Table of contents

[titlePage_recto]
Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1789.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Kopenhagen.

[Seite 19]

De fatis faustis et infaustis chirurgiae, nec
non ipsius interdum indissolubili amicitia cum
medicina coeterisque studiis liberalioribus ab
ipsius origine ad nostra usque tempora commen-
tatio historica
. 1788. in Octav. Der Verf. nennt
sich unter der Dedication N. Riegels. – Das
[Seite 20] Werk selbst begreift, ausser der Vorrede und den
Zugaben, zwey Haupttheile. Der erste bis S. 337
Geschichte der Chirurgie überhaupt, vom Paradiese
an bis auf ihre victoria in Gallia. Der zweyte,
weit kleinere, bis S. 452 vom Schicksal der Wis-
senschaften, besonders der Wundarzneykunst, in
Dänemark. Diese letztere enthält, so wie die Bey-
lagen, viele nachtheilige Schilderungen vom Be-
tragen der dortigen Aerzte, besonders noch beym
Streit gegen die Wundärzte, von deren Zuverläs-
sigkeit der Rec. nicht anders, als durch Prüfung
der Zuverlässigkeit der ihm besser bekannten Ge-
genstände des ersten Theils urtheilen kann. Und
hier mögen unsere Leser selbst richten. – Aus dem
Paradiese kommt Hr. R. bald nach Aegypten, und
hier will er die von andern gemachte Anmerkung
widerlegen, ‘”daß an den Mumien, selbst bey aller
Feinheit der Harze und Kostbarkeit der äussern
Bekleidung, die Leiche selbst doch viel zu roh
und handwerksmäßig behandelt worden, als daß
man daraus einige gründliche anatomische Kennt-
niß der alten Aegyptier abnehmen könne.”’ –
Nun so erwartet man also, daß der Hr. Wider-
leger aus allen den zahlreichen Untersuchungen,
die deshalb, zumal neuerlich, über die Mumien
angestellt worden, doch wenigstens auch nur eine
Spur angebe, wodurch jene Anmerkung wider-
legt werden könne. Aber hievon keine Sylbe.
Dagegen höre man ein paar Zeilen von seinem
scharfsinnigen Raisonnement: Temporibus nostris
in monumentis sepulcrisque invenimus cadavera
nobilium male condita et nulla cum cura sepulta;
hinc statim dicendum nullam his temporibus vi-
guisse anatomiam
. (Wider solche Vergehungen
steht doch selbst in Hrn. R. Buche ein guter Rath
aus dem ehrlichen Gabr. de Zerbis, wie wir bald
[Seite 21] hören werden). – Und doch ist diese scharfsin-
nige Widerlegung noch voller Unhöflichkeiten, der-
gleichen sich gewiß die viri in scientiis versatis-
simi
et ideo modesti, deren der Verf. in der Vor-
rede gedenkt, nicht erlauben werden; so wie über-
haupt das ganze Werk ein Muster von gelehrter
Rusticität und von unwissender Dreistigkeit, in
einem abscheulichen Latein, ist. – Hr. v. Haller
sagte einmal in unsern Blättern bey Anlaß eines
ähnlichen Werks zur äussern Ehre der Wundarz-
neykunst (chirurgiae honori externo scriptis no-
stris semper consulere voluimus
versichert Hr. R.
von dem seinigen): ‘”Nach einem so übeln An-
fange fällt gleich das Vertrauen auf die ange-
führte Geschichte der Wundärzte. ”’ Doch wir
wollen weiter gehen. Nun zu den Griechen.
Hier will Hr. R., um Galens Ansehen recht zu
heben, demonstriren, daß er menschliche Körper
dissecirt habe, und beruft sich deshalb gar auf
den jüngern Riolan (den aufgeblasenen decisiven
Geck, der die lächerliche Unverschämtheit hatte, zu
schreiben: ‘”ex infinitis apud Galenum locis facile
probarem illum simiam atque hominem disse-
cuisse, attamen solius hominis anatomen descri-
psisse
”’ anthropogr. p. 76 der Pariser Ausgabe
von 1626.). So wenig wir aber weder in der
von Hrn. R. deshalb ausführlich angezeigten Stelle
aus Galens Buch von seinen eigenen Schriften,
noch in denen, die er aus Riolan citirt, und die
wir alle genau nachgelesen, die Stärke dieses Be-
weises absehen können; – so unbedeutend ist über-
haupt doch die ganze Frage, ob Galenus eine oder
die andere menschliche Leiche einmal zergliedert
hat oder nicht, für die Untersuchung vom Werth
und der Zuverlässigkeit der Galenischen Schriften,
als warum es hier eigentlich zu thun ist. Hat
[Seite 22] Galenus menschliche Leichen anatomirt, so war er
ein Thor oder ein Betrüger, daß er dem ohnge-
achtet seine Bücher nach Affen abgefaßt hat, und
daß das geschehen, und daß er das so verhehlt,
daß man nachher über 1300 Jahre lang in dem
Wahn gestanden, man habe in seinem Handbuche
Menschenosteologie u.s.w. dazu braucht man blos
mit der mindesten Kenntniß von Menschen- und
Affenanatomie die Galenischen Schriften zu durch-
lesen. Wer also dem decisiven Ton unsers Ge-
schichtschreibers hierin traut, und nicht fein die
Quellen auch besucht, mit deren Benutzung sich
Hr. R. in der Vorrede brüstet (nobis historici
munere fungentibus non res fuit cum turba
epitomatorum, sed cum fontibus cuiusuis aetatis
,
sind seine Worte), der wird sehr getäuscht. So
was heißt aber fucum facere, schwarz weiß ma-
chen, oder, wie sich Hr. R. selbst ausdrückt: hi-
storicum igitur qui tenebras promovet, et veri-
tatem tollit, splendide nigra alba dicendo, omnia
tempora praedicabunt conscium criminum horum-
que pollutum maculis etc. etc.
– Endlich auch
ein Beyspiel von der Art, wie Hr. R. seinen Ge-
genstand in den neuern Zeiten bearbeitet. Um
die Barbarey in der Arzneywissenschaft zu Ende
des funfzehnten Jahrhunderts zu zeigen, läßt er
10 lange Seiten aus Gabr. De Zerbis cautelis me-
dicorum
theils in extenso, theils dem Inhalt
nach, abdrucken. Freylich war Zerbis meist ein
geschmackloser Stoppler in einem barbarischen La-
tein: aber gerade das sollte ihm doch Hr. R. der
Billigkeit gemäß am ersten verzeihen; und über-
haupt, wie würde es lassen, wenn z.B. die Nach-
welt den jetzigen Geschmack und Urbanität der
Dänen durch eine Chrestomathie aus Hrn. Rie-
gels
Buche belegen wollte? Und doch halten die
[Seite 23] von ihm gegebenen Excerpte aus dem Zerbis
manche gute, noch heute nicht überflüssige, Er-
mahnung, wie z.B. die oben berührte: ‘”eru-
diri non solum in his artibus, quas de trivio
dicunt dialecticam, nam sine qua, ut ait Ga-
lenus, non scit veritatem, neque quis salvatur
ab errore
.”’ Hingegen sagt Hr. R. von den
vielen, für jene Zeiten fast unerwarteten, braven
eigenen Bemerkungen beym Zerbis, die der Rec.,
zumal in seinem liber anathomie, oft mit Ver-
gnügen gefunden, kein Wort, sondern vielmehr
abermals kurz und decisiv: naturam vilipendit. –
Aber von dieser einseitigen Art, die Dinge vor-
zustellen, und aus einzelnen Bruchstücken von
Datis allgemeine Folgerungen zu ziehen, giebt
das ganze Buch zahlreiche Beyspiele. Doch er-
klärt sich freylich auch der Verf. selbst am besten
über diesen Fehler S. 14: a parte ad totum pro-
grediendo quis coniecturas suas firmat, nisi
qui festinat et pecunias scriptis quaerit
. – Er
entschuldigt aber seine festinatio S. xlvii der
Vorrede, da er sagt: Inauguratio academiae
regiae chirurgorum Havniensis editionem huius
operis longius protrahere prohibuit
. Und das
andere ist freylich die Regel des alten Satyrs:
‘”quaerenda pecunia primum est!”’ Hr. R. hat
sein Werk einer Kaiserin, einem Kaiser, einem Kö-
nig und einem Kronprinzen zugleich dedicirt.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
This page is copyrighted