaren Morcheln an.
a) Nach Lieberkühn befinden sich in den dünnen
Därmen ungefähr 500,000 solche Flöckchen.
b) De fabrica et actione villorum intestinorum
hominis. L. B. 1745. 4.
An der Grundfläche dieser Flöckchen befinden
sich unzählige Schleimdrüschen, die vorzüglich
[Seite 252] an der Zellhaut befestigt sind, und durch ihre klei-
ne Mündungen, welche sich in hie Därme öffnen,
den Schleim, womit der ganze Darmkanal über-
zogen ist, absetzen.
Diese Darmdrüschen werden gewöhnlich in
drey Klassen eingetheilt:
1) Die Brunnerischen, nämlich die größten,
welche einzeln sitzen, und besonders an demjeni-
gen Theile des Zwölffingergedärms, der zunächst
am Pförtner sitzt, angetroffen werden a).
2) Die Peyerischen, nämlich die kleinern,
welche an dem äußern, gegen die Grimmdarm-
klappe gelegenen Ende der dünnen Därme hau-
fenweise sitzen b).
3) Endlich die kleinsten Lieberkühnischen,
deren ungefähr 8. auf ein Flöckgen gezählt wer-
den c).
Indessen scheint mir diese Eintheilung der
Schleimquellen nicht in der Natur gegründet zu
seyn. Denn sowohl die Brunnerischen als Peye-
rischen Drüschen sind so, wie man sie abgebil-
det sieht, vielmehr eine Wirkung des kranken Zu-
standes; und ich habe wenigstens in gesunden
Leichnamen auch nicht einmal eine Spur solcher
schleimabsetzenden Mündungen entdecken können;
hingegen fand ich oft bey Leichenöffnungen an
Schwämmchen verstorbener Personen den ganzen
Darmkanal mit solchen theils einzelnen, theils zu-
sammengehäuften Drüschen besetzt d). Es ver-
dienen also nur jene kleine, gleichsam hirsenför-
mige Drüschen den Namen ächter Schleimdrüs-
chen; man kann sie an der Seite, mit der sie an
der Sammethaut sitzen, wenn man diese behut-
sam ablöser, ausnehmend deutlich wahrnehmen.
a) Jo. Conr. a Brunn glandulae duodeni, s. pan-
creas secundarium. Frf. 1751. 4. fig. 1.
b) Jo. Conr. Peyer de glandulis intestinorum. Sca-
phus. 1677. fig. 3.
c) Lieberkühn l. c. p. 17. Tab. III.
d) Diese Darmschwämmchen hatten die größte Aehn-
lichkeit mit jenen Erhabenheiten, die Sheldon
für Bläschen hielt, die vom Milchsaft strotzen.
Daß sich aber auch in die Gedärme, so wie
in den Magen, ein besonderer Saft ergieße,
der daher dar Darmsaft heißt, erhellt vorzüg-
lich aus dem bekannten Versuche, den, wofern
ich nicht irre, Pechlin a) zuerst angestellt hat;
wahrscheinlicherweise hat diese Flüßigkeit mit dem
Magensafte ähnliche Eigenschaften; doch ist uns
bisher die Natur des Darmsaftes noch nicht hin-
länglich bekannt. Auch getraue ich mir nicht die
Menge zu bestimmen, in der diese Feuchtigkeit
abgesondert wird; denn Hallers Schätzung, acht
Pfund binnen 24. Stunden, scheint mir wenig-
stens übertrieben.
a) Pechlin de purgantium medicamentorum facul-
tatibus. p. 509. Tab. IV.
Uebrigens haben auch die Därme eine wurm-
förmige Bewegung a), die aber viel lebhafter
ist, als die Wurmbewegung des Magens; durch
diese wellenförmige und fortschreitende Zusammen-
ziehung wird der Speisenbrey gelinde verarbeitet,
und von dem Zwölffingerdarm nach den dicken
[Seite 254] Därmen hingetrieben. Die umgekehrte wurm-
förmige Bewegung (motus antiperistalticus),
durch welche der Darmkanal die Speisemasse zu-
weilen rückwärts treibt, ist im gesunden Zustande
ungleich schwächer, seltener, und blos vorüber-
gehend.
a) Benj. Schwartz de vomitu et motu intestino-
rum. L. B. 1745. 4.
Jac. Foelix de motu peristaltico intestinorum.
Trevir. 1750. 4.
Durch diese bisher namhaftgemachte bewe-
gende Kräfte, und durch den beständigen Zufluß
auflösender Säfte ereignen sich in dem Speisen-
brey merkwürdige Veränderungen, welche vorzüg-
lich darinn bestehen, daß die ganze Speisenmasse,
welche in dem Leerdarm noch einen grauen, durch-
aus gleichgemischten Brey vorstellte, in dem Krumm-
darm in zwey verschiedene Theile sich zu scheiden
anfängt: nämlich in den Darmkoth (faeces),
der eine gelbe, etwas bräunliche Farbe a), und
einen widrigen Geruch hat, und in den oben
schwimmenden Milchsaft, der durch den Beytritt
der Galle von dem Darmkothe entwickelt wird,
und zur Einsaugung in die Milchgefäße bestimmt
ist, wovon in dem folgenden Abschnitte gehandelt
wird; vorher aber wollen wir den Weg anzeigen,
den der Darmkoch zurücklegen muß.
a) Daß die gelbe Farbe des Darmkoths von dem
phlogistischen Bestandtheile der Galle herrühre,
ist oben (§. 392.) gesagt worden. In dem Leer-
[Seite 255] darm kann die Galle, da sie noch mit dem Spei-
senbrey gleichsam innigst gemischt, und verdünnt
ist, ihre wahre Farbe nicht zeigen; sobald sie a-
ber in der Folge in ihre zwey Bestandtheile ge-
schieden wird, verbindet sich der phlogistische Theil
mit dem Darmkothe, bekömmt seine natürliche
Farbe wieder, und theilt dieselbe sogar dem Darm-
kothe mit.
Herr Wolf (act. petropolit. 1779. P. II. p. 245.)
leitet zwar die gelbe Farbe des in dem Krumm-
darm enthaltenen Kothes von einer andern Ursa-
che her. Er ist der Meinung, daß gegen den An-
fang dieses Darms eine neue Quantität Galle
hinzukomme, welche aus der Gallenblase durch-
schwitzt, und so in den Krummdarm und in den
Darmkoth dringe; diese Galle sey überdieß, wo-
fern nicht ganz verschieden von der Galle, welche
durch den gemeinschaftlichen Gallengang ausfließt,
wenigstens mit dem Darmkothe nicht so genau
vermischt, wie jene mit dem Speisenbrey sich ver-
bindet, indem, sie ihre eigenthümliche Farbe bis
zum Austritt aus dem Mastdarm beybehält.
Allein zu geschweigen, daß die Ursache, warum die-
se Farbe nicht ehe zum Vorschein kömmt, bis der
Speisenbrey und die Galle in ihre Bestandtheile
zersetzt werden, leicht anzugeben ist, so zweifle
ich auch sehr, ob die Galle jemals im gesunden
Zustande aus der Gallenblase in den naheliegen-
den Darm durchschwitzen könne. Denn ich habe
in frischen, und fast noch warmen Leichnamen
die angränzenden Därme von der Galle kaum
gefärbt angetroffen; allein einige Stunden oder
[Seite 256] Tage nach dem Tobe erschienen die Därme in ei-
ner breiten Strecke von diesem galligten Safte
durchdrungen; wenn nämlich die erschlappte und
kraftlose Gallenblase die Galle nicht wohl zurück-
zuhalten im Stande ist, und die Galle nun selbst,
indem sie durch die Häute der Gallenblase häufi-
ger durchschwitzte, die benachbarten Eingeweide
färbet.
Der Darmkoth wird auf seinem langen We-
ge durch den Krummdarm immer dicker, und ge-
langt endlich, indem er durch die Grimmdarm-
klappe dringt, in die dicken Därme. Zur Er-
leichterung dieses Ueberganges ist das äußerste
Ende des Krummdarms mit einem häufigen Schlei-
me überzogen, und schlüpfrig gemacht.
Die Grimmdarmklappe a), oder wie sie viel-
mehr nach ihrem wahren Erfinder heißen sollte,
die Fallopische b) Klappe, ist ein kleiner Fortsatz
des Krummdarms, der in die dicken Därme,
welche ihn fest umschließen, eingeschoben ist, und
dessen Rände, welche eine stark hervorragende
Falte bilden c), sowohl aus der Zellhaut, als
auch aus den Muskelfasern dieses Darms zusam-
mengenommen bestehen. Hieraus erhellt deutlich
die Verrichtung dieser Klappe: sie verzögert den
Uebergang des Darmkoths in die dicken Därme,
verhindert aber zugleich, daß die Exkremente
nicht in die dünnen Därme zurücktreten.
a) Haller de valvula coli. Götting. 1742. 4. –
recus. in oper. minor. T. I. p. 580.
Jo. Mich. Röderer de valvula coli. Argentorat.
1768. 4.
b) Die Meinungen von dem wahren Entdecker die-
ser Klappe sind sehr verschieden, wie man in
Hallers großer Physiologie Tom. VII. P. I. p.
142. nachlesen kann.
Indessen bin ich überzeugt, daß diese Klappe schon
lange vorher dem großen Zergliederer Gabr. Fal-
lop bekannt gewesen. Dieß erhellt aus einer zu
Padua i. I. 1553. 2ten Febr. gehaltenen öffentli-
chen Vorlesung über die Zergliederung eines Af-
fen, welche sich in den noch ungedruckten Hand-
schritten dieses Gelehrten auf der k. Bibliothek
zu Göttingen befindet, worinn er diese Klappe
ausführlich beschreibt: ‘„coeci usus est in simiis
ne regurgitet cibus ad partes superiores, cum
prona incedunt: quodque hic usus sit, signum
est, quia, si in rectum aqua immittatur, aut
flatus, pervenit in coecum, non transgreditur
autem crassa. At si superius immittatur, per-
transiet. Ratio est: quia ad insertionem ilei
plicae sunt duae, quae in inflatione et repletio-
ne comprimuntur, ut in corde fit, et prohibent
regressum; unde nec clysteria possunt perveni-
re ad partes illas, et pertransire, ita, ut eji-
ciantur per vomitum in homine, nisi debilibus,
et morbo existentibus intestinis.“’
c) Eine Abbildung dieser Klappe in ihrem frischen
und unversehrten Zustande hat uns Albin ge-
liefert. Annot. acad. I. III. Tab. V. fig. 1.
Auch bey Santorini Tab. posth. XIV. fig. 1–2.
ist diese Klappe abgebildet, doch so, wie sie durch
[Seite 258] Aufblasen, und Austrocknung verändert er-
scheint.
Die dicken Därme, die gleichfalls in drey
Abschnitte eingetheilt werden, nehmen ihren An-
fang bey dem Blinddarm (woran sich der wurm-
förmige Fortsatz befindet, dessen Nutzen im er-
wachsenen Menschen noch ungewiß ist a), und
machen überhaupt einen weiten Kanal aus, wo-
rin die Exkremente langsam angehäuft, und bis
zur gehörigen Entleerung aufbewahrt werden
können.
a) Lieberkühn de valvula coli, et usu processus
vermicularis. L. B. 1739. 4.
Ioach. Vosse de intestino coeco, ejusque appen-
dice vermiformi. Götting. 1749. 4.
Die dicken Därme unterscheiden sich von den
dünnen sowohl durch ihren größern Durchmesser,
als auch durch die Dicke und Festigkeit ihrer Häu-
te. Ihre Muskelhaut zeichnet sich besonders da-
durch aus, daß die länglichten Muskelstreife, das
äußerste Ende des Mastdarms ausgenommen, in
drey sogenannte Streife oder Bande des Grimm-
darms a) sich vereinigen, wodurch dieser Darm in
eben so viele wulstartige Abschnitte getheilt wird,
auch die Sammethaut der dicken Därme ist gefal-
teter, als in den dünnen, und hat mit der Sam-
methaut des Magens eine größere Aehnlichkeit.
a) Eustach. Tab. X. fig. 2. 4. 5.
[Seite 259]Die wurmförmige Bewegung ist in den di-
cken Därmen schwächer, als in den dünnen. De-
sto stärker hingegen wirkt die Verdauungspresse
(prelum abdominale) auf die dicken Därme,
indem der ganze Grimmdarm der Bewegung des
Zwerchfells, und der Bauchmuskeln zunächst aus-
gesetzt ist.
So wird in den dicken Därmen der Darm-
koth langsam fortbewegt, bis er endlich in den
Mastdarm gelangt, und durch seinen innerlichen
Reiz einen Drang zur Entleerung bewirket. Die-
se Ausleerung wird erleichtert durch die Abwesen-
heit der Queerfalten, vorzüglich aber durch die
Menge des Schleimes, der den Mastdarm schlüpf-
rig macht.
Diese Ausleerung wird endlich vollkommen
zu Stande gebracht, indem das herumgetriebene
Zwerchfell, und die zusammengezogenen Bauch-
muskeln die Gedärme von allen Seiten zusammen-
pressen, und den Widerstand des Steisbeins, und
beyder Schließmuskeln, nämlich des innern, der
einen runden fleischigten Wulst vorstellt, und des
äußern, der ein bloßer Hautmuskel ist, überwäl-
tiget; worauf der Stuhldrang nachläßt, der Mast-
darm von dem Aufhebmuskel in die Höhe gezogen,
und von den Schließmuskeln wieder geschlossen
wird. a)
a) Santorini Tab. posth. XVI. XVII.
a) W. Hewson's Experimental inquiries into the
lymphatic system. London 1774. 8.
Scheldon's, Werner's, und Feller's angeführte
Werke.
Mascagni prodrome d'un ouvrage sur les vais-
seaux lymphatiques. Senis. 1784. fol.
Daß der Nahrungssaft, welcher in dem Krumm-
darm von dem Darmkothe getrennt wird, aus
verschiedenen Gattungen von Säften zusammen-
gesetzt sey, ist aus dem, was bisher gesagt wor-
den, leicht zu begreifen. Daß aber die einheimi-
schen Säfte, nämlich der Speichel, der Magen-
saft, der pankreatische Saft, der Darmsaft u.
s. w., welche sich beständig mit dem Speisenbrey
vermischen, so wenig man auch im Ganzen die
Menge dieser Flüßigkeiten zu bestimmen im Stan-
de ist, ungleich beträchtlicher sind, als der eigent-
liche aus den Nahrungsmitteln ausgesogene Saft,
scheint mir eine ausgemachte Wahrheit zu seyn.
Hierauf beruhet auch die Auflösung der Aufgabe,
wie es zugehe, daß der Speisenbrey, ohnerach-
[Seite 261] tet derselbe aus so mannigfaltigen Säften besteht,
in eine gleichartige, der thierischen Natur so ganz
entsprechende Nahrungsmilch verwandelt wird.
Die Wege, welche der Nahrungssaft, be-
vor er aus dem Darmkanal in die Blutmasse über-
geht, durchwandeln muß, machen einen Theil
des einsaugenden Systems aus, dessen wir bisher nur
im Vorbeygehen erwähnt haben, das aber itzt ei-
ne eigene Betrachtung erfordert. Dieses System
besteht eigentlich aus vier Theilen, nämlich aus
den Milch- und lymphatischen Gefäßen, aus den
lymphatischen Drüsen (glandulae conglobatae),
endlich aus der Speisesaftröhre (ductus thora-
cicus); jeden dieser Theile wollen wir nun ins-
besondere betrachten.
Anlangend den Ursprung der Speisesaftsge-
fäße, so ist es ausgemacht, daß sie an den vor-
her erwähnten Flocken der innern Darmhaut ent-
springen; nur wissen wir noch nicht zuverläßig,
ob diese Gefäße unmittelbar aus den Flocken ih-
ren Anfang nehmen, oder mittelst einer Zellhaut
in einer entferntern Verbindung mit denselben ste-
hen; denn bis itzt ist es noch keinem Zergliederer
gelungen, den Verlauf dieser Gefäße bis zu den
Flocken selbst zu verfolgen, um ihre unmittelbare
Verbindung erweisen zu können; sie entstehen hier
und da zwischen den Häuten der Därme in klei-
nen Stämmchen, die den Nahrungssaft, nach-
dem er, wie es wahrscheinlich ist, zuerst von den
Flöckchen eingesogen worden, durch ihre einsau-
gende Kraft weiter befördern. Wenigstens glau-
[Seite 262] be ich dieß öfters an jungen Hunden wahrgenom-
men zu haben, denen ich Lister's a) Ver-
suche zufolge, ein paar Stunden vor der Aufschnei-
dung des Unterleibes eine Indigoauflösung einge-
gossen hatte.
Diese Stämmchen aber laufen einige Linien
lang zwischen der innersten Darmhaut fort, und
schlängeln sich oft in unzähligen Krümmungen,
bevor sie in das Gekröse übergehen.
Bey ihrem Verlauf durch das Gekröse ver-
theilen sich die Speisesaftsgefäße an verschiedenen
Stellen in die Gekrösdrüsen, die man in zwey
Gattungen unterscheidet. Einige kleinere, boh-
nenförmige Drüschen befinden sich naher an dem
Darmkanal; andere aber ungleich größere, und
zusammengehäufte Drüsen liegen näher an dem
Speisesaftsbehälter.
Beyde Gattungen der Milchsaftsgefäße sind
wahrscheinlich bloße Verwicklungen lymphatischer
Gefäße, mit denen sich Blutgefäße verbinden a);
wodurch zwar der Lauf des Speisesafts etwas ge-
hemmt, aber eben durch diese Verweilungen mit
der thierischen Natur genauer verähnlicht wird;
bevor er in den Brustkanal, und aus diesem in
die Blutmasse übergeht.
a) Boerhaavii et Ruyschii de fabrica glandular.
opusculum. L. B. 1722. 4. p. 31.
Man hat die Frage aufgeworfen, ob auch
die dicken Därme mit Speisesaftsgefäßen verse-
hen sind, oder nicht. Diejenigen, welche das
erstere behaupten, beruffen sich theils auf die Wir-
kung specifischer, z.B. ernährender, oder betäu-
bender Klystire; ferner auf die Beobachtung, daß
die Exkremente durch ihren längern Auffenthalt
in den dicken Därmen härter, und ausgetrocknet
werden. Allein obgleich aus diesen Gründen kei-
neswegs folgt, daß aus dem Darmkoth disseits
der Fallopischen Klappe noch ein ächter Speise-
saft eingesogen werde, so erhellt doch wenigstens
soviel daraus, daß auch die dicken Därme mit ei-
nem Vorrathe einsaugender Gefäße versehen sind,
die im Ganzen genommen, sowohl in Ansehung
ihres Baues, als ihrer Verrichtung mit den spei-
sesafteinsaugenden Gefäßen übereinkommen; in-
dem auch die Speisesaftsgefäße, wenn die Där-
me vom Speisenbrey leer sind, indessen Lymphe
einsaugen a).
Wichtiger und schwerer aufzulösen ist die Fra-
ge, ob aller Speisesaft, der in den dünnen Där-
men eingesogen wird, auf diesem allgemeinen
Weg, nämlich durch die Speisesaftsgefäße, und
den Brustkanal, in das Blut überströme, oder
ob noch andere verborgene Wege, wodurch dieser
Uebergang bewirkt wird, vorhanden seyn?
[Seite 264] Man muß aber eingestehen, daß die meisten
Gründe, welche diese Nebeneinsaugung des Spei-
sesaftes in das Blut erweisen sollen, nicht Stich
halten; denn Ruysch'ens Behauptung, daß die
Gekrösdrüsen bey herannahendem Alter verhärtet,
und gleichsam zusammengeschnürt, und zu ihrer
Verrichtung ganz untauglich gemacht würden, ist
schon längst widerlegt worden; es ist sogar eine
ausgemachte Sache, daß auch andere Krankhei-
ten dieser Drüsen, z.B. Aufschwellungen dersel-
ben, sehr uneigentlich Verstopfungen genannt wer-
den, indem sie noch immer so weit offen sind,
daß sie Quecksilbereinspritzungen durchlassen kön-
nen. Der bekannte Versuch, daß warmes Was-
ser, welches man nach dem Tode in die Gekrösvenen
einspritzt, in den Darmkanal durchschwitzt, scheint
mir für eine Verrichtung in dem lebendigen Kör-
per nichts zu beweisen; noch viel weniger bewei-
set Lieberkuhn's zweyschenkligte messingene Röh-
re, die er zum Behuf dieser Meinung ersonnen
hatte. Aber auch die Beobachtung, daß man in
den Blutvenen des Gekröses einen weißem Spei-
sensaft wahrgenommen habe a), bedarf noch ei-
ner genauern Bestätigung. Es ist also höchst
wahrscheinlich, daß diese Gekrösvenen, außer ei-
nem mit vielem Brennbaren geschwängerten, und
zur Bereitung der Galle bestimmten Blute, kei-
nen Speisesaft führen b).
a) Werner et Feller l. c. p. 12.
b) Caldani sucht zwar diese verborgene Wege der
Einsaugung durch folgenden schönen Versuch zu
erweisen: Man macht bey einem Lamm, oder
Bock, die vorher wohl genährt worden sind,
[Seite 265] eine doppelte Unterbindung; ein Band nämlich
wird an der subclavia sinistra, das andere aber,
und ein ziemlich festes, an dem Gekröse zunächst
an seinem Ursprunge an den Rückenwirbeln an-
gelegt. Sowohl die Milch- als lymphatischen
Gefäße, welche zwischen diesen Banden liegen,
kommen alsdann deutlich zum Vorschein; auch
die einsaugenden Gefäße, welche von den untern
Gliedmassen heraufsteigen. Aber in demselben
Augenblicke schwellen auch die Milchgefäße zwi-
schen dem Gekröse, und der Unterbindung an;
allein bald nachher werden sie entleert, und end-
lich ganz unsichtbar.
Allein diese Erscheinung entsteht nicht von einem
verborgenen Uebergange des Speisesaftes in die
naheliegenden Blutadern, sondern vielmehr von
dem geringen Widerstand der Klappen, welche
den Speisesaft in den Darmkanal selbst zurückströ-
men lassen. (Aus dieser zurückgehenden Bewe-
gung hat jüngst Herr Darwin auf eine sehr
glückliche Weise verschiedene pathologische Erschei-
nungen erklärt). Denn, daß diese Klappen nach-
geben, und die Gefäße nicht ganz verschließen,
ist eine bekannte Sache; daher auch zuweilen bey
anatomischen Einspritzungen das Quecksilber aus
den Stämmen der einsaugenden Gefäße in die
kleinern Zweige zurückgetrieben wird.
Die letzten Stämme der nahrungssaftzurück-
führenden Gefäße, welche eben so, wie die übri-
gen einsaugenden Gefäße aus der Verbindung meh-
rerer lymphatischer Stämme entspringen a), en-
[Seite 266] digen sich in den Milchsaftbehälter, worunter
die Zergliederer den untersten, und etwas erwei-
terten Theil des Milchganges verstehen.
Dieser Milchgang der Brust a) ist ein häu-
tigter, dünner, doch ziemlich fester, mehr oder
weniger gewundener Kanal, der sowohl nach sei-
ner Richtung, als nach seiner Abtheilung durch
mannigfaltige Abänderungen sich auszeichnet b);
er hat weder Muskelfasern, noch Nerven, ist an
verschiedenen Stellen mit Klappen verschen, geht
ohngefehr bey dem letzten Halswirbelbeine an der
Schlüßelbeinsblutader vorbey, beugt sich alsdann
zurück c), und senkt sich in diese Vene hinein;
eine Klappe, deren Bau ganz sonderbar ist, schließt
die Mündung dieser Einsenkung.
a) Halleri observationes de ductu thoracico, in
theatro Göttingensi factae. Götting. 1741. 4.
B. S. Albini tabula vasis chyliferi. L. B. 1757.
fol. max.
b) Jo. Chr. Bohlii viae lacteae c. h. historia na-
turalis. Regiomont. 1741. 4.
Die Kräfte, wodurch die Nahrungsmilch
sowohl durch die Milchgefäße, als durch den
Milchgang der Brust fortgetrieben wird, müssen,
[Seite 267] wie mir scheint, der Zusammenziehbarkeit dieser
Gefäße, ihren Klappen, dem Drucke des zunächst-
folgenden Speisesaftes, und dem Klopfen der be-
nachbarten Schlagadern zugeschrieben werden.
Die an der obern Mündung des Milchgan-
ges befindliche Klappe scheint nicht blos in der
Absicht vorhanden zu seyn, um den Uebergang
des Blutes in diesen Kanal zu verhindern; sie ist
vielmehr dazu bestimmt, den in die Blutader ü-
bergehenden Nahrungssaft zu leiten, und densel-
ben nur tropfenweise der Blutmasse zu überliefern.
Auf diese Weise wird verhütet, daß nicht
auf einmal eine allzugroße Menge Speisesaft in
das Blut überströmen kann, wodurch das Herz
zu heftig gereizt, und außer Stand gesetzt wür-
de, diese Nahrungsmaterie gehörig zu verarbei-
ten; denn der frische Speisesaft enthält noch eine
Menge fremdartiger Bestandtheile, die nicht nur
aus den ersten Wegen durch die Milchgefäße,
sondern aus dem ganzen übrigen Körper durch die
einsaugenden Gefäße herbeygeführt werden.
Denn eben diese lymphatischen Gefäße a)
sind der dritte Theil des einsaugenden Systems.
Sie sind sowohl in Rücksicht ihres Baues, als
ihrer Verrichtung den Milchgefäßen vollkommen
ähnlich, ausgenommen, daß ihr Gebiet vielleicht
über den ganzen Körper sich erstreckt b); doch
entspringen sie am häufigsten von den allgemeinen
äußern Bedeckungen, von dem Rippen- und Darm-
felle, und von den Eingeweiden der Brust- und
Bauchhöhle.
a) Io. Fr. Meckel de vasis lymphaticis glandu-
lisque conglobatis. Berolin. 1757. 4.
Anlangend ihren Ursprung, so scheinen sie
auf die nämliche Weise, wie die Milchgefäße,
aus dem Darmkanal zu entstehen: nämlich jedes
lymphatische Reiserchen schlürft aus dem zunächst-
liegenden Zellgewebe, gleichsam aus seinem Ge-
biete, den darinn enthaltenen Duft ein, und
treibt ihn sodann weiter fort.
Diese lymphatischen Gefäße sind in ihrem
Fortgange an verschiedenen Stellen mit doppelten
Klappen versehen; fast alle gehen in lymphatische
Drüsen über; die nähern Zweige verbinden sich
an manchen Stellen mit einander, und bilden,
besonders auf der Oberfläche einiger Eingeweide,
z.B. der Lungen, der Leber, u.s.w. zierliche
Netze.
Ihre Verrichtung wird, außer andern Hilfs-
mitteln, die aus dem Vorhergehenden bekannt
sind, vorzüglich durch ihre Zusammenziehbarkeit,
und die außerordentliche Stärke ihrer Membra-
nen, die, ihrer Zartheit ohnerachtet, bey ana-
tomischen Einspritzungen einer schweren Quecksil-
bersäule widerstehen, nicht wenig befördert; hie-
zu kömmt noch, besonders an den Gliedmaßen,
die Bewegung der Muskeln, welche durch ihren
mannigfaltigen Druck diesen Gefäßen eine beson-
dere Stärke ertheilen.
Was aber die Endungen dieser Lymphgefä-
ße betrifft, so sind die Physiologen verschiedener
Meinung. Einige behaupten, daß alle diese zu-
rückführenden Gefäße in dem Brustmilchgang sich
vereinigen (so wie die Blutadern des Körpers in
die Hohladern): andere hingegen sind der Mei-
nung, daß wenigstens die Lymphgefäße des rech-
ten Arms, und des Halses auf der rechten Seite
nicht in diesen allgemeinen Milchkanal, sondern
vielmehr in die rechte Schlüßelbeinsblutader sich
endigen a); andere nehmen an, daß diese Lymph-
gefäße wenigstens in den lymphatischen Drüsen
mit den Blutadern zusammenstossen b); einige
endlich vermuthen, und zwar nicht ohne Wahr-
scheinlichkeit, daß noch verborgene Wege vorhan-
den sind, wodurch der Darmkanal und der harn-
absondernden Organe in wechselseitiger Verbin-
dung stehen.
Da aber das System der lymphatischen Ge-
fäße durch den ganzen Körper sich verbreitet, und
überdieß ein großer Theil derselben an der Ober-
fläche der Haut außerhalb dem Körper befindliche
Feuchtigkeiten einsaugen kann, so erhellt daraus
von selbst, daß die eingesogene Lymphe nicht in
allen Theilen des Körpers einerley Beschaffenheit
haben könne; welches man auch bey genauern ana-
tomischen Untersuchungen bestätigt findet, so ist
z.B. die in den einsaugenden Gefäßen der Leber,
[Seite 270] oder Milz enthaltene Feuchtigkeit von derjenigen
unterschieden, welche in den einsaugenden Gefä-
ßen der Gebährmutter sich befindet.
Den vierten Theil des lymphatischen Systems
machen die lymphatischen Drüsen aus, deren
Hauptnutzen darinn zu bestehen scheint, daß so
verschiedene lymphatische Flüßigkeiten, besonders
diejenigen, welche von der Oberfläche des Kör-
pers eingesogen werden, durch eine langsamere
Bewegung (vielleicht auch noch durch eine aus
den kleinsten Schlagadern abgeschiedene Feuchtig-
keit) der thierischen Natur immer mehr verähn-
lichet, und die nachtheiligen Folgen, welche eine
allzuschnelle Beymischung unverarbeiteter Säfte
in dem Blute hervorbringen würde, verhütet
werden a).
a) Diese Umwege, deren sich die vorsichtige Natur
bedient, um die eingesaugten Flüßigkeiten, be-
vor sie der Blutmasse beygemischt werden, durch
eine innigere Verarbeitung der thierischen Na-
tur mehr zu verähnlichen, und die schröcklichen
Zufälle, Herzklopfen, Zuckungen, u.s.w. wel-
che entstehen, wenn auch nur ein Tropfen einer
sonst unschädlichen Flüßigkeit in eine Blutader
gegossen wird, überzeugen mich täglich mehr,
daß die Blutadern keine fremdartigen Flüßigkeiten
sondern nur Blut einsaugen können (z.B. beym
Steifwerden der männlichen Ruthe, beym Er-
röthen, im Mutterkuchen), und alle Einsaugun-
gen, welche Saller den Blutadern zueignete,
eine Verrichtung dieser einsaugenden Gefäße sind.
Uebrigens haben diese in dem ganzen Kör-
per vertheilte, hier und dort z.B. unter den Ach-
seln, in den Leisten gehäufte Drüsen mit den be-
reits erwähnten Gekrösdrüsen die vollkommenste
Aehnlichkeit; auch sie bestehen größtentheils aus
zusammengewickelten einsaugenden Gefäßen, auch
sie sind mit unzähligen Blutgefäßen versehen,
und ähnlichen Krankheiten unterworfen.
Unter der Blutbereitung verstehe ich hier dasje-
nige Geschäft, wodurch der Speisesaft mit dem
Blute verähnlicht, und der allmälig entstehende
Blutverlust durch den allmälig hinzukommenden
Speisesaft wieder ersetzt wird.
Und hierauf gründet sich die dreyfache Ein-
theilung der Flüßigkeiten des menschlichen Kör-
pers, in rohe, blutartige, und abgeschiedene
Säfte (§. 4. 5.). Die mittlere Klasse enthält
den eigentlichen Lebensstrom, aus dem beständig
unzählige Säfte abgeschieden werden, der aber
auch durch unzählige Seitenkanäle des einsaugen-
den Systems beständig einen neuen Zufluß, so-
wohl an Speisesaft, als andern eingesogenen
Feuchtigkeiten, bekömmt.
Da aber das Blut eine so ganz besondere,
und in seiner Art einzige Flüßigkeit ist (§. 6.),
so erhellt daraus, daß mannigfaltige Hilfsmittel
vorhanden seyn müssen, wodurch die fremdarti-
gen Feuchtigkeiten, welche durch den Milchgang
[Seite 273] der Brust in das Blut überströmen, mit der gan-
zen Blutmasse verarbeitet, und verähnlichet werden.
Hierzu scheinen am meisten jene Windungen
und Krümmungen beyzutragen, die man, wie
schon erwähnt worden, an den einsaugenden Ge-
fäßen, besonders in den Gekrös- und andern lym-
phatischen Drüsen, so häufig wahrnimmt, und
wodurch die in diesen Gefäßen enthaltenen Flü-
ßigkeiten immer mehr an den thierischen Stoff
sich anquicken.
Sodann muß man erwägen, daß ein großer
Theil derjenigen Lymphe, welche mit dem Spei-
sesaft in dem Milchgange der Brust sich vermischt,
und durch die Schlüsselbeinblutader in die Blut-
masse fließt, aus den innersten Tiefen der Einge-
weide, und der übrigen weichen Theile des Kör-
pers geschöpft, und bereits vorher aus der allge-
meinen Blutmasse abgeschieden worden, folglich
von der thierischen Natur schon ganz durchdrun-
gen, und zu einer leichtern Verähnlichung mit
dem Blute geschickt gemacht ist.
Hiezu kömmt noch, wie oben gesagt worden,
daß der Speisesaft dem Blute langsam und tro-
pfenweis beygemischt wird, wodurch diese kleinen
Portionen mit der Blutmasse desto inniger verar-
beitet werden können.
Aber auch der innere Bau des Herzens scheint
etwas dazu beyzutragen, insofern das mit dem
frischen Speisesafte geschwängerte Blut von den
zizenförmigen Muskeln des Herzens, womit die
[Seite 274] Herzkammern ausgerüstet sind, innigst verarbei-
tet, und gleichsam verdickt wird.
Daß aber auch die Lungen, welche das mit
Speisesaft angefüllte Blut aufnehmen, und über-
haupt das ganze Geschäft des Athemholens zur
Verähnlichung des Speisesafts nicht wenig bey-
tragen, erhellt sowohl aus der gefäßreichen Na-
tur (§. 135.) als auch aus der immerwähren-
den, gleichmäßig abwechselnden Bewegung dieses
Eingeweides.
Das ganze Geschäft der Blutbereitung wird
endlich durch den größern Umlauf des Blutes,
und die umlaufbefördernden Kräfte, vorzüglich
von der Muskelbewegung u.s.w. vollendet.
Ohnerachtet so wichtiger und mannigfalti-
ger Hilfsmittel, wodurch die Vereinigung des
Speisesafts mit dem Blute bewirkt wird, so
scheint doch, daß schon die Bestandtheile des
Speisesafts mit den Bestandtheilen des Blutes
einige Aehnlichkeit haben. Doch müssen, wie
man gemeiniglich annimmt, einige Stunden ver-
fließen, bis der beygemischte Speisesaft seine na-
türliche weiße Farbe ablegt, und mit dem rothen
Blute vollkommen verarbeitet ist; diese Meinung
stützt sich, außer andern Gründen, auf die patho-
logische Erscheinung, daß, so oft einige Stun-
den nach der Verdauung eine Ader geöffnet wird,
ein ächter Speisesaft ausfließt. Ich hatte einmal
[Seite 275] selbst Gelegenheit gehabt, diese Erscheinung zu
beobachten; allein der Kranke hatte offenbar ei-
ne entzündungsartige Beschaffenheit, (welche schon
an sich die Verähnlichung des Speisesafts hin-
dert), so, daß man daraus auf den gesunden
Zustand, mit dem sich die Physiologie eigentlich
beschäftiget, keinen richtigen Schluß machen kann.
Die Verrichtung des Blutes besteht nicht blos
darin, daß die Feuermaterie, wie aus den vor-
hergegangenen Untersuchungen erhellt, durch den
ganzen Körper vertheilt, und das Brennbare da-
für zurückgeführt wird; das Blut hat außer dem
noch ein doppeltes Geschäft; es muß dem Körper
die Nahrungsmaterie, und den absondernden Or-
ganen die zur Abscheidung bestimmten Säfte zu-
führen. Wir wollen zuerst das Ernährungsge-
schäft betrachten.
Es ist aber die Ernährung das vornehmste
Geschäft der Natur, und ein ausschließendes Vor-
recht organisirter Körper, wodurch sie vor jeder
andern durch Menschenkunst zusammengesetzten
Maschine sogleich beym ersten Anblicke sich aus-
zeichnen; denn kein Künstler hat es bis itzt dahin
gebracht, daß seine Maschinen durch eine innerli-
che Kraft wachsen, sich allmälig entwickeln, und
vervollkommen; sie sind nicht einmal im Stande,
sich selbst zu erhalten, die abgeriebenen Theile zu
ersetzen u.s.w.
Diese ernährende Kraft ist die Quelle aller
jener Verrichtungen, wodurch nicht nur das Wachs-
thum des Körpers von dem Anbeginn unsers Da-
seyns an befördert, sondern auch dem Verlust der
Theile, indem der Körper sich selbst auf der ei-
nen Seite beständig abnützt, auf der andern Sei-
te vorgebeugt wird.
Nur über die Art und Weise, wie dieser Er-
satz geschieht, sind die Meinungen der Physiolo-
gen getheilt; und zwar vorzüglich darüber, ob
auch die festen Theile unsers Körpers ernährt wer-
den a), oder ob diese vielmehr (wie einige scharf-
sinnige Männer behaupten b), nachdem sie ein-
mal vollkommen ausgebildet sind, unverändert
bleiben?
a) Joh. Bernoulli in seiner diss. de nutritione.
Groning. 1669. 4. schätzt diesen beständigen, aber
unmerklichen Verlust so hoch, daß er behauptet,
der menschliche Körper werde in einem Zeitraume
von drey Jahren gänzlich zerstört, und wieder
erneuert.
b) Remme Beurtheilung eines Beweises für die
Immaterialität der Seele aus der Medizin. Halle
1776. 8.
– – Zweifel und Erinnerungen wider die Lehre
der Aerzte von der Ernährung der festen Theile.
1778.
Von einigen gleichartigen festen Theilen, z.
B. von dem Oberhäutchen, den Nägeln, u.s.w.
[Seite 278] ist es ausgemacht, daß sie allmälig abgenützt, und
wieder erneuert werden. So auch die Knochen,
wie wir uns durch die Versuche überzeugen kön-
nen, die an warmblütigen mit Krapp ernährten
Thieren angestellt worden sind; dieß erhellt auch
aus der widernatürlichen Dünne der flachen Kno-
chen, besonders des Hirnschädels, die man im
hohen Alter aus Mangel gehöriger Ernährung
nicht selten beobachtet.
Ueberhaupt scheinen mir nur diejenigen Thei-
le unsers Körpers wechselsweis abgenützt, und
durch die Ernährung wieder ersetzt zu werden,
die von der Natur mit einer Reproduktionskraft
versehen sind, – jener sonderbaren Kraft, wo-
durch nicht nur die im gesunden Zustande bestän-
dig abgeriebenen Atomen wieder ersetzt, sondern
auch der zufällige Verlust größerer Theile, wel-
cher besonders nach äußerlichen Verletzungen,
Wunden u.s.w. zu erfolgen pflegt, wieder gut
gemacht wird; diese heilsame Kraft ist sowohl
bey Knochen a), als einigen andern so eben er-
wähnten Theilen außer allen Zweifel gesetzt.
a) G. L. Koeler experimenta circa regeneratio-
nem ossium. Götting. 1766. 8.
Diese Reproduktionskraft ist, wie mich
meine sowohl an Menschen als warmblütigen Thie-
ren in dieser Absicht so häufig angestellten Versu-
che überzeugt haben, nur denjenigen festen Thei-
len verliehen, die, außer der Zusammenzieh-
barkeit, mit keiner andern Lebenskraft, nämlich
[Seite 279] weder mit der Reizbarkeit, noch Empfindlich-
keit, oder einem eigenthümlichen Leben begabt
sind a).
a) Daher ich auch die Stärke des Beweisgrundes,
wodurch Hr. v. Haller die Erneuerung der wei-
chen Theile zu erweisen sucht, nicht wohl einsehe:
‘„Wenn Knochen und Zähne erneuert, wenn so
alte Bestandtheile zerstört werden, und neue
an ihre Stelle treten, so dürfen wir desto we-
niger zweifeln, daß sich dieses auch an andern
und weichern Theilen ereigne.“’
In denjenigen Theilen also, welche gleich-
sam mit diesen höhern Lebenskräften versehen sind,
scheint mir ihr Parenchyma, welches ihre eigen-
thümliche Grundlage ausmacht, unverändert zu
verbleiben; – Alle Veränderungen, denen dieses
Parenchyma ausgesetzt ist, bestehen darinn, daß
seine zelligten Zwischenräume, wenn die Ernäh-
rung gut von statten geht, voll der plastischen
Lymphe sind, sobald aber die Ernährung mangelt,
dieser Lymphe wieder beraubt werden, zusammen-
fallen, und gleichsam vertrocknen.
Diese plastische Lymphe, von deren Wichtig-
keit an einem Orte gehandelt worden ist, ver-
wandelt sich sehr leicht in ein Zellgewebe, und
scheint vorzüglich den Nahrungsstoff auszumachen,
der durch unzählige Blutgefäße allen Theilen des
Körpers zugeführt wird.
Doch kommen, besonders wenn der Körper
in seinem Wachsthume begriffen ist, einige Ne-
benkräfte hinzu, wodurch die aus den äußersten
Endungen der Blutgefäße in das Zellgewebe er-
gossene Lymphe gleichmäßig vertheilt, mit jedem
Parenchyma gleichsam verähnlicht wird u.s.w.
Dieß geschieht, wie ich vermuthe, theils durch
ein gewisses Gesetz der Verwandtschaft, vermöge
dessen nur die gleichartigen Bestandtheile sich an-
ziehen, und einander nähern; theils durch den Bil-
dungstrieb, der, wie wir in der Folge sehen wer-
den, den unförmlichen Stoff gehörig vertheilt,
und in eine bestimmte Form ausbildet.
Diesen Nebenkräften muß vorzüglich die Er-
nährung derjenigen gleichartigen Theile zugeschrie-
ben werden, die mit den Blutgefäßen in keiner
unmittelbaren Verbindung stehen, z.B. die Nä-
gel, Haare, u.s.w. demohnerachtet durch einen
unbezwinglichen, und sichern Trieb hervorkeimen,
wachsen, lebenslang ernährt, und wenn sie zufäl-
liger Weise abfallen, leicht wieder ersetzt werden.
So viel von dem Ernährungsgeschäfte im
Allgemeinen. Allein die Grade und Verschieden-
heiten der Ernährung sind äußerst mannigfaltig,
und entstehen vorzüglich von dem schwächern oder
stärkern Anwurf des Nahrungsstoffes, wodurch
ein dichterer oder zärterer Körperbau, folglich auch
eine verschiedens spezifische Schwere der Körper a)
hervorgebracht wich. Was die spezifische Schwe-
re betrifft, so findet man diese Verschiedenheit
nicht blos zwischen einzelnen Personen, sondern
[Seite 281] sogar zwischen ganzen Völkerschaften: z.B. an
einigen nordischen Völkern, die, wie wir aus
Reisebeschreibungen wissen, durch eine besondere
Leichtigkeit ihres Körpers sich auszeichnen.
a) J. Robertson on the specific gravity of living
men. in philos. Transact. Vol. I. P. I. p. 30.
Außer den Nahrungssäften gibt es noch verschie-
dene andere Flüßigkeiten, die aus der Blutmasse
in mannigfaltiger Hinsicht abgeschieden werden. –
Eine Verrichtung, über die schon Haller sich be-
klagte, daß sie in der ganzen Physiologie eine der
dunkelsten Lehren sey.
So groß die Verschiedenheit der abgesonder-
ten Säfte einerseits immer seyn mag, so findet
doch eine so große Verwandtschaft zwischen den-
selben statt, daß nur eine sehr willkührliche Klas-
sifikation der abgeschiedenen Säfte möglich ist;
indessen scheinen sie mir, wenn man auf die grö-
ßere oder geringere Veränderung, welche die in
der Blutmasse enthaltenen Bestandtheile in den
Absonderungsorganen erlitten haben, einigen Be-
dacht nimmt, am natürlichsten in nachstehender
Ordnung auf einander zu folgen:
Zuerst also kömmt die Milch, die man eini-
germassen für einen reduzirten Speisesaft ansehen
kann, und aus der Blutmasse, nachdem sie kurz
[Seite 283] vorher durch den frischen Nahrungssaft eine Ver-
stärkung erhalten hat, auf eine sehr einfache Wei-
se, wie es scheint, abgeschieden wird.
Hierauf folgen die wäßerigten Säfte, wor-
unter die Augenfeuchtigkeiten und die Thränen
gehören; ferner der Schweiß; auch derjenige
Duft, der in den Zwischenräumen des Zellgewe-
bes, in der Brust- und Bauchhöhle enthalten ist;
auch die Feuchtigkeit des Herzbeutels, und der
Duft, welcher die Gehirnhöhlen, und die Schleim-
höhlen des Schädels befeuchtet, scheinen mir von
dieser Art zu seyn.
Auch der Harn wird, ohnerachtet derselbe
besondere Eigenschaften hat, gemeiniglich unter
die wäßerigten Feuchtigkeiten gezählt.
Etwas verschieden von diesen sind die spei-
chelartigen Säfte, welche zum Kauen, zur Ver-
dauung, und zur Bereitung des Speisesaftes be-
stimmt sind.
Zunächst kommen die schleimigten Säfte,
von denen die Höhlen derjenigen Eingeweide, wel-
che den natürlichen, und Geschlechtsverrichtungen
gewidmet sind, auch der Luftröhrenkopf und die
Luftröhre befeuchtet werden.
Eine große Aehnlichkeit mit diesen Säften
hat der Schleim, welcher das Innere des Auges
überzieht, auch derjenige Schleim, welcher unter
dem Oberhäutchen liegt.
Die fetten Säfte sind, außer dem gewöhn-
lichen Fett, das Knochenmark, die Hautschmie-
re, und das Ohrenschmalz.
Eine große Verwandtschaft mit diesen Säf-
ten hat diejenige Schmiere, welche an der Krone
der männlichen Eichel unter der Vorhaut, bey
[Seite 284] den Weibern aber an den äußerlichen Schaamthei-
len abgesondert wird.
Auch diejenige fette Feuchtigkeit, welche an
den Augenliedern in den Meibomischen Drüsen
abgeschieden wird.
Zu den gallertartigen Säften werden ge-
meiniglich die Feuchtigkeit der Schaafhaut (liquor
amnii), und die Gelenkschmiere gezählt; allein
die Beschaffenheit dieser Säfte ist uns noch nicht
hinlänglich bekannt; so wenig, als diejenige Feuch-
tigkeit, die in der Gebährmutter bey der Begat-
tung sich ergießt.
Aber auch die Beschaffenheit derjenigen Feuch-
tigkeit, welche einige Monate nach der Empfäng-
niß zwischen dem chorion und amnion, ferner
in der Nabelblase der zärtesten Leibesfrucht, und
sogar zwischen den dreyfachen Blutgefäßen des
Nabelstranges sich ansammelt, ist uns gleichfalls
unbekannt.
Ein Seröser, oder eyweißähnlicher Saft,
scheint diejenige Feuchtigkeit zu seyn, welche in
den Graafischen Bläschen der weiblichen Eyer-
stöcke enthalten ist; auch die Feuchtigkeit, welche
in der Vorsteherdrüse abgesondert wird.
Der männliche Saamen macht für sich ei-
ne eigene Flüßigkeit aus, und kann nicht wohl
mit andern Säften des menschlichen Körpers ver-
glichen werden.
Eine so große Mannigfaltigkeit der abgeson-
derten Säfte setzt nothwendig eine große Verschie-
denheit der Absonderungsorgane, und verschiede-
ne Abscheidungsarten voraus. So werden eini-
[Seite 285] ge Flüßigkeiten auf dem kürzesten Wege, andere
aber erst durch große Umwege abgesondert, und
weiter verarbeitet.
Die einfachste Art der Absonderung ist das
Durschwitzen der Flüßigkeiten durch die Häute der
Arterien; auf diese Weise wird das Fett, und
das Knochenmark ausgeschieden; auf eine ähnli-
che Weise wird vielleicht auch der Magensaft, der
Darmsaft u.s.w. in den häutigten Eingeweiden
abgesondert.
Etwas zusammengesetzter ist die Absonderung
durch Drüsen; wohin einige die Schleimhöhlchen
rechnen, dergleichen z.B. im Schlunde sitzen, und
die einfachsten Drüsen genennt werden.
Eigentlich aber verdienen nur die sogenann-
ten gehäuften – conglobatae – (um sie von
den lymphatischen zu unterscheiden), den Na-
men der Absonderungsdrüsen: z.B. die Speichel-
drüsen, das Pankreas, die Thränendrüsen, und
die weiblichen Brüste. Alle diese Drüsen haben
einen Ausführungsgang, und bestehen aus grö-
ßern Lappen, die wieder aus kleinern Lappen zu-
sammengesetzt sind. Allein über den innern Bau
dieser kleinern Abschnitte ist von den Physiologen
ehemals haftig gestritten worden. Malpigh a)
hielt die hirsenförmigen Kügelchen, die in den
meisten Drüsen von dem Anatomiker sehr leicht
dargestellt werden können, für hohle Körnerchen.
Ruysch hingegen erklärte diese vermeinten hohlen
Körnerchen für zusammengeknäuelte Blutgefäße;
und in der That bekömmt diese Meinung durch
die anatomische Zubereitung, besonders durch fei-
[Seite 286] nere Einspritzungen, und durch mikroskopische Wahr-
nehmungen einen hohen Grad der Wahrschein-
lichkeit.
Mit diesem Bau haben einige absondernde
Eingeweide, ihr eigenes Parenchyma ausgenom-
men, eine auffallende Aehnlichkeit, z.B. die Le-
ber und die Nieren, welche zugleich über den Drü-
senbau ein großes Licht verbreiten; in diesen bey-
den Eingeweiden kann man diese Ruyschianischen
Knäulchen, oder Malpighischen Körner am deut-
lichsten wahrnehmen. Es entspringen nämlich in
der rindigten Substanz aus den haarförmigen Ar-
terien Nebenzweige, welche in gefäßartige Knäu-
le übergehen, die an diesen Arterienzweigen,
wie Traubenkörner an ihren Stielen, sitzen.
Aus diesen arteriösen Knäulchen entspringen zuerst
die feinsten, absondernden, farblosen Gefäße,
(deren Ursprung aus den Arterien §. 79. 81. er-
wähnt worden); sodann aber auch venöse Zäser-
chen, welche von umgebogenen Arterien gebildet
werden, und das nach der Absonderung überge-
bliebene Blut in die Stämme der Blutadern zu-
rückführen a).
Bey einigen andern absondernden Eingewei-
den findet wieder ein verschiedener Mechanismus
statt, z.B. bey den Hoden, die ganz aus unge-
mein langen, zahlreichen, und fest zusammenge-
rollten Gefäßen bestehen.
Wir kommen nun auf die Untersuchung der
Ursachen, wodurch jede Flüßigkeit in ihren be-
stimmten Organen abgesondert wird; allein diese
ganze Lehre ist noch ungemeinen Schwierigkeiten
und Zweifeln ausgesetzt.
Soviel scheint ausgemacht zu seyn, daß die
nächste Ursache der mehresten Absonderungen in
dem innern Bau der Absonderungswerkzeuge ver-
borgen liegt. Hieher gehört in den gehäuften
Drüsen, und absondernden Eingeweiden die be-
sondere Richtung und Vertheilung der Blutgefäße,
aus denen die Säfte abgeschieden werden; auch
das eigenthümliche Parenchyma, wodurch sich
jedes absondernde Eingeweide schon beym ersten
Anblick von jeder andern Fleischmasse auszeichnet
(§. 27.).
Ueberdieß ist es mir aus Gründen, die ich
hier und da schon angeführt habe, sehr wahrschein-
lich, daß die absondernden Eingeweide nicht nur
ein eigenthümliches Parenchyma, sondern auch
ein eigenthümliches Leben, das ist, eine besonde-
re Art der Lebenskraft besitzen, die man von den
allgemeinen Lebenskräften, nämlich von der Zu-
sammenziehbarkeit, Reizbarkeit, und Empfindlich-
keit wohl unterscheiden muß.
Aber auch das einsaugende System hat ei-
nen großen Einfluß auf das Absonderungsgeschäft,
indem es solche Flüßigkeiten einsauget, und in
das Blut zurückführt, die schon von demjenigen
Safte, der in demselben Organ abgesondert wird,
gleichsam angesteckt ist; z.B. eine galligte Flü-
ßigkeit aus der Leber, eine saamenartige aus den
Hoden u.s.w.
Es herrscht daher bey dem Absonderungsge-
schäft ein beständiger Kreislauf; aus den Abson-
derungsorganen werden gleichsam die Bestandthei-
le der abzusondernden Flüßigkeiten in die Blut-
masse zurückgeführt, und kommen mit dem fort-
strömenden Blute wieder zu diesen Absonderungs-
organen hin, wo sie alsdann nach gewissen Ge-
setzen der Verwandtschaft desto leichter angezogen
werden, und die gleichartigen Theile aus der Blut-
masse mit sich fortreißen.
Die Absonderung der Säfte wird manchmal
durch die besondere Beschaffenheit des Blutes,
aus dem die Flüßigkeit zunächst abgeschieden wird,
nicht wenig befördert: dieß ist der Fall bey der
Galle, welche aus dem Blute der Pfortader ab-
geschieden wird; denn das in dem Pfortadersy-
stem enthaltene Blut ist schon an den Quellen,
von denen es herströmt, mit häufigem Brennba-
ren überladen.
Ich übergehe hier andere Hilfsmittel, wo-
durch einige Arten der Absonderungen befördert
werden: z.B. die Anhäufung, und Ableitung,
[Seite 289] welche bey der Absonderung der Milch in den weib-
lichen Brüsten sehr deutlich ist; u.s.w.
Man beobachtet aber an den Flüßigkeiten,
nachdem sie in bestimmten Organen, durch die itzt
erwähnten Kräfte abgesondert worden, eine dop-
pelte Verschiedenheit: denn einige treten aus dem
Blute unmittelbar in das zu ihrer Verrichtung be-
stimmte Organ über; andere aber werden vorher
in besondere Behältnisse abgesetzt, wo sie verwei-
len, und gleichsam zur Reife gedeihen müssen,
bevor sie ausgeleert werden können; z.B. die
Milch in den Milchgängen, der Harn, die Galle,
und der Saamen in ihren häutigten Behältnissen,
und einigermassen auch das Serum in den Bläs-
chen der weiblichen Eyerstöcke.
Die Blutmasse enthält nicht nur die zur Ernäh-
rung, und zur Abscheidung bestimmten Säfte
(§. 4.), sondern auch unnütze, überflüßige Aus-
würfe (Extremente der zweyten Kochung), und
zwar von zweyfacher Art, nämlich die Ausdün-
stungsmaterie, von der wir in einem besondern
Hauptstücke gehandelt haben, und den Harn, der
in den Nieren abgeschieden wird.
Beyde Nieren a) liegen an der obern Len-
dengegend, hinter dem Darmfell, auf jeder Sei-
te eine; etwas flachgedruckt; übrigens sind sie so-
wohl an Gestalt, als Anzahl unter allen Einge-
weiden des Körpers den meisten Veränderungen
ausgesetz b); sie hangen an den sogenannten va-
sis emulgentibus c) – die im Verhältniß zu dem
Eingeweide, zu dem sie hingehen, außerordentlich
groß sind – und werden von einem fast inseltar-
tigen Fett unterstützt (§. 38.).
b) Ger. Blasii renum monstrosorum exempla, ad
calcem Bellini de structura et usu renum. Edit.
Amstelod. 1665. 12.
Sie sind in eine eigene, schöne, gefäßreiche
Membran eingehüllt; jede Niere scheint, besonders
bey Kindern, aus acht, oder wohl noch mehrern
kleinern Nieren zusammengesetzt zu seyn, deren
jede, wie Ferrein behauptet, aus 70-80 flei-
schigten Stralen besteht, die von demselben die
weißen Pyramiden genannt werden.
Die Nieren bestehen, wenn man sie von
dem convexen Rücken gegen das Nierenbecken zu
ausschneidet, aus einer zweyfachen Substanz: die-
jenige, welche zunächst an der Oberfläche liegt,
heißt die rindigte, die innere aber, die markigte
Substanz.
Beyde bestehen aus einer großen Anzahl Ar-
terien und Venen; doch hat die Rinde überdieß
äußerst feine, farblose Gefäße a), welche den
Harn absondern, das Mark hingegen Kanäle,
welche denselben ausführen.
Diese absondernden Gänge entspringen auf die
oben erwähnte Weise (§. 471.) aus zusammen-
geknäuelten, in der rindigten Substanz festsitzen-
den Arterien, die auch bey weitem den größten
Theil der Nierenborke ausmachen, und sich durch
ihren sonderbaren geschlängelten Verlauf von den
ausführenden, oder Bellinischen Röhrchen deutlich
unterscheiden, obschon sie endlich selbst in dieselben ü-
bergehen. Denn die Bellinischen Ausführungsgän-
[Seite 292] ge gehen geraden Weges aus der Rinde in das
Mark über, bilden den größten Theil dieser Sub-
stanz, vereinigen sich nach vielfältigen Zusammen-
stossungen in eine kleinere Anzahl von Stämmen,
die mit ihren Mündungen die in dem Nierenbe-
cken befindlichen Wärzchen, wie ein Sieb, durch-
bohren b).
a) Diese absondernden Gänge scheinen den Ferrein
verleitet zu haben, sie für eine ganz neue Art von
Gefäßen zu halten, welche er nervenlymphati-
sche Gefäße, oder weiße Röhrchen nannte, aus
denen, nach seiner Meinung, das Paren-
chyma aller Eingeweide bestünde, und von
welchen er behauptete, daß sie so zart wären,
daß die Länge derselben, die sich in der Niere ei-
nes erwachsenen Menschen befinden, 10000. Klaf-
tern betrüge.
Die Anzahl dieser Wärzchen entspricht ge-
meiniglich der Anzahl der Abschnitte, aus denen
die ganze Niere besteht; sie entleeren den Harn,
der von den farblosen Gefäßen der rindigten Sub-
stanz abgeschieden, und von dort durch die Bel-
linischen Röhrchen weiter geleitet worden ist, zu-
erst in ihre Trichter, welche endlich in ein gemein-
schaftliches Becken zusammenfließen.
Unmittelbar aus dem Nierenbecken entste-
hen die Harnleiter (ureteres): nämlich häutig-
te, sehr empfindliche Kanäle, die inwendig mit
[Seite 293] einem Schleime überzogen, und einer beträchtli-
chen Erweiterung fähig sind; ihre Weite ist in
dem menschlichen Körper nicht durchgängig gleich
a); endlich senken sie sich an der hintern und un-
tern Seite in die Blase, doch so, daß sie ihre
Wände nicht sogleich durchbohren, sondern vorher
zwischen der Muskel- und zelligten Haut (die hier
überhaupt dicker sind), tiefer hinuntersteigen, und
alsdann erst in einer schiefen Richtung in die
Blasenhöhle sich eröffen; dieser Bau verhindert,
daß der Harn, welcher durch die Harnleiter in die
Blase tröpfelt, durch dieselben Kanäle nicht wie-
der zurückfließen kann.
Die Harnblase selbst a) faßt bey erwachse-
nen Menschen gemeiniglich gegen zwey Pfund U-
rin; sie ist sowohl an ihrem Grunde, der in dem
ungebohrnen Kinde in den Urachus sich endiget,
als an ihrer hintern Fläche mit dem Bauchfelle
überzogen; übrigens kommen ihre Häute mit den
Membranen des Magens überein.
Die Muskelhaut besteht aus unterbroche-
nen Fleischfasern, die sich auf eine mannigfalti-
ge, und in verschiedenen Körpern verschiedene
Weise durchkreuzen, und die Blase umziehen;
man nennt sie gemeiniglich den harntreibenden
Muskel; so wie hingegen die Kreisfasern, welche
den Hals der Harnblase umgeben, deren Ursprung
und Gestalt äußerst veränderlich ist, den Namen
des Schließmuskels erhalten haben.
[Seite 294] Die vorzüglichste Stärke dieses membranö-
sen Eingeweides rührt von der sogenannten Ner-
venhaut her.
Die innerste Haut, eine Fortsetzung des
Oberhäutchens, ist, besonders an dem Blasen-
halse, mit einem Schleime überzogen.
Außer diesen öffentlichen Harnwegen gibt es,
wie es scheint, noch einige verborgene Gänge,
welche die Flüßigkeiten aus dem Darmkanale un-
mittelbar zu den harnabsondernden Organen hin-
führen. Denn es ist gar nicht wahrscheinlich,
daß das Getränk, welches so schnell durch die
Harnblase abgeht, und nicht selten an Farbe und
Geruch unverändert erscheint, schon den langen
Weg durch den Milchbrustgang, und durch das
ganze System der Blutgefäße zurückgelegt habe;
man hat sogar beobachtet, daß noch das Oel,
welches kurz vorher mit einem Klystier in den Mast-
darm gekommen war, auf dem Urin obenauf
schwam. Sodann kennt man ja die großen, und
häufigen Anmündungen, welche zwischen den ein-
saugenden Gefäßen des Darmkanals und der Nie-
ren statt finden. Endlich zeigen dieß die Versu-
che an lebendigen Thieren: wenn man einem Hun-
de die Harnleiter unterbindet, und die Blase ent-
leeret, so findet man demohnerachtet drey Stun-
den darauf in der Blase wiederum Urin, obgleich
der gewöhnliche Weg versperrt war, und die Harn-
leiter oberhalb der Unterbindung von dem Urin
stark ausgedehnt sind a).
Durch was immer für Wege der Harn in die
Blase kommen mag, so wird er doch endlich durch
seine Menge lästig, und (§. 330.) erregt einen
Drang zur Entleerung, wozu die Harnröhre be-
stimmt ist, welche nach der Verschiedenheit des
Geschlechts sich richtet, und folglich bey der Ab-
handlung über die Geschlechtsverrichtungen um-
ständlicher beschrieben werden soll.
Die Entleerung der Harnblase geschieht, in-
dem die Kraft des Schließmuskels sowohl durch
ihren eigenen harntreibenden Muskel (§. 486.),
als auch durch die Gegenwirkung der Bauchmus-
keln, und der Werkzeuge des Athemholens, über-
wältigt wird; hierzu kommen noch bey dem männ-
lichen Geschlechte die Treibmuskeln, welche jeden
in der Harnröhre zurückbleibenden Tropfen Urin
auspressen.
Was aber die Beschaffenheit des Urins be-
trifft, so ist derselbe nach dem Alter, nach der
Witterung, vorzüglich aber, nachdem er sogleich
auf das Essen und Trinken, oder später gelassen
worden, ferner nach der verschiedenen Beschaffen-
heit der Nahrungsmittel u.s.w. ungemein ver-
schieden a). Ueberhaupt ist der nach einem ruhigen
Schlafe von einem erwachsenen und gesunden Men-
schen frisch gelassene Harn eine brenzligte, zitron-
gelbe, wässerigte Lauge, die in einer großen Men-
ge Wasser verschiedene, in verschiedenem Verhält-
niß aufgelöste Bestandtheile enthält: vorzüglich
aber Erde und Salz. Unter den erdigten Bestand-
theilen zeichnet sich besonders, die Kalkerde aus,
[Seite 296] die in den Nieren- und Blasensteinen in verschie-
dener Menge angetroffen wird b). Unter den
Salzen ist das wesentliche Harnsalz c) das merk-
würdigste (sal essentiale et nativum urinae, s.
microcosmicum, s. fusibile), welches häufiger,
als die übrigen Theile des menschlichen Körpers,
eine mit flüchtigem Laugensalze verbundene Phos-
phorsäure d) enthält.
a) Hallé sur les phenomenes et les variations,
que présente l'urine considerée dans l'état de
santé. Mem. de la Soc. de Med. Vol. III. p. 469.
b) Pickel Experimenta ap. Jo. Jac. Hartenkeil de
vesicae urinariae calculo. Wirceburg. 1785. 4.
p. 27.
c) Jo. Alb. Schlosser de sale urinae humanae na-
tivo. L. B. 1758. 4.
Jo. Wenc. Tichy de arenulis in lotio adparenti-
bus, ut infallibili salutaris morborum eventus
signo prognostico. Prag. 1774. 8. p. 59.
d) Bertholet Mem. de l'acad. des Sc. de Par. a
1780. p. 10.
Th. Lauth (praes. Spielmann) de analysi urinae
et acido phosphoreo. Arg. 1781. 4.
Obgleich alle Verrichtungen des menschlichen
Körpers, von denen wir bisher gehandelt ha-
ben, beyden Geschlechtern gemeinschaftlich zu-
kommen, so wird man doch in der Art und
Weise, wie einige dieser Verrichtungen von stat-
ten gehen, nach der Verschiedenheit des Ge-
schlechts einen merklichen Unterschied gewahr a),
von dem wir itzt, bevor wir zu den eigentlichen
Geschlechtsverrichtungen übergehen, kürzlich han-
deln wollen.
a) F. Thierry E. praeter genitalia sexus inter se
discrepant. Paris 1750. 4.
Schon die äußerliche Leibesbeschaffenheit (ha-
bitus) der Geschlechter ist verschieden. Bey dem
gebohrnen Menschen fällt dieser Unterschied deut-
lich in die Augen; allein bey ungebohrnen Kindern
ist diese Verschiedenheit beym ersten Anblick nicht
[Seite 298] so merklich: indem man sogar an den äußerlichen
Geschlechtstheilen, wenn man sie nur obenhin be-
trachtet, keine auffallende Verschiedenheit wahr-
nimmt; denn der weibliche Embryo hat eine nach
dem Verhältniß zu große, und hervorragende Kli-
toris a), in dem männlichen hingegen ist noch
kaum eine Spur des Hodensackes vorhanden b).
a) Langguth Embryo 3 1/2 mensium qua faciem ex-
ternam. Viteb. 1751. 4.
b) Erst unlängst sah ich dieß an einem Zwillingsab-
ortus von verschiedenem Geschlechte, von unge-
fähr 16. Wochen. Beyde Körperchen waren zwar
vollkommen ausgebildet; allein der Unterschieb
der Geschlechtstheile zeigte sich erst bey einer ge-
nauern Untersuchung; alles übrige, nämlich die
Gestalt, die Gesichtszüge, das Verhältniß der
Lenden u.s.w. waren in beyden einander voll-
kommen ähnlich.
Aber sogar in dem kindlichen Alter ist dieser
Geschlechtsunterschied noch nicht deutlich genug
entwickelt; allmälig wird derselbe in dem Jüng-
lingsalter sichtbar, in welcher Periode sodann der
weibliche Körper durch seine Zartheit, Weiche,
und kleinere Statur von dem robusten, fleischig-
ten Körper des Mannes auffallend sich unterschei-
det a).
a) S. die berühmten Abbildungen des männlichen
und weiblichen Körpers, welche ohne Zweifel von
dem berühmten Titian gezeichnet worden, und
[Seite 299] in Vesals epitome suorum librorum de c. h. a-
natome. Basil. 1542. fol. stehen.
Aber nicht blos die äußerliche Leibesbeschaf-
fenheit, sondern auch der Knochenbau beyder Ge-
schlechter ist verschieden; denn die Knochen des
weiblichen Skelets sind verhältnißmäßig glatter,
und runder, besonders sind die röhrigten Knochen
schmächigter, die flachen hingegen dünner; ich
übergehe die übrigen Verschiedenheiten des weib-
lichen Gerippes mit Stillschweigen, z.B. des Be-
ckens, der Schlüßelbeine, der Schenkelknochen u.
s. w. a).
a) Ausführlicher habe ich diese Verschiedenheiten in
meinem osteologischen Werke beschrieben.
Was die weichen Theile des Körpers be-
trifft, so ist überhaupt das Zellgewebe der Frauen-
zimmer schlapper, nachgiebiger, damit es bey
Schwangern desto leichter nachgiebt; die Haut ist
feiner, und das darunter liegende Fett von wei-
serer Farbe.
Ihre Haare sind meistens länger, andere
Theile hingegen, welche bey Männern behaart
sind, haben in dem weiblichen Körper entweder
gar keine Haare, wie das Kinn und die Brust;
oder sind weniger behaart, wie der Damm; oder
nur mit einer zarten und weichen Wolle überzo-
gen, wie die Arme und die Schenkel.
Unter die besondern Abweichungen der kör-
perlichen Geschäfte gehört die Verschiedenheit des
Pulses, der bey Frauenzimmern öfter schlagt (§.
109.); der obere Theil der Brust ist beweglicher;
das Zungenbein ist kleiner, der Luftröhrenkopf
enger, daher auch ihre Stimme minder tief ist.
Anlangend die thierischen Verrichtungen, so
haben die Frauenzimmer überhaupt ein bewegli-
cheres Nervensystem, eine höhere Reizbarkeit,
und eine größere Empfänglichkeit für Leidenschaften.
Die männliche Zeugungsmaterie wird in beyden
Hoden abgesondert, die in dem Hodensacke an ih-
ren Saamensträngen (funiculi spermatici) hän-
gen, welche außer den häufigen einsaugenden Ge-
fäßen, aus dreyerley Gefäßen bestehen.
Nämlich aus der Saamenarterie, welche
in Rücksicht ihres Durchmessers unter allen Arte-
rien des menschlichen Körpers die längste ist,
und das Blut meistentheils unmittelbar aus der
aorta abdominali zu den Hoden hinführt.
Sodann aus dem abführenden Saa-
mengang (ductus deferens), der den abgeson-
derten Saamen nach den Saamenbläschen hinführt.
Endlich aus einem Blutadergeflechte (ple-
xu pampiniformi), wodurch das übrige Blut
aufgenommen, und entweder in die Hohlader,
oder in die Nierenvene zurückgeführt wird.
Aber die Hoden liegen nicht von jeher in dem
Hodensacke; sie haben in dem ungebohrnen männ-
lichen, noch unreifen Körper eine ganz andere La-
[Seite 302] ge, deren Beschaffenheit und allmälige Verände-
rungen von Hrn. v. Haller im Jahre 1749. a)
zuerst genauer untersucht worden sind; ob man
gleich diese Lage nachher verschiedentlich erklärt,
und in Rücksicht gewisser Umstände auch bestrit-
ten hat. Ich liefere hier eine kurze Uebersicht die-
ser Veränderungen, so wie ich sie durch wieder-
holte Zergliederungen ungebohrner männlicher Lei-
besfrüchte in der Natur selbst wahrgenommen
habe.
a) Halleri progr. de herniis congenitis recus. in
ej. opusc. patholog. p. 311. sq. Vol. III. ope-
rum minor.
Wenn man also den Unterleib einer unreifen
ungebohrnen Leibesfrucht öffnet, so erscheint in
beyden Schaamweichen, an dem sogenannten
Ringe der schiefen Bauchmuskeln, in dem Darm-
felle selbst eine sehr enge Mündung (– Taf. III.
Fig. 1. e. und Fig. 2. –), die zu einem engen
Kanal führt, welcher diesen Ring durchbohrt, und
in einen besondern blasigten Sack übergeht (–
Fig. 1. d –), der außer der Höhle des Unter-
leibes gegen den Hodensack hervorragt, mit zel-
ligten Fasern durchwebt, und zur Aufnahme der
Hoden in der Folge bestimmt ist.
Ferner entspringt an eben diesem hintern
Rande dieser in dem Unterleibe befindlichen Mün-
dung ein anderer Fortsatz des Darmfells, der aber
seine Richtung aufwärts nimmt, und in der Lei-
besfrucht (– Fig. 2. –) meistentheils nur eine
[Seite 303] länglichte Falte vorstellt, an deren Grundfläche
ein kleiner Cylinder, oder vielmehr ein umgekehr-
ter Kegel emporsteigt, dessen oberster Theil an
dem untern Rande der Niere in eine Blase über-
geht, woran der Hode sammt der Nebenhode (–
Fig. 1. a und Fig. 2. –) festsitzt; so daß der
Hode gleichsam eine noch an ihrem Stiele befe-
stigte Beere vorstellt, und wie die Leber, oder
die Niere frey in der Bauchhöhle zu schweben
scheint (§. 404.).
Die Gefäße aber, aus denen in der Folge
der Saamenstrang besteht, laufen hinter dem
Bauchfelle, welches in diesem Alter der Leibes-
frucht äußerst zart, und gleichsam durchsichtig ist:
nämlich die Saamenarterie, und Saamenvene
(– Fig. 1. b f –) welche an den Seiten des
Rückgrads herunter steigt, und der abführen-
de Saamengang (– c g –), der einwärts nach
dem Hals der Harnblase (– h –) hingeht, lau-
fen in die hinter dem Darmfelle befindliche Zellhaut,
und befestigen sich an der erwähnten Falte des
Darmfelles, an dem Hoden selbst.
Aber schon gegen die Hälfte der Schwanger-
schaft steigen die Hoden allmälig abwärts, und
nähern sich also der oben erwähnten Mündung des
Bauchfells; zugleich wird diese Falte des Bauch-
fells mit ihrem Cylinder zusammengewickelt, bis
endlich der Hode selbst auf die Mündung des klei-
nen Kanals zunächst zu liegen kömmt.
Wenn nun in der schon etwas reifern Leibes-
frucht der Hode zum Hinuntersteigen bereitet ist,
[Seite 304] so wird die bisher so enge Mündung dergestalt
erweitert, daß derselbe sowohl durch den Bauch-
ring, als auch durch den engen Kanal austreten,
und sich in den gemeldten blasigten Sack gleichsam
hineinstürzen kann; worauf diese Oeffnung des
Bauchfells sich schließt, und in kurzer Zeit so fest
verwächst, daß schon in dem kindlichen Alter kei-
ne Spur mehr von derselben zu sehen ist.
So langsam auch immer die Bewegung des
Hodens in der Bauchhöhle seyn mag, bis er zu
dieser Oeffnung gelanget, so geschwind, und fast
plötzlich ist sein Durchgang durch diese Oeffnung
selbst. Denn man findet sehr oft bey der Zer-
gliederung ungebohrner Kinder, daß der Hode
entweder noch oberhalb der Darmfellöffnung liegt,
oder, nachdem er schon durch den Bauchring ge-
treten ist, in den Schaamweichen steckt; nur ein-
mal ist es mir geglückt, daß ich in einem Zwil-
lingsfoetus, von dem ich hier eine Zeichnung lie-
fere a), den rechten Hoden in der Bauchhöhle in
dem nämlichen Augenblicke traf, da er in diesem
engen Durchgange gleichsam eingesperrt saß (–
Fig. 1. a –), und eben im Begriffe war, aus
dem Unterleibe in das Beutelchen herunter zu sin-
ken; der linke Hode hatte diesen Weg bereits zu-
rückgelegt, und die Oeffnung in der Bauchhöhle
war schon fest geschlossen (– e –).
a) Man vergleiche mit dieser Zeichnung auch die
Zeichnungen anderer Schriftsteller.
Joh. Hunter in seines Bruders Wilhelms medical
commentaries.
Camper. in Verhandelingen van het Matschappye
v. Haarlem VII. D. 1. St.
Dieser merkwürdige Durchgang der Hoden
aus der Bauchhöhle durch die Weichen ist zwar
an keine bestimmte Zelt gebunden, ereignet sich
aber doch, wie es scheint, gemeiniglich in dem
letzten Monate der Schwangerschaft: ob man gleich
nicht selten in neugebohrnen Kindern die Hoden
entweder noch in der Bauchhöhle selbst, oder oben
an der Schaamweiche antrift. Denn der Hode
muß sich, nachdem er schon aus der Bauchhöhle
hervorgetreten ist, mit seinem Beutelchen, worinn
er eingeschlossen liegt, einen neuen Weg aus den
Weichen in den Hodensack bahnen.
Diese fortschreitende Bewegung der Hoden
aus dem Unterleibe in den Hodensack ist durch wie-
derholte Erfahrungen außer allen Zweifel gesetzt.
Aber die Ursachen und Kräfte dieser sonderbaren
Wanderung sind schwer zu ergründen. Denn ich
werde täglich mehr überzeugt, daß keine von allen
diesen Kräften, denen man bisher diese fortschrei-
tende Bewegung der Hoden zugeschrieben hat, (z.
B. die Wirkung des Kremasters, oder des Zwerch-
fells, oder die bloße Zusammenziehbarkeit der mit
sehnigten Fasern durchwebten Zellhaut, welche an
diese Fortsätze des Bauchfells befestigt ist, und
unter dem Namen des gubernaculi Hunteriani be-
kannt ist, u.s.w.) zur Erklärung dieser so merk-
[Seite 306] würdigen Erscheinung hinlänglich ist: ich halte
diese Verrichtung vielmehr für ein auffallendes
Beyspiel des eigenthümlichen Lebens, ohne dessen
Beyhilfe man sich von dieser merkwürdigen, und
in ihrer Art einzigen Verrichtung nicht wohl einen
Begriff zu machen im Stande ist.
Die Bedeckungen, in welche die Hoden,
nachdem sie den beschriebenen Weg zurückgelegt
haben, eingehüllt sind, werden in die gemein-
schaftlichen, und in die jedem Hoden eigenthümli-
che Hüllen eingetheilt.
Die allgemeine Hülle ist der Hodensack:
eine dünne Haut, mit wenig darunter liegendem
Fett, die sich vor andern allgemeinen Bedeckun-
gen vorzüglich dadurch auszeichnet, daß sie ihre
Gestalt auf verschiedene Weise verändert, bald
locker, und schlapp herunter hängt, zuweilen aber
(besonders während der Begattung, in der Käl-
te u.s.w.) sich zusammenzieht, und gleichsam
steif wird, wo sie alsdann besondere Runzeln und
Furchen bildet.
Unter die eigenthümlichen Hüllen gehört zu-
erst die Dartos, welche eine eigene und starke
Zusammenziehbarkeit besitzt, wodurch Winslow,
Haller und andere berühmte Physiologen verlei-
tet worden sind, und dieser Haut eine muskelar-
tige Natur zugeschrieben haben.
Auf diese folgt (nach einer häufigen und
weichen Zellhaut) die dreyfache Scheidehaut,
welche Neubauer genau untersucht, und beschrie-
ben hat.
[Seite 307] Nämlich die äußere, den Hoden und dem
Saamenstrang gemeinschaftliche Scheidehaut,
woran sich der Kremaster mit von einander ste-
henden Bündeln befestigt.
Sodann die innern eigenthümlichen Schei-
den sowohl des Saamenstranges, als des Hoden
selbst; die letztere ist gemeiniglich mit ihrer Grund-
fläche an die gemeinschaftliche Scheidehaut befe-
stigt; innerlich aber wird sie von einer schlüpfri-
gen Feuchtigkeit (fast wie der Herzbeutel) be-
netzt.
Der Ursprung dieser Scheidehäute, worüber
die Physiologen verschiedene Streitigkeiten erregt
haben, ist, wie mir scheint, aus dem, was bis-
her von dem Heruntersteigen der Hoden gesagt
worden, leicht zu erklären.
Nämlich die allgemeine Scheidehaut entsteht
von dem blasigten Säckchen, oder dem herunter-
steigenden Fortsatze des Bauchfells (§. 502.).
Die eigenthumliche Scheidehaut des Ho-
dens entspringt von demjenigen Fortsatze des
Bauchfells, der von dem Cylinder (§. 503.) auf-
wärts steigt, und schon anfangs den Hoden über-
zieht.
Die eigenthümliche Scheidehaut des Saa-
menstranges hat ihren Ursprung von der Falte
des Bauchfells, und von dem Cylinder, in den
sie übergeht, bevor sie noch den Hoden selbst um-
faßt.
An dem Hoden selbst a) ist wie eine Rinde
die tunica albuginea befestigt, aus welcher die
Blutgefäße in die breyartige Substanz b) des Ho-
[Seite 308] dens selbst übergehen, welcher ganz aus unzähli-
gen, ungefähr einen Daumen langen, in kleine
Knäule zusammengewickelten, sowohl blutführen-
den, als absondernden Gefäßen c) zusammenge-
setzt ist. Die saamenabscheidenden Gefäße füh-
ren den Saamen durch Hallers gefäßartiges Netz
d), und die Graafischen ausführenden Kanäle
e) in die Kegelspitze der Nebenhoden.
a) Al. Monro de testibus et de semine in variis
animalibus. Edinb. 1755. 8.
b) B. S. Albini annot. acad. L. II. Tab. VII. fìg.
1. 2. 3.
c) Herr Sömmering war unlängst so glücklich, so-
wohl sämmtliche Gefäße des Hodens, als auch
den Kopf des Nebenhodens anzufüllen. Ueber
die körperliche Verschiedenheit des Negers vom
Europäer. S. 38.
d) Haller de viis seminis in philosophical Trans-
act. No. 494. fig. 1. g. g.
e) de Graaf de viror. organis generationi inservien-
tibus. Tab. IV. fig. 1. 2.
Der dem Hoden zur Seite befindliche Ne-
benhode besteht aus einem einzigen, aber unge-
fähr 30. Fuß langen Kanal, der an einem Thei-
le, den man den Kopf der Nebenhode nennt, in
mehr als zwanzig kegelartige Knäulchen abgetheilt
ist a), mit dem andern aber, der allmälig dicker
wird b), und der Schwanz heißt, in den ab-
führenden Saamengang sich endiget.
a) Monro fil. observations anatomical, and phy-
siological. Edinb. 1758. 8. Tab. I. E. E. E. F.
G. H.
Beyde abführende Saamengänge steigen
gegen den Blasenhals in die Höhe, neigen sich
unter der Vorsteherdrüse gegen einander, beu-
gen sich sodann rückwärts, und bilden durch ihre
Erweiterung die Saamenbläschen: doch so, daß
sowohl aus den Saamengängen, als aus den
Saamenbläschen zwey gemeinschaftliche Mündun-
gen unter dem Hahnenkopf in die Harnröhre sich
öffnen a).
Die Saamenbläschen endlich selbst sitzen
an der hintern, und untern Fläche der Harnbla-
se, sind mit einem häufigen Fett umgeben, und
stellen überhaupt zween kleine Därme vor, welche
verschiedene Krümmungen machen, und mit sehr
vielen blinden Fortsätzen versehen sind. a)
Sie bestehen, fast wie die Gallenblase, aus
einer zweyfachen Membrane: die äußere ist stär-
ker, und gleicht der sogenannten zelligten Haut:
die innere ist feiner, voll Fächer und Grübchen,
und durch emporragende Anhöhen (wie an dem
Halse der Gallenblase) gleichsam in Zellen ab-
getheilt.
a) S. die Zeichnungen bey Graaf, Haller, Albin
und Monro dem Sohn.
In diesen bisher beschriebenen Wegen wird
von dem Zeitpunkte der Mannbarkeit an der männ-
liche Saamen langsam, und in geringer Menge
abgeschieden. Es ist aber der Saamen eine be-
sondere, ungemein wichtige Flüßigkeit, die eine
weißlichtgelbe Farbe, einen ganz eigenen Geruch,
eine schleimigte Zähigkeit hat, und an specifischer
Schwere alle übrige abgeschiedene Säfte des mensch-
lichen Körpers weit übertrifft.
Die Saamenfeuchtigkeit zeichnet sich überdieß
(wie Lud. Ham ein Danziger im Jahre 1677.
zuerst beobachtet hat a), durch die unzählige Men-
ge von Infusionsthierchen aus, die aber in dem
Saamen verschiedener Thiere eine verschiedene Ge-
stalt haben. In dem Menschen (und im Esel b) sind
die Saamenthierchen eyrund, und feingeschwänzt:
übrigens werden sie, wie man behaupten will, nur
in dem gesunden und fruchtbaren Saamen gefun-
den, so daß man dieß einigermassen als ein Ne-
benkennzeichen seiner Reife ansehen kann: ich sa-
ge aber blos ein Nebenkennzeichen; denn daß die-
se Saamenthierchen keine befruchtende Kraft be-
sitzen, noch viel weniger die ersten Keime der künf-
tigen Generationen enthalten, verdient bey so
wichtiger Beweisgründen und Beobachtungen c)
kann angemerkt zu werden.
a) Fr. Schrüder de microscop. usu in natur. scien-
tia, et anatome. Götting. 1685. 8. p. 34.
b) W. Fr. Gleichen über die Saamen- und Infu-
sionsthierchen. Nürnb. 1778. 4. Tab. I. fig. 1.
c) Besonders Spallanzani in opuscoli di fisica
animale e vegetabile. Mutina 1776. 8. Vol. II.
und in Dissertazioni. 1780. 8. Vol. II.
Diese in den Saamenbläschen allmälig ge-
sammelte Zeugungsflüßigkeit wird bis zur künf-
tigen Entleerung aufbewahrt, und während dieser
Verweilung, wie die Galle in der Gallenblase,
indem ihr der wässerigte Theil entzogen wird, all-
mälig verdickt, und gleichsam konzentrirt.
Denn nicht nur die Hoden sammt ihren Saa-
mensträngen sind mit einer Menge einsaugender
Gefäße versehen, welche die wässerigte, von dem
Saamen gleichsam angesteckte Flüßigkeit in die
Blutmasse zurückführen, und auf diese Weise die
fernere Abscheidung des Saamens befördern (§.
476.): sondern auch die Saamenbläschen haben
solche einsaugende Gefäße, welche die überflüßige
Feuchtigkeit einsaugen, und den Saamen dadurch
kraftvoller machen.
Nur daran zweifle ich noch sehr, ob im ge-
sunden Zustande aus den Saamenbläschen jemals
ein ächter Saamen in das Blut zurückgeführt wer-
de: – Noch mehr bezweifle ich, daß der Saa-
men, wie man einst behauptete, in die nächsten
Blutadern zurücktrete: – am unwahrscheinlich-
sten aber kömmt es mir vor, daß durch diese Ein-
saugung der Saamenfeuchtigkeit dem allzuheftigen
und überspannten Triebe zum Beyschlaf vorge-
[Seite 312] beugt werde, da dieß vielmehr (wenn man die Er-
scheinungen an Thieren, welche eine periodische
Brunstzeit haben, mit der Leibesbeschaffenheit ent-
mannter Thiere vergleicht), eine unbändige, und
fast rasende Geilheit verursachen muß.
In dieser Hinsicht scheint mir vielmehr der Mensch
einen andern Vorzug, (der ihm, so viel mir
bekannt ist, unter allen andere Thieren ausschluß-
weise zukömmt), erhalten zu haben, nämlich die
nächtlichen Saamenergießungen, die ich als na-
türliche Entleerungen betrachte, wodurch der männ-
liche Körper, nach dem jedesmaligen Bedürfnisse
seiner Leibesbeschaffenheit, öfter oder seltner von
dem lästigen, und überflüßigen Saamen befreyet
wird.
Der männliche Saamen wird aber nie allein,
sondern allzeit mit dem Safte der Vorsteher-
drüse ausgeleert; dieser Saft sieht dem Eyweiße
ähnlich, und hat diese Benennung von seiner Quel-
le erhalten, nämlich von einem beträchtlichen Kör-
per, der aus einem besondern, ziemlich festen
Parenchyma besteht, zwischen den Saamenbläs-
chen und dem Zwiebel der Harnröhre liegt, und
die Vorsteherdrüse genennt wird. Die Auslee-
rungswege dieser Flüßigkeit sind noch nicht hin-
länglich bekannt, es wäre denn, daß dieselben
mit der Saamenkarunkel, dessen mittlere Mün-
dung zwischen beyden Mündungen der Saamen-
bläschen (§. 516) in die Harnröhre sich öffnet,
in Verbindung stehen a).
Die männliche Harnröhre ist ein gemeinsa-
mer, für dreyerley Flüßigkeiten bestimmter Aus-
leerungsgang; nämlich für den Harn, den Saa-
men, und für den Saft der Vorsteherdrüse. Sie
wird von einem Schleime befeuchtet, der aus den
häufigen in diesem Kanale zerstreuten Schleim-
höhlen a) abgeschieden wird. Die Harnröhre
selbst ist mit einem schwammigten Gewebe über-
zogen, auf dem noch zwey andere, aber dickere
schwammigte Körper b) liegen, woraus vor-
züglich das Zeugungsglied besteht, welches vor-
wärts in die Eichel sich endiget, und überhaupt
mit einer zarten, fettlosen, und nachgiebigen Haut
überzogen ist, die an der Krone des männlichen
Gliedes die Vorhaut zu bilden anfangt, und ganz
frey über die Eichel, wie die Augenlieder über
den Augapfel, sich schieben läßt. Die innere
Verdoppelung der Vorhaut verändert, indem sie
(beynahe wie die weiße Haut des Auges) über
die Eichel sich zurückbeugt, ihre Gestalt, und ist an der
Krone mit häufigen Littrianischen Drüsen be-
setzt c) – die einigermassen den Meibomischen
Drüsen der Augenlieder ähnlich sind – und eine
besondere Schmiere absondern d).
a) Ja. Ladmiral effigies penis humani. L. B. 1741. 4.
b) Ruysch observat. anat. chirurg. centur. p. 99.
fig. 75. 82.
– – Epist. problemat. fig. 2. 4. 6. 7.
c) Morgagni adversar. anat. I. Tab. IV. fig. 4. I. K.
d) Daß diese Schmiere bey jungen Mannspersonen,
wenn sie sich stark erhitzen, leicht sich anhäuft,
[Seite 314] in käsigte Klumpen gerinnt, und durch ihre Schär-
fe einen Reiz verursacht, ist bekannt. Dieser Un-
bequemlichkeit sind besonders die Bewohner hei-
ßer Länder ausgesetzt, und der Hauptnutzen der
Beschneidung scheint darinn zu bestehen, daß sie
diese lästige Anhäufung verhindert. Daher in
dem so heißen Senegambien sogar einige Chri-
sten sich beschneiden lassen, und die im Orient sich
aufhaltenden Europäer am häufigsten von diesem
Uebel geplagt werden. Aus diesem Grunde hat
schon ehmals der berühmte Wundarzt seines Zeit-
alters Guido de Cauliaco behauptet, (in der
Mitte des XIV. Jahrhunderts) daß die Beschnei-
dung außer den Juden und Sarazenen auch an-
dern Mannspersonen zuträglich sey: – ‘„Pro-
pterea, quod non congregantur sordities in ra-
dice balani, et calefacerent ipsum.“’ Chirur-
giae Tr. VI. doctr. II. p. m. 111.
Durch diese Einrichtung erlangt das männ-
liche Zeugungsglied das Vermögen der Erektion,
damit es nämlich durch die schnelle und plötzliche
Ergießung des Blutes in die schwammigten Kör-
per (wofern nicht die einzige, doch die Hauptur-
sache der Erektion) anschwillt, steif wird, und
seine Lage verändert, nachher aber, wenn das
überflüßige Blut wieder zurücktritt, wieder ab-
nimmt, und zusammenfällt.
In diesem Zustande der Schlappheit macht
das Zeugungsglied gleich bey seiner Entstehung
von dem Blasenhalse eine besondere Krümmung a),
[Seite 315] wodurch zwar das Urinlassen erleichtert, die Saamen-
ergießung hingegen verhindert wird b); indem
alsdann der Anfang der Harnröhre mit den Mün-
dungen der Saamenbläschen einen spitzern Winkel
macht.
a) Camper demonstrat. anat. pathologic. I. II. Tab.
fig. 1.
b) Gysb. Bendt de fabrica et usu viscerum uro-
poieticorum, L. B. 1744. 4. – recus. in Halleri
collect. disput. anatom. T. III. Tab. III.
Wenn nun das Zeugungsglied anschwillt,
so pflegt zuerst der Saft der Vorsteherdrüse aus-
zufließen, der oft ganz allein, und nur selten mit
dem Harn zugleich sich ergießt; er scheint übrigens
vorzüglich dazu bestimmt zu seyn, daß er mit dem
Saamen zugleich sich ergieße; es sey nun, daß er
durch seine eyweißähnliche Schlüpfrigkeit die Ent-
leerung der zähen Saamenfeuchtigkeit befördere,
oder zu dem Zeugungsgeschäft etwas beytrage.
Erregt wird die Ergießung des Saamens
sowohl durch die lästige Anhäufung desselben in
den Sammenbehältnissen, als auch durch den Ge-
schlechtstrieb: vollendet aber zuerst durch den hef-
tigen Kitzel, wodurch der Weg dem Harn ver-
sperrt, dem Saamen aber gleichsam geöffnet
wird; sodann durch eine krampfartige Zusammen-
ziehung der Saamenblaschen, durchs konvulsivi-
sche Bewegungen des Aufhebmuskels des Afters
und der harntreibenden Muskel, und durch eine zwar
vorübergehende und geringere, aber doch gleichsam
epileptische Erschütterung des Nervensystems.
So wie die männlichen Geschlechtsteile zur Mit-
theilung des Saamens bestimmt sind, so besteht
das Geschäft der weiblichen Geschlechtsorgane in
der Aufnahme der Zeugungsmaterie. Inzwischen
haben doch einige Geschlechtsteile des männlichen
und weiblichen Körpers eine ähnliche Struktur.
So liegt unter der Schaamgegend (wovon §. 36.
eine vorläufige Erwähnung geschehen) unter der
obern Vereinigung der Schaamlippen die Klito-
ris, welche der männlichen Ruthe in mehreren
Stücken ähnlich ist, ausgenommen, daß sie von
der Harnröhre getrennt, folglich undurchlöchert,
und in einem richtig gestalteten Körper sehr klein
ist. Denn manchmal hat man sie auch bey er-
wachsenen Frauenzimmern von einer solchen Grö-
ße angetroffen, die man verhältnißmäßig nur im
weiblichen Foetus wahrnimmt (§. 492.). Die-
se Verunstaltung hat ohne Zweifel zu den meisten
[Seite 317] Zwitterfabeln die erste Veranlassung gegeben a).
Auch die Klitoris besteht aus schwammigten Kör-
pern, wird steif, ist mit einer Vorhaut bedeckt,
und mit einer Schmiere versehen, die mit der Lit-
terischen (§. 525.) Schmiere eine große Aehn-
lichkeit hat b).
a) Haller Commentar. soc. scient. Gotting. Vol.
I. pag. 12. sqq.
Abbildungen von solchen Zwittern findet man in
Gautier observations sur l'histoire nat. a. 1752. 4.
b) Da diese Schmiere in heißen Klimaten auf eine
ähnliche Weist, wie bey Männern angehäuft wird,
und durch ihre Schärfe einen Reiz verursacht, so
ist bey verschiedenen Völkerschaften in Afrika und
in dem heißesten Theile von Asien die Beschnei-
dung der Mädchen eingeführt worden. Herr Nie-
buhr hatte die seltene Gelegenheit die Geschlechts-
theile eines beschnittenen arabischen Mädchens
von ungefehr 18. Jahren abzuzeichnen. (Dessel-
ben Beschreib. von Arabien S. 77.)
Ich habe diese Zeichnung mitgetheilt in de generis
humani varietate. Tab. II. fig. 4.
An der Klitoris herunter steigen die Nym-
phen, welche zuweilen zu einer außerordentlichen
Größe a) anwachsen, wodurch ein anders Mähr-
chen veranlaßt worden b); sie sind, wie es scheint,
dazu bestimmt, den Stral des Harns zu leiten,
indem die Harnröhre in diesem Geschlechte sehr
kurz ist, und die Mündung derselben (welche in
vollkommenen Körpern mit Wimpern besetzt ist c),
[Seite 318] unter diesen Schaamlefzen gleichsam verborgen
liegt.
a) Sogar ihre Fahl ist manchmal veränderlich.
Neubauer de triplici nympharum ordine. Jenae
1774. 4.
b) Von der sonderbaren Bauchhaut der Hottentot-
ten; die aber schon ehmals ein Arzt, der Augen-
zeuge war, für widernatürlich große Nymphen
erklärt hat. Wilhelm. ten Rhyne de promonto-
rio bonae spei. p. 33.
Etwas ähnliches erzählt von den Kamtschadalinnen
Steller: Beschreibung von dem Lande Kamtschat-
ka. S. 300.
c) Ich sah diese mit zierlichen Wimpern besetzte
Mündung der Harnröhre in einem merkwürdigen
Präparat von den Geschlechtsteilen eines alten
Weibes, wo noch das Jungfernhäutchen unver-
sehrt war, und überhaupt alle Zeugungstheile
auf das vollkommenste gebildet waren.
Unter dieser Mündung der Harnröhre liegt
die Mutterscheide, um die verschiedene Arten von
Schleimhöhlen herumsitzen, worunter z.B. die
Graafischen a) Schleimhöhlen der Harnröhre,
und die von Bartholin b) sehr unschicklich soge-
nannten Mündungen der Vorsteherdrüsen gehö-
ren, die mit ihrem schmierigten Schleime die Zeu-
gungstheile befeuchten c).
a) Jo. Jac. Huber Icones uteri; in Halleri fascic.
I. Tab. II. fìg. 1. g.
b) Ibid. fig. 1. b. b. – fig. 5. d.
c) Hierher gehören auch jene zwo Mündungen, welche
Jo. Dryander an dem äußersten Ende der Mut-
terscheibe in lebenden Weibspersonen sehr oft ge-
sehen hat. Nic. Missae epist. medic. T. I. p.
123. b.
Der Eingang der Mutterscheide selbst wird
von dem Jungfernhäutchen a) verschlossen: Die-
ses Zeichen der unversehrten Jungferschaft ist au-
ßer dem Menschen keiner andern Thiergattung
verliehen, und der Nutzen dieser Membran ist bis
itzt noch unbekannt.
Die Ueberbleibsel des zerstörten Jungfern-
häutchens bilden allmälig myrthenförmige Wärz-
chen von unbestimmter Zahl.
a) Huber l. c. fig. 3. 4. 6.
B. S. Albini annot. acad. L. IV. Tab. IV.
Die Mutterscheide steigt zwischen der Harn-
blase und dem Mastdarme aufwärts. Sie besteht
aus einem zelligten, mit vielen Blutgefäßen ver-
sehenen Gewebe; unterwärts wird sie von dem
Schließmuskel der Scheide – constrictor cunni –
a) umgeben; von innen ist sie mit einer sehr zar-
ten Haut bekleidet, welche eine doppelte Säule
zierlicher Falten bildet b), nämlich vorwärts,
und rückwärts c), aus denen beständig ein be-
feuchtender Schleim in die Höhle der Mutterschei-
de abgesetzt wird.
a) Eustachii Tab. XIV. fig. 1. X. X.
Santorin. Tab. posth. XVII. I. I.
b) Huber de vaginae uteri structura rugosa, nec
non de hymene. Götting. 1742. 4.
An dem obern Umfange der Scheide sitzt die
Gebährmutter, welche durch die breiten Mutter-
bänder auf beyden Seiten befestigt wird.
Ihr cylindrischer Hals a) wird von der Schei-
de umfaßt, und von einem engen Kanal durch-
bohrt, der so, wie die Scheide, mit vielen Fal-
ten versehen ist, und dessen Mündungen, näm-
lich der äußere, vorzüglich aber der innere Mut-
termund, von einem zähen Schleime schlüpfrig
gemacht werden.
Die Substanz der Gebährmutter ist sehr
merkwürdig; sie besteht aus einem eigenen, sehr
dichten Parenchyma a), das mit sehr vielen Blut-
gefäßen, die in sonderbaren Krümmungen sich
schlängeln, durchwebt ist b); doch sind die Ve-
nen mit keinen Klappen versehen. Ohne Zweifel
sind auch einsaugende Gefäße zugegen c). Die
Menge der Nerven ist überaus groß, wodurch
jene merkwürdige Mitempfindung der Gebährmut-
ter mit den meisten Theilen des Körpers unter-
halten wird.
a) Jo. Gottfr. Weisse (Praes. G. Rud. Boehmer)
de structura uteri non musculosa, sed cellulo-
so-vasculosa. Vitemb. 1784. 4.
b) Walter de morbis peritonaei. Tab. I. II.
Die äußere Oberfläche der Gebährmutter
wird vom Bauchfelle überzogen, die innere enge
Höhle aber, besonders der Grund, wird von ei-
ner weichen, zarten, schwammigten Membran be-
kleidet, die, wie einige behaupten a), aus farb-
losen Gefäßen (§. 80.), nach anderer Physio-
logen b) Meinung hingegen, aus einsaugenden
Gefäßen besteht.
Anlangend die Muskelfasern, welche von ei-
nigen Physiologen der Gebährmutter zugetheilt a)
von andern aber abgesprochen werden b), so will
ich hier nur soviel erinnern, daß ich bisher bey
meinen genauesten Untersuchungen sowohl der
schwangern, als nicht schwangern Gebährmutter
(in Präparaten sowohl, als in frischen Leichna-
men) nicht die mindeste Spur einer Muskelfaser
entdecken konnte. Ich werde hingegen täglich mehr
in der Meinung bestärkt, daß die Gebährmutter,
indem sie keine Muskelfasern hat, auch keine Reiz-
barkeit (§. 306.), sondern ein eigenthümliches
[Seite 322] Leben (§. 47.) besitzt, das ihren verschiedenen
Bewegungen und Verrichtungen, welche nicht wohl
von den gemeinschaftlichen Lebenskräften der gleich-
artigen Theile (§. 43–46.) hergeleitet werden
können, genau entspricht.
a) Sue in Mem. presentés. Vol. V.
b) Walther Betracht. über die Geburtstheile des
weiblichen Geschlechts. S. 25.
An den Seiten des Muttergrundes entstehen
die Muttertrompeten a), zween enge und ge-
schlängelte Kanäle, welche auf der obern Verdop-
pelung der breiten Bänder fortlaufen; ihr Bau
hat mit der Mutterscheide eine große Aehnlich-
keit, ausgenommen daß die Muttertrompeten von
innen faltenlos sind, und aus einem zarten,
schwammigten Gewebe bestehen.
Diejenige Mündung der Muttertrompeten,
welche sich in die Bauchhöhle öffnet, ist nicht nur
weiter, als die Mündung der Gebährmutter, son-
dern zeichnet sich auch durch besonders zierlich ge-
staltete, und gleichsam ausgeschweifte Franzen
aus, die ohne Zweifel bey der Empfängniß eine
wichtige Rolle spielen, indem sie während dem
Beyschlaf, so wie die Muttertrompeten selbst,
aufschwellen, und die Eyerstöcke, wie es wahr-
scheinlich ist, umfassen.
Die Eyerstöcke selbst a) bestehen, außer
einer festen, und fast sehnigten Hülle, aus einem
dichten Zellgewebe, das ungefähr 15 Graafische
Eyerchen enthält, nämlich Bläschen oder vielmehr
Tropfen eines gelblichen eyweißartigen Safts,
der auch, wenn man den frischen Eyerstock in sie-
dendes Wasser setzt, wie Eyweiß gerinnet.
a) Stenon verglich die weiblichen Eyerstöcke zuerst
mit den männlichen Hoden. Element. myologic.
specimen. a. 1667. p. 117.
In diesem eyweißartigen Safte besteht ohne
Zweifel der vorzüglichste Antheil des Weibes an
der Empfängniß; denn es ist höchst wahrschein-
lich, daß mit den zunehmenden Jahren der Mann-
barkeit ein Tropfen nach dem andern den erfor-
derlichen Grad der Reife erlangt, durch die Hülle
des Eyerstocks dringt, bis er endlich diese Hülle
selbst zerreißt, und von den Franzen der Mutter-
trompeten aufgenommen werden kann.
Daß übrigens während dem Beyschlafe, au-
ßer diesen hervorspringenden eyweißartigen Tro-
pfen, noch eine andere Feuchtigkeit sich ergieße,
die die Alten sehr unrichtig den weiblichen Saa-
men nannten, ist eine bekannte Cache; aber die
eigentliche Beschaffenheit, die Quellen, die Noth-
wendigkeit, und der Nutzen dieser Feuchtigkeit
sind uns noch unbekannt a).
a) Da wir von dieser Feuchtigkeit nichts bessers
aufweisen können, als was uns der unsterbliche
Harväus mitgetheilt hat, so werde ich hier dessen
eigene Worte anführen:
‘„Non omnes quorumlibet animalium foeminas,
nec mulieres quidem omnes, talem humorem
emittere, nec citra ejusmodi emissionem con-
ceptum necessario frustrari; (novi enim pluri-
mas, quae citra talem ejectionem fœcundae sa-
tis essent, et nonnullas etiam, quae postquam
emissionem ejusmodi expertae sunt, majori qui-
dem voluptate in coitu delectarentur, sed de
fœcunditate solita plurimum amitterent. Infi-
nita etiam exempla sunt foeminarum, quae li-
cet in coitu voluptatem sentiant, nihil tamen
emittunt, et nihilominus concipiunt). Mi-
ror maxime, eos, qui emissionem hanc ad
generationem necessariam putant, non a-
nimadvertisse, humorem illum foras ejici, et
circa clitoridem vulvaeque orificium utpluri-
mum profundi; raro intra vulvam, nunquam
vero intra uterum, ut cum maris spermate mi-
sceatur; esseque consistentia serosum, seu icho-
rosum, ad modum urinae; non autem genitu-
rae instar, lentum atque unctuosum, ut tactu
facile innotescit.“’ Exercit. de generat, anima-
lium. p. 95. Ed. Lond. 1651. 4.
Eine der gewöhnlichsten und wichtigsten Verrich-
tungen der Gebährmutter ist die monatliche Rei-
nigung, welche ohngefähr dreyßig Jahre nach ein-
ander in monatlichen Perioden erfolgt. – Ein
Gesetz, das die Natur keinem andern Thierge-
schlechte aufgelegt hat a), und dem die Weiber
aller bis itzt bekannten Völkerschaften ohne Aus-
nahme unterworfen sind b); so groß ist der Ein-
fluß dieser Verrichtung auf die Fruchtbarkeit des
weiblichen Geschlechts.
a) Es haben zwar einige Schriftsteller der Natur-
geschichte, und vorzüglich Herr Buffon, diese pe-
riodische Reinigung, außer dem Menschen, auch
andern Thiergeschlechtern (besonders den Affen)
zugeeignet. Nachdem ich aber die Gelegenheit
hatte mehrere Weibchen aus denjenigen Affenar-
ten, von denen man dieß behauptet, (z.B. den
Waldaffen, den Cynomolgen, den Mandril, u.
s. w.) mehrere Jahre nacheinander zu beobach-
ten, so bin ich nun gänzlich überzeugt, daß die-
[Seite 326] se angebliche Reinigung entweder gar nicht statt
findet, oder blos auf einen sparsamen, unordent-
lichen, und an keine bestimmte Zeit gebun-
denen Mutterblutfluß hinausläuft.
Eben so fabelhaft ist die Erzählung einiger Reise-
beschreiber, daß die Weiber einiger, besonders
amerikanischer Völker keine monatliche Reini-
gung haben. Diese Sage ist ohne Zweifel da-
durch veranlaßt worden, daß die Europäer an
den dortigen Weibern, die fast ganz nackt vor
ihren Augen herumgiengen, keine Merkmaale die-
ses Blutflusses entdecken konnten; dieß konnte sich
aber aus einer doppelten Ursache ereignen; theils
weil die Amerikanerinnen, wenn sie die Reinigung
haben, aus einem glücklichen Nationalvorurtheil
für vergiftet gehalten werden, und daher, von der
Gesellschaft der Männer ausgeschlossen, ihre Zeit
in den entferntsten Hütten im Müßiggange zubrin-
gen. – Sodann mag auch die außerordentliche
Reinlichkeit, und eine sittsamere Lage der Schen-
kel viel dazu beytragen, daß die monatliche Rei-
nigung nicht so sehr in die Augen fällt. Andr.
van Berkel Amerikansche voyage na Rio de
Berbice en Suriname. p. 21.
Dieser Monatfluß beginnt in unserm Klima
gewöhnlich gegen dem fünfzehnten Jahre, und
pflegt sich durch vorhergehende Zufälle von Voll-
blütigkeit, nämlich Blutanhäufung gegen die Brust,
ziehende Schmerzen in der Lendengegend, Müdig-
keit u. f. w. anzukünden. Bey dem ersten Ein-
tritt der Reinigung ergießt sich anfangs blos eine
[Seite 327] röthlichte Feuchtigkeit, worauf sodann ein röthe-
res Blut, und endlich eine dicke Blutmasse aus-
geleert wird: dieser Blutfluß dauert einige Tage,
und die beschriebenen Zufälle verschwinden.
Dieser Blutfluß stellt sich nun nach vier Wo-
chen wieder ein, und hält ohngefähr sechs Tage
an, binnen welcher Zeit der ganze Blutverlust
bey einem gesunden Frauenzimmer etwa sechs Un-
zen, auch wohl ein Pfund betragt.
In der Schwangerschaft, und während dem
Säugen setzt die monatliche Reinigung aus.
Nachdem aber diese Verrichtung ohngefähr 30
Jahre gedauert hat, hört sie endlich gänzlich auf,
welches in unserm Klima gemeiniglich gegen das
fünf und vierzigste Jahr zu geschehen pflegt.
Die Quellen dieses monatlichen Ausflusses
sind die Blutgefäße der Mutterscheide, oder, wel-
ches viel wahrscheinlicher ist, die Arterien der Ge-
bährmutter; denn die Beyspiele, daß Frauenzim-
mer, die schwanger waren, oder eine verschlos-
sene Mutterscheide hatten, oder mit einem Vor-
falle der umgestülpten Gebährmutter behaftet wa-
ren, demohnerachtet die monatliche Reinigung be-
kamen, sind vielmehr ein Beweis von dem heil-
samen Bestreben der Natur, welche das Blut,
wenn der natürliche Ausfluß gehemmt wird, auch
durch ungewöhnliche Wege auszuleeren weis. Ue-
berdieß hat die Zergliederung solcher Weibsper-
sonen, welche während der monatlichen Reini-
gung starben, deutlich gezeigt, daß die Gebähr-
mutter die Quelle dieses Blutflusses ist a). Ich
[Seite 328] übergehe hier die Beweisgründe a priori; denn
die Endursache der monatlichen Reinigung be-
steht wahrscheinlich darinn, daß die Gebährmut-
ter durch diesen monatlichen Blutfluß zur künfti-
gen Schwangerschaft und Ernährung der Leibes-
frucht vorbereitet werde. Und aus eben diesen
Gründen scheint dieser Blutfluß vielmehr ein An-
theil der Arterien als der Venen der Gebährmut-
ter zu seyn.
Was aber die Ursachen dieses periodischen
Blutflusses betrifft, so ist die Erforschung dersel-
ben bis ißt so vielen Schwierigkeiten ausgesetzt,
daß wir hier nur einige Wahrscheinlichkeiten, ü-
ber die man sich nicht wohl hinauswagen darf,
vorbringen können a).
Die nächste Ursache scheint in einer örtlichen
Vollblütigkeit der Gebährmutter zu liegen; und
hiemit stimmen sowohl die Symptomen der ein-
tretenden Reinigung, als auch die Menge und
Beschaffenheit der Blutgefäße, mit denen die Ge-
bährmutter versehen ist, überein.
Unter die entfernten Ursachen scheint sowohl
die aufrechte Lage des menschlichen Körpers (wo-
durch sich derselbe von allen andern Thiergeschlech-
tern auszeichnet), als auch das besondere Paren-
chyma und das eigenthümliche Leben der Gebähr-
mutter zu gehören.
Anlangend die Ursache der periodischen Wie-
derkehr, so ist es besser, daß wir über diesen
Punkt unsere gänzliche Unwissenheit bekennen, als
[Seite 329] eiteln Hypothesen nachjagen: indem alle periodi-
schen Erscheinungen, sowohl im gesunden als
kranken Zustande, deren Epochen über 24 Stun-
den sich erstrecken, als Naturgeheimnisse betrach-
tet werden müssen.
a) Abr. d'Orville (praes. Haller) causae menstrui
fluxus disquisitio. Götting. 1748. 4.
Gisb. Verz. Muilman an ex celebrata hactenus
opinione de plethora universali vel particulari
vera fluxus menstrui causa explicari possit? L.
B. 1772. 4.
Jac. Fr. Martley de mensibus. Edinb. 1783. 8.
Theod. Traug. Jaehkel (praes. Krause) aetiologia
fluxus menstrui. Lips. 1784. 4.
Eben so wichtig, als die Verrichtung der Ge-
bährmutter, ist auch das Geschäft der weiblichen
Bruste, dieser heiligen Quellen, und Erzieherin-
nen des Menschengeschlechts. Beyde Organe sind
in dem kindlichen Alter geschäftlos, aber auch
beyde werden bey herannahender Mannbarkeit zu-
gleich thätig, die Gebährmutter entleert sich vom
Blute, und die Brüste schwellen an; von diesem
Zeitpunkte fangen die Verrichtungen dieser bey-
den Organe entweder zugleich an, so daß
bey zunehmender Schwangerschaft die Brüste an-
schwellen, und Milch absondern, oder sie wechseln
miteinander ab, indem der Monatfluß, so lange
die Mutter das Kind saugt, stillsteht, wenn aber
die Mutter nicht säugt, die Kindbettreinigung
dafür desto häufiger fließt u.s.w. Endlich hö-
ren bey zunehmendem Alter die Verrichtungen
beyder Organen zugleich auf; die monatliche Reini-
gung hört auf zu fließen, und die Brüste geben
keine Milch, und erschlappen. Ich übergehe die
pathologischen Erscheinungen bey der widernatür-
[Seite 331] lichen Beschaffenheit der monatlichen Reinigung,
z.B. beym weißen Fluße, und andern dergleichen
Zufällen, wo dieser Konsensus der Gebährmut-
ter und der Brüste deutlich in die Augen fällt.
Diese genaue Mitempfindung, welche zwi-
schen der Gebährmutter und den weiblichen Brü-
sten herrscht, läßt sich leicht erklären, indem fast
alle (§. 54.) angeführte Ursachen der Mitempfin-
dung zwischen den Organen der Brust und des
Unterleibes, in dem weiblichen Körper sich ver-
einigen a).
a) Jac. Anemaet de mirabili, quae mammas inter
et uterum intercedit, sympathia. L. B. 1784. 4.
Ehemals leitete man diese Mitempfindung
größtentheils von den Anmündungen der arteria
mammaria interna und epigastrica her a); daß
aber diese Anmündungen der Gefäße, obgleich die
Physiologen zuviel daraus gefolgert haben b),
etwas dazu beytragen, erhellt aus dem veränder-
ten Diameter, den die arteria epigastrica wäh-
rend der Schwangerschaft und dem fortdaurenden
Geschäfte des Saugens annimmt.
a) Eustachii Tab. XXVII. fig. 12.
Haller icon. anat. fascic. VI. Tab. I.
b) Rud. Boehmer de consensu uteri cum mammis
caussa lactis dubia. Lips. 1750. 4.
Es findet aber zwischen den Brüsten und der
Gebährmutter noch eine andre Aehnlichkeit Statt;
[Seite 332] diese nämlich, daß beyde Organen eine besonde-
re Zuneigung gegen den Speisesaft verrathen,
und denselben, vorzüglich während der Schwan-
gerschaft, an sich ziehen, und zum besondern Ge-
brauch weiter herarbeiten.
Die weiblichen Brüste a) bestehen aus ei-
ner kuchenförmigen Anhäufung zusammengesetzter
Drüsen, welche durch zahlreiche Furchen in grö-
ßere Abschnitte abgetheilt sind, und überhaupt
in einem häufigen Fett gleichsam schwimmen; vor-
züglich aber erhalten sie nach vorn zu durch eine
festere darunterliegende Fettmasse eine beträchtli-
che Wölbung, die mit einer sehr zarten Haut über-
zogen ist.
a) Kölpin de structura mammarum. Griphisw.
1765. 4. c. fig. aeneis.
Jeder dieser Abschnitte besteht wiederum aus
kleinern Abschnitten, oder sogenannten Körner-
chen, in welche sich die äußersten Zweige der
Milchgänge (ductus lactiferi) senken a), die aus
den äußersten Endungen der arteriae mammariae
internae den Milchsaft einsaugen.
a) Covolo zwey Tafeln, welche den Santorinischen
Tafeln beygefügt sind.
Diese kleinen Milchgänge vereinigen sich
immer mehr und mehr a), und fließen endlich in
größere Hauptstämme zusammen, welche der An-
[Seite 333] zahl der Abschnitte entsprechen, so daß in jeder
weiblichen Brust 15 oder mehrere solche Ausfüh-
rungsgänge gezählt werden. Diese Gänge erwei-
tern sich zwar an verschiedenen Stellen, scheinen
aber doch unter sich durch keine wirklichen Anmün-
dungen zusammenzuhängen b).
a) Girardi Tab. I. gleichfalls den Santorinischen
Tafeln angehängt.
Diese Stämme endigen sich endlich in unge-
mein feine Ausführungsgänge, welche in der Mit-
te jeder Brust mittelst eines zelligten Gewebes ge-
sammelt werden, und in die Warze a) sich öff-
nen, die von den feinsten Blutgefäßen und Ner-
ven durchwebt ist, und, wenn sie von einem Ki-
tzel gereizt wird, aufschwillt.
Die Warze ist von dem Hof a) umgeben;
dieser zeichnet sich, so wie Warze selbst, durch
die besondere Farbe b) des unter dem Oberhäut-
chen befindlichen Malpighischen Netzes aus c);
übrigens befinden sich an dem Hof auch Fettdrü-
sen d); auch hat man sogar manchmal einige zer-
streute Milchgänge e) daran entdeckt.
a) Ruysch Thes. I. Tab. IV. fig. 4.
b) Bey Schwangern, besonders in der ersten
Schwangerschaft, sind die Warzen gemeiniglich
gelblich.
Daß die Warzen der Samojedinnen, auch bey un-
verletzter Jungferschaft, schwarz sind, versichert
ein Augenzeuge: Klingstädt Mem. sur les Samo-
jedes et les Lappons. p. 44.
c) B. S. Albini annot. acad. L. III. Tab. IV. fig. 3.
Die in diesen bisher beschrieben Organen ab-
gesonderte weibliche Milch ist ein weißer, wäße-
rigter, etwas fetter, süßlichter, milder Saft, der
mit der Milch unsrer zahmen Saugthiere zwar die
größte Aehnlichkeit hat, ausgenommen, daß er
nicht wie diese durch beygemischte Säuren gerinnt,
und nicht eine Spur eines flüchtigen Laugensalzes
enthält a).
a) Voltelen (praes. Hahnio) de lacte humano ob-
servationes chemicae. L. B. 1775. 4.
Wird aber die Milch mittelst des Weingei-
stes zum Gerinnen gebracht, so kommen die näm-
lichen Bestandtheile zum Vorschein, welche man,
wie gesagt, bey der Thiermilch zu beobachten
pflegt. Denn außer dem wäßerigten Duft, wel-
cher aus der frischgemolkenen und noch warmen
Milch aufsteigt, scheiden sich die Molken von dem
Käse, welche den Milchzucker a) enthalten,
der aus der mit Kalkerde, schleimig- und ölig-
ten Theilen verbundenen Zuckersäure besteht. Die
Butter endlich soll aus Kügelchen bestehen, de-
[Seite 335] ren Größe aber sehr veränderlich ist, da ihr Dia-
meter zwischen 1/200 und 1/1000 einer Pariser Linie
fällt b).
a) Marc. Lud. Williamoz de sale lactis essentiali.
L. B. 1756. 4.
Aus der Aehnlichkeit, welche man zwischen
dem Speisesaft und dem Blute (§. 10. 453.),
und zwischen diesen beyden Flüßigkeiten und der
Milch wahrnimmt, läßt sich mit einiger Wahr-
scheinlichkeit schließen, daß dieser letztere Saft ei-
gentlich ein aus der Blutmasse geschiedener, oder
vielmehr vor seiner vollkommenen Verähnlichung
mit dem Blute abgesonderter Nahrungssaft sey.
Diese Meinung erhält sowohl durch die Beobach-
tung, daß in der Ammenmilch die Eigenschaften
der genossenen Nahrungsmittel deutlich wahrge-
nommen werden, als auch durch die nahrungs-
saftsähnliche, wäßerigte Milch, welche während
der Schwangerschaft, und sogleich nach der Ent-
bindung aus den Brüsten fließt, einen großen
Grad der Wahrscheinlichkeit.
Die Ursache aber, warum bey dem fortge-
setzten Säugen diese milde Nahrung des neuge-
bohrnen Kindes allmälig dicker und fetter wird,
scheint von den einsaugenden Gefäßen herzurüh-
ren, mit denen die Brüste reichlich versehen sind; je
häufiger und länger der Ausfluß der Milch dauert,
desto häufiger werden die molkigten Theile der
Milch von diesen Gefäßen eingesogen, und in das
Blut zurückgeführt, wodurch das Geschäft der
[Seite 336] Milchabsonderung ungemein befördert wird (§.
476.).
Die häufigste Absonderung der Milch erei-
gnet sich sogleich einige Tage nach der Entbindung,
und wird, wenn die Mutter selbst stillt, durch
das Saugen des Kindes ferner unterhalten, bis
endlich die monatliche Reinigung, welche gewöhn-
lich während dem Stillen aussetzt (§. 547.),
wiederkehrt. Doch weis man aus der Erfahrung,
daß auch unverletzte Jungfern, auch neugebohr-
ne Kinder beyderley Geschlechts, und sogar Män-
ner a), so wie auch andere männliche erwachsene
Säugthiere b), Milch in den Brüsten abgeson-
dert haben.
a) In Rußland soll dieß eine ganz gemeine Sache
seyn. Comment. acad. sc. Petrop. Vol. III. p.
278.
b) In unserer Gegend befindet sich ein neunjähriger
Bock, der sich sowohl durch seine Größe, als
Leibesstärke auszeichnet, aus dem seit sechs Jah-
ren einen Tag um den andern ein halbes Pfund
einer schmackhaften Milch ausgemolken wird. Er
ist also vollkommen jenem Lemnischen Ziegen-
bocke ähnlich, dessen Aristoteles erwähnet. Hist.
animal. Lib. III. p. 259. ed. Gu. Du Val.
Wir gehen nun zu denjenigen Verrichtungen ü-
ber, zu deren Behuf die bisher beschriebenen Or-
ganen benderley Geschlechts gebildet worden sind,
nämlich zur Empfängniß und Fortpflanzung des
Menschengeschlechts; ich werde aber in dieser
Abhandlung zuerst nur die Erscheinungen, welche
bey diesem wundervollen, und beynahe göttlichen
Geschäfte wahrgenommen werden, darstellen;
alsdann aber den wahrscheinlichen Ursachen dieser
Erscheinungen nachforschen.
Vor allen Dingen verdient bemerkt zu wer-
den, daß der Mensch nicht wie die meisten übri-
gen Thiere (und zwar alle Säugthiere, den Men-
schen ausgenommen), nur zu einer bestimmten
Jahreszeit zur Begattung gereizt wird a), son-
dern zu allen Zeiten dazu aufgelegt ist.
a) Man müßte dann hieher ziehen, daß in Schwe-
den, nach Wargentin's Beobachtungen, die mei-
[Seite 338] sten Geburten in dem September fallen, der also
dem vorhergegangenen Dezember entspricht.
Swensk. Vetensk. acad. Handlinger. a. 1767.
Vol. XXVIII. p. 249.
Wenn also das Weib den Mann zugelassen
hat, und beyde von dem heftigsten aller thieri-
schen Triebe durchdrungen sind, wird die Gebähr-
mutter in einen entzündungsartigen Orgasmus a)
versetzt, nimmt vermöge ihres eigenthümlichen Le-
bens (§. 538.) den ausgespritzten männlichen
Saamen auf b), und ergießt zugleich einen eige-
nen Saft (§. 543.); die Muttertrompeten wer-
den steif, und legen ihre Franzen an die Eyer-
stöcke; aus einem der beyden Eyerstöcke springt
ein Graafsches Bläschen, gleichsam wie ein rei-
fer Absceß, auf, und der darinn enthaltene ey-
weißartige Saft wird von der Franze der Mutter-
trompete aufgenommen, und in die Gebährmut-
ter gebracht.
a) Ruysch hatte zweymal Gelegenheit, eine Ge-
bährmutter sogleich nach geschehener Beschwän-
gerung zu zergliedern.
Das erste Beyspiel steht in Adversarior. anatom.
medico-chirurg. Dec. I. Tab. II. fig. 3. von ei-
ner Hure, die sogleich nach dem Beyschlafe von
ihrem Liebhaber ermordet wurde.
Das zweyte in Thesauro anatom. VI. p. 23. Tab.
V. fig. 1. von einer Frau, die von ihrem Manne
im Ehebruch überrascht, und in den ersten Stun-
den ihrer Schwangerschaft von demselben umge-
bracht wurde.
b) Wenn man die Gewalt betrachtet, womit der
männliche Saamen ausgespritzt, und von der
Gebährmutter gleichsam verschluckt wird, und
was für eine kleine Menge der Saamenfeuchtig-
keit (wie dieß die an Thieren angestellten Versu-
che beweisen) zur Befruchtung hinlänglich ist;
so kann man sich leicht erklären, wie es zugeht,
daß Frauenzimmer ohne Verletzung des Jungfern-
häutchens empfangen können, woraus eini-
ge Physiologen das Daseyn eines gewissen Saa-
mendufts (aura seminalis) zu erweisen gesucht
haben.
Nachdem nun dieser eyweiße Saft aus dem
Eyerstocke entleert worden, schließen sich die äu-
ßern Lefzen dieser kleinen Wunde durch eine Nar-
be; das gefäßreiche Häutchen aber, worinn die-
ser Saft eingeschlossen war, geht in ein gelbes
Körperchen a) über, das im Anfange ebenfalls
hohl, und, wie mir scheint, mit einer gerinn-
baren Lymphe angefüllt ist, in der Folge aber in
einen fleischigten Kern verwandelt wird, der mit
einer dicken, von beträchtlichen Blutgefäßen durch-
webten Rinde umgeben ist b).
a) Jo. Chr. Kuhlemanni observationes circa nego-
tium generationis in ovibus factae. Götting.
1753. 4. c. f. ae.
b) Gul. Hunter anatome uteri gravidi. Tab. XV.
fig. 5. Tab. XXIX. fig. 3. Tab. XXXI. fig. 3.
Wenn die Gebährmutter beschwängert ist,
so schließt sich der innere Muttermund so fest (§.
535.), daß keine Ueberschwängerung statt finden
kann.
Die innere Oberfläche der Gebährmutter wird,
wie es scheint, mit einer gleichsam entzündlichen
gerinnbaren Lymphe überzogen (§. 19), wodurch
Hunters a) zottigte Haut (caduca, seu deci-
dua) gebildet wird. Diese Membran besteht aus
zwey Lamellen, nämlich aus der dichten, welche
die ganze Höhle der Gebährmutter, die Mündun-
gen der Trompeten und den innern Mutterhals
ausgenommen, umgibt b); und aus einer an-
dern, welche erst später, nachdem sich das Ey-
chen schon gebildet, und in der zottigten Haut
selbst Wurzel gefaßt hat, über die übrige Ober-
fläche des Eyes fortgesetzt wird (– Tab. IV.
fig. 1. a. – fig. 2. –), und daher den Namen
der umgestülpten zottigten Haut (caduca refle-
xa) erhalten hat c).
a) Von dem Ursprunge dieser Membran (deren ge-
nauere Kenntniß wir Huntern zu verdanken ha-
haben) scheint zuerst Aretäus einen richtigen Be-
griff gehabt zu haben. Aretoeus Cappadox de
caus. et sign. morbor. diutur. L. II. c. 11. p. 64.
Ed. Boerhaavii.
Nach Wiederherstellung der Zergliederungskunde hat
Fallop dieser Membran erwähnt. Observat. ana-
tom. p. 207.
Das Chorion, entweder schlechtweg, oder mit den
Beywörtern, spongiosum, tomentosum, fun-
golum, filamentosum, reticulatum, der Schrift-
steller des folgenden Jahrhunderts. Albin's In-
volucrum membranaceum.
Die erste Abbildung dieser Membran hat Ruysch
geliefert. Thes. anat. V. Tab. I. fig. 1. F. B.
C. G.
b) Gul. Hunter l. c. Tab. XXXIV. fig. 3-6.
Das Ey selbst wird zwar früher erzeugt, als
der Embryo, den es in der Folge einhüllt; doch
wird die Bildung des letztern nicht früher, als
ungefähr vierzehn Tage nach der Empfängniß an-
gefangen a). Vor diesem Zeitpunkte hat man
wohl niemals Spuren einer gebildeten Leibesfrucht
angetroffen.
a) Das Ey, welches Tab. IV. abgebildet ist, habe
ich vor vielen andern vorzüglich aus dieser Ursa-
che gewählt, weil es für seine kurze Entstehung
ungemein schön, und unverletzt war. Der Um-
fang der cylindrischen mit Weingeist angefüllten
Flasche, worinnen das Ey schwebte, verursachte,
daß das Bild, seiner richtigen Zeichnung ohner-
achtet, größer ausfiel, als der Gegenstand wirk-
lich war, indem das Bläschen der Schaafhaut
kaum einer großen Erbse glich.
Dieses Ey ist von einem robusten Weibe, die zum
drittenmale schwanger ward, und nachdem die
[Seite 342] monatliche Reinigung zum erstenmale ausgesetzt
hatte, plötzlich abortirte: es gehört also in das
erste Monat der Schwangerschaft.
Ich öffnete dieses Ey sogleich mit der größten Be-
hutsamkeit, und fand die Lederhaut mit ihrer
wässerigten Feuchtigkeit, und die Schaafhaut
mit dem sogenannten Schaafwasser angefüllt.
Uebrigens sah man weder von dem Nabelstran-
ge, noch von dem Foetus selbst die mindeste
Spur, es sey nun, daß das Ey noch nicht die
zur Bildung der Foetus erforderliche Reife er-
langt hatte (und ich zweifle, ob bey dieser Zart-
heit des Eyes schon eine Bildung möglich war),
oder überhaupt unfruchtbar war. Denn daß der
kleine Foetus da gewesen, aber durch die Mace-
ration aufgelöst worden sey, läßt sich nicht ver-
muthen, indem das ganze Ey noch unverletzt,
und die ganze innere Fläche der Schaafhaut glatt
war.
Es besteht aber das Ey außer ihrer äußern
zugetheilten Hülle, die von Hunters zottigter
Haut entsteht, aus zwey eigenthümlichen Mem-
branen.
Die äußere, welche, wie es scheint, keine
Gefäße besitzt, heißt bey den Neuern die Leder-
haut a) (– a – (chorium) – Tab. IV. fig.
1. c –); ihre äußere Oberfläche ist im Anfange
großentheils mit knotigten, sehr schönen Flöckchen
besetzt (– fig. 1. b – fig. 2. –), daher sie
auch von einigen chorion muscosum, s. frondo-
sum genennt worden. Mit diesen Flöckchen, wel-
[Seite 343] che die ersten Anfänge des zum Foetus gehörigen
Mutterkuchens sind, ist das Ey, gleichsam wie
mit seinen Wurzeln, an die zottigte Haut befe-
stigt (§. 569.).
Die innere Membran heißt die Schaafhaut
(– fig. 1. d –), auch sie hat keine Blutge-
fäße (§. 5.), und ist, ihrer Zartheit ohnerach-
tet, dennoch sehr fest.
a) Rouhault, Halleri membrana media.
Ueberhaupt findet man die Synonimen der Mem-
branen des Eyes in Hallers großer Physiologie.
Vol. III. P. I. p. 194.
Tabarrani epist. ad Bartalonum in Atti di Siena.
T. VI. p. 224.
Beyde eigenthümlichen Membranen sind in
den ersten Wochen von Anbeginn des Eyes an
Größe von einander sehr unterschieden; indem die
Lederhaut eine größere Blase bildet, woran von
innen die Schaafhaut, wenigstens an derjenigen
Stelle, welche ungefähr dem Mittelpunkte der
flockigten Oberfläche der Lederhaut entspricht, als
eine ungleich kleinere Blase festsitzt.
Der übrige zwischen der Leder- und Schaaf-
haut befindliche Zwischenraum ist mit einer wässe-
rigten Feuchtigkeit, deren Quelle unbekannt ist,
und sich bald verliert, erfüllet.
Denn indem die Schaafhaut schneller wächst,
als die Lederhaut, folglich mit jedem Monate sich
näher an dieselbe anschließt a), so muß nothwen-
dig in demselben Verhältnisse die Menge dieser
wässerigten Feuchtigkeit sich vermindern.
Diese innere Membran des Eyes ist von ih-
rem ersten Anbeginn (§. 570.) bis zu dem heran-
nahenden Augenblick der Geburt beständig mit dem
Schaafwasser (liquor amnii) angefüllt. Diese
wässerigte Feuchtigkeit hat eine gelbliche Farbe,
fast keinen Geruch, und einen milden, etwas sal-
zigten Geschmack; er wird gewöhnlich für nahr-
haft gehalten, und mit dem Eyweiße verglichen,
allein genauere Untersuchungen haben den Ungrund
dieser Meinung gezeigt.
Auch die Quellen dieser Feuchtigkeit sind noch
unentdeckt; denn daß sie weder von der Frucht,
noch von dem Nabelstrange entsprigt, erhellt schon
daraus, weil diese Feuchtigkeit auch in den un-
fruchtbaren Eyern enthalten ist.
Die Menge dieser Feuchtigkeit steht mit der
Größe der Frucht im umgekehrten Verhältnisse,
das ist: je jünger die Frucht, desto größer ist die
Menge dieser Feuchtigkeit.
Und hieraus läßt sich der Hauptnutzen dieser
Feuchtigkeit angeben, welcher vielmehr zur Be-
schützung des zarten und gallertartigen Körper-
chens gegen äußere Unbilden, als zur Ernährung
desselben bestimmt ist. Denn die kleine Menge
des Schaafwassers, die man zuweilen, (aber so
selten, daß man es für eine widernatürliche Er-
scheinung ansehen darf), in dem Magen ungebohr-
ner Kinder gefunden hat, kann keineswegs zur
Ernährung bestimmt seyn, da, wie man weis,
bey ungebohrnen Kindern das ganze System der
[Seite 345] Milchgefäße so unentwickelt, und unbedeutend ist,
daß noch keine Bereitung des Milchsaftes statt
haben kann; die Beyspiele von Kindern a), wel-
che ohne Köpfe gebohren worden, und andere
dergleichen Beweisgründe, übergehe ich hier mit
Stillschweigen.
a) An die fabelhaften Erzählungen von Embryo-
nen, die keine Nabelgefäße gehabt haben sollen,
wird nicht leicht jemand glauben, der diese Ge-
schichtchen mit einem kritischen Auge untersucht
hat.
Der Embryon selbst, der an dem Nabel-
strange, wie eine Frucht an dem Stiele, hängt,
und in dieser Feuchtigkeit schwimmt, wird erst un-
gefähr in der dritten Woche nach der Empfängniß
gebildet a); er erscheint zuerst in der Gestalt ei-
ner kleinen Bohne, woran zuerst die Anfänge der
äußern Gliedmassen sichtbar werden, endlich wird
das Gesicht weiter ausgebildet, u.s.w. b).
a) Es wäre ganz überflüßig, wenn ich hier die
Märchen, und erdichteten Abbildungen des Mau-
riceau und Rerckrings von ungebohrnen Kindern,
die einen oder nur wenige Tage gelebt haben sol-
len, widerlegen wollte.
b) Wer selbst keine Sammlung ungebohrner Kinder
besitzt, mag sich mit Abbildungen behelfen, die
in folgenden Werken vorkommen:
Ruysch Thesaur. anat. VI. Tab. II. fig. 2. 3. 4. 5.
8. 10. Thesaur. X. Tab. III. fig. 1.
B. S. Albini annot. acad. L. I. Tab. V. fig. 4. 5.
Trew in commerc. litter. Norico. a. 1739. Tab.
III. fig. 4. 5.
Nach dem Laufe der Natur bringt zwar eine
Frau nur ein Kind auf einmal zur Welt, und
empfängt nur eine einzige Frucht; doch sind auch
Zwillingsgeburten nicht selten, die sich zu den
einzelnen Geburten, nach Sußmilch's Berech-
nung, wie 1 : 70 Verhalten a). Und alsdann
hat gemeiniglich jeder Zwilling seine besondere
Schaafhaut, beyde aber haben eine gemeinschaft-
liche Lederhaut b).
a) Allein außerdem, daß dieses Verhältniß häufige
Ausnahmen leidet, so findet dabey auch ein Na-
tionalunterschied statt.
In Grönland sind Zwillingsgeburten äußerst selten.
Eggede description du Grönland. p. 112.
Desto häufiger sind Zwillinge in Inland, und ver-
halten sich zu den gewöhnlichen wie 1: 53. Rich.
Twiss tour in Ireland p. 18.
b) Nur selten geschieht es, daß die Zwillinge in
einer gemeinschaftlichen Schaafhaut eingeschlossen
sind. Jac. de Puyt in Verhandel. der Zeeuwsch
Genootsch. te Vlissingen. T. IX. p. 423. sq.
Der Zusammenhang zwischen Mutter und
Kind wird durch den Nabelstrang, der sich in dem
Mutterkuchen verbreitet, unterhalten.
Der Nabelstrang, welcher wahrscheinlich
mit dem Foetus zugleich entsteht, ist an Länge,
Dicke, nach dem Ort seiner Einsenkung in den
Mutterkuchen, nach der Anzahl seiner varikösen
Knoten u.s.w. sehr veränderlich. Er besteht
überhaupt aus drey in einen Bündel zusammen-
gewundenen Blutgefäßen, nämlich aus einer Ve-
ne, die nach der Leber des Kindes geht, und
zwey Arterien, die aus den beyden arteriis hy-
pogastricis des Foetus entstehen; sie werden äu-
ßerlich durch zelligte, veränderliche Scheidewände
von einander getrennt a); innerlich aber werden
sie durch Knötchen, oder durch Hobokens Qua-
siklappen verenget b).
Diese Gefäße werden mittelst eines zelligten
Gewebes, das mit einer besondern, klaren, sul-
zigten Feuchtigkeit angefüllt, äußerlich aber in die
Schaafhaut eingehüllt ist, in einen Strang zu-
sammengebunden.
a) Guil. Noortwyk uteri humani gravidi anat.
Tab. III. fig. 5. 6. 7.
b) Hoboken anatom secund. human. repetit. p.
522. fig. 38. 39. 40.
Diese Struktur hat Hr. Reuss bis in die Zweige
selbst verfolgt. Novae observationes circa stru-
cturam vasorum in placenta humana. Tubing.
1784. 4.
An der Stelle, wo der Foetus an den Na-
belstrang befestigt ist, entsteht aus dem Grunde
seiner Harnblase (§. 486.) der Urachus a),
[Seite 348] welcher zwischen beyden Nabelarterien in den Na-
belstrang eindringt; dieser Kanal, welcher in dem
menschlichen Körper nur eine kurze Zeit offen steht,
und bald ganz undurchgängig wird, geht bey an-
dern Saugthieren in eine Allantois b) über, die
bekanntermassen in dem menschlichen Foetus nicht
vorhanden ist; man müßte dann hieher jene klei-
ne zwischen der Leder- und Schaafhaut des mensch-
lichen Eyes befindliche Nadelblase (vesicula um-
bilicalis) rechnen, die lange vor Albin c), und
Zinn d) Isbr. von Diemerbroeck e) gesehen hat;
deren Ursprung übrigens noch zweifelhaft, ihr
Daseyn aber von kurzer Dauer ist. In neuern
Zeiten ist dieses Bläschen so oft, und in befruch-
teten Eychen bis in das dritte Monat der Schwan-
gerschaft so gleichmäßig wahrgenommen worden,
daß man dasselbe nicht wohl geradezu für eine
blos zufällige, von Krankheit oder Mißgestalt
herrührende Struktur erklären kann f).
a) Jo. Noreen de uracho. Götting. 1749. 4.
Ad. Boehmer de uracho, ad calcem anatomes
ovi humani foecundi, sed deformis. Hal. 1763. 4.
b) Fabr. ab Aquapendente de formato foetu Tab.
XII. XIII. XIV. fig. 27. XXV.
c) B. S. Albini annot. acad. L. I. Tab. I. p. 12.
d) Epistol. ad Hallerum script. Vol. IV. p. 195.
e) Anat. corp. hum. p. 263. ed. 1679.
f) Anlangend die beständige Erscheinung dieses
Bläschens, so will ich hier noch eine doppelte
Erinnerung beyfügen; diese nämlich, daß sich
dieser so zarte, und dem Verderbniß so sehr aus-
gesetzte Theil, nur in einem ganz frischen Abortus
[Seite 349] zeigt, und alsdann wegen der erstaunen den Klein-
heit, und Feinheit des in die Nabelschnur sich
einsenkenden Gefäßes, nur durch die behutsam-
ste Untersuchung, durch sehr gewandte Handgrif-
fe, und mit dem bewaffneten Auge dargestellt
werden kann. Dieß begegnete mir vor einigen
Tagen, als ich ein Eychen, welches kaum so groß
als ein Taubeney war, öffnete, und einen schr
kleinen Embryo, ungefähr so groß als eine Amei-
se, darinnen fand, aber an der innern Oberflä-
che des Eyes keine Spur dieses Bläschens entbe-
cken konnte. Als ich aber eine genauere Unter-
suchung anstellte, und das Schaafhäutchen von
der Lederhaut behutsam absonderte, kam die-
ses Bläschen zwischen beyden Membranen zum
Vorschein; und obgleich dasselbe kaum so groß
als ein Senfkörnchen war, so war es doch ganz
deutlich mit seiner Flüßigkeit angefüllt, und mit-
telst eines ganz kenntlichen Fadens von der Seite
mit dem kurzen und dicken Nabelstrange ver-
bunden.
Diese beschriebenen Blutgefäße des Nabel-
stranges endigen sich in den Mutterkuchen a),
welcher, wie oben gesagt worden, von der wol-
ligten Oberfläche der Lederhaut, wo dieselbe an
die zottigte Haut (decidua) befestigt ist, entsteht.
Hieraus erhellt, daß der Mutterkuchen aus einer
zweyfachen Substanz besteht; nämlich eine Sub-
stanz gehört der Gebährmutter eigenthümlich zu,
entspringt von der zottigten Haut derselben, und
bildet das schwammigte Parenchyma des Mutter-
[Seite 350] kuchens; die andere Substanz entsteht von der
Verbreitung der Nabelgefäße in dem Kuchen,
und ist folglich mehr ein Antheil des Foetus,
als der Mutter.
Das Wachsthum des Eychens geht ziemlich
ungleich von statten; denn die glatte Oberfläche
der Lederhaut wächst schneller als ihre innere netz-
artige Wand; daher kömmt es, daß der Mutter-
kuchen verhältnißmäßig desto größer gefunden wird,
je jünger der Foetus ist, und im Gegentheile um
so viel kleiner erscheint, je näher die Geburt her-
anrückt.
Bey zunehmender Schwangerschaft wird die
Substanz des Kuchens immer dichter und stärker;
die äußere Seite ist an die Mutter befestigt, und
durch tiefe Einschnitte gleichsam in verschiedene
Stücke eingetheilt; die innere Seite ist glatt, und
mit der Schaafhaut überzogen. Aber der Umfang,
Dichtigkeit, Gestalt und Lage des Mutterkuchens
sind veränderlich; doch ist er gewöhnlich an dem
Grunde der Gebährmutter befestigt; überhaupt
aber hat der Mutterkuchen weder Empfindlichkeit
(§. 204.), noch Reizbarkeit (§. 306.).
Obgleich alle Physiologen einstimmig den
Mutterkuchen für das vornehmste Werkzeug er-
klären, wodurch der Foetus ernährt wird, so sind
doch in neuern Zeiten über die Art, wie diese Er-
nährung geschieht, und über das wechselseitige
Verhältniß des Kuchens gegen Mutter und Kind
verschiedene Streitigkeiten entstanden. Die Sa-
[Seite 351] che scheint sich, wie mich dünkt, auf folgende
Weise zu verhalten. Es gibt zwischen den Blut-
gefäßen der Gebährmutter und den Blutgefäßen
des Nabelstranges keine Anmündungen; sondern
das Blut, welches durch die Arterien der Ge-
bährmutter in denjenigen Theil des Kuchens fließt,
aus dem die zottigte Haut entspringt, wird von
den äußersten in der netzartigen Oberfläche der
Lederhaut vertheilten Nabelgefäßen eingesogen,
und in die Nabelvene zurückgeführt. Auf eine
ähnliche Weise wird das aus dem Foetus zurück-
kommende Blut durch die Nabelarterien in das
Parenchyma des Mutterkuchens entleert, von den
kleinen Venen des mütterlichen Antheils desselben
aufgenommen, und in die Gebährmutter gebracht.
Denn alle Versuche der Anatomiker die Mut-
tergefäße durch die Nabelgefäße, oder jene durch
diese einzuspritzen, waren umsonst. Zwischen den
Pulsschlägen einer Gebährenden, und den Puls-
schlägen des Kindes, das noch an der Nabelschnu-
re hängt, ist kein Verhältniß; hiemit stimmt auch
die verschiedene Beschaffenheit des Blutes überein,
die man zwischen dem Blute der Mutter und des un-
gebohrnen Kindes wahrnimmt (§. 146. und a).
Ueberdieß ist es sehr wahrscheinlich, daß
auch ein Theil des mütterlichen Milchsaftes in dem
Mutterkuchen mit dem Blute zugleich abgesetzt,
und dem Kinde zugeführt wird; denn außerdem,
daß das Blut der Mutter nicht immer von glei-
cher Beschaffenheit ist, sondern einige Stunden
nach der Mahlzeit einen noch unverarbeiteten
Speisesaft mit sich führt; so steht die Gebähr-
mutter mit der Milch und dem Speisesafte in ei-
ner besondern Verwandtschaft (§. 550-553.);
[Seite 352] auch wissen wir aus verschiedenen Beobachtungen,
daß man in dem Mutterkuchen einen ächten Milch-
saft angetroffen hat a).
a) Daher die Meinung einiger Physiologen, daß
das Kind vielmehr durch den Milchsaft als das
Blut der Mutter ernährt werde. Abr. Brill
obs. de humore lacteo in placenta humana.
Gröning. 1768. 8.
Daß aber bey den Fortschritten der Schwan-
gerschaft, indem das Kind und die Nachgeburt
so stark heranwachsen, auch die Gebährmutter
selbst beträchtliche Veränderungen leiden müsse,
ist leicht zu begreifen. Sie bekömmt einen grö-
ßern Umfang, verändert sowohl ihre Lage als
Gestalt, vorzüglich aber ihre Substanz, welche
durch den beständigen und häufigen Zufluß der
Säfte, sowohl in Beziehung auf ihre Blutgefäße,
als auf ihr eigenes Parenchyma, verändert wird.
Die vorhin schlängelnden und engen Blut-
gefäße werden, so wie der Umfang der Gebähr-
mutter zunimmt, allmälig gerader a), und wei-
ter, vorzüglich aber erweitern sich die Venen b)
so sehr, daß sie von einigen Anatomikern für
Blutbehälter angesehen worden.
Ihr Parenchyma dehnt sich aus, und wird
lockerer c), besonders an derjenigen Seite, wel-
che gegen das Ey gekehrt ist; doch so, daß die
schwangere Gebährmutter nicht dünner wird, son-
dern vorzüglich im Grunde dick bleibt, in leben-
den, gesunden Frauen von Blute strotzt, und mit
Lebenskraft begabt ist; demohnerachtet ist ihre
[Seite 353] Substanz locker, und nach ihrem äußerlichen
Ansehen, besonders in Leichnamen, (wo sie, wie
schon Arantius angemerkt hat, in den spätern
Monaten der Schwangerschaft aus blossen Schich-
ten zu bestehen scheint d), von dem dichten flei-
schigten Bau einer ungeschwängerten Gebährmut-
ter ungemein verschieden.
Die übrigen wichtigen Veränderungen, wel-
che sowohl der schwangern Gebährmutter, als
auch dem Ey und dem Kinde widerfahren, wer-
de ich im Zusammenhange darstellen, so wie sich
dieselben in der Zeitfolge von zehn Mondmonaten,
nach denen man den ganzen Verlauf der Schwan-
gerschaft füglich berechnet, zu ereignen pflegen.
a) Gul. Hunter anatom. uteri gravidi. Tab. XVI.
c) B. S. Albini annot. acad. L. II. Tab. III. fig. 2.
d) Aranth. de humano foetu libellus p. 5. seq.
ed. 1579. B. S. Albini Tab. uteri gravidi II.
So wie die Gebährmutter von dem Anbe-
ginn der Schwangerschaft anschwillt (§. 567.),
so nimmt sie auch an Umfang und Schwere all-
mälig zu, und senkt sich etwas in den obern Theil
der Mutterscheide; doch verändert sie in den er-
sten drey Monaten ihre Gestalt nicht merklich;
ausgenommen, daß ihr Grund etwas gewölbter
wird, und die vordere Wand von der hintern
sich entfernet, folglich die vorhin enge, dreyec-
kigte Höhle der Mutter sich allmälig mehr nach der
kugligten Gestalt des Eyes richtet.
[Seite 354] Das Ey selbst, welches gegen das Ende des
ersten Monats ohngefähr in der Größe eines Tau-
beneyes erscheint, und schon zwischen beyden La-
mellen der zottigten Haut, so wie auch zwischen
der äußerst kleinen Schaafhaut und der schon et-
was größern Lederhaut einen Zwischenraum bildet,
erreicht gegen das Ende des dritten Monats schon
die Größe eines Gänseeyes; die umgestülpte zot-
tigte Haut schmiegt sich an die dickere Lamelle;
die Schaafhaut nähert sich der Lederhaut, und ist
schon mit der Schaafhautfeuchtigkeit angefüllt,
worinn der für diese Menge verhältnißmäßig sehr
kleine Foetus (welcher in diesem Zeitraume noch
kaum die Größe einer jungen Maus hat), zwar
schon mit dem Kopfe nach unten gestürzt a),
aber in einer noch unsichern und schwankenden
Lage zu schwimmen scheint.
Schon im vierten Monate nimmt die Ge-
bährmutter eine eyrunde Gestalt an, und steigt,
indem der Mutterhals allmälig weicher, verkürzt,
und vielmehr nach den Seiten ausgedehnt wird,
aus der kleinen Beckenhöhle in das große Becken
hinauf. Mit dem gewölbten Grunde der Gebähr-
mutter steigen auch beyde Muttertrompeten in die
Höhe, dehnen und verlängern sich, sitzen aber an
den Wänden der Mutter so fest, daß sie ohnge-
fähr erst in der Mitte sich entfernen, und gleich-
sam aus dieser Gegend zu entspringen scheinen,
welches ohne Zweifel zu der Meinung von dem
[Seite 355] schnellen Wachsthume des Gebährmuttergrundes
Anlaß gegeben hat.
Von diesem Zeitpunkte erreicht auch der Foe-
tus eine solche Größe, die dem innern Umfange
des Eyes genauer entspricht; das Kind richtet sich
in eine feste und bestimmtere Lage, die es als-
dann bis zur Geburt behält, nämlich mit dem
Kopfe nach unten gestürzt, mit dem Gesichte aber
nach den Lenden der Mutter, und zwar immer
etwas schiefer nach der linken Seite gewandt.
Gegen die Mitte der Schwangerschaft, wel-
che in das fünfte Monat fällt, erhebt sich die Ge-
bährmutter schon so sehr, daß der Gebährmutter-
grund ungefähr in der Mitte zwischen den Schaam-
knochen und dem Nabel zu liegen kömmt, und
die Schwangerschaft auch an dem äußern Umfange
des Unterleibes sichtbar wird.
Auch das Kind äußert sich nun durch stärke-
re Bewegungen, die aber doch an keinen bestimm-
ten Zeitpunkt gebunden sind. Ueberhaupt ist die
Frucht nun ausgebildeter, und wird, wie man
sich im gemeinen Leben ausdrückt, für lebendig
(vitalis) erklärt.
In den folgenden fünf Mondmonaten wächst
die Gebährmutter sammt dem darinn enthaltenen
Kinde so sehr, daß der Gebährmuttergrund ge-
gen das sechste Monat fast den Nabel erreicht,
in dem achten Monate aber noch höher steigt, und
sich der Herzgrube nähert. Der Mutterhals wird
inzwischen allmälig flächer und dünner.
Im zehnten Monate endlich senkt sich die
Gebährmutter wieder, gleichsam von ihrer eige-
nen Last niedergedrückt, (indem ihre länglichte
Axe fast auf 11 Zoll, ihre Queeraxe aber auf 9
Zoll und darüber steigt); der Muttermund fängt
sich an allmälig zu erweitern, und wird rund.
Beyde Lamellen der zottigten Haut, vor-
züglich aber die umgestülpte, welche an die Leder-
haut befestigt ist, bekömmt, nachdem sie allmä-
lig dünner geworden, eine netzförmige, durch kur-
ze weißlichte Streife ausgezeichnete Gestalt a).
Die Nachgeburt aber erreicht in diesem Zeit-
raume eine solche Größe, daß ihr größerer Dia-
meter 9 Zoll, ihre Dicke einen Zoll, ihre ganze
Schwere aber 9 Pfund und darüber beträgt.
Die Länge des Nabelstranges ist gemeiniglich
18 Zoll lang, und auch darüber.
Der reife und ausgebildete Foetus wägt ge-
meiniglich 18 Unzen, und auch mehr; seine Län-
ge beträgt ungefähr 20 Zoll.
Die Menge des Schaafwassers ist so verän-
derlich, daß man kein bestimmtes Maaß angeben
kann; doch beträgt es, wenn das Kind übrigens
gesund ist, selten über ein Pfund.
a) Von den verschiedenen Gestalten der zottigten
Haut in der zweyten Hälfte der Schwangerschaft,
vergleiche man Hunter anat. uteri gravidi Tab.
XXIV. fig. 3. 4. Tab. XXIX. fig. 4. 5. und fig. 2.
Nachdem wir nun bisher die bloßen Erscheinun-
gen der Empfängniß, und alle Veränderungen,
welche während dem Verlauf der Schwangerschaft
sowohl an dem Eye, als der darinn enthaltenen
Frucht wahrgenommen werden, getreu dargestellt
haben, so wollen wir uns nun an die Untersu-
chung der Kräfte wagen, wodurch dieses erstau-
nende Geschäft der Zeugung wahrscheinlicherweise
bewirkt wird.
In unserm Zeitalter haben einige berühmte
Physiologen die Sache ganz kurz abgethan, indem,
nach ihrer Meinung, heut zu Tage keine neue
Zeugung statt findet, sondern die präformirten
Keime des ganzen Menschengeschlechts bey der
ersten Schöpfung gleich in die ersten Stammäl-
tern gelegt worden sind, so daß nun eine Gene-
ration derselben nach der andern zur Entwicklung
gelanget. Nur darinn weichen sie von einander
ab, daß diese Keime, wie einige dafür halten,
[Seite 358] in den väterlichen Saamenthierchen a), nach an-
derer Meinung aber b) in den weiblichen Eyer-
stöcken liegen sollen.
b) Hr. v. Haller, der ausdrücklich behauptete: daß
alle Eingeweide, sogar die Beine des künfti-
gen Foetus, aber in flüßiger Gestalt, und da-
her unsichtbar, schon lange vor der Empfäng-
niß in dem mütterlichen Reime präexistirt
haben.
Er suchte diese Hypothese vorzüglich aus der Fort-
setzung der Membranen und Blutgefäße zwischen
dem bebrüteten Hühnchen und dem Dotter zu
erweisen.
Allein je öfter ich die Erscheinungen des bebrüteten
Hühnchens in meinen Physiologischen Vorlesun-
gen vorzuzeigen Gelegenheit hatte, desto schwä-
cher kömmt mir dieser Beweisgrund vor.
Auch ist es mir unbegreiflich, wie Haller die soge-
nannte Einpfropfung der Blutgefäße des Hün-
chens in die Gefäße des Dotters so allgemein,
und als ungereimt verwerfen konnte, da doch Er
selbst bey der Verbindung des menschlichen Eyes
mit der schwangern Gebährmutter, eine vollkom-
men ähnliche Gefäßeinpfropfung vertheidigte.
Elementa Physiol. (Ed. Lausann. 1778.) T. VIII.
P. I. p. 94. verglichen mit p. 257.
Auch ich habe vorhin dieser Meinung bey-
gepflichtet, theils wegen Mangel einer andern,
die mich damals mehr befriediget hätte, theils
[Seite 359] durch das Ansehen ihrer berühmten Anhänger ver-
leitet. Allein ich bin nun gezwungen, diese Mei-
nung zu verlassen, und ein Geständniß meiner ei-
genen Irrthümer abzulegen, nachdem ich bey ei-
ner genaueren Prüfung aller auf das Zeugungs-
geschäft sich beziehenden Erscheinungen, von der
Natur selbst eines Bessern belehrt worden bin.
Denn täglich werde ich mehr überzeugt, daß
in allen organischen belebten Körpern ein beson-
derer, angebohrner, dann lebenslang thäti-
ger Trieb rege sey, ihre bestimmte Gestalt durch
die Zeugung anfangs anzunehmen, dann durch
die Ernährung lebenslang zu erhalten, und wenn
sie ja etwa verstümmelt worden, wo möglich,
durch die Reproduktionskraft wieder herzustellen.
– Ein Trieb, den man, um ihn von andern
Lebenskräften zu unterscheiden, mit dem Namen
des Bildungstriebes (nisus formativus) bezeich-
nen kann a). Uebrigens soll das Wort Bil-
dungstrieb nicht eine Ursache, sondern nur eine
beharrliche, aus der Erfahrung anerkannte Wir-
kung bezeichnen b); so gut, wie das Wort At-
traktion nur eine Kraft bezeichnet, deren Ursa-
che aber für uns in ein undurchdringliches Dunkel
eingehüllt ist.
a) Den Unterschied zwischen dem Bildungstrieb und
der vi plastica der Alten, und der vi essentiali
des Hrn. Wolfs, kann man mit einem Blicke ü-
bersehen in meiner Abhandlung über den Bil-
dungstrieb 2te Auflage. Göttingen. 1789. S. 27.
b) So Newton von der Attraktion, in den Quä-
stionen an der 2ten Ausgabe seiner Optik. S. 380.
[Seite 360] der Clarkischen Uebersetzung. ‘„Hanc vocem
attractionis ita hic accipi velim, ut in univer-
sum solummodo vim aliquam significare intel-
ligatur, qua corpora ad se mutuo tendant;
cuique demum causae attribuenda sit illa vis.“’
Es scheint mir daher folgende Vorstellung
von den Fortschritten des Zeugungsgeschäftes der
Wahrheit am nächsten zu kommen. Die verschie-
denen in den Körpern beyderley Geschlechts befind-
lichen Flüßigkeiten (§. 518. 524. 542. 543.),
welche bey einem fruchtbaren Beyschlafe sich zu-
gleich in die Höhle der Gebährmutter ergießen,
erfordern vor allen Dingen eine gewisse Zeit, da-
mit sie desto inniger mit einander vermischt wer-
den, und den gehörigen Grad der Reife erlan-
gen. Nachdem diese Vorbereitung vollendet ist,
und diese Flüßigkeiten verarbeitet worden, und
zur Reife gediehen sind, wird erst der Bildungs-
trieb in denselben rege, wodurch der noch unförm-
liche Zeugungsstoff theils in die zierlichen Hüllen
des Eyes (§. 571.), theils in die Gestalt des
darinn enthaltenen Foetus (§. 575.) ausgebil-
det, und belebt wird. Daher kömmt es auch,
daß wir, unserer dioptrischen Hilfsmittel ohner-
achtet, (die in unserm Zeitalter einen so hohen
Grad der Vollkommenheit erlangt haben), in den
ersten Wochen nach der Empfängniß, außer einer
unförmlichen flüßigen Masse in der Gebährmutter-
höhle, nicht eine Spur eines ausgebildeten Foe-
tus entdecken können, der doch ungefähr in der
dritten Woche fast plötzlich, und mit einem nicht
unbeträchtlichen Körperchen erscheint.
In der ganzen Schöpfung, und sogar in den
einfachsten Elementen, wo schlechterdings keine
präformirten Keime statt finden, bemerkt man
Spuren solcher bildenden Kräfte. Auch Wolken
nehmen regelmäßige Gestalten an a), und der
elektrische Strom schlängelt sich in bestimmten Fi-
guren b). Es gibt sogar in dem Mineralreiche
gewisse metallische Krystallisationen, die in ihrer
äußern Form eine auffallende Aehnlichkeit mit ge-
wissen organischen Körpern haben: So z.B. das
unbeschreiblich saubere moosförmige Stückmessing,
so wie es sich nach dem ersten Gusse auf dem Bru-
che ausnimmt, und das gediegene, sogenannte
Farnkrautsilber zwischen dem eingebröckelten Quarz
aus Peru.
a) Meister im Göttingisch. Magazin. Jahrg. I. Th.
1. S. 38.
b) Lichtenberg in nov. comment. Soc. scient. Vol.
VIII. und Vol. I.
Endlich gibt es in beyden organisirten Na-
turreichen Beyspiele solcher Körper, die mit einer
ganz ansehnlichen Größe ein schnelles, so zu sagen
zusehends merkliches Wachsthum, und eine so zar-
te halbdurchsichtige Textur verbinden, daß man
ihre Fortpflanzung gleichsam mit Augen sehen, und
sich von dem Ungrunde präformirter Keime über-
zeugen kann. Hieher gehören in dem Pflanzen-
reiche die Brunnenkonserve a), in dem Thier-
reiche aber die grüne Hydra b).
Ich würde die Grenzen akademischer Vorle-
sungen überschreiten, wenn ich alle Beweisgrün-
de, welche die Macht des Bildungstriebes auf das
Erzeugungsgeschäft höchst wahrscheinlich machen
a), umständlich anführen wollte; ich werde also
nur einige davon kürzlich anführen, die bey einem
etwas reifern Nachdenken eine vollkommene Ueber-
zeugung bewirken dürften.
Hieher ziehe ich aus der Geschichte der Ba-
starderzeugung den merkwürdigen Versuch, da
man durch wiederholte Erzeugung fruchtbarer Ba-
stardpflanzen endlich die eine Gattung so vollkom-
men in eine andere verwandelt, und umgeschaf-
fen, daß sie nicht eine Spur von ihrer ange-
stammten mütterlichen Bildung übrig behalten hat,
und auf diese Weise eine gleichsam willkührliche
Verwandlung einer natürlichen Pflanzengattung
in die andere vollbracht wurde a).
Hieher gehören auch die thierischen Mißge-
burten (welche nach der ausdrücklichen Behaup-
tung der Verfechter der Keime in der ursprünglich
[Seite 363] monströsen ersten Anlage eines einzelnen Keimes
ihren Grund haben sollen) welche unter gewissen
Hausthieren (besonders den Schweinen) so ge-
mein, und doch unter den wilden Thieren dersel-
ben Art fast unerhört sind.
Ferner die Erfahrung, daß nicht nur ange-
bohrne Mißgestalten, sondern auch nach der Ge-
burt entstandene zufällige Verstümmlungen, oder
andere an dem Körper durch Zufall oder vorsetz-
lich hervorgebrachte Verunstaltungen zuweilen
erblich werden, so daß dasjenige, was vorher
ein Werk der Kunst war, nun allmälig gleichsam
in eine andre Natur übergeht a).
a) Mehrere dergleichen Beyspiele habe ich in der
angeführten Schrift gesammelt.
Auch die Erscheinungen der Reproduktion
überhaupt lassen sich weit natürlicher aus der Ten-
denz des Bildungstriebes, als aus präformirten
einzelnen Keimen herleiten; einige dieser Erschei-
nungen sind sogar (z.B. daß bey Menschen die
Nägel der Finger, wenn auch selbst die vordern
Gelenke von diesen amputirt worden, nichts de-
stoweniger sich an den verstümmelten Enden der
hintern Glieder wieder erzeugt haben), nicht wohl
auf eine andre Weise erklärbar.
a) Tulpii observat. med. L. IV. c. 55.
[Seite 364]Wir sehen sogar, daß organische Theile ge-
gen die gewöhnliche Ordnung der Natur auf Ver-
anlassung irgend einer Krankheit oder durch die
Heilkräfte der Natur entstehen, wobey fürwahr
an keine präformirten Keime gedacht werden kann;
hieher gehören die Wormischen Zwickelbeine,
welche bey dem innern Wasserkopfe entstehen, um
die Zwischenräume der von einander abstehenden
Hauptknochen auszufüllen.
Endlich, von beyden Seiten alles genau er-
wogen, so müssen ja die Gönner der Evolution
dem männlichen Zeugungsstoffe außer der reizen-
den Kraft auch noch bildende Kräfte zugestehen,
und bey der Unzulänglichkeit ihres Systems im-
mer doch nebenher zu dem Bildungstrieb ihre Zu-
flucht nehmen. Der Bildungstrieb hingegen be-
darf zur Erklärung der Zeugungsphänomenen keiner
fremden Beyhilfe. Es ist also nicht abzusehen,
wozu man, wie die Schule sagt, die Dinge ohne
dringende Nothwendigkeit vermehren soll.
Nachdem die Frucht durch die bisher angezeig-
ten Kräfte gebildet worden, und ihre vollkomme-
ne Reife erlangt hat, muß sie endlich durch die
Geburt a) zur Welt gebracht werden.
a) Jo. Jac. Roemer Partus naturalis brevis expo-
sitio. Götting. 1786. 8.
Dieser kritische Zeitpunkt fällt nach dem ge-
wöhnliche Laufe der Natur, (von dem allein in
der Physiologie die Rede ist), gegen das Ende
des zehnten Mondmonats nach der Befruchtung,
d. i. ungefähr in die dreyßigste oder vierzigste
Woche.
Sobald aber die Gebährmutter diesen Zeit-
punkt erreicht hat, entsteht alsogleich der Drang
zur Entbindung, die so wenig als irgend ein an-
ders Geschäft des menschlichen Körpers der Will-
kühr unterworfen ist (§. 294.).
Ueber die Ursachen eines so bestimmten und
plötzlichen Ereignisses haben uns die Physiologen
verschiedene Muthmassungen aufgestellt. Allein,
alles reiflich erwogen, so scheint mir die reizende
Ursache ein unveränderliches Naturgesetz zu seyn,
das wir so wenig, als andere dergleichen periodi-
sche Erscheinungen, z.B. die Verwandlung der
Insekten, die Perioden der Ausschlagsfieber, die
kritischen Ausleerungen u.s.w. zu erklären im
Stande sind. Man kann daher das menschliche
Ey einigermassen mit andern reifen Pflanzenfrüch-
ten vergleichen, die, indem sich ihre Nahrungs-
gefäße zusammenziehen, endlich von freyen Stü-
cken abfallen. Auch hat man beobachtet, daß der
Mutterkuchen, wenn der Zeitpunkt der Geburt sich
nähert, sich etwas zusammenzieht, und zur bevor-
stehenden Absonderung von der Gebährmutter
gleichsam vorbereitet wird.
Denn alle andere Ursachen, z.B. die Aus-
dehnung der Gebährmutter u.s.w. die man für
natürliche Reize der Geburt zu halten pflegt, sind
grundlos. Dieß erhellt aus so vielen Beyspielen
der Leibesfrüchte, die außer der Gebährmutter
in den Eyerstöcken, oder in den Muttertrompe-
ten empfangen worden, wobey aber demohnerach-
tet zehn Monate nach dieser widernatürlichen Em-
pfängniß die fruchtleere Gebährmutter von den
gewöhnlichen, obgleich zwecklosen Wehen befallen
wurde a).
a) Ein dergleichen neueres Beyspiel habe ich in den
Comment. soc. scient. Götting. Vol. VIII. ein-
gerücht.
Daß aber außer dieser reizenden Ursache auch
noch andere mächtige, wirkende Ursachen vorhan-
den seyn müssen, läßt sich aus der genauen Be-
trachtung der Frucht und der Gebährmutter leicht
begreifen.
Die nächste und vorzüglichste dieser wirken-
den Ursachen liegt nach meiner Ueberzeugung ganz
in der eigenthümlichen Lebenskraft der Gebähr-
mutter (§. 47.).
Unter den entferntern Ursachen scheinen so-
wohl die durch das Einathmen bewirkten Anstren-
gungen der Gebährenden, als auch die ausge-
breitete Mitempfindung des Intercostalnervens mit
dem ganzen Nervensystem die vornehmsten zu
seyn a).
Die Erscheinungen der Geburt beobachten
in Rücksicht auf ihre Anfälle, und ihre Aufein-
anderfolge a) eine festgesetzte Ordnung, daher
sie von den Geburtshelfern in vier Zeiträume ein-
getheilt werden.
Der erste Zeitraum, wo ganz eigene
Schmerzen, welche von den Lenden abwärts nach
der Richtung der Gebährmutter fortschreiten, (die
zwar das ganze Entbindungsgeschäft, aber in
ungleichen Zwischenzeiten, und mit verschiedener
[Seite 368] Heftigkeit begleiten;) die Gebährende anfänglich
schwach angreifen, und vorbedeutende Wehen
heißen, und wobey der Muttermund sich beträcht-
lich öffnet. Der Bauch fällt alsdann zusammen,
es entsteht ein Drang zum Urinlassen, und aus
den mäßig angeschwollenen Geburtstheilen fließt
ein häufiger Schleim.
In dem zweyten Zeitraume werden die
Schmerzen stärker, und das untere Segment des
Sackes, worinn das Kind eingeschlossen ist, wird
durch den Muttermund in die Mutterscheide ge-
trieben: dieß sind die vorbereitenden Wehen.
Im dritten Zeitraume werden diese Schmer-
zen wieder stärker, und heißen nun eigentlich die
dringenden Wehen; sie drängen mit größerer
Heftigkeit auf die Gebährmutter, diese aber auf
das Kind, so daß nun der Sack immer mehr ge-
spannt wird, und endlich platzt.
In dem vierten Zeitraume endlich kömmt
das Kind unter den heftigsten erschütterndern
Wehen, und unter der heftigsten Anstrengung a)
der Gebährenden, wozu sich fast allezeit ein
Schauer, Zähneknirschen, und Zittern der Knie
u.s.w. gesellen, indem es zuerst mit seinem
Scheitel auf dem Schaambogen aufsteht, indessen
der übrige Kopf weiter fortrückt, und sich um
den Scheitel gleichsam als seine Axe dreht, zuerst
mit dem Gesichte zum Vorschein, und wird so
unter einem begleitenden Blutfluße zur Welt ge-
bracht.
a) Viele Physiologen haben dieser Anstrengung,
und diese Gewalt, mit der das Kind fortgetrie-
ben wird, für so stark gehalten, daß sie behaup-
teten, die Schaamknochen müßten dadurch aus
einander weichen. Ein Verzeichniß dieser Schrift-
steller sieht in Peters. Michell de Synchondro-
tomia pubis. p. 52. Edit. Amst. 1783. 8.
Allein so sehr ich auch theils aus der Struktur der
Theile, theils durch angestellte Beobachtungen
überzeugt bin, daß die Knorpelfügung des Be-
ckens und dessen Ligamente während der Schwan-
gerschaft, besonders gegen das Ende derselben
etwas anschwellen (eine Erscheinung, die sich
theils von dem häufigen Zufluße der Säfte, theils
von dem Drucke der Gebährmutter, und der
daraus entstehenden Unthätigkeit der einsaugen-
den Gefäße erklären läßt); so glaube ich doch
nicht, daß den Knochen in der Geburt eine so
plötzliche Gewalt zugefügt wird. Und ich trage
kein Bedenken, die Beobachtungen, welche man
von der nachgebenden Beweglichkeit der Schaam-
knochen bey Kindbetterinnen anzuführen pflegt,
vielwehr von der abnehmenden Geschwulst der
Schaambeinfügung, welche nach dem aufgehobe-
nen Drucke der Gebährmutter erfolget, als von
einer gewaltsamen Erweiterung derselben herzu-
leiten.
Bald nach ausgetriebener Frucht folgt unter
einem neuen, aber weniger schmerzhaften Drang
die Nachgeburt; und es entsteht auch eine neue
Blutung aus demjenigen Theile a) der Gebährmut-
[Seite 370] ter, woran der Mutterkuchen mittelst der dicken
Lamelle der zottigten Haut befestigt war.
a) B. S. Albini Annot. acad. L. V. Tab. I.
Gul. Hunter anat. uteri gravid. Tab. X. fig. 3.
b) Diesen Theil der beschwängerten, oder so erst
entbundenen Gebährmutterhöhle nannten die Ana-
tomiker nach Nik. Massa Kotyledonen: sie ent-
lehnten diese Benennung von der Gebährmutter
der wiederkauenden Saugthiere, die mit solchen
Vertiefungen versehen sind, von denen die so-
genannten drüsigten Körper der Lederhaut, wel-
che einigermassen dem menschlichen Mutterkuchen
ähnlich sind, aufgenommen werden.
Sobald die Gebährmutter von der Geburt
und Nachgeburt entbunden worden, zieht sie sich
allmälig in ihren vorigen Zustand zusammen, und
erreicht beynahe ihre ehmalige Größe.
In diesem Zeitpunkte, nämlich ungefähr
in der ersten Woche der Kindbett, fließt die Kind-
bettreinigung (lochia), die dem Monatfluße
ziemlich ähnlich ist, ausgenommen, daß sie häu-
figer fließt, besonders alsdann, wenn die Mut-
ter das Kind nicht stillt; gegen den vierten Tag
wird dieser Blutfluß bläßer, und endlich weiß-
licht.
So wird die Gebährmutter auch von den Ue-
berbleibseln der zottigten Haut gesäubert, und ge-
nießt nun, nachdem sie ihr Geschäft der Schwan-
[Seite 371] gerschaft vollbracht hat, bis auf den nächsten
Eintritt des Monatflußes, oder eine neue Be-
fruchtung, eine vollkommene Ruhe.
a) Trew de differentiis quibusdam inter homi-
nem natum et nascendum intercedentibus. No-
rimb. 1736. 4.
Röderer de foetu perfecto. Argent. 1750.
Andr. et Fr. Roesslein (fratres) de differentiis
inter foetum et adultum. Argent. 1783.
Theod. Hoogeveen de foetus humani morbis. L.
B. 1784. 8. p. 28.
Fr. Aug. Walter annot. acad. p. 44.
Aus dem, was wir bisher von der Lebensweise
des ungebohrnen Kindes, das noch in Mutter-
leibe und in einem warmen Bade eingeschlossen
lebt, erwähnt haben, erhellt, daß zwischen den
körperlichen Verrichtungen eines Foetus, und ei-
nes neugebohrnen Kindes ein beträchtlicher Unter-
schied statt finden müsse. Wir wollen nun die
vorzüglichsten Abweichungen einzeln betrachten.
Wir machen den Anfang mit dem Kreislau-
fe des Blutes a), das in dem ungebohrnen Kin-
de, welches mit dem Mutterkuchen mittelst des
Nabelstranges einen gemeinschaftlichen Kreislauf
unterhält, und bisher noch keine Luft eingeathmet
hat, einen ganz andern Weg nehmen muß, als
nach der Entbindung, wenn diese Gemeinschaft
zwischen Mutter und Kind aufgehoben wird, und
die Lungen Luft eingeathmet haben.
a) Herm. Bernard. de eo, quo differt circuitus
sanguinis foetus ab illo hominis nati. recus. in
Overkampii collect. T. III.
Jos. Wenc. Czikanek de actuosa hominis nasci-
turi vita s. circulat. foetus ab hominis nati di-
versitate. recus. in Wasserberg collect. T. V.
Sabatier sur les organes de la circulation du sang
du foetus. Tr. complet d'Anat. Vol. III. p. 386.
Ed. 1781.
Die Nabelvene, welche aus dem Mutterku-
then herkömmt, geht durch den sogenannten Na-
belring des Kindes, mündet sich mit der Leber
desselben, und führt das Blut in die Pfortader;
wo das Blut sodann theils durch die Zweige der
Pfortader in die Leber weiter vertheilt, theils
aber durch einen besondern Zweig (ductus veno-
sus Arantii) – a –) geraden Weges in die auf-
steigende Hohlader gebracht wird.
Beyde Kanäle, nämlich, das in dem Un-
terleibe des Kindes zurückgelassene Ende der
Nabelvene, als der besondere venöse Zweig, wer-
[Seite 374] den, nachdem der Nabelstrang abgeschnitten wor-
den, geschlossen; und jener verwandelt sich in das
ligamentum teres der Leber.
Das Blut, welches nun aus der untern Hohl-
ader in die rechte Herzkammer fließt, muß, da
die Lungen des ungebohrnen Kindes dasselbe noch
nicht durchlassen können, einen andern Weg neh-
men, und wird daher mittelst der Eustachschen
Klappe, und der eyförmigen Oeffnung in das
linke Herzohr gebracht.
Denn die Mündung der untern aus dem Un-
terleibe heraufsteigenden Hohlader ist in dem un-
gebohrnen Kinde mit einer ziemlich starken halb-
mondförmigen Klappe a) versehen, welche von
ihrem Entdecker b) die Eustachsche Klappe ge-
nennt wird, mit zunehmenden Jahren allmälig
verwächst, aber in dem ungebohrnen Kinde das
aus dem Unterleibe zurückfließende Blut nach
der eyförmigen Oeffnung, welche in der Scheide-
wand beyder Herzohren angebracht ist, hinzulei-
ten scheint c).
a) Haller de valvula Eustachii. Götting. 1738. 4.
b) Eustachius de vena sine pari p. 289. opusc. Ej.
Tab. VIII. fig. 6. Tab. XVI. fig. 3.
Lobstein de valvula Eustachii. Argent. 1771. 4.
[Seite 375]Durch die sogenannte eyförmige Oeffnung
a) wird besonders das aus der heraufsteigenden
Hohlader zurückströmende Blut bey einer jedes-
maligen Erweiterung der Herzohren in das linke
Herzohr geleitet b; damit aber das Blut bey
der darauf erfolgenden Zusammenziehung der Herz-
ohren nicht in das rechte zurücktrete, wird durch
eine eigene sichelförmige Klappe gehindert. Mit
dieser Klappe verwächst bey zunehmenden Jahren
die eyförmige Oeffnung allmälig in dem Verhält-
nisse, in dem die Eustachsche Klappe abnimmt,
und endlich ganz verschwindet c).
a) Haller de foramine ovali, et Eustachii val-
vula. Götting. 1748. fol. c. f. ae. – und viel
ausführlicher in oper. minor. T. I. p. 33.
b) Wolff's Meinung, daß die eyförmige Oeffnung
nur eine zweyte Mündung der heraufsteigenden
Hohlader sey, und sich in das linke Herzohr,
wie die andere Mündung in das rechte öffne,
steht in nov. Commentar. acad. scient. Petro-
pol. Tab. XX. pr. a. 1775.
c) Leveling de valvula Eustachii, et foramine
ovali. Anglipol. 1780. c. f. ae.
Von dem in das rechte Herzohr aus den
Hohladern, besonders aus der herabsteigenden,
zugeführten Blut kann nur der kleinste Theil von
den Lungen aufgenommen werden; es wird daher
der größte Theil der Blutmasse durch den Botal-
lischen Arteriengang, welcher die Hauptfortse-
[Seite 376] tzung der Lungenarterie ist, die Lungen vorbey,
unmittelbar in die große Schlagader geleitet; die-
ser Gang verwächst in dem neugebohrnen Kinde
nach einigen Wochen ganz, und wird zu einem
dicken Ligament.
Ein großer Theil dieser in die große Schlag-
ader geleiteten Blutmasse muß wieder in den Mut-
terkuchen gebracht werden; dieser Rückfluß ge-
schieht durch die Nabelstrangarterien (§. 578.),
welche an beyden Seiten des Urachus durch den
Nabelring gehen, und nach der Geburt gleichfalls
undurchgängig werden a).
Die Lungen des ungebohrnen Kindes sind
nicht nur fast ohne alle Verrichtung, sondern un-
terscheiden sich auch durch ihr äußerliches Ansehen
von den Lungen des neugebohrnen Kindes, das
schon Luft eingeathmet hat. Sie sind in dem Kin-
de klein, dunkelbraun, dicht; daher ihre größere
specifische Schwere, so daß die frischen und un-
verletzten Lungen eines ungebohrnen Kindes in ei-
ner großen Menge Wasser untergehen, da hin-
gegen die Lungen eines lebendig zur Welt gebrach-
ten Kindes unter gleichen Umständen auf dem
Wasser schwimmen a). Die rechte Lunge scheint
von der Luft eher ausgedehnt zu werden, als die
linke b). Was übrigens die erste Veranlassung
[Seite 377] dieser Verrichtung betrifft, so ist davon in dem
Abschnitte von dem Athemholen gehandelt worden.
a) Die Umstände, unter denen sich dieß ereignet,
und die Vorsichtsregeln, welche bey der sogenann-
ten Lungenprobe in der gerichtlichen Arzneykunst
müssen angewendet werden, gehören nicht hieher.
Man lese darüber Hunter's hinterlassene Abhand-
lung in medical observat. and Inquiries. Vol.
VI. p. 284.
b) Portal in Mem. de l'acad. des scienc. de Paris
1769.
Metzger de pulmone dextro ante sinistrum respi-
rante. Regiom. 1783. 4.
Aus dem, was (§. 574. 581.) von der Er-
nährung des Foetus gesagt worden, erhellet, daß
sowohl der Magen und die Därme, als auch das
ganze bisher unthätige System der Speisesafts-
gefäße in dem ungebohrnen Kinde ganz anders
beschaffen seyn müssen, als in dem erwachsenen
Menschen. So sind z.B. die dicken Därme in
dem erst einige Monate alten Foetus von den dün-
nen Därmen nicht unterschieden; erst in der letz-
ten Hälfte der Schwangerschaft, wenn sie von dem
angesammelten Unrathe ausgedehnt werden, ver-
dienen sie diese auszeichnende Benennung.
Das Meconium ist ein bräunlich-grüner Un-
rath, der ohne Zweifel von den eigenen Säften,
vorzüglich aber von der Galle des Foetus her-
rührt; dieß wird nicht nur dadurch sehr wahr-
scheinlich, daß die Absonderung der Galle gera-
[Seite 378] de in diesem Zeitpunkte sich zuerst äußert, sondern
auch durch die Beobachtung von Mißgeburten,
welche keine Leber hatten, und in deren Gedär-
men anstatt des Meconiums nur ein wenig unge-
färbter Schleim enthalten war.
Auch der blinde Darm bildet in dem Kin-
de mit dem wurmförmigen Fortsatze einen gleich
fortlaufenden Darm a) u.s.w.
Andere dergleichen Verschiedenheiten sind schon
angezeigt worden, nämlich:
Und in dem männlichen Foetus das Herab-
steigen der Hoden (§. 501.).
Einige andere kommen in dem folgenden Ab-
schnitte vor; andere unbedeutende Abweichungen
übergehen wir ganz.
Endlich müssen wir noch einiger Theile er-
wähnen, die in dem ungebohrnen Kinde verhält-
nißmäßig größer sind, deren Nutzen aber (aller
Nachforschungen der Zergliederer ohnerachtet) bis
itzt unbekannt geblieben ist. Sie werden zwar
schlechtweg Drüsen genennt, obgleich ihr Paren-
chyma von dem Bau der Drüsen sehr abweicht,
und bisher kein Ausführungsgang entdeckt worden
ist. Die Rede ist also hier von der Schilddrüse,
von der Brustdrüse, und von den Nebennieren.
Die Schilddruse (glandula thyreoidea)
hängt an dem schildförmigen Knorpel des Luftröh-
renkopfes, besteht aus zwey Lappen, und hat ei-
ne sichelförmige Gestalt a); in dem ungebohr-
nen Kinde ist sie mit einer lymphatischen Flüßig-
keit angefüllt, trocknet aber mit den zunehmenden
Jahren immer mehr aus.
Die Brustdrüse (thymus) ist eine weiß-
lichte, zarte, gleichfalls aus zwey Lappen, manch-
mal aus zwey abgesonderten Theilen bestehende
Fleischmasse, die manchmal mit einer beträchtli-
chen Höhle versehen ist a); sie liegt unter dem
obern Theil des Brustbeines, und reicht auf bey-
den Seiten bis an den Hals b); sie ist im un-
gebohrnen Kinde sehr groß, enthält eine milchig-
te Flüßigkeit; in den Jünglingsjahren schrumpft sie
allmälig ein, und verschwindet oft im hohen Alter
ganz und gar c).
a) Aug. Lud. de Hugo de glandulis in genere, et
speciatim de thymo. Götting. 1746. 4. fig. 2.
Endlich die Nebennieren (Renes succentu-
riati, s. glandulae suprarenales, item capsulae
atrabilariae) liegen unter dem Zwerchfelle auf
dem obern Rande der Nieren a); sie sind bey
[Seite 380] Erwachsenen überhaupt kleiner, liegen gewöhn-
lich etwas weiter von den Nieren entfernt, und
sind mit einer braunen Flüßigkeit angefüllt, die
aber in dem ungebohrnen Kinde röthlicher aus-
sieht.
a) Eustachii Tab. I. II. III. fig. 1. 10. 12.
Halleri Icones anatomicae. fasc. III. Tab. VI.
Nachdem wir bisher die Oekonomie des mensch-
lichen Körpers nach seinen einzelnen Verrichtun-
gen betrachtet haben, wollen wir nun auch über
den ganzen Lebenslauf desselben eine allgemeine
Uebersicht anstellen, und den Menschen von dem
Anbeginn seines Daseyns durch alle Hauptepochen
bis an das Ende des Lebens begleiten.
Die ersten Anfänge der Bildung eines Foe-
tus werden erst in der dritten Woche nach der Em-
pfängniß sichtbar (§. 575.); das ungebohrne
Kind ist nur mit dem kleinsten (§. 57.) fast pflan-
zenähnlichen Leben begabt, und ungefähr in der
vierten Woche bemerkt man zuerst wahres Blut
(§. 13.); in diesem Zeitpunkte hat man auch in
dem menschlichen Foetus a) die erste Bewegung
des kleinen Herzens (§. 89.) wahrgenommen,
die in dem bebrüteten Hühnchen schon Aristoteles
[Seite 382] b) gesehen hat, und seitdem unter dem Namen
des springenden Punkts allgemein bekannt ist.
a) Jo. de Muralto Ephem. N. C. Dec. II. ann. I.
b) Aristotelis histor. animal. L. VI. Cap. 3. Op.
Vol. II. p. 326.
In der siebenten oder achten Woche ungefähr
beginnt die menschliche Knochenbildung a), und
zwar bildet der Knochensaft die ersten Kerne in
den Schlüßelbeinen, Rippen, Halswirbeln, den
größern Röhrenknochen der äußern Gliedmassen,
dem untern Kieferbein, einigen Beinen des Ge-
sichts; sodann die zarten Beinnetze in einigen fla-
chen Beinen des Schädels, nämlich in dem Stirn-
und Hinterhauptbein, später in den Scheitelkno-
chen u.s.w.
Ueberhaupt wächst der Foetus, auch sowohl
das ungebohrne als neugebohrne Kind desto schnel-
ler, je weniger es noch von seinem Ursprunge ent-
fernt ist u.s.w.
a) Die menschliche Knochenbildung: denn in dem
bebrüreten Hühnchen fängt die Knochenbildung
etwas später an, nämlich gegen den neunten Tag;
dieser Zeitpunkt entspricht aber der siebenzehnten
Woche der menschlichen Schwangerschaft. Ver-
muthlich beschleuniget die Natur in dem mensch-
lichen Foetus, und andern lebendig zur Welt ge-
brachten Thieren die Bildung der Knochen, (wel-
che gleichsam die Anfänge und Stützen des klei-
nen Körpers sind), um dadurch alle Verunstal-
tungen zu verhüten, denen das in seiner Schaa-
le eingehüllte Hühnchen weniger ausgesetzt ist.
Man darf also die bey den bebrüteten Hühnchen an-
gestellten Beobachtungen nicht so gerade aus die
Bildung des menschlichen Foetus anwenden, ein
Irrthum, in den sogar ein Haller verfiel, indem
er behauptete, daß seine über die Knochenbil-
dung des bebrüteten Hühnchens angestellten Be-
obachtungen auch von andern Thiergeschlech-
tern, und sogar von den menschlichen Körpern
gelten.
Dieses Vorurtheil hat in der Folge so weit um sich
gegriffen, daß sogar einige Aerzte, welche über
die Reife einer Geburt ein gerichtliches Gutach-
ten ausstellen sollten, ihre Gründe von einer so
unsichern Vergleichung der menschlichen Knochen-
bildung mit der Knochenbildung in dem betrüte-
ten Hühnchen entlehnten. Hug. Morreti con-
sultation au sujet d'un enfant. Divion. 1768. 4.
Ungefähr in der Mitte der Schwangerschaft
wird das Kind in dem eigentlichen Sinne (§. 585)
belebt; auch die Absonderung einiger Flüßigkei-
ten, z.B. des Fettes (§. 38.), und der Galle
fällt in diesen Zeitpunkt.
In dem reifern Foetus keimt das Haupt-
haar allmälig hervor, die Nägel wachsen, und
die Stirnhaut des Auges verschwindet (§. 259.);
in dem männlichen Foetus steigen die Hoden in
den Hodensack herunter (§. 505.).
Sobald nun aber das Kind gegen das Ende
des zehnten Monats durch die Geburt (§. 603.)
[Seite 384] zur Welt gebracht worden, ereignen sich, außer
den oben angeführten Hauptveränderungen in der
thierischen Oekonomie, auch an der äußern Ober-
fläche des Körpers beträchtliche Veränderungen;
z.B. die wolligten Haare, die das Gesicht des
neugebohrnen Kindes überziehet, verschwinden,
die Falten werden ausgeglättet, der After ver-
birgt sich zwischen den Hinterbacken, die nun
erst einen größern Umfang erlangen, u.s.w.
Allmälig entwickeln sich auch die Seelenfä-
higkeiten des Kindes a): nämlich das Wahrneh-
mungsvermögen, die Aufmerksamkeit, die Erin-
nerung, und die Begehrungskraft u.s.w. Da-
her auch die Kinder schon in den ersten Monaten
nach der Geburt Träume haben u.s.w.
a) Tiedemann über die Entwicklung bey Seelenfä-
higkeiten bey Kindern, in Hessisch. Beyträgen.
B. II. Th. 2. 3.
Auch die äußern Sinnwerkzeuge werden
immer mehr ausgebildet, und vervollkommet, z.
B. das äußere Ohr, die innern Höhlen der Nase,
die obern Bögen der Augenhöhle, die Augenlie-
der u.s.w.
Auch die Knochen des Schädels wachsen un-
tereinander fester zusammen; die Fontanellen
schließen sich allmälig, und in dem achten Mona-
te geschieht der Zahnausbruch.
Alsdann muß das Kind entwöhnt werden,
indem die Zähne zur Verarbeitung festerer Nah-
rungsmittel bestimmt sind.
Gegen das Ende des ersten Jahres gewöhnt
sich das Kind allmälig an die aufrechte Lage –
einer der größten Vorzüge des menschlichen Körpers.
Das von der Brust entwöhnte Kind wächst
nun, indem es gehen erlernt, schnell heran, und
erlangt allmälig auch den andern Vorzug des
Menschengeschlechts, nämlich den Gebrauch der
Sprache; die Seele fängt nun an die geläufig-
sten Ideen durch Worte auszudrücken (§. 154).
Nach dem siebenten Jahre erfolgt, indem
die zwanzig Milchzähne allmälig ausfallen, ein
zweyter Zahnausbruch; diese 32. Zähne werden
aber nicht mehr durch neue ersetzt.
In dieser Epoche der Kindheit übertrifft das
Gedächtniß alle andere Seelenfähigkeiten, und
ist auch zur Aufnahme der sinnlichen Eindrücke
vorzüglich geschickt: nach dem fünfzehnten Jahre
ungefähr bemerkt man die ersten Funken der Ein-
bildungskraft.
Aber die lebhaftere Aeußerung der Einbil-
dungskraft fällt in die Periode der Mannbar-
keit, wo der Mensch durch mannigfaltige und
wichtige Veränderungen zu den künftigen Ge-
schlechtsverrichtungen vorbereitet wird a).
Dem reifenden Mädchen wachsen die Brüste,
dem Jüngling wächst Pflaum um das Kinn; und
andere dergleichen Vorspiele der Mannbarkeit;
endlich stellt sich bey dem mannbaren Mädchen die
monatliche Reinigung (§. 545.) ein; in dem Jüng-
ling nimmt die Absonderung des Saamens (§. 518.)
ihren Anfang, wozu sich noch das Wachsen des
Bartes a), und die merkwürdige Vertiefung der
Stimme gesellt.
Zu gleicher Zeit erwacht, gleichsam durch die
innere Anreizung der Natur, der Geschlechts-
trieb (§. 288.), und der Mensch wird in der
Blüthe seiner Jahre zum Beyschlaf tüchtig ge-
macht.
a) Die fabelhafte, und auch in unsern Tagen auf-
gewärmte Erzählung von amerikanischen Völkern,
die von Natur keinem Bart haben sollen, habe ich
durch eine Menge von Zeugen widerlegt, im Göt-
ting. Magazin. Jahrg. II. Th. 6. S. 418.
Ich habe aus ganz Amerika Beyspiele von Völkern
aufgestellt, die entweder, wenigstens zum Theil,
einen Bart haben, oder von denen man zuver-
läßig weis, daß sie sich den Bart durch besonde-
re Werkzeuge ausreißen u.s.w.
Daß aber mit der Zeit dieses durch mehrere Gene-
rationen fortgesetzte Ausreißen des Bartes allmä-
lig zur andern Natur, und wenigstens ein sehr
dünner Bart erblich werden könne (§. 598.), läßt
sich aus dem, was vorher von dem Bildungstrie-
be gesagt worden, einigermassen erklären.
Obgleich der Zeitpunkt der Mannbarkeit
nicht so genau bestimmt werden kann, indem er
nach Verschiedenheit des Klima, und der Tem-
peramente verschieden ist a), so werden doch
überhaupt Frauenzimmer etwas früher mannbar;
und zwar in unserm Klima die Mädchen schon im
fünfzehnten, die Jünglinge hingegen erst im zwan-
zigsten Jahre.
a) Eine Geschichte einer neunjährigen Wöchnerinn,
welche mir Gottl. Eman. v. Haller mitgetheilt
hat, habe ich in der medicinisch. Biblisch. B. I.
eingerückt.
Bald nachher erreicht die Statur des mensch-
lichen Körpers das von der Natur festgesetzte Ziel;
aber auch dieser Zeitpunkt ist, außer der Verschie-
denheit bey einzelnen Menschen und ganzen Fami-
lien, nach der Verschiedenheit des Klima ganz
herschieden a).
a) Denn auch der Mensch sieht, wie alle organisirte
Wesen, unter der Herrschaft des Klima, und
gedeiht, im Allgemeinen betrachtet, besser in war-
men, als in kalten Erdstrichen.
Daß die Riesen oder Patagonen eben sowohl, als
Commerson's Zwergvölklein von Madagaskar
unter die Märchen gehören, bedarf wohl hier
keiner Erinnerung.
Auch die Ansätze der Knochen, welche bis-
her knorplicht waren, werden nun ganz verknö-
chert.
Das männliche Alter ist der längste und
vorzüglichste Zeitraum des Menschenlebens, so-
wohl in Rücksicht der körperlichen Verrichtungen,
in deren Lebhaftigkeit und Beharrlichkeit das
größte Leben (§. 57.) besteht; als auch in Be-
ziehung der Geistesfähigkeiten, die sich vorzüglich
durch eine reife Urtheilskraft auszeichnen.
Die Vorbothen des herannahenden Alters
sind bey Frauenzimmern das Aufhören der monat-
lichen Reinigung (§. 547.), bey Männern die
Trägheit des Geschlechtstriebes, bey beyden Ge-
schlechtern aber eine allgemeine Austrocknung a),
und eine allmälige Abnahme der Lebenskraft.
a) Joach. Fr. Gernet de siccitatis senilis effecti-
bus. Lips. 1753. 4.
Das Greisalter hat eine überhandnehmen-
de Stumpfheit der äußern und innern Sinne, das
Bedürfniß eines längern Schlafes, und eine all-
gemeine Trägheit aller körperlichen Verrichtungen
zu Gefährten. Die Haare werden grau, und
fallen allmälig aus. Der Nacken beugt sich unter
der Last des Kopfes, und die Füße sind kaum im
Stande die Last des Körpers zu ertragen. So-
gar die Knochen, diese allgemeinen Stützen des
Körpers, schwinden allmälig a) u.s.w.
a) Ich übergehe hier jene merkwürdigen Verände-
rungen der Knochenabnahme bey Greisen, von
von denen ich in meiner Osteologie gehandelt
habe.
Und so sind wir nun bis an das Ende der
Physiologie vorgerückt, nämlich, bis an den na-
türlichen Tod, der ohne eine vorhergehende
Krankheit erfolgt a). Diese Todesart ist das
Ziel und der Hauptendzweck der ganzen Arzney-
kunst; die Ursachen des Todes sind aus dem,
was bisher gesagt worden, leicht zu begreifen b).
a) G. Gottl. Richter de morte sine morbo. Götting.
1736. 4.
b) Jo. Oosterdyk Schacht oratio, qua senile fatum
inevitabili necessitate humani corporis mecha-
nismo sequi demonstratur. Ultraject. 1729. 4.
Math. van Geuns de morte corporea et causis mo-
riendi. L. B. 1761. 4. recus. in Sandiforti the-
saur. Vol. III.
Die Erscheinungen, welche man an Ster-
benden beobachtet a), sind, Kälte der äußern
Gliedmassen, erlöschender Glanz der Augen, ein
kleiner, langsamer, aussetzender Puls, endlich
mattes Athemholen, welches sich zuletzt durch ein
heftiges Ausathmen endiget.
Bey Saugthieren, die lebendig geöffnet wer-
den, kann man deutlich beobachten, wie die rech-
te Herzkammer, und das rechte Herzohr etwas län-
[Seite 390] ger sich bewegen, als das linke Ohr, und die lin-
ke Herzkammer (§. 111.).
a) Ueber die Stufenfolge der Erscheinungen des To-
des, die selbst von einem Sterbenden genau be-
obachtet worden, (von einem Manne, der an
her Ruhr verstarb), lese man Moritz Magazin
zur Erfahrungs-Seelen-Kunde. B. I. Th. I.
S. 63.
Daß der Körper entseelt sey, erkennt man
an der Kälte, an der Steifigkeit der Gelenke, an
dem Leichengestank, vorzüglich aber an der er-
schlappten Hornhaut, und an dem offenstehenden
After. Aus allen diesen Zeichen zusammenge-
nommen kann man mit Zuverläßigkeit den wirk-
lichen Tod von dem Scheintode unterscheiden a).
a) Jo. Jac. Bruhier sur l'incertitude des signes de
la mort. Par. 1749. II. Vol. 8.
van Swieten oratio (posthuma) de morte dubia.
Viennæ 1778. 8.
Das natürliche Lebensende (das man näm-
lich als das gewöhnliche, und gleichsam festgesetz-
te Ziel des Greisalters ansehen kann a) kann zwar
nicht genau bestimmt werden; doch habe ich aus
einer sorgfältigen Vergleichung der meisten Ster-
belisten gefunden, daß in Europa sehr viele Grei-
se das vier und achzigste Jahr erreichen, aber
nur wenige diesen Zeitpunkt überleben.
a) Jo. Gessner de termino vitae. Tiguri 1748. 4.
Recus. in Excerpto italic. et helv. litterat. ann.
1759. T. IV.
Obgleich überhaupt, außer so vielen andern
Ursachen, die Schwäche des kindlichen Alters,
die Schwelgerey, die Heftigkeit der Krankheiten,
und mannifaltige Unglücksfälle vorzüglich Schuld
daran sind, daß unter tausend Menschen beynahe
kaum acht und siebenzig dieses natürlichen Todes
sterben, so lebt doch der Mensch unter allen Thie-
ren verhältnißweise am längsten a); und es ist
daher die Sophisterey über die kurze Dauer des
menschlichen Lebens die unbilligste aller Klagen.
a) Bacon. de Verulamio hist. vitae et mortis. operr.
Vol. II. p. 121. Ed. Lond. 1740. fol.
Ueber das Verhältniß des menschlichens Gehirns
zu den Nerven haben wir die genauere Untersu-
chung dem Herrn Sömmering zu verdanken, die
er in der deutschen Uebersetzung des Monroischen
Werkes über die Struktur und Verrichtungen
des Nervensystems mitgetheilt hat.“
Mit Genauigkeit, Sorgfalt, und Nutzung
aller Gelegenheiten angestellte Vergleichung der
Gehirne aus allen Thierklassen führte mich am
Ende auf den sehr wichtigen, von mir zuerst ent-
deckten Hauptsatz: daß der Mensch beym größ-
ten Gehirn die kleinsten Nerven habe, oder,
daß man nur in Rücksicht der Vergleichung
des Gehirns mit seinen Nerven sagen könne:
der Mensch hat das größte Gehirn.
Ich will mich deutlicher erklären: man ver-
muthete sonst, oder nahm auch wohl gerade zu
an, der Mensch habe das größte Gehirn. Wie
bewies man aber dieses? Man wog das Gehirn
und den Körper des Menschen, und eben so der
gemeinsten Hausthiere; soweit hielt nun dieser
Satz ziemlich Stich. Allein Zergliederer, die wei-
[Seite 393] ter giengen, und diesen Satz durch mehrere Thier-
geschlechter genau bestimmen wollten, kamen in
nicht geringe Verlegenheit, wenn sie fanden, daß
z.B. die Vögel in der Proportion des Gewichts
ihres Gehirns, verglichen mit dem Gewichte ihrer
Körper, gar weit den Menschen übertreffen; auch
die Delphine, Seehunde, und noch mehr die klei-
nen vierfüßigen Thiere, als Mäuse, Eichhörn-
chen u.s.w. scheinen für ihren kleinen Körper
(gewiß aber nicht für ihren Kopf und Sinn) ein
ungeheuer großes Gehirn zu besitzen.
Es ist äußerst unbestimmt, den ganzen Kör-
per, dessen Gewicht nach einer Ermüdung, Krank-
heit, beym Fett- oder Magerwerden so sehr ab-
wechselt, mit dem Gehirne, dessen Gewicht un-
ter allen obigen Umständen beständiger, und we-
niger Veränderungen ausgesetzt bleibt, das z.B.
nie fett wird, zu vergleichen; besser und sicherer
hingegen lassen sich Gehirne mit ihren eigenen Ner-
ven vergleichen.
Ich glaube zwar nicht, daß die Nerven zum
Gehirne, wie Ausführungsgänge zu einem Ab-
scheidungswerkzeuge gehören, sondern es scheint
mir vielmehr, daß eine sehr geringe Menge Ge-
hirnmasse zur gehörigen Verbindung mit den Ner-
ven (in so weit sie blos zum thierischen Leben er-
forderlich ist), hinreichet.
Dasjenige Geschöpf also, das über diese,
zum blos thierischen Leben, nothwendige Portion
von Gehirn, den größten Reichthum oder Ueber-
schuß von Gehirn hat, wird wahrscheinlich auch
die vorzüglichste organische Anlage zu Geisteskräf-
ten besitzen.
[Seite 394] Hier erscheint der Mensch bey weitem als
das erste Geschöpf! Alle Assen müssen ihm
in dieser Hinsicht nachstehen; denn obgleich ihr
Gehirn, besonders bey den kleinern Arten, mit
Rollschwänzen, am Gewicht (verglichen mit dem
Gewichte ihrer Körper) das menschliche schier ü-
bertrifft, so erforderten doch ihre in Rücksicht des
Kopfes sehr große Augen, und Ohrenorgane, ih-
re starke, Zunge, und nicht kleine Nasenhöhle,
ihr starkes Gebiß, einen weit größern Antheil von
Gehirn zur Verbindung, als nach Verhältniß bey
Menschen, und zieht man diesen Theil ab, so
schwindet ihr Gehirn gewaltig zusammen.
Selbst unter den übrigen Thieren haben die
nach dem Grade ihrer Listigkeit und Gelehrigkeit
verschieden eine größere, oder mindere Menge
(daß ich so rede), überflüßig Gehirn.
Das größte Gehirn eines Pferdes, das ich
aufhebe, wiegt 1 Pfund, 14 Loth, das kleinste
eines ausgewachsenen Menschen 2 Pfund, 11
Loth; allein das Pferdgehirn zeigt auf seiner
Grundfläche wenigstens mehr als zehnmal dickere
Nerven, und doch ist es, absolut genommen,
um mehr als ein ganzes Pfund am Gewichte
kleiner.
Nur schließe man nicht weiter, daß der Mensch
dafür die meisten Nerven haben müsse, das ist
meine Meinung noch ganz und gar nicht. Ein
Augapfel fodere zum Benspiele 600 Nervenfasern
zu seiner Ausrüstung; ein anderer halb so großer
300. Man setze nun, daß das Thier, dessen
Augapfel 600 Nervenfasern hat, dabey ein Ge-
hirn von 7 Quentchen besäße, das mit 300 ein
Gehirn von 5 Quentchen: so wird man dem Thie-
[Seite 395] re, das nur 5 Quentchen Gehirn besitzt, doch ei-
ne vorzüglichere Fähigkeit durchs Gesicht erhalte-
ne Empfindungen und Eindrücke aufzubewahren,
folglich in der That ein größers Gehirn zuschrei-
ben können. Denn rechne ich auf jedes Hundert
von Nervenfasern ein Quentchen Gehirn, so bleiben
dem absolut kleinern Gehirn dennoch zwey Quent-
chen übrig, wenn das größte nur ein Quentchen
behält.
Scarpa (anatom. annotat. L. 1. de ner-
vorum gangliis) theilt die Nervenknoten in ein-
fache (gangIia simplicia, oder spinalia) und in
zusammengesetzte (composita, oder non spinalia)
ein. Die ersten sind an den Wurzeln der Rück-
gradnerven längst des ganzen Rückgrads befindlich,
und es bestehen solche blos aus einem einzigen
Nerven. Die zusammengesetzten Nervenknoten
hingegen sind in den übrigen Theilen des Körpers
zerstreut, und werden aus vielen und verschiede-
nen sich mit einander verbindenden Nervenfäden
gebildet. – Unter den allgemeinen Bedeckungen
dieser Nervenknoten findet sich eine weiche, safti-
ge, gelblichte Substanz, welche von den Physio-
logen sonst mit der Gehirnsubstanz verglichen wur-
de, die aber nach des Scarpa Untersuchungen ein
wahres, zwischen den Nervenfäden gelegenes Zell-
gewebe ist, welches in fetten Körpern einen di-
cken öligten Saft, in magern aber eine dünne
graue Substanz enthält; bey wassersüchtigen Kör-
pern war dieses Zellgewebe der Nervenknoten mit
eben der serösen Feuchtigkeit erfüllt, welche sich
[Seite 396] in das übrige zelligte Gewebe des Körpers ergos-
sen hatte. – Die Nervenbündel und Nervenfä-
den sind in den obenangeführten einfachen und zu-
sammengesetzten Nervenknoten nach einer verschie-
denen Ordnung vertheilt; denn in den einfachen
laufen dieselben alle zugleich durch die Axe desselben
hindurch, zum Theil aber weichen sie auch von diesem
Wege ab, und laufen nach den Seitentheilen zu,
und von dieser Richtung der Nervenfäden hängt
auch die jeder dieser beyden Arten von Nerven-
knoten eigene Gestalt ab.
Unter den Entdeckungen, womit in den
neueren Zeiten die Physiologie bereichert worden
ist, gehört unstreitig die genauere Kenntniß des
Magensafts, die vorzüglich durch die Versuche
des berühmten Spallanzani a) in ein helles Licht
gesetzt worden ist.
Die brechenerregende Kraft der eingeschluck-
ten atmpsphärischen Luft hat Hr. Gosse durch Be-
obachtungen an seinem eigenen Körper bestätigt b),
wovon uns Hr. Senebier folgendes erzählt: Herr
Gosse hatte in seiner Kindheit das Vermögen er-
langt Luft zu schlucken: Eines Tages, da ihm
übel, und er ein saures Aufstoßen empfand, ge-
rieth er auf den Einfall Luft zu verschlucken, die-
se verschluckte Luft machte, daß er sich erbrach,
worauf er wieder besser wurde. Dieses Mittels
hat er sich also bey verderbtem Magen immer be-
dient; Luft ist für ihn ein sichers Brechmittel,
das seine Wirkung thut, ohne ihm Uebelseyn,
oder Entkräftung zu verursachen, und das ihm
[Seite 397] immer Anlaß gibt, seinen Magen mit Wasser,
welches er verschluckt, so rein auszuwaschen, als
ob er ihn mit den Händen auswüsche.
Um Luft zu verschlucken hält er den Athem
an sich, und drückt mit der Zunge die Luft gegen
den Gaumen, hernach macht er es so, als wenn
er etwas anders verschlingen wollte, und zwingt
diese Luft mittelst der Wirkung der Muskeln des
Schlundes, in seinen Magen hinab zu gehen. Die
auf jedesmal verschluckte Luft wird durch den Um-
fang, den sie im Munde einnimmt, und durch
den Laut, den sie im Hinuntergehen von sich hö-
ren läßt, merklich.
Ich füge hier noch einige diätetische Regeln
bey, welche Herr Senebier in seinen praktischen
Bemerkungen mitgetheilt hat c).
Nutzen des Kauens. Die Auflösung der
Speisen geschieht nicht sowohl durch den Speichel,
der sich während des Kauens den Nahrungsmit-
teln beymischt, als vielmehr durch die Zerthei-
lung, die sie durch die Zähne erleiden. Die Ur-
sache davon fällt deutlich in die Augen. In sol-
cher sind sie weit mehr fähig von den Magensäf-
ten angegriffen zu werden, weil diese sie in viel
mehr Punkten berühren, und also ihre ganze Auf-
lösungskraft mit weit größerm Nachdrucke bewei-
sen können. Indessen ist es doch nicht unmöglich,
daß die Nahrungsmittel, wenn sie durch diese O-
peration erweicht worden sind, dadurch leichter
auflöslich werden können; ja ich wäre auch gar
nicht abgeneigt zu glauben, daß wohl eine gewisse
Menge von Speichelsäften erforderlich seyn möge,
die Zubereitung des Magensaftes zu vollenden.
[Seite 398] Man muß sich den Magen warm halten.
Es findet in Ansehung der Beschwerungen des
Magens eine Bemerkung und Regel statt, auf
die man immer nicht die gehörige Aufmerksamkeit
wendet, und die durch die in diesem Buche ent-
haltenen Beobachtungen sehr wichtig werden kann;
ich meyne die Nothwendigkeit der Wärme, um
den Magensäften ihre ganze Wirksamkeit zu ge-
ben. Denn sobald als solche der gemäßigten
Wärme der uns umgebenden Luft ausgesetzt sind,
sobald ist auch ihre Wirkung sehr schwach und
langsam. Hieraus kann man also schließen, daß
den Personen, die übel verdauen, viel daran lie-
gen muß, die Erkältung der Magengegend sorg-
fältig zu verhüten, und sie müssen also diese Ge-
gend, besonders während der Verdauung sehr
warm halten. Blos auf diese Art, und anders
nicht kann man den Magensäften die ganze Wirk-
samkeit, deren sie fähig sind, verschaffen. Man
wird auch diese Absicht leicht durch einen warmen
Pelz, den man auf diese Gegend legt, als vom
Schwane, oder einer wilden Katze erreichen kön-
nen. Was aber gar keinen Zweifel über die Rich-
tigkeit dieser Beobachtung übrig läßt, ist die schon
oftmals gemachte Beobachtung, daß die Kälte die
Verdauung unterbricht, und daß man besser im
Bette, als außer demselben verdauet. Hieraus
folgt nun, daß alle die Leute, die langsam und
übel verdauen, zu einer geschwindern und bessern
Verdauung gelangen werden, wenn sie sich vor
der Kälte verwahren, und vielleicht die Wärme,
die ihnen natürlich eigen ist, ein wenig vermehren.
Man muß durchaus nicht zu viel trinken.
Diese Bemerkung zeigt schon eine Verwandschaft
[Seite 399] an, die zwischen dem Einfluße der Magensäfte
auf die Nahrungsmittel, und der Kraft der Auf-
lösungsmittel auf ihre aufzulösenden Körper zu
wirken, statt findet: allein es gibt noch eine gro-
ße Menge anderer Umstände, welche nicht zwei-
feln lassen, daß die Magensäfte nicht Auflösungs-
Mittel für die Dinge sollten, die uns zur Nah-
rung dienen. Hieraus folgt also, daß, da die
Auflösungsmittel ihre Kraft verlieren, wenn ihre
Concentration geschwächt wird, oder sie verdünnet
werden, es immer gefährlich seyn müsse, zu viel
zu trinken: weil durch eine allzugroße Verdünnung
der Magensäfte, auch nothwendig ihre Kraft ge-
mindert werden muß. Es ist wohl wahr, daß die
Magensäfte sich immer durch späten Zufluß er-
neuern, und daß die genossenen Feuchtigkeiten
sich wieder verlieren, und abgehen; allein sie ver-
lieren sich doch nie, ohne eine Parthie Magen-
saft mit sich fortzunehmen, mit denen sich jene
Feuchtigkeiten vermischt hatten, und die zur Ver-
dauung angewendet werden sollten. Man weis,
daß die wässerigten Speisen, z.B. Baumfrüchte,
wenn sie in zu großer Menge gegessen werden,
sich gar nicht, oder doch sehr übel verdauen lassen.
Man weis desgleichen, daß die flüßigen Nah-
rungsmittel, wenn sie in sehr großer Quantität
getrunken werden, sich nicht verdauen lassen, und
daß sie alsdann jedesmal starke Durchfälle erre-
gen. Dieß kömmt blos davon, weil die zu sehr
verdünnten, und geschwächten Magensäfte nicht
mehr die Kraft besitzen, die Nahrungsmittel ge-
hörig aufzulösen, und sie zur Verwandlung in
Nahrungssaft tauglich zu machen.
[Seite 400] Man muß diejerigen Nahrungsmittel
meiden, durch welche die Magensäfte ge-
schwächt weiden können. Ein Auflösungsmittel
behalt seine Eigenschaften nur so lange, als es
nicht durch irgend eine Beymischung verändert wird,
die vermögend ist, dasselbe dieser Eigenschaften
zu berauben. Es würde dieses ganz unfehlbar dem
Magensafte widerfahren, wenn man eine große
Menge von solchen Nahrungsmitteln zu sich neh-
men wollte, die denselben verändern könnten. So
ist es, z.B. erwiesen, daß dieser Saft weder
sauer, noch alkalinisch, sondern ganz und gar ei-
ner mittelsalzigen Art sey; man würde also zuver-
läßig Schaden anrichten, und den Einfluß dieser
Säfte in die Nahrungsmittel schwächen, wenn
man entweder einen zu öftern Gebrauch von sau-
ren oder alkalinischen Nahrungsmitteln machen,
oder eine einzelne gar zu starke Mahlzeit von sol-
chen Speisen thun wollte, die von einer oder von
der andern Art zu viel enthielten. Denn in die-
sem Falle würde man vielleicht selbst die Natur
dieser Säfte, gleich in ihrer Absonderung, verän-
dern; da man hingegen in einem andern Falle nur
die Eigenschaft der im Magen erzeugten und da-
rinn befindlichen Säfte verändern würde. Es gibt
der Beyspiele nur allzuviele, welche diese Mei-
nung bestätigen. Der Magensaft bey den Krä-
hen wird sauer, wenn man diese Vögel einige
Zeit mit Vegetabilien füttert; hingegen wird er
wiederum mittelsalzig, wenn das Futter, das
man ihnen gibt, aus dem Thierreiche genommen
ist. Hieraus läßt sich schließen, daß die Eigen-
schaften unsrer Magensäfte von unserer Willkühr
abhängen. Ist aber unser Magensaft vollkommen
[Seite 401] gut zu achten, wenn er die Natur eines Mittel-
salzes hat, und weder sauer, noch alkalinisch ist;
so ist auch ganz klar, daß wir uns solcher Nah-
rung bedienen sollten, die geschickt ist, ihn in
diesem Zustande zu erhalten. Es ist also äußerst
wichtig, auch nur in den gewöhnlichen Fällen, ei-
nen allzu lange fortgesetzten Genuß saurer oder
alkalinischer Nahrungsmittel zu meiden, und es
giebt viele Fälle, wo der Mißbrauch der einen,
oder der andern Art von Speisen dem Magen sol-
che Uebel zugezogen hat, die beynahe unheilbar
worden sind. Dieses macht mich geneigt zu glau-
ben, daß die Natur des Menschen wirklich dazu
eingerichtet ist, daß er sich zu gleicher Zeit mit
Nahrungsmitteln aus dem vegetabilischen und ani-
malischen Reiche erhalten soll.
Was den eigentlichen und wirklichen Einfluß
der sauren und alkalinischen Dinge auf den Ma-
gensaft zur Zeit der Verdauung anbelangt, so
lehret uns Spallanzani selbst denselben zu fürch-
ten. Er erzählt nämlich, daß, wenn er bey ei-
ner Mahlzeit zu viel Erdbeeren gegessen, sein
Magensaft eine Säure angenommen habe. Hier-
bey muß man aber ja wohl den Hauptumstand be-
merken, daß der Magensaft niemals sauer wird,
ohne eine Unverdaulichkeit zu verursachen. Man
wird gar nicht daran zweifeln, wenn man nur
Achtung gibt, daß sich niemals ein saures oder
faulschmeckendes Aufstoßen ereignet, wofern nicht
eine schwere, und mühsame Verdauung zu Grun-
de liegt: und unser gelehrter Physiologe merkt auch
selbst an, daß er allemal eine schlechte Verdauung
gehabt hatte, so oft er die Säure von seinen Nah-
rungsmitteln verspürt habe.
[Seite 402] Aus dem nämlichen Grunde werde ich schließen
können, daß der Genuß geistiger Getränke, so bald
er zu häufig geschieht, die Verdauung in Unordnung
bringen müsse, indem sie den Magensaft verän-
dern: erstlich als Flüßigkeiten, die ihn zu sehr ver-
dünnen, und zweytens als Flüßigkeiten, die ihm
eine entzündbare Eigenschaft geben, welche er von
Natur nicht hat; drittens, weil sie selbst ein Auf-
lösungsmittel für den Magensaft abgeben. Ich
würde den Wein eher für schädlich als nützlich
halten, wenn er nicht unter allen stärkenden Mit-
teln, die man brauchen kann, noch das unschul-
digste wäre.
Ueberhaupt muß man folgende Regel merken:
Da die Verdauung ohne Gährung vor sich geht,
so müssen sich Leute von schwachem Magen bor
allem dem hüten, was Gährung erwecken könnte.
Bey jeder fehlerhaften Verdauung findet sich eine
Entwicklung der Luft, die eine Anzeige von der
Gährung ist, welcher die antiseptische Kraft der
Magensäfte in gewöhnlichen Fällen vorbeugen
sollte. Bald ist diese entbundene Luft sauer, und
dieß ist die fixe Luft, die von der Gährung ent-
steht; diese geht nun gemeiniglich mit Aufstoßen
aus dem Magen durch den Mund fort, oder wird
von den befeuchteten Theilen des Körpers eingeso-
gen. Die andre Art von der bey der Verdauung
erzeugten Luft ist faul, und ist ohne Zweifel die
Wirkung einer ununterbrochenen Verdauung; sie
ist entzündbar, geht vorzüglich durch den Mast-
darm fort, und wird vornehmlich in den Gedär-
men erzeugt. Man muß also auch hier auf den
Willen der Natur Achtung geben, und ihrem Ra-
the folgen. Man sieht deutlich, daß es ihre Ab-
[Seite 403] sicht ist, alle Arten von Gährung zu verhüten,
weil sie ein so besonders Auflösungsmittel, wel-
ches weder sauer, noch alkalinisch, sondern nur
äußerst antiseptisch ist, anwendet. Daher geben
auch die Nahrungsmittel, ob sie gleich im Ma-
gen verschlossen, in ziemlich starkem Grade erhitzt,
angefeuchtet, auch gewissermassen der Wirkung
der Luft unterworfen sind, aber lediglich durch
die Wirkung des Magensaftes aufgelöset werden,
niemals, auch nur das geringste Kennzeichen ei-
ner Gährung von sich.“
a) Spallanzani's Versuche über das Verdauungs-
geschäft des Menschen, und verschiedener Thier-
arten, nebst einigen Bemerkungen des Hrn. Se-
nebier, übersetzt, und mit einem Register verse-
hen von D. Chr. Frid. Michaelis. Leipz. 1785. 8.
Obgleich seit Boerhaaven viele geübte
Scheidekünstler die Bestandtheile der Galle auf
das sorgfältigste untersucht haben, so sind doch die
Meinungen der Physiologen über die Natur der
Galle noch immer getheilt. So hat Hr. D. Rich-
ter in einer auf der Universität zu Erlang gehal-
tenen Dissertation die Meinung des Herrn Gold-
witz, welcher der Galle, wie bekannt ist, den
alkalischen Bestandttheil gänzlich abgesprochen
hat, durch eigene Versuche widerlegt. Er prüf-
te zuerst die von Hrn. Goldwitz mitgetheilten Ver-
suche, und die daraus gefolgerten Sätze:
1) Herr Goldwitz bediente sich, um die Gegen-
wart eines Alkali durch das Aufbrausen zu entdecken,
welches von beygemischter Säure entsteht, der
[Seite 404] konzentrirten Vitriolsäure; allein das Vitriolöl
brauset auch mit dem reinsten Wasser, und fast
mit allen wässerigten Flüßigkeiten auf, worinn
man auch nicht die mindeste Spur eines Alkali
entdecken kann. Er hat also zur Entdeckung des
alkalischen Bestandtheiles ein sehr unsicheres Mit-
tel angewandt; indem eines Theils das in diesem
Falle nicht erfolgende Aufbrausen keineswegs die
Abwesenheit des alkalischen Bestandtheiles erwei-
set, andern Theils aber kein sicheres Kennzeichen
eines vorhandenen alkalischen Bestandtheiles ab-
geben kann, indem das Vitriolöl mit allen wässe-
rigten Feuchtigkeiten aufbrauset.
2) Die Schlußfolge, daß kein Alkali zuge-
gen sey, weil kein Aufbrausen bemerkt wird, ist
übereilt; indem die Galle eine thierische Flüßig-
keit ist, und aus einer ansehnlichen Menge Brenn-
stoff besteht. Es kann daher leicht geschehen,
wie schon Herr Doktor Ramm angemerkt hat,
daß das Brennbare eine größere Verwandtschaft
mit dem Alkali hat, als jede beygemischte Säu-
re, und in diesem Falle findet kein Aufbrausen
statt. Eben so entsteht, wenn man in eine wäs-
serigte Auflösung der gemeinen Seife Eßig gießt,
kein Aufbrausen, sondern eine bloße Gerinnung.
Wird aber wohl jemand schließen, daß in der
Seife kein Alkali vorhanden sey?
3) Die größten Scheidekünstler kommen da-
rinn überein, daß das Alkali nur alsdann mit
Säuren aufbrause, wenn es mit einer hinlängli-
chen Menge fixer Luft geschwängert ist, und daß
diese Luft desto leichter entwickelt werde, je weni-
ger sie von andern Bestandtheilen gebunden ist.
Es kann also in einem Körper ein Alkali vorhan-
[Seite 405] den seyn, obgleich von Sauren kein Aufbrausen
entsteht.
4) Das konzentrirte Vitriolöl verbrennt die
meisten Körper, und zerstört gleichsam ihre Mi-
schung, so daß man also auch von dieser Seite
weder auf die Gegenwart, noch Abwesenheit eines
Laugensalzes schließen kann. Ganz anders wirken
verdünnte Sauren.
5) Sogar die Folgerungen, die Herr Gold-
witz aus seinen eigenen Versuchen zieht, sind nicht
allzeit richtig. Er ließ z.B. im VII. und VIII.
Versuche eine faule, durch hinzugegossenes Vi-
triolöl zusammengeronnene Ochsengalle, nachdem
er den dickern Theil weggenommen hatte, abdam-
pfen; da nun diese Flüßigkeit an ihrer Oberflä-
che allzeit sauer schmeckte, so schloß er daraus,
daß kein Alkali in der Galle vorhanden sey, in-
dem sonst die Säure mit dem Laugensalze sich ver-
bunden hätte. Weit richtiger kann diese Erschei-
nung von einer unvollkommenen Sättigung herge-
leitet werden; nämlich von der allzugroßen Men-
ge des Vitriolöls, wodurch das Anschießen der
Kristallen verhindert wurde. Denn sonst würde
Herr Goldwitz aus dieser Mischung auch die näm-
lichen Krystallen des Glaubersalzes erhalten haben,
die Cadet, Röderer, und auch ich ausscheideten.
6) Die im Feuer angestellten Versuche mit
der Galle hält Herr Goldwitz für unnütz. Allein
warum sollte gerade dieser Verfasser diejenigen
Bestandtheile der Galle durch das Feuer nicht zu
entdecken im Stande seyn? die doch von andern
berühmten Scheidekünstlern dargestellt worden
sind, und unter denen auch das Laugensalz sich
befindet. Denn es ist entschieden, daß Cadet
(Mem. de l'acad. des sc. de Paris 1767. p.
[Seite 406] 73.) aus der Galle durch das Feuer ein minera-
lisches Laugensalz erhalten hat, das wohl kein
Scheidekünstler für ein Produkt des Feuers erklä-
ren wird; wenigstens hätten diese Versuche ver-
dient hier angezeigt zu werden. Hatte Herr Gold-
witz seine Versuche im Feuer angestellt, so wür-
de er gewiß in diesem Falle einen gleichen Erfolg
erfahren, und den alkalischen Bestandtheil der
Galle nicht geläugnet, oder, wenn der Versuch
anders ausgefallen wäre, wenigstens so viel an-
gezeigt haben, daß er wenigstens das Laugensalz,
welches Cadet und Röederer darstellten, durch
die Einwirkung des Feuers nicht entdecken konnte.
7) Glaubte aber Herr Goldwitz, den alka-
lischen Bestandtheil der Galle mit Grunde läugnen
zu können, so hätte er billig die Versuche anderer
Scheidekünstler, eines Cadets, Röederers, die
auf dem nassen Wege den alkalischen Bestandtheil
der Galle entdeckten, vorher widerlegen sollen.
Das Resultat der Richterschen Versuche be-
steht im Folgenden:
1) Alle Säuren brachten, wenn sie mit ge-
höriger Vorsicht angewandt wurden, die Galle so-
gleich zum Gerinnen, und stellten nach Verschie-
denheit der Säure verschiedene Mittelsalze dar.
So erhielt er mittelst der Vitriolsäure Glaubersalz,
mit Salpetersäure den würfligten Salpeter, mit
Salzsäure Küchensalz. Hieraus erhellt, daß in
der Galle ein ächtes mineralisches Laugensalz
enthalten ist, welches, nachdem es mit dieser
oder jener Säure verbunden wird, ein verschiede-
nes Mittelsalz macht; welches auch durch Cadet's
und Röderers Versuche bestätigt wird. Sowohl
die Ochsen- als Schweinsgalle kommen darinn
überein, daß sie beyde ein mineralisches Laugen-
[Seite 407] salz enthalten; denn durch beygemischte Vitriol-
saure erhielt er sowohl aus der Ochsen – als
Schweinsgalle Glaubersalz.
2) Bey der Destillation sowohl der Schweins-
als Ochsengalle geht zuerst eine wässerigte, end-
lich aber eine urinöse Flüßigkeit über. Die Fer-
nambuktinktur bekam dadurch eine purpurrothe
Farbe, der Sublimat wurde mit einem weißen
Bodensatze niedergeschlagen, und der Beilchensaft
erhielt dadurch die schönste grüne Farbe. Wor-
aus also das Daseyn eines flüchtigen Laugen-
salzes erhellt.
3) Auch der Salmiak, den der Verfasser
aus der Vermischung der Salzsäure mit jener uri-
nösen Flüßigkeit erhielt, beweiset das Daseyn des
flüchtigen Laugensalzes.
4) Die nach der Destillation rückständige,
kalzinirte, und ausgelaugte Kohle liefert das rein-
ste mineralische Laugensalz, welches mit der
Vitriol- Salpeter- und Phosphorsäure sehr
deutlich aufbrauset, und verschiedene Mittelsalze
darstellt. Da übrigens dieses Salz in freyer Luft
nicht zerfließt, sondern vielmehr verwittert, so
erhellt auch hieraus, daß dieses Salz kein vege-
tabilisches, sondern ein mineralisches Laugensalz ist.
5) Daß aber in der Galle im natürlichen
Zustande auch Salzsäure enthalten sey, haben die
angestellten Versuche offenbar erwiesen. Denn
durch den Weingeist ward ein ächtes Küchensalz
entwickelt, welches im Feuer knisterte, und die
Silberauflosüng niederschlug; aber auch das Vi-
triolöl trieb durch die Destillation die Salzsäure
in die Vorlage über; diese Säure färbte den
Veilchensaft grün, und schlug die Hornsilberauflö-
sung mit einem weißen Bodensatze nieder. Nach
[Seite 408] aller Wahrscheinlichkeit ist das mineralische Lau-
gensalz in der Galle im natürlichen Zustande mit
der Salzsäure verbunden, folglich ist ein wirkli-
ches Küchensalz zugegen; welches auch durch die
würfligten Krystallen, welche man durch das Ver-
größerungsglas in der Galle entdeckt, bestätigt wird.
6) Daß auch Brennstoff in der Galle vor-
handen sey, erhellt sowohl aus ihrer Entzündbar-
keit, als auch durch die bey der Destillation er-
haltene Salpetersäure; ferner durch das Oel,
welches theils auf der urinösen Flüßigkeit schwimmt,
theils an die Wände der Retorte sich anlegt. Wo-
durch zugleich zum Beweis einer eigenthümlichen
seifenartigen Natur der Galle der Weg gebahnt ist.
7) Nicht die mindeste Spur von Eisen konn-
te man in der Galle entdecken, weder durch den
Magnet, noch durch die Sublimation mit Salmiak.
8) Daß die in der Galle befindliche Erde
kalkartiger Natur sey, erhellt dadurch, weil man
durch die Vitriolsäure einen ächten Gyps erhielt.
9) Die Menge des wässerigten Bestandthei-
les erhellt theils aus der natürlichen Flüßigkeit
der Galle, theils durch die Menge der wässerig-
ten Feuchtigkeit, welche bey der Destillation ü-
bergeht.
10) Durch das Vergrößerungsglas entdeckt
man in der Galle würfligte Salzkrystallen, welche
mit dem Kochsalze die größte Aehnlichkeit haben.
Eine der vorzüglichsten Abhandlungen über
die Bestandtheile des Harns ist die von der medi-
zinischen Fakultät zu Göttingen gekrönte Preis-
schrift: Henrici Friderici Link Commentatio
de analysi urinae, et origine calculi. Göttin-
[Seite 409] gae 1789. Ich werde daraus das Merkwürdig-
ste ausheben.
Der Herr Verfasser untersuchte den Harn zuerst
durch Reagentia. Auf diesem Wege zeigte sich:
1) Daß in dem Harn eine ungebundene Säu-
re, aber kein Laugensalz vorhanden ist.
2) Daß sich im Harn eine Kalkerde befindet.
Man bemerkt, wenn man den Harn in freyer
Luft stehen läßt, einen doppelten Bodensatz; ei-
nen weißen, gallertartigen, der sich anfangs setzt;
und einen braunen, klumpigten, der erst, wenn
der Urin in die Fäulniß übergeht, niederfallt.
Auch durch das Feuer werden die nämlichen
Veränderungen, nur schneller, hervorgebracht.
Außer der Säure, und der Kalkerde, ist
auch ein öligter Bestandtheil und fixe Luft zugegen.
Den ersten gallertartigen Bodensatz hält der
Verfasser für gerinnbare Limphe; si pflegt die Zwi-
schenräume der Blasensteine auszufüllen, und wird
gemeiniglich für Schleim gehalten.
Der Verfasser zieht überhaupt aus seinen
Versuchen folgende Schlüße:
1) Der Urin ist eine ganz eigene salzigte
Feuchtigkeit, oder vielmehr eine Auflösung einer
Schwefelleber. Allein diese Art hat das Beson-
dere, daß sich das Wasser weder in der Luft,
noch im Feuer durch Abdampfen scheiden läßt;
indem das Salz durch den Beytritt der atmos-
phärischen Luft sogleich ganz zerstört wird, und
durch hinzugegossenes Wasser nicht wieder kann
hergestellt werden.
2) Die Phosphorsäure, oder wenigstens ih-
re Grundlage, scheint der Hauptbestandtheil des
Harns zu seyn. Durch den Zusatz von Oel, und
flüchtigem Laugensalze entsteht eine von der Phos-
[Seite 410] phorsäure etwas abweichende Säure, nämlich ei-
ne phosphorisirte Säure, welche, wie der Wein-
steinrahm mit dem vegetabilischen Laugensalze ge-
sätigt einen auflöslichen Weinstein darstellt, und
auch mit flüchtigem Laugensalze sich verbindet.
3) Das Oel, das flüchtige Laugensalz, und
die entzündbare Luft scheinen eine gemeinschaftliche
Grundlage zu haben; nur die Verbindung ver-
schiedener Säuren mit einer und derselben Grund-
lage bringt drey verschiedene Körper hervor. Es
ist daher sehr wahrscheinlich, daß diese Grundla-
ge nicht nur in dem Harn, sondern auch in den
übrigen Saften des menschlichen Körpers vorhan-
den, und mit der Phosphorsäure verbunden ist.
4) Diese phosphorirte Säure macht mit ei-
ner gewissen Menge Kalkerde verbunden den vor-
erwähnten ersten Bodensatz, oder die gerinnba-
re Lymphe aus. Manchmal ist die Phosphor-
säure so rein, daß sie diesen Bodensatz aufgelöst
enthält, und in diesem Falle zeigen sich die Merk-
male einer entwickelten Säure.
5) Das Kochsalz und das, mineralische Laugen-
salz sind in dem Harn nur zufälligerweise vorhan-
den. Daß das Laugensalz in dem Harn ungebun-
den zugegen gewesen, erhellt aus der Gegen-
wart desselben in der Galle, und im Speichel.
Aus der Verbindung der Phosphorsäure mit die-
sem Laugensalz entsteht das Perlsalz.
6) So verhält sich der Harn, so lange der-
selbe in dem lebenden Körper keine Veränderung
erlitten hat. Sobald aber der Einfluß der Luft
und der Wärme hinzukömmt, oder eigentlich zu
reden, die Einwirkung des Lebens aufhört, wird
das flüchtige Laugensalz von dem öligten Theile
entbunden. Dieses flüchtige Laugensalz macht,
[Seite 411] wenn es mit einer zureichenden Menge Phosphor-
saure gesätigt wird, das schmelzbare Salz (sal.
fusibile), und verdrängt den ersten Bodensatz
(die gerinnbare Lymphe), welcher in der über-
flüßigen Phosphorsäure aufgelöst enthalten war.
Durch einen stärkern Grad des Feuers wird das
Laugensalz, das Oel, und die entzündbare Luft
ausgetrieben; die Phosphorsäure, welche noch
etwas von diesen Theilen zurückhält, sinkt wegen
Mangel an wässerigter Flüßigkeit zu Boden, ü-
berzieht den ersten Bodensatz, und macht auf die-
se Weise den zweyten Bodensatz.
Der Verfasser hat übrigens an seinem eige-
nen Körper die täglichen Veränderungen des Harns
beobachtet, welche in folgenden bestehen.
Die Wärme des Harns war sich fast immer
gleich, sowohl im Sommer, als im Winter, so-
gleich nach dem Mittagsessen, oder eine längere
Weile nachher; sie betrug gewöhnlich 270 nach
dem Reaumürischen Thermometer.
Der Harn, der sogleich nach der Mahlzeit
gelassen wird, ist gelblich; oft aber ohne Farbe,
und fast ganz wässerig. Der erste Bodensatz zeigt
sich in 4 – 5 Stunden, nachdem der Harn gelas-
sen worden. Wenn man aber viel harntreibende
Mittel genießt, worunter Wasser, Wein, vor-
züglich aber Bier gehören, ist der Urin wässerig-
ter, und der Bodensatz kömmt erst binnen einem
Tage, oder wohl erst nach 2 – 3 Tagen zum
Vorschein. Fünf oder sechs Stunden auf die
Mahlzeit wird der Harn gelber, läßt den Boden-
satz schon binnen 2 – 3 Stunden fallen, und so
geht es weiter, bis endlich, wenn man nicht durch
eine neue Mahlzeit die Abscheidung stört, ein trü-
ber Urin gelassen wird, der sogleich einen Boden-
[Seite 412] satz fallen läßt. Nach einer frugalen Abendmahl-
zeit erfolgt dieß den folgenden Morgen.
Diese Beobachtungen lassen sich am besten
unter folgenden Umstanden anstellen: eine mäßige
Diät; Ruhe des Körpers, und mäßige Bewe-
gung; sechs Stunden Schlaf; mäßiges Wasser-
trinken, nicht über 1/4 Maaß; eine gemischte, aus
Pflanzengewächsen, und Fleisch bestehende Kost.
Bey dieser Lebensweise ward den folgenden Tag
frühe um 6. Uhr ein dunkler Urin gelassen, der
nach einer halben Stunde einen Bodensatz machte;
um zwölf Uhr wurde ein trüber Urin gelassen.
Ein gelber, trüber Urin wird nach dem Essen,
besonders aber nach genossenen Aepfeln, sogleich
wässerig.
Obgleich die Farbe, der Geruch, und der
Bodensatz so verschiedene Abänderung leidet, so
besteht doch der ganze Unterschied blos in der grö-
ßern, oder geringern Menge der Bestandtheile.
Ueberhaupt alles, was Krämpfe verursacht,
verursacht einen wässerigten Urin, und entwickelt
die Phosphorsäure in größerer Menge.
Das Herz eines Kindes von der hintern Sei-
te vorgestellt; mit etwas erhöhter Grundfläche,
und abeschnittener Luftröhre, um die andern Thei-
le desto deutlicher vorzustellen.
a. Die herabsteigende Hohlader.
b. Die hinaufsteigende Hohlader.
c. Der vordere, oder rechte Blutbethälter.
d. Das daran hangende Herzohr.
f. Der Stamm der Lungenarterie.
k. Der hintere, oder linke Blutbehälter.
l. Das daran hangende Herzohr.
n. Der Bogen der großen Schlagader.
o. Der gemeinschaftliche Stamm, aus welchen:
entspringt
p. die rechte arteria subclavia, und
[Seite 414]t. Die gemeinschaftliche arteria bronchialis (denn
so war sie in diesem Körper), und die arte-
riae intercostales, welche aus der aorta ent-
springen.
w. Die linke vena coronaria, und
Das rechte etwas vergrößerte Aug eines er-
wachsenen Menschen; die obere Hälfte der Horn-
und Aderhaut ist weggenommen; auch der Rand
der Regenbogen ist von dem Sternkreise getrennt,
und etwas aufgehoben, damit beyde Augenkam-
mern sichtbar werden.
g. Die Kapsel der Krystalllinse.
h. Der Augennerve, und die Centralarterie.
Der vordere fig. 2. etwas vergrößerte Ab-
schnitt eines Auges von einem acht Monat alten
Foetus.
d. Die Albinische Sternhaut, die in dem Mit-
telpunkte schon allmälig verschwindet.
Stellt das Herabsteigen der Hoden aus dem
Unterleibe im männlichen Foetus vor.
Von einem reifen, aber ungleich gewachse-
nen Zwillingsfoetus; die linke Hode ist schon aus
der Bauchhöhle herunter gesunken; die rechte wurde
gleichsam während ihrem Durchgang durch die en-
ge Oeffnung überrascht.
a. Die rechte Hode mit der Nebenhode, von dem
aufwärtssteigenden, und schon zusammen-
gerollten Fortsatze des Darmfells eingeschlos-
sen.
b. Die Spuren der Saamengefäße auf dieser
Seite, und
d. Der abwärtssteigende Fortsatz des Darm-
fells, welcher die Gestallt eines aufgeblase-
nen Beutelchens hat.
e. Die kleine Oeffnung des Darmfells, welche
durch den schmalen Gang zu diesem Beutel-
chen führt, in dem die linke Hode sich schon
befindet.
f. Die Spuren der Saamengefäße der linken
Seite, und
g. des abführenden Ganges auf derselben Seite.
[Seite 417]h. Die Harnblase; die an ihrem Grunde in den
Urachus übergeht, und an beyden Seiten
mit den Nabelarterien verbunden ist.
von einem viermonatlichen Foetus. Beyde
Hoden liegen noch in der Bauchhöhle; der auf-
wärtssteigende Fortsatz bildet eine länglichte Fal-
te; an dem untern und vordern Theile dieser Fal-
te ist die Oeffnung des Darmfells sichtbar.
Das Ey eines Abortus, ungefähr im ersten
Monate nach der Empfängniß; es ist aufgeschnit-
ten, aber etwas vergrößert vorgestellt.
a. Die umgestülpte Hunterische Haut.
b. Die Flöckchen der Lederhaut, mit denen das
Ey gleichsam mit seinen Wurzeln an die di-
cke Lamelle der Hunterschen Haut befestigt
ist.
c. Die innere Lamelle der Lederhaut, welche da-
mals noch mit einer wässerigter Feuchtigkeit
angefüllt ist.
Die äußere Gestalt dieses Eyes.
So dachte schon der Verfasser einer Schrift, welche
gewöhnlich dem Hippokrates zugeschrieben wird: ‘Epi-
demic. VI. Sect. 8. §. 19. qvae continent corpora, aut
intus continentur, aut in nobis cum impetu moventur,
contemplanda sunt.“’ Diese Stelle gab dem Abr. Raau
Boerhaave zu jenem bekannten Werke Anlaß: Impe-
tum faciens dictum Hippocrati per corpus consentiens.
L. B. 1745. 8.