Sehr sauber und mit einem Titelkupfer und
Vignette von J.W. Meil ist bey Dieterich
auf 87 Octavseiten eine Schrift unsers Hrn.
Prof. Blumenbach über den Bildungstrieb
und das Zeugungsgeschäfte abgedruckt. Der
Verf., der vorhin in Erklärung des Zeugungsge-
schäftes der neuerlich fast durchgehends angenom-
menen Lehre von Keimen, die bey der Mutter schon
vor der Empfängnis zur künftigen Entwickelung
vorräthig liegen sollten etc., beygepflichtet; ist nun
durch reifere Prüfung von ihrem Ungrund über-
führt, und trägt um so weniger Bedenken, diesen
seinen bisherigen Irthum zu gestehen und zu
wiederrufen, da ihn eine dreyjährige anhaltende
Untersuchung in den Stand gesezt hat, seinen Feh-
[Seite 498] ler durch eine befriedigendere und aus Beobach-
tung der Natur selbst geschöpfte Auflösung jenes
Geschäftes zu verbessern. Er ist nemlich nunmehr
überzeugt, daß in allen belebten Geschöpfen ein
besonderer, eingebohrner, lebenslang thätiger,
wirksamer Trieb liegt, ihre bestimmte Gestalt an-
fangs anzunehmen, dann zu erhalten, und wenn
sie ja zerstört werden, wo möglich wieder herzu-
stellen. Ein Trieb, der sowol von den allgemei-
nen Eigenschaften der Körper überhaupt, als auch
von den übrigen eigenthümlichen Kräften der orga-
nisirten Körper insbesondere, gänzlich verschieden,
und eine der ersten Ursachen aller Generation,
Nutrition und Reproduction ist, und den er, um
aller Misdeutung und Verwirrung, etwa mit vis
plastica oder vis essentialis etc. zuvorzukommen,
mit dem Namen des Bildungstriebes (Nisus for-
mativus) belegt. Er urgirt vorzüglich die Ver-
wandschaft zwischen Erzeugung, Ernährung und
Wiederersetzung; und wie unbefriedigend also eine
Generationstheorie sey, die sich nicht auf alle diese
drey Geschäfte in ihrem ganzen Umfang anwen-
den lasse. Beyläufig wird dabey die Schwäche der
beiden andern Evolutionslehren, aus Saamen-
thiergen oder mittelst der Panspermie, erwiesen.
Der Verf. durchgeht dann die wichtigsten und schwie-
rigsten Erscheinungen des ganzen Zeugungsgeschäf-
tes, und zeigt, wie schlechterdings sie allen gesunden
Begriffen von vermeynten Keimen widersprechen,
und wie ungezwungen und natürlich sie sich hin-
gegen durch den Bildungstrieb erklären lassen. So
z.B. die Zeugung ohne Saamen oder die sogenannte
Generatio aequivoca; wobey auch der Trugschluß
von der vorgegebenen Präexistenz des Küchelgen
am Dotter der noch unbefruchteten Henne, wor-
auf sich die Verfechter der mütterlichen Keime so
[Seite 499] viel zu gute gethan, beleuchtet und entkräftet wird.
Recht sinnlich anschauliche Beobachtung des Bil-
dungstriebes und seines ganzen Fortgangs, seiner
Wirksamkeit etc. an einfach gebauten und zugleich
durchsichtigen Thieren, wie z.B. an den Arm-
polypen, und an dergleichen Pflanzen, wie an der
Brunnenconferve etc. Alle die Abweichungen von der
ursprünglich bestimmten Bildung der organisirten
Körper durch Monstrositäten, oder durch Bastard-
zeugung u.a. Wege der Abartung sind der Evolu-
tionstheorie unerklärlich, und fliessen hingegen
gleichsam von selbst aus den Gesetzen des Bildungs-
triebes. So auch die Nationalbildungen, die Fa-
miliengesichter, und besonders die so sehr merk-
würdigen und hier genau erörterten erblich gewor-
denen Künsteleyen an Bildung des menschlichen
Körpers. Ueberhaupt aber erhalte die Würde und
Wichtigkeit des Bildungstriebes erst ihr volles Ge-
wicht, so bald man auch die Erscheinungen des
Ernährungsgeschäftes und der Reproduction damit
zusammenhalte. Ueberall sind die Beyspiele aus
den mannigfaltigsten Feldern der Natur beygebracht.
Denn so weislich auch Bacon seinen Zeitgenossen
rieth, doch von dem Thurm herabzusteigen, von
da sie die Natur mir in der Ferne gesehen hätten,
und sie lieber in der Nähe und im Detail zu
untersuchen: so hätte er doch auch seine Nachkom-
men warnen mögen, nicht auf eine solche Beob-
achtung eines sehr einseitigen kleinen Theils der
Natur (wie im gegenwärtigen Fall auf die Beob-
achtung des bebrüteten Küchelgens im Eye) zu
eilig die Gesetze derselben gründen zu wollen, son-
dern ja vorher wieder auf den Thurm zu steigen,
und dann erst ihre Gültigkeit nach ihrer Harmonie
mit der ganzen Uebersicht der Natur, so weit die
[Seite 500] Kräfte eines Beobachters reichen, zu prüfen und
zu bestimmen.