Wenige Reisebeschreibungen sind wohl je mit
einer so allgemeinen, und so großen, und
so begründeten Begierde erwartet worden, als die
gegenwärtige, eines angesehenen, aufgeklärten,
Sprach- und Sachkundigen Mannes achtjährige
Reise in einen fremden Welttheil, und namentlich
in ein Land, das seit zweytausend Jahren als
eins der allermerkwürdigsten angesehen worden,
und doch bis zur nunmehrigen Erscheinung dieses
Werks von so manchen Seiten großentheils un-
bekannt geblieben: – Habessinien nämlich, und
zumal die in seinem Sschooße entspringenden
Quellen des berühmtesten aller Ströhme des Erd-
bodens, des Nils!
Zwey neue Welttheile waren in den letzten
drey Jahrhunderten entdeckt worden, und hinge-
gen von diesem so äußerst interessanten, und uns un-
gleich nähern Lande der alten Welt hatten wir, seit
dem wenigen unbedeutenden, was schon der Vater
[Seite IV] der Geschichte, Herodotus, davon gesagt*)
bis in die neuern Zeiten großentheils nur unzu-
verläßige, oder doch mangelhafte und unzusam-
menhängende, theils offenbar einander widerspre-
chende Nachrichten. Denn alles zusammen ge-
nommen, was nächst jenem die übrigen hieher
gehörigen sogenannten alten Classiker, Agathar-
chides,**) Diodorus, Strabo, Plinius, und
selbst Ptolemäus von Habessinien (– ihrer
Aethiopia supra Aegyptum oder sub Aegypto –)
melden***), kommt doch, außer einigen aben-
theuerlichen Sagen von den dasigen Völkern,
meist nur auf bloße Namen von Gegenden und
Orten hinaus, deren Lage, beym Mangel ge-
nauer Angaben, nicht mit Gewißheit zu bestim-
men war, und die überhaupt nur vom bloßen
Hörensagen hergenommen sind, da keiner der ge-
nannten Alten selbst Habessinien bereißt hatte.
Der erste von allen uns bekannten Geschicht-
und Erdbeschreibern, der wirklich in diesem beru-
fenen Lande (wenigstens bis Axum) gewesen, ist
Cosmas der Einsiedler****), der im sechsten
[Seite V] Jahrhundert lebte, und den Namen Indicopleustes
führt, der ihm vermuthlich eben von dieser seiner
Habessinischen Reise beygelegt worden: denn
auch dieß vermehrt die Dunkelheit in der alten
Geographie von diesem Reiche, daß es bald
Indien, bald Aethiopien genannt, und diese
beyden Namen doch auch wieder ganz andern Erd-
strichen in Africa sowohl als in Asien gegeben
worden.
Nächst ihm haben zumal die beyden arabi-
schen Cosmographen, der Scherif el Edrisi
(der so genannte Nubier) und Ismaël Abulfeda,
von Habessinien einige Nachricht gegeben. Jener
nämlich, der in der Mitte des zwölften Jahrhun-
derts lebte, in seinen geographischen Gemüths-
ergötzlichkeiten, wovon wir aber nur den von
einem Christen daraus verfertigten Auszug*)
kennen; der andre hingegen, der zu Ende des
dreyzehnten Jahrhunderts König von Hana in
Syrien war, in seiner Erdbeschreibung**) –
Aber auch von diesen beyden war keiner selbst in
Habessinien gewesen, daher denn ebenfalls ihre
[Seite VI] kurzen Nachrichten von diesem Reiche wenig mehr
Licht geben, sondern vielmehr selbst erst einige
Aufhellung und Brauchbarkeit durch das erhal-
ten, was wir nun durch die spätern Reisenden
seit den letzten dreyhundert Jahren von daher
erfahren haben.
Den ersten Anlaß zu einer nähern und rich-
tigern Kenntniß von Habessinien und seinen Ein-
wohnern gab nämlich, wie bekannt, eine Han-
delsspeculation der Portugiesen, da König
Johann II. ein paar Leute aussandte, um vom
famosen, sogenannten Priester Johannes und
seinem Reiche (– das dann, wie sich fand, Ha-
bessinien war –) Kundschaft einzuziehen. Das
veranlaßte bald ein weiteres Verkehr und wech-
selseitige Gesandschaften, auch hin und wieder ein
paar kleine Schriften, und da benutzte dann end-
lich ein guter Kopf, Franz Alvarez, Reiseka-
plan beym portugiesischen Gesandten, Rodrigo
de Lima, seinen sechsjährigen Aufenthalt in
Habessinien (– von 1520 bis 1520 –), um von
dieser zeitherigen terra incognita ausführlichere
Nachrichten zu sammeln, die er nach seiner Rück-
kunft in einem ansehnlichen Werke bekannt
machte, das bey allen seinen großen Mängeln,
doch wegen des Reizes der Neuheit in die bekann-
testen Europäischen Sprachen, und darunter
auch ins Teutsche*) übersetzt, auch in die großen
[Seite VII] Sammlungen des Ramusio und Purchas auf-
genommen worden. Dieß Werk blieb länger als
hundert Jahre die Hauptquelle zur Geschichte
dieses berufnen Landes; denn die Visionen des
ehrlichen Dominicanermönchs Ludewig Urreta,
die er inzwischen unter dem Titel einer Geschichte
von Aethiopien drucken ließ*), verdienen so, wie
einige andre dergleichen unbedeutende Dinge,
keiner Erwähnung.
Erst in der zweyten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts kamen, aus dem Nachlaß der verun-
glückten Mission der Jesuiten nach Habessinien,
wieder ein paar Werke von einigem Belange über
dieses Land zum Vorschein, von Balthasar
Tellez nämlich, und von Hieronymus Lobo.
Jener war zwar nicht selbst da gewesen, hatte
aber die ungedruckten Berichte seiner Ordensbrü-
der, zumal des Pater Paez, des Provincials
Almeyda und des Patriarchen Mendes benutzt,
und daraus sein bekanntes Werk zusammenge-
tragen, das 1660. in Coimbra herauskam,
[Seite VIII] und auch vom Hauptmann Stevens in seine
nicht genug bekannte Sammlung*) aufgenom-
men worden.
Lobo konnte zwar als Augenzeuge sprechen,
da er sich lange in Habessinien aufgehalten, hat
aber freylich durch die auffallend großen und häu-
figen Unwahrheiten in seinem Buche, (das erst
auszugsweise vom ältern Thevenot in seiner
classischen Sammlung, und dann 1727. vollstän-
dig vom vormaligen französischen Legations-
Secretär le Grand herausgegeben worden) sei-
nen Credit großentheils verloren.**)
Dagegen aber stand ebenfalls noch im vorigen
Jahrhundert im Herzen von Teutschland ein
Schriftsteller auf, der zwar nie einen Fuß außer
Europa gesetzt hatte, der aber doch durch seine
erstaunenswürdige Gelehrsamkeit, und durch seine
helle, gesunde Critik, und durch seinen unermü-
deten Fleis die zwey unsterblichen Werke***)
[Seite IX] lieferte, die mehr Licht über die Länder- und
Völkerkunde von Habessinien verbreiteten, als
alles zusammengenommen, was seit zweytausend
Jahren darüber geschrieben worden war. –
Der Gothaische Geheimerath Ludolf, der aus ei-
ner leidenschaftlichen Neigung von Jugend an den
größten Theil seiner Muse aufs Studium der
Geschichte und Sprache von Habessinien ver-
wandt hatte, und den ein glücklicher Zufall mit
dem nach Rom gekommenen, und nachher durch
ihn so berühmt wordenen Habessinier, den Abba
Gregorius aus Amhara, einem Manne von
trefflichem rechtschaffnem Charakter und nicht
gemeinen Kenntnissen, zusammenbrachte; der
auch nachher auf ein halbes Jahr zu ihm nach
Gotha kam, und den dieser also bey allen verdäch-
tigen oder widersprechenden Nachrichten seiner
Vorgänger und andern Zweifeln consultiren,
und so die beyden Meisterwerke ans Licht stellen
konnte, die, bis zum jetztlaufenden Jahre, da
endlich die gegenwärtige Reisebeschreibung er-
schien, bey weitem das allervollständigste und
allerzuverläßigste enthielten, was nur je über
dieses so äußerst interessante Land gesagt wor-
den war.
Blos eine kleine, aber allerdings brauchbare
Nachlese zur Kenntniß desselben, kam indeß noch
mit Anfang des jetzigen Jahrhunderts zum Vor-
schein, da sich der bigotte schwache Ludwig der
Große den Einfall in Kopf setzen ließ, ein neues
Missionswerk in Habessinien anzuzetteln, das
aber auch bald nach dem ersten Versuch ein küm-
[Seite X] merliches Ende nahm, und keinen weitern Nutzen
geschafft hat, als eben die kleine Nachricht, von der
ich rede, die ein Apotheker Namens Poncet, der
mit von der Bekehrungs-Parthie war, aufgesetzt,
und die nach einigen Veränderungen, die die
geistlichen Hände, durch welche sie vor dem Druck
passiren müssen, erst mit ihr vorgenommen,*)
in den Lettres édifiantes bekannt gemacht
worden.
Nun diese fünf Schriftsteller, Alvarez,
Tellez, Lobo, Ludolf und Poncet waren also
bisher die einzigen Hauptquellen, woraus unsre
Kenntniß von Habessinien und seinen Einwoh-
nern geschöpft werden konnte. So ergiebig sie
nun zwar allerdings schienen, so sehr vieles ließen
sie doch dem philosophischen Forscher der Länder-
Völker- und Naturkunde jenes so äußerst in-
teressanten Theils von Africa annoch zu wün-
schen übrig. Poncets Aufsatz war allzu kurz,
und Ludolf allein konnte mit allen seinen großen
Kenntnissen und Scharfsinn und Hülfsmitteln,
doch weder alle die Lücken füllen, die seine Vor-
gänger gelassen hatten, noch ihre so häufigen
Widersprüche mit einander vereinen. Kurz,
durch alles zusammen, was wir nun bisher dar-
über wußten, ward doch am Ende die Neugierde
mehr gereizt als befriedigt.
Um so erwünschter und willkommner war
also die wichtige Nachricht, die sich vor sieben-
[Seite XI] zehn Jahren zuerst aus dem gentleman’s magazine
verbreitete, daß der vormalige Großbritannische
Consul zu Algier, Hr. Jacob Bruce, nach einem
dreyjährigen Aufenthalt in Habessinien, und
nachdem er endlich auch sogar zum großen Ziel
so vieler bisher fruchtloser Unternehmungen
Europäischer Reisenden, zu den Quellen des
Nils, glücklich gelangt – nun nach Europa zu-
rückgekommen sey, und der Welt die Geschichte
dieser seiner so äußerst merkwürdigen Reise mit-
theilen werde.
Er hatte, wie man gleich vorläufig erfuhr,
erst einen großen Theil der Barbarey (von Algier
bis Bengazi) bereißt, zumal die schon von Shaw
besuchten Gegenden, besonders in der Absicht,
um die herrlichen, dort befindlichen Ueberbleibsel
von alter Architectur genauer zu untersuchen und
aufzunehmen, deren jener nur zu oberflächlich und
nicht als Kenner gedacht hatte. Von Bengazi
war er nach Candia, von da nach Sidon und
nach den Ruinen von Palmyra und Balbeck ge-
reißt, und nachdem er nun die Reise nach Habes-
sinien beschlossen hatte, war er den 15ten Jun.
1768. von Sidon nach Alexandria abgegangen.
Von da längst des Nils hinauf, bis zu den Ca-
taracten; dann im Februar 1769. ostwärts
durch die Wüsten nach Cosseir am rothen Meere,
dessen ganze Ostküste er erst bis hinunter nach
Babelmandeb befahren hatte. Am 19ten Sept.
war er an der Westküste bey Massuah gelandet,
von da der Zugang zu Habessinien ist, dessen
Grenzen er im November, und hierauf im März
[Seite XII] 1770. Gondar, die Hauptstadt des Landes, er-
reichte. Der 4te November war dann für ihn
der große glückliche Tag gewesen, da seine Augen
zuerst die Quellen des Nils erblickt hatten. Zu
Ende des Jahrs 1771. war er von Gondar wie-
der abgereißt, hatte den Weg über Sennaar,
durch Nubien und die große Wüste genommen,
endlich den 29ten Nov. 1772. Assuan in Ober-
ägypten wieder erreicht, und war dann im Früh-
jahre 1773. zu Marseille angekommen.
Inzwischen verstrich nun eine so lange Reihe
von Jahren, ohne daß die so begierig erwartete
Reisebeschreibung ans Licht trat. Nur ein paar
Beyträge des Hrn. Bruce zur Naturgeschichte
von Habessinien erschienen in den philosophical
Transactions und in den Supplementen zu
Büffon’s Naturgeschichte, so wie eine Nach-
richt von einigen in einem Grabe zu Theben an-
gemahlten Harfenspielern in Hrn. Burney’s
Geschichte der Musik u.s.w. Seine architecto-
nischen Risse und Aussichten aber waren, wie
man erfuhr, in die große Sammlung Seiner
Majestät des Königs gekommen.
Nach und nach fiengen dagegen allerhand
Gerüchte an, sich unter der Hand zu verbreiten,
als ob man einige Ursache fände, an der Zuver-
läßigkeit von Hrn. Bruce’s Reise-Relationen zu
zweifeln. Die Gründe zu diesem Verdacht wa-
ren in der That merkwürdig. Erstens, hieß es,
behauptet Hr. Bruce die unglaublichsten Dinge;
sogar daß die Habessinier ihr Rindfleisch mitunter
roh äßen. – Zweytens scheint er sich mit
[Seite XIII] fremden Federn schmücken zu wollen, denn seine
Abbildung der Viverra aurita, die er dem Grafen
Büffon mitgetheilt, steht auch, aber unter frem-
den Namen, in den Schwedischen Abhandlun-
gen. – Drittens und letztens mag er wohl gar
nicht einmal da gewesen seyn, wo er sagt, denn,
sagte man, der berühmte Herr Baron von Tott
hat gesagt, ihm habe ein ehemaliger Bedienter
des Hrn. Bruce gesagt, dieser sein vormaliger
Herr habe ihm von den Quellen des Nils nichts
gesagt! –
Nun das waren in der That harte grava-
mina! – Und doch ist der Beklagte darüber
gerechtfertigt worden. – In puncto des Rind-
fleisches, übernahm Lord Monboddo die im
Grunde sehr überflüßige Mühe, den Zweiflern
am rohen Genusse desselben ihre nicht minder
rohe Unwissenheit zu Gemüthe zu führen. –
Wegen der Abbildung des Großohrs erfuhr man
sehr bald, wie eine Copey von Hrn. Bruce’s
Originalzeichnung nach Schweden gekommen
war. – Und das Freyherrlich-Tottische Ge-
sage ward durch ein Zeugniß aus Bengalen her
entkräftet, das überhaupt von zu großer Wichtig-
keit für die Leser des gegenwärtigen Werks ist,
als daß es denselben nicht hier gleich in extenso
mitgetheilt werden müßte.
Im ersten Bande der Asiatick Researches; or
Transactions of the Society, instituted in Bengal,
for inquiring into the history and antiquities, the
arts, sciences, and litterature of Asia, der vor
zwey Jahren in Calcutta herauskam, erschien
[Seite XIV] nämlich S. 383 u.f. ein Aufsatz des Präsidenten
der Gesellschaft, Sir William Jones, der
wörtlich übersetzt, folgendermaßen lautet:
Da ich erfuhr, daß ein gebohrner Habessi-
nier in Calcutta sey, der ziemlich geläufig Ara-
bisch spräche, ließ ich ihn zu mir kommen,
und befragte ihn genau über verschiedne Ge-
genstände, mit denen er bekannt zu seyn schien.
Seine Antworten waren so einfach und be-
stimmt, und sein ganzes Betragen so entfernt
von allem Verdacht von Falschheit, daß ich
mein Verhör genau zu Papier brachte.
Schon Bernier hatte vorlängst Gwender
eine Hauptstadt genannt, obgleich Ludolf
versicherte, daß es eine bloße Postirung (mili-
tary station) sey; die in wenigen Jahren völlig
verschwinden werde. Nach Abrams Aus-
sage ist aber Gwender wirklich die Hauptstadt
von Habessinien. Er sagt, daß es beynah eben
so groß und so bevölkert sey als Mist oder
Káhera, welches er auf seiner Wallfahrt nach
Jerusalem gesehen; daß es zwischen zwey brei-
ten und tiefen Flüssen, Namens Caha und
[Seite XV] Amrib liege, welche beyde, etwa funfzehn
Tagereisen davon, in den Nil fallen; daß alle
Mauren der Häuser von rothen Steinen, und
die Dächer voll Schilf wären; daß die Straßen
denen in Calcutta glichen; nur daß die Wege,
wodurch der König gienge, sehr breit wären;
daß das Schloß mit einem übertünchten Dach
einer Festung ähnele, und mitten in der Stadt
liege; daß auf die Märkte vieles Gemüße, auch
Waizen und Gerste, aber kein Reis komme;
daß Schaafe und Ziegen daselbst im Ueber-
fluß, und daß die Einwohner große Lieb-
haber von Milch, Käse und Molken seyen:
daß aber das Landvolk und die Soldaten kei-
nen Anstand nähmen, das Blut und das rohe
Fleisch eines Ochsen zu genießen; und daß sie
das letztere eben sowohl aus einem noch leben-
digen als einem todten Thiere ausschneiden:
daß aber diese wilde Art den Hunger zu stillen
bey weitem nicht allgemein sey. Mandel- und
Dattelbäume, sagte er, würden in jenen Ge-
genden nicht gefunden, aber Trauben und
Pfirschen kämen daselbst zur Reife, und in ei-
nigen entferntern Provinzen, besonders in
Cárudár, würde viel Wein gepreßt, doch
sey eine Art von Meth das gewöhnliche berau-
schende Getränke der Habessinier. – Der
letztverstorbne König war Tilca Mahut
(– Tilca bedeutet Stamm oder Abkunft –);
[Seite XVI] der jetzt regierende ist sein Bruder Tilca
Jerjis. – Abram beschrieb die königliche
Macht zu Gwender als sehr beträchtlich, und
versicherte, doch wohl vielleicht aufs gerathe-
wohl, daß nahe an vierzigtausend Pferde da
stünden; auch daß die Truppen mit Musketen,
Lanzen, Bogen, Pfeilen, Säbeln und Messern
bewaffnet wären. Der Staatsrath besteht
nach seiner Angabe aus ohngefähr vierzig Mi-
nistern, welchen die ganze ausübende Gewalt
übertragen ist. – Er selbst stand einmal in
Diensten eines Vazirs, in dessen Gefolge er
nach den Quellen des Nils, oder Abey (ins-
gemein Alwey genannt) reißte, die ohngefähr
acht Tagereisen von Gwender entfernt sind.
Er sah drey Quellen, von welchen die eine
mit einem so großen Getöse herausstürzt, daß
mans wohl eine teutsche Meile weit und drü-
ber*) hören kann. Ich zeigte ihm die Be-
schreibung des Nils von Gregorius aus
Amhara, die Ludolf in äthiopischer Sprache
drucken lassen. Er las und erklärte sie mit
großer Fertigkeit. Ich verglich seine Erklä-
rung mit der lateinischen Uebersetzung, und
fand sie vollkommen genau. Er versicherte
von freyen Stücken, daß diese Beschreibung
mit allem übereinstimme, was er in Aethiopien
gehört und gesehen habe. – Als ich mich
[Seite XVII] nach der Sprache und dem Zustande der Ge-
lehrsamkeit in seinem Vaterlande erkundigte,
antwortete er, daß wenigstens sechs bis sieben
Sprachen daselbst geredet würden. Die zier-
lichste Mundart, die auch der König spreche,
sey die amharische: die äthiopische ent-
halte, wie bekannt, viele arabische Worte:
außer den heiligen Büchern, wie z.B. die
Prophezeyung Henochs u.a.m. hätten sie
noch Werke zur Habessinischen Geschichte, und
verschiedne litterarischen Inhalts: ihre Spra-
che würde in Schulen und Gymnasien gelehrt,
deren mehrere in der Hauptstadt wären. –
Er versicherte, daß kein Habessinier das Daseyn
des königlichen Gefängnisses Wahinin be-
zweifle, das auf einem hohen Berge liege, und
in welchem die Söhne und Töchter ihrer Kö-
nige eingesperrt würden; daß aber die Natur
der Sache gar nicht erwarten ließ, daß man
eine genaue Beschreibung davon erhalten
könne. – ‘„Alle diese Gegenstände,“’ sagte er,
‘„sind, wie ich vermuthe, in Yákub’s Schrif-
ten abgehandelt, den ich vor dreyzehn Jahren
in Gwender gesehen habe. Er war ein Arzt,
und hat des Königs Bruder, der auch ein
Vazier war, in seiner letzten Krankheit besorgt.
Der Prinz starb zwar, aber dennoch liebte
der König den Yákub, und in der That,
der ganze Hof und die Nation liebte ihn.
[Seite XVIII] Der König nahm ihn als einen Gast in seinen
Pallast auf, versorgte ihn mit allein, wessen
er nur bedurfte; und als er verreißte, um die
Quellen des Nils und andere Merkwürdig-
keiten zu besehen, (denn er war überaus wiß-
begierig) so erhielt er durch die Gunst des
Königs alle mögliche Unterstützung und Be-
quemlichkeit. Er verstand die Sprachen,
und schrieb und sammelte viele Bücher, die
er mit sich nahm.“’
Ich konnte nicht zweifeln, zumal da er mir
die Person dieses Yákub schilderte, daß er
Hrn. Jacob Bruce meyne, der verkleidet
als ein Syrischer Arzt gereißt war, und ver-
muthlich mit Vorbedacht einen in Habessinien
bekannten Namen angenommen hatte. Man
verehrt noch immer sein Andenken auf dem
Berge Sinai, wegen des Scharfsinns, womit
er eine Quelle entdeckte, deren das Kloster sehr
bedurfte. In Jidda war er dem Mir Mo-
hammed Hussain bekannt, einem der ver-
ständigsten Mahommedaner in Indien. Auch
habe ich gesehen, daß seiner in einem Briefe
eines arabischen Kaufmanns zu Mokhá mit
großer Achtung gedacht war. Es ist wahr-
scheinlich, daß er hinwärts nach Habessinien
den Weg von Musuwwa nahm, einer Stadt,
die die Muselmänner im Besitz haben: und
dann durch die Wüste zurückreißte, deren
[Seite XIX] der Habessinier Gregorius in seiner ober-
wähnten Beschreibung des Nils gedenkt.
Wir wollen hoffen, daß Hr. Bruce eine
Nachricht von seinen merkwürdigen Reisen,
und eine Uebersetzung des Buchs Henoch be-
kannt macht, die uns kein andrer so treu als
er liefern kann.
Durch Habessinische Schriften würde man
vieles Licht über die Geschichte von Yemen
vor Muhammed’s Zeiten verbreiten können;
denn es ist allgemein bekannt, daß vier äthio-
pische Könige (die von den Einwohnern gegen
den Tyrannen Dhu Nawás zu Hülfe geru-
fen worden) hinter einander in diesem Lande
regiert haben; daß diese aber hinwiederum
durch die Waffen der Himyarickischen Fürsten
vertrieben worden. Diesen letztern stand
Anushirvan König von Persien bey, der,
wie es gewöhnlich der Fall ist, eben das Volk
unterjochte, das er zu befreyen versprochen
hatte.
Können die Annalen aus diesem Zeitraum
jemals ergänzt werden, so muß es durch die
Habessinische Geschichte geschehen, durch wel-
che man auch die vielen Irrthümer der besten
asiatischen Schriftsteller über den Nil und die
durch ihn fruchtbaren Länder verbessern wird.
So waren denn nun freylich die obgedachten,
lange vor Erscheinung dieses Werks, gegen das-
selbe sorgfältig ausgesonnenen und laut verbrei-
teten Vorurtheile (– fürwahr Vor-urtheile im
buchstäblichen Sinne des Worts –) in eine sehr
unrühmliche Blöße versetzt: aber gerade um desto
sicherer ließ sich auch zum voraus erwarten, daß
es nun, nach seiner Erscheinung, an manchen sehr
strengen Critiken desselben nicht fehlen werde;
und daß zumal die Englischen, den Ton zuerst
angebenden Kunstrichter, einem Schottischen
Reisebeschreiber, dem seine Reise, wie man sagt,
48000 Thaler, und oben drein die Ritterschaft
eingetragen, gewiß nicht leicht etwas schenken
würden! – Eine Erwartung, die die Herrn
Monthly Reviewer und ihre Nachfolger aufs
vollkommenste erfüllt haben; und um so leichter
erfüllen konnten, da allerdings Sir William
Bruce durch einen zweifachen Fehler seines
Werks mancherley Anlaß dazu gegeben. Durch
eine zuweilen unnöthige Weitschweifigkeit nämlich,
und durch den nichts weniger als bescheidnen Ton,
worinn er ganz dreist und decisiv über manche
Dinge urtheilt, denen er gerade nicht so, wie
manchen andern, gewachsen zu seyn scheint: und der
zumal dann am widerlichsten auffällt, wenn er
von andern verdienten Gelehrten mit Gerinschä-
tzung spricht, und sich wider manche sogar zuwei-
len die unanständigsten Ausfälle erlaubt. Eben
so klingt es freylich auch sehr sonderbar, wenn er
seine naturhistorischen Abbildungen the best draw-
ings in natural history nennt, ever yet publish-
[Seite XXI] ed; und man doch bey manchen derselben kaum
weis, was man nur daraus machen soll. Und
wenn er namentlich von seinem zweyhornichten
Rhinocer sagt: this is the first drawing of the
Rhinoceros with a double horn, that has ever
yet been presented to the public: – it is de-
signed from the life etc. und man doch auf den
ersten Blick sieht, daß es mutatis mutandis eine
bloße Copie der schon 1754. erschienenen Büffon-
schen Zeichnung des Rhinocers mit einem Horn
ist. Oder wenn er auf seine Karte vom Nil und
dem rothen Meere die Versicherung setzt: all laid
down by actual survey with the largest and most
perfect Instruments now in use, und hingegen
die Kenner, die seinen großen Quadranten ge-
prüft haben, (den er, als die Seele seines Apparats,
noch jetzt in London bey den berühmten Instru-
mentmachern Nairn und Blunt zur Schau auf-
gestellt,) denselben nicht einmal für ein recht zuver-
läßiges, geschweige für ein most perfect instru-
ment erkennen wollen. –
Dieß und mehr dergleichen sind freylich Fle-
cken, die man lieber wegwünschte; die aber doch
eigentlich blos durch die selbstgefällige Eitelkeit
des Verfassers so hervorstechend werden: da man
sie hingegen bey einem bescheidnern Tone, in ei-
nem Werke von einem solchen Umfange, und
solchem Reize der interessantesten Neuheit, und
der mannichfaltigsten Reichhaltigkeit leichter über-
sehen würde. Denn alle diese vielseitigen und
großen Verdienste wird doch, wills Gott, nie-
mand dem Werke des Hrn. Bruce bey allen
[Seite XXII] seinen Mängeln abzusprechen sich beykommen
lassen: einem Werke, worin sich, nach dem
Ausdruck eines der einsichtsvollsten, und zwar
streng prüfenden, aber schlechterdings unpartheyi-
schen Recensenten, ‘„für den Sachkundigen und
Wißbegierigen ein Schatz von Nachrichten fin-
det, die in die Erd-Natur-Stern-Menschen-
Völker-Sprachkunde, Handel und Schifffahrt
einschlagen; und worin Gelehrte aller Art
Stoff und Nahrung für ihre Neugierde finden
müssen.“’
Und eben bey dieser classischen Wichtigkeit,
wodurch dasselbe unter den Reisebeschreibungen
nach merkwürdigen und doch wenig bekann-
ten Ländern seine vorzügliche Stelle allemal
behaupten wird, muß man es der Verlagshand-
lung der gegenwärtigen Uebersetzung Dank wis-
sen, daß sie es dem Publikum zwar für einen un-
gleich mäßigern Preis als die Urkunde, aber
dennoch vollständig und unverstümmelt liefert,
und zwar aus der geübten Feder eines Gelehrten,
dessen Fleiß schon durch mancherley andre große
Arbeiten allgemein bekannt ist.
Sie ersuchte mich, außer der Vorrede auch
noch Anmerkungen zum Werke zu machen. Nun
habe ich zwar gleich beym ersten Durchlesen hier
und da Anlaß gefunden, ein Wort zur Berich-
tigung oder nähern Bestimmung aufzusetzen, das
ich gleich jetzt beyfügen könnte: aber ich stieß
auch mitunter auf schwierige Punkte, die am er-
sten eine kleine Note verdient, allein auch mehr
Muße zur Prüfung erfordert hätten, als die
[Seite XXIII] Kürze der Zeit, da doch die beyden ersten Bände
schon zur nächsten Messe kommen sollten, gestattet
hätte. So hielt ich es dann für besser, die An-
merkungen überhaupt lieber erst mit einem der
nächstfolgenden Theile zu liefern; als etwa die
zu einem Bande gehörigen zu zerstückeln und
theils jetzt, theils erst in der Folge zu geben.
Vielleicht daß sich dann bey einiger mehrern
Muße allerhand aufklärende nützliche kleine
Beyträge zu dem wichtigen Werke geben lassen.
Ich sage sehr wohlbedächtig vielleicht: um mich
durchaus gegen alle zu günstige Erwartung zu
verwahren; als welche wohl nie einem Schrift-
steller vortheilhaft, wohl aber manchen, wie
namentlich unserm Hrn. Bruce selbst, sehr nach-
theilig gewesen ist. Göttingen den 10 Sept. 1790.
s. Hrn. Hennicke commentatio de geographia Africae
Herodotea; praemio Regio ornata. Gotting. 1788.
S. 88 u.f.
s. Hrn. Hofr. Heyne de fontibus et auctoribus histo-
riarum diodori, in den commentation. societ. Reg.
scientiar. Gottingens. Vol. VII. class. histor. pag. 88.
s. Hrn. Prof. Ditmar Beschreibung des alten Aegyp-
tens. Nürnberg 1784. 8. S. 121 u.f.
Cosmae Aegyptii monachi christiana topogra-
phia. s. christianorum opinio de mundo. Im II. B. von
Montfaucon’s collectio nova patrum et scriptorum grae-
corum, zumal S. 138 u.f.
Aus Unkunde des Arabischen muß ich mich mit der la-
teinischen, bekanntlich nicht durchgehends genauen Ueber-
setzung behelfen, die die beyden Maroniten Gabr. Sio-
nita und Joh. Hesronita zu Paris 1619 davon heraus-
gegeben. Zum Glück besitze ich aber ein Exemplar, das
vormals dem ber. Hiob Ludolf gehört, der zumal denen
Stellen, die sein Habessinien betreffen (Climat. I. P. III. u.f.)
viele Berichtigungen und Verbesserungen beygeschrieben.
Nach des seel. Reiske Uebersetzung in Hrn. O.C.R.
Büsching’s Magazin. Th. IV. S. 159 u.f. und Th. V.
S. 353 u.f.
Unter dem Titel: Wahrhafftiger Bericht von den
Landen, auch Geistlichem vnd Weltlichem Regiment,
des Mechtigen Königs in Ethiopien, den wir Prie-
ster Johan nennen, wie solches durch die Kron Por-
[Seite VII] tugal mit besondern Vleis erkündiget worden, be-
schrieben durch Herrn Franciscum Alvares.
(Eißleben) 1566. Fol.
Blos wegen der großen Seltenheit des Buchs, setze ich
den Titel aus dem Exemplar unsrer Universitätsbibliothek
her: Historia eclesiastica, politica, natural, y moral,
de los grandes y remotos Reynos de la Etiopia, Monar-
chia del Emperador, llamado Preste Juan de las In-
dias. muy util y provechosa para todos estados, princi-
palmente para Predicadores, compuesta por el Presen-
tado Fray luys de vrreta, de la Sagrada or-
den de Predicadores, – en Valencia. 1610. 731 Seit.
in Quart.
A view of the universe: or, a new collection of voyages
and travels into all parts of the world, with the Geo-
graphy and History of every country. Lond. seit 1709.
in Quart. Des P. Tellez Werk füllt den zweyten Band
des zweyten Jahrgangs.
Auch unser Hr. Bruce nennt ihn: the greatest liar
of the Jesuits – this vain and idle Romancer – u. dgl. m.
Außer diesen beyden Hauptwerken, der historia aethio-
pica nämlich, und dem commentarius, hat Ludolf noch
eine Menge andere hieher gehörige Schriften heraus-
gegeben, die Christ. Junker in seinem comment. de vita,
scriptisque ac meritis jobi ludolfi Lips. 1710. 8.
S. 161. bis 181. anführt. Und doch vermisse ich dar-
unter gleich die allererste, nämlich die Sciagraphia hi-
storiae aethiopicae s. regni Abessinorum, quod vulgo per-
peram Presbyteri Ioannis vocatur, Deo volente aliquan-
do in lucem proditurae. Ien. 1676. 4.