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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band.
auf das Jahr 1781.


Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Gotha.

[Seite 1149]

Von des dasigen Stadtphysici, Hrn. Dr. Bie-
bers, sceletirten Blättern
haben wir sechs Hefte
[Seite 1150] vor uns, die theils schon wegen ihrer ausnehmen-
den Sauberkeit, mehr aber ihres innern Werthes
und der Aufklärung wegen, die sich daher für die
bis jezt nur so sparsam bearbeitete Physiologie
der Gewächse erwarten läßt, eine besondere An-
zeige verdienen. Zu ihrer weitern Empfehlung
bedarf es wohl in einem der Naturwissenschaft so
günstigen Zeitalter weiter nichts, als höchstens
der Erinnerung, daß sich seit den Zeiten des
Mark Aurel Severino (der, so viel uns wissend,
der Erfinder des Blättersceletirens ist) die feinsten
Zergliederer, Malpighi, Ruysch, Nicholls, Trew etc.
und so viele andere sorgfältige Naturforscher,
Grew, Ludwig, Hr. Hofr. Möhring, Hr. Chorh.
Gesner etc. auch besonders unser Hr. Prof. Holl-
mann, mit dieser theils sehr schwierigen Kunst de-
schäftigt, und daß sie selbst und auch andere
neuere Bearbeiter der Physiologie der Pflanzen,
Hales, Bonnet etc. so viele und doch noch lange
nicht erschöpfte lehrreiche Schlüsse daraus gezogen
haben. Es freut uns, die Bemerkungen jener
Männer in den vor uns liegenden Blättersceleten
aufs deutlichste bestätigt zu sehen. Das zwey-
fache
ganz verschiedene Adernetz z.B. ist vorzüg-
lich an der Lonicera caerulea, am Rhamnus ala-
ternus,
besonders aber an den Blättern aus dem
Citronengeschlechte, recht auszeichnend sichtbar.
So die grosse Verschiedenheit in der Menge, Stär-
ke, Richtung und Verbindung der Gefässe, die
natürlich, so wie bey den Gefässen des thierischen
Körpers, einen eben so grossen Einfluss auf die
Abscheidung der Säfte und deren Verschiedenheit
haben muß. Sonderbar gleichlaufend und ziemlich
einfach sind sie z.B. beym Ruscus racemosus,
Lathyrus lat. folius
etc. Hingegen sind uns die
überaus mannigfaltigen Anastomosen bey der Ma-
[Seite 1151] gnolia glauca, Guilandina bonduc
und beym Tar-
chonanthus
aufgefallen. Auch daß bey manchen
Blättern die Netze so überaus dicht sind, wie bey
der Grewia occidentalis etc. andere hingegen, wie
der Epheu, so sehr weite Maschen haben u.s.w.
Ueberhaupt aber wird bey den mehresten dieser
sceletirten Blätter ein bewundernswürdiger Bau
sichtbar, den man an den frischen Blättern der
gleichen Art gewiß nicht geahndet hätte. Jeder
Heft enthält 10 Pflanzen, und ein solcher derglei-
chen wir vor uns haben, mit grossen ansehnlichen
vielblätterigen Aesten, kostet einen Louisd’or. Man
kann sie aber auch in kleinern Zweigen für die
Hälfte des Preises haben.

Der Hr. Dr. sceletirt auch Blumenkelche und
Saamengehäuse von mancherley, zumal von den
giftigen Pflanzen, Bilsenkraut, Stechapfel etc. (der-
gleichen in Albini annotat. academ. und in Seba’s
Thesaurus abgebildet sind) und hat sich auch auf
die Bahn des Hrn. Prof. v. Saussüre begeben, und
dessen wichtige Entdeckungen über die insgemein,
aber irrig, sogenannte Cutikel der Blätter, die
doch eine wahre Rinde ist, weiter verfolgt. (m.s.
des Genfer Physikers Obs. sur l’Écorce des feuil-
les etc
.) Die Muster, die wir auch hievon unter-
sucht, sind überaus merkwürdig. Man unter-
scheidet offenbar die drey Haupttheile dieser so sehr
zarten Haut, das Netz von Gefässen nemlich, dann
die dazwischen verbreiteten Drüsen, und endlich die
wahre, aber äusserst feine und daher schwer
zu beobachtende Oberhaut. Vorzüglich grosse
Drüsen haben wir in der Rinde der untern Blatt-
seite der Stechpalme gefunden: aber nichts geht
über die Verschiedenheit und ausnehmende Eleganz
in der Bildung der Gefässe aller dieser Rinden
[Seite 1152] überhaupt, und der Maschen, die sie bilden. Beym
Epheu z.B. sind sie aufs feinste geschlängelt, beym
Buxbaum krumm gebogen, und die Maschen rund-
licht und stumpfeckicht: bey den Orangenblättern
gerade und die Maschen scharfeckicht: allemal auch
an den Stellen wieder ganz verschieden, wo sie über
die stärkern Gefässe des drunter liegenden Adergerip-
pes weglausen u.s.w. Wegen der sonderbaren Roll-
kraft
dieser Blattrinden, worüber Hr. v. Saussüre so
viel Scharfsinniges gesagt, hat sie Hr. Dr. B. auf
durchbrochenen Karton befestigt, damit sie desto be-
quemer unter das Vergrösserungsglas angebracht
werden können. Doch der Raum unserer Blätter
gestattet uns nicht, alle Merkwürdigkeiten an diesen
phytol. Präparaten, so wenig, als die vielen fernern
Aufhellungen herzuzählen, die sich davon für die
neuerlich so berüchtigten Lehren vom Ausdunsten und
Einsaugen der Gewächse und dem dadurch bewirkten
Einfluß auf die Atmosphäre, für den von Hrn.
Bonav. Corti behaupteten Kreislauf in den Pflanzen,
für manche Zweifel über die Ursache des Abfallens des
Laubes und seiner Krankheiten u.s.w erwarten lassen.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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