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Naturgeschichte
des
Eichhörnchen.

Dem
besten aller Eichhörnchen
der
schönen Babiole
gewidmet.


1777.
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Meine gute schöne Babiole!

[[1]]

Und wenn die Dedicationen auch noch eins
so sehr persiflirt würden, so könnte sich dein
alter Herr doch unmöglich die Gelegenheit ent-
gehen lassen, dir diese Blätter förmlich zuzueig-
nen, um auch einmal vor den Augen der Welt
zu wiederholen, was er dir so oft gesagt hat, daß
du das glücklichste beneidenswertheste Eichhörn-
chen unter der Sonne bist. Dem Unzufriednen
bleiben überall Wünsche offen, und ich kann nicht
gut dafür seyn, daß dir nicht auch, wenn du un-
ten die Geschichte deines Geschlechts lesen wirst,
beyläufig einige aufsteigen sollten. Aber wäge sie,
Babiole, und du mußt gestehen, daß es kein Loos
für Geschöpfe deiner Art giebt, mit dem du das
deinige vertauschen dürftest. Freylich, hätte dich
das Schicksal lassen am Jenisea jung werden, so
würdest du, statt deines rothen Fells ein silber-
farben petit gris getragen haben. Allein bedenke
auch, wie wahrscheinlich dieses schöne petit gris
die Ursache deines frühen Todes geworden wäre.
Man hätte die arme Babiole geschossen, abge-
streift, mit ihren Fellgen eine Salope gefüttert,
und den Rest vor die Hunde geworfen. So
wünschtest du vielleicht lieber in den warmen Zo-
nen von Asien oder Amerika gebohren zu seyn, wo
[[2]] sich deine Brüder mit Datteln und Pisang und
hundert änlichen Früchten mästen. Aber du ver-
gißt, gutes Thier, wie leicht du dort den Klap-
perschlangen und so vielen andern Ungeheuern
hättest in den Rachen fallen können; statt daß du
nun zwischen jenen beiden Extremen in der Mitte,
an den Ufern der Leine, zwar rothaaricht und bey
frugalen Tische, aber wie Horazens Feldmaus si-
cher lebtest, und kaum einen Feind, ausser dem
Marder, fürchten durftest. Und auch dieser Furcht
und allen andern Unbequemlichkeiten der Wild-
nis hat dich dein guter Genius zu entreissen ge-
wußt. Er führte dich in die Hände meines Erd-
beeren-Jungen, und von da in die meinigen. –
Keine Vorwürfe, Babiole, aber gestehe, daß du
es bey mir nicht so ganz übel gehabt hast. Den klei-
nen Umstand abgerechnet, daß sich dein Wür-
kungscreis nur ein paar Spannen weit um ein
Ofenbein rum erstreckte, so hattest du übrigens,
was dein Herz verlangte, und was Hausmanns-
kost und Junggesellenwirthschaft vermochte. Al-
lein, dein Aufenthalt bey mir sollte blos dienen,
dich zu cultiviren, deine Talente zu bilden, und
dich zu der brillanten Epoche deines Lebens vorzu-
bereiten, die sich mit dem 5. Julius anfieng, und
in welcher du noch jetzt alle Wonne, deren ein Eich-
hörnchen fähig ist, geniessest. Ich brauche dir dein
mannichfaltiges Glück nicht erst vorzuspiegeln, du
fühlst es selbst, und wirst dich desselben noch ferner
nicht unwerth zu machen suchen. Geniest sie noch
lange die schönen Tage, die dir beschieden sind,
[[3]] und wenn du denn einst unter Freude und Wohl-
leben wirst alt worden seyn, wenn endlich ein-
mal eine unerbittliche Parce auch dein Lebens-
fädchen durch schneiden wird, so fürchte nicht,
daß deine Gebeine, wie gemeiner Eichhörnchen
ihre, modern dürfen. Du sollst in Spiritus ge-
setzt werden, und unter andern Meisterstücken der
thierischen Schöpfung im Museum prangen.
Künstige Cabinets-Inspectoren werden der Af-
terwelt deine Tugenden und ihre Belohnung er-
zählen, und man wird ehr Petrarcha's Katze,
und den Sperling, den Catull besungen hat, als
dich, Babiole, vergessen.

Nun noch ein Wort von anderer Art, gu-
te Babiole, einen warnenden Wink für die
Zukunft, der zwar in einer Dedication deplacirt
scheint, den ich aber aus Liebe zu dir nicht zu
unterdrücken vermag; und den ich voll Zuver-
sicht auf deine eigne Zlugheit eben so kaltblütig
hinschreibe, als du ihn wahrscheinlicher Weise
lesen wirst. Der Wege sind viel, die dich ins
Elend führen könnten, aber die mehresten sind
doch auch so kenntlich, daß du nicht Babiole
seyn müßtest, wenns dir je sie zu betreten in
Sinn kommen dürfte. Nur ein paar möchten
dich verleiten können, und ihrentwegen kann
der Fingerzeig eines Freundes nicht überflüssig
seyn. Um alles in der Welt, Babiole, wag
es niemalen das mindeste von Damen-Putz zu
zerbeissen; und zweytens, hüte dich eben so
sehr für allen Papieren, Briefen und Büchern.
[[4]] Du weißt, alle bittere Sachen sind euch Eich-
hörnchen Gift. Aber ich wollte dir lieber Citro-
nenschalen und bittere Mandeln aus meiner Hand
reichen, und dich vor meinen Füssen daran ster-
ben sehen, als daß ich jemals hören müßte, du
hättest dich an den Heiligthümern einer Toilette
oder eines Büreaus vergriffen. Babiole, Ba-
biole, so was könntest du in deinem Leben nur
einmal begehen! Man würde dich vermuthlich
nicht tödten, sondern dich aus deinem Elysium
wieder in die Wildnis verstossen, und dahin
laß mich dir nicht nachblicken. Du bist noch jung,
und du würdest also noch lange Zeit haben, bey
entwöhnter rauher Kost dein Elend zu bewei-
nen. Die nagende Erinnerung der guten
Tage der alten Zeit würde dir zwar dein jam-
mervolles Leben abkürzen, aber nicht die genos-
senen Freuden allein, auch die schönen Aus-
sichten jenseits des Lebens, Museum und Spi-
ritus und Afterwelt wären für Babiolen un-
widerbringlich verlohren.


Naturgeschichte
des
Eichhörnchen
.

[[5]]

Die Fledermaus änelt den Vögeln in ihrer Bil-
dung, das Eichhörnchen aber in seiner gan-
zen Oekonomie, in seinen Nahrungsmitteln, in der
Leichtigkeit seiner Bewegungen u.s.w. In der
Wildnis kommt es fast nie auf die Erde, sondern
lebt auf den Bäumen, und springt oft zwölf und
mehr Fus weit von einem zum andern. Es macht
sich in den Gipfeln der Tannen und Eichen ein
Nest aus Laub und Moos, oder quartirt sich auch
wol in vacante verlaßne Nester wilder Tauben und
anderer Vögel. Im Sommer lebt es von Hasel-
nüssen, Castanien, Bucheckern, und verscharrt sich
auch vom Ueberfluß Proviant in hole Bäume, doch
muß es in den spätern Wintermonaten, wenn jener
Vorrath aufgezehrt ist, bey Tannenzapfen und
Fichtenäpfeln darben. Das Vorgeben vieler Na-
turforscher, daß die Eichhörnchen den Winter
durchschliefen, ist irrig; hingegen hat sich neuer-
lich die alte Sage bestätiget, daß sie auf Stücken
Baumrinde bey Windstille übers Wasser schiffen,
und mit dem Schwanze gleichsam rudern. In Ver-
hältnis ihrer Grösse haben sie ungemeine Stärke,
so daß ein altes Eichhörnchen Lasten von vielen
Pfunden fortzuschleppen vermag. Wenn sie recht
zufrieden sind, klatschen sie mit der Zunge; im
Zorn aber ist ihre Stimme ein murksen. Die
[[6]] vortheilhafte Gestalt, die schönen Augen, die aus-
nehmende Lebhaftigkeit, die grosse Reinlichkeit, und
andere empfelende Qualitäten, machen die Eichhörn-
chen ohne Widerrede zu den artigsten und amüsan-
testen europäischen Thieren. So wird sie von Na-
tur scheinen, so leicht lassen sie sich doch, zumal in
ihrer Jugend, zu ausserordentlich zahmen und sanf-
ten Geschöpfen umbilden. Wir haben ein Eich-
hörnchen gekannt, was dem Rufe seiner Gebieterin
folgte, sich auf ihr Geheis zur Ruhe legte, sich
zuweilen in benachbarte Gärten, selbst jenseits eines
kleinen Flusses verirrte, und doch wieder den Weg
nach Hause fand.

Ganz Europa, fast ganz Asien und das nördli-
che America, ist das Vaterland der Eichhörnchen.
Die Nordischen, zumal an den Ufern des Obi und
am Baikal-See, werden im Winter grau, und ge-
ben dann das bekannte Grauwerk, petit gris;
das Büffon mit Unrecht von einer besondern gros-
sen Nordamerikanischen Gattung ableitet. Zuwei-
len finden sich auch schwarze Eichhörnchen; sehr
selten aber schneeweisse mit rosenrothen Augen, die
doch, wie die Negres blancs, und wie die weissen
Mäuse, Patienten, und keine besondern Varietäten
sind.


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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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