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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1795.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

London.

[Seite 1865]

The natural History of Aleppo; containing
a description of the City, and the principal na-
tural productions in its neighbourhood, toge-
ther with an account of the Climate, inhabi-
tants and diseases, particularly of the plague
.
By Alex. Russell, M.D. – the second edition.
revised, enlarged and illustrated with notes by
Patr. Russell, M.D. and F.R.S. 1794.
Zwey
Bände in Quart. Mit Kupfern. – die erste Aus-
gabe dieses classischen Werks kam vor fast 40 Jah-
ren in London heraus, und ist damahls in unsern
Blättern noch vom sel. Haller angezeigt worden.
Wie sehr aber die neue, die wir vor uns haben,
durch des längst verstorbenen Verfassers noch leben-
den Bruder vermehrt worden (der sich selbst lange
Jahre erst zugleich mit jenem, und dann noch als-
sein Nachfolger, als Arzt bey der Britischen Facto-
rey zu Aleppo aufgehalten, und sich besonders durch
sein Meisterwerk über die Pest berühmt gemacht,)
[Seite 1866] läßt sich schon daraus beurtheilen, daß sie nun in
beyden Bänden 949 Seiten füllt, statt daß jene
nur 266 S. stark war. Ueberhaupt hat der wür-
dige Herausgeber auch mehr Ordnung und Zusam-
menhang ins Ganze gebracht. Aber eben dieß, und
daß unzählige Zusätze gleich in den Text eingeschal-
tet worden, macht es einem Recensenten schwer, bey
Vergleichung der beyden Ausgaben immer auszu-
finden, was alles neuer Zuwachs ist. Auch einige
neue Kupfer sind zu den vorigen hinzugekommen.
Z.B. im ersten Buche, das von der Stadt und der
umliegenden Gegend handelt, ein schöner Prospect
und ein Grundriß derselben: letzterer ist von Hrn.
Niebuhr, der ihn dem Herausgeber, als seinem
alten Freunde, überlassen hat. – Wir müssen
unsere Anzeige darauf einschränken, aus der Fülle
neuer Zusätze nur einiges weniges, auch im kurzen
Auszuge Lesbares, auszuheben.

Ueber den im zweyten Buche geschilderten Cha-
rakter und die Sitten der heutigen Türken, beson-
ders aber über die Verfassung des weiblichen Ge-
schlechts in den Harems, konnten freylich wenige
andere Europäische Reisende so vieles Interessantes
und Zuverlässiges erfahren, als der Herausgeber,
der sich als Arzt bey seinem vieljährigen Aufent-
halte in Haleb das Vertrauen der dortigen Türken
in einem Grade erworben, als selten ein Franke
hoffen darf. Mit der größten Bescheidenheit und
Billigkeitsliebe berichtigt er auch unzählig Vieles
bey andern Reisebeschreibern ins Morgenland, be-
sonders was sich wenigstens seit ihrer Zeit geändert:
denn auch bey den Türken mutantur tempora,
und zwar mehr, als in Europa insgemein geglaubt
wird. Zumahl ist der Luxus der Türken, nach ih-
rem eigenen Geständniß, in diesem Jahrhundert auf-
fallend gestiegen, und doch unter den minder corrum-
[Seite 1867] pirten Einwohnern von Syrien im Ganzen ungleich
weniger, als in dem üppigern Constantinopel. –
Den Briefen der Lady Montague gibt der Heraus-
geber im Ganzen das Zeugniß der Zuverlässigkeit;
nur einzelne Stellen rügt er, besonders in ihrem
26. 33. 39. und 42. Brief: vor allem die mit dem
Decorum und der ganzen Denkungsart der Türken
schlechterdings unreimbare Erzählung von den 200
splitter-nackten Damen im Bagnio. – Aber frey-
lich ist die Eingezogenheit des weiblichen Geschlechts
bey den Türken nicht so groß, als sie insgemein
von Reisenden, und selbst zum Theil noch in der
ersten Ausgabe dieses Werks, geschildert worden.
Manches ist auch nur scheinbar auffallend im Con-
trast zu den Sitten der Europäer, denen solche Ei-
genheiten der Türkischen Frauenzimmer, wie z.B.
ihre ängstlich sorgfältige Bedeckung des Hauptes,
befremdend seyn muß. – Wenn der Herausgeber
als Arzt zu einem kranken Frauenzimmer in ein
Harem gerufen ward, und er die Zunge besehen
mußte, so ward ihr Schleyer nur bis an den Mund,
gerade so weit, als zur Erreichung dieses Zweckes
durchaus nöthig war, aufgehoben, indeß eine Scla-
vinn das übrige Gesicht der Kranken, zumahl aber
ihren Oberkopf, aufs sorgfältigste zugedeckt hielt.
Kranke Weiber zeigen dem Arzt, wenn es nöthig
ist, ohne Bedenken die entblößte Brust und Magen-
gegend, aber gewiß werden sie nicht ohne die drin-
gendste Noth dahin zu bringen seyn, den Kopf zu
entblößen. – Uebrigens scheint der Schleyer die
Türkinnen zu verschönern, wenigstens gesteht der
Herausgeber, daß ihm Manche minder schön vor-
gekommen, nachdem er sie entschleyert zu sehen Ge-
legenheit gehabt. – Ihr frühzeitiges Altern wird
auch hier bestätigt; doch behalten Viele außer dem
feurigen schwarzen Auge auch noch schöne Grund-
[Seite 1868] züge. Ihre Taille und Gang sind minder schön.
Dieß mag wohl Ursache seyn, warum sie sich auf
dem Divan sitzend am vortheilhaftesten ausnehmen. –
Die bildschönen Georgianerinnen, die von den Scla-
venhändlern als kleine Mädchen gekauft, und dann
erst in allen verfeinerten Künsten der Cultur und
des Luxus unterrichtet worden, ehe sie für einen
sehr hohen Preis in ein Harem überlassen werden,
sind in Aleppo äußerst selten. Ein Bascha hatte sich
ihrer zweye kommen lassen; entließ sie aber binnen
weniger als drey Monathen, weil sie, wie er sagte,
der Hälfte seiner Weiber im Harem die Köpfe ver-
dreht, und ihn durch ihre Extravaganzen mit Putz etc.
fast ruinirt hatten. – Unter den Toilette-Stücken
vorzüglichst das Erz, mit dessen Pulver die Ränder
der Augenlieder geschwärzt werden. Es scheint so-
wohl Bleyglanz, als graues Spiesglas-Erz dazu
gebraucht zu werden. Ehedem kam es aus den
Bergwerken bey Ispahan; es wird mittelst einer
elfenbeinernen Haarnadel applicirt. Die Consumtion
ist so allgemein und so groß, daß daher das Sprüch-
wort entstanden, ‘”die Berge von Ispahan seyen
mit einer Haarnadel abgetragen worden.
”’ –
Eine Türkische Wochenstube muß eine Merkwürdigkeit
in ihrer Art seyn. Ist es zumahl der erstgeborne
Sohn mit dem die Mutter niedergekommen, so
ist des Gewühles von besuchenden Weibern, und
des Lärmens, das sie machen, und ihres Tobak-
schmauchens bey der armen Wöchnerinn kein Ende;
es werden ihr Musikanten vor’s Bette gebracht u.
s.w. – Im Ganzen lernt man doch hier die ehe-
liche Verfassung der Türken, zumahl aus dem Mit-
tel-Stande, ihre Empfänglichkeit für häusliches
Glück etc. in einem weit vortheilhaftern Lichte ken-
nen, als sie gewöhnlich geschildert wird. Ueber-
haupt auch hierin ungleich mehr comme chez nous,
[Seite 1869] als man nach den gewöhnlichen Erzählungen der
Reisebeschreiber gedacht haben sollte.

Eine eigene Unterhaltung auf den Kaffee-Häu-
sern ist, daß die Gesellschaft einen guten Mährchen-
Erzähler kommen läßt; der aber auch oft mitten
in seinem Vortrage, gerade wenn er die Erwartung
aufs höchste gespannt hat, davon wischt. Nun
wird indeß über die vermuthliche Entwickelung der
Geschichte geplaudert und gestritten; des folgenden
Tages kommt man wieder zusammen, der Erzähler
stellt sich auch wieder ein, und fährt fort. – Die
Mährchen aus Tausend und Einer Nacht sind
doch dort wenig bekannt.

Vom starken Kaffee, so wie ihn bemittelte Tür-
ken immer trinken, spürt man dort weder Wallung,
noch andere Beschwerden; vielmehr trinkt man ihn
so heiß als möglich, und selbst im schwülen Som-
mer zur Erfrischung. – Ein vorzügliches Raffi-
nement beym Tobaks-Rauchen ist ein Ueberzug von
Shawl, mit einer dünnen Unterlage von Baum-
wolle, über das lange Rohr: dadurch, daß jener
Ueberzug immer feucht erhalten wird, kühlt sich der
Rauch ab. – Der Schnupftobak ist erst seit 40
Jahren in der Türkey recht Mode geworden, und
das so schnell, daß schon 1760 die Pforte es ein-
träglich fand, eine Taxe darauf zu legen.

Kein Volk kann wohl gegen fremde Religions-
Verwandte und die freye Ausübung des Gottes-
dienstes derselben, und nahmentlich des christlichen,
toleranter seyn, als es die Türken sind, und da-
gegen hat, wie schon Postel und Reland zu ihrer
Zeit mit lautem Unwillen geäußert, der Feuer-Eifer
der christlichen Polemiker keine andere Religion mit
größerer Intoleranz, und theils mit so unwürdigen
Kunstgriffen von läppischen Erdichtungen angegriffen,
als eben die Türkische.

[Seite 1870]

Im dritten Buche, von den Christen und Ju-
den zu Aleppo und dem gegenwärtigen Zustande
der Litteratur daselbst. – Das Leben der christ-
lichen Europäer (Franken) in Aleppo ist sehr ein-
förmig und gleichsam klösterlich. Uebrigens stehen
sie mit den Türken auf friedlichem, gutem Fuß;
Kleinigkeiten abgerechnet, daß z.B. wo sich ein
Franke, seys von welcher Nation es wolle, in Aleppo
und andern Städten von Syrien auf der Straße
sehen läßt, Weiber und Kinder des Pöbels ihm
mit lautem Händeklatschen Hahnreyh! nachrufen;
oft auch ein darauf passendes Liedchen ihm nach-
singen. – Die dasigen Griechen haben sich großen
Theils durch die dort zu Lande kostspieligen Reli-
gions-Zwiste ruinirt, womit ihre beyden Secten, die
nähmlich, so bloß den Patriarchen, und die, so
auch die Ober-Herrschaft des Papstes anerkennt,
einander verfolgen. – Die Armenier hängen so
ängstlich an ihren Religions-Gebräuchen, daß sie
oft in Krankheiten lieber sterben wollen, als eine
zu ihrer Genesung unumgängliche Diät befolgen,
wenn diese mit ihren strengen Fasten im Wider-
spruch steht. – Doch wir müssen die ganzen,
völlig neuen und interessanten, Abschnitte von der
Lebensweise und Verfassung der dort eingebornen
Christen und Juden, aus Mangel an Raum, über-
schlagen.

Ebenfalls eine neue Zugabe sind auch die inter-
essanten Nachrichten vom gegenwärtigen Zustande
der Literatur zu Aleppo (B. II. Cap. 4.). Der
Verf. holt etwas weit aus, und bringt, besonders
in den Noten, Mehreres aus der Geschichte der
Arabischen Literatur bey, das freylich manchen Le-
sern willkommen seyn mag, aber unter uns, da
es aus gedeckten Werken genommen ist, größten
Theils bekannt ist. Wir zeichnen daher bloß aus
[Seite 1871] den eigenen Beobachtungen des Verf. Einiges aus.
Die Tückischen Großen sollen sich seit 50 Jahren
mehr auf Wissenschaften legen, als bisher, obgleich
noch jetzt die Beyspiele nicht ungewöhnlich sind,
daß Bascha’s oder andere vornehme Regierungs-
Bediente weder lesen noch schreiben können. Die
Collegien zu Aleppo, die sonst in blühendem Zu-
stande waren, sind verfallen, und ihre Stiftungen
verwahrloset; Sprache und Schul-Theologie ist der
hauptsächlichste Gegenstand des Unterrichts. Sie
werden fast nur von Armen besucht, die sich dem
Dienst der Mosqué, zu der sie gehören, widmen,
und sind nach dem Urtheil des Verf. mehr Pflanz-
schulen der Pedanterey und des Aberglaubens, als
der Gelehrsamkeit. Selbst die Gelehrten haben kei-
nen liberalen Begriff von Wissenschaft, sondern be-
gnügen sich, ohne selbst zu forschen, mit dem, was
in Büchern steht; und fast jedes Factum und jede
Meinung, für die sie eine geschriebene Autorität
anführen können, wird für wahr gehalten (ein Zug,
der beynahe für die Orientalen überhaupt charakte-
ristisch ist). Einige haben Büchersammlungen, die
nach dortigem Maaßstab ansehnlich, aber, mit Eu-
ropäischen verglichen, unbedeutend sind. Die Bü-
cher liegen auf einander, und der Titel ist auf den
Schnitt geschrieben. Neulich ist es bey den reichen
Kaufleuten Mode geworden, Bücher zusammen zu
kaufen, wovon die Folge ist, daß die Handschrif-
ten sehr im Preis gestiegen sind, und die Scheikhs
oder Gelehrten, die sonst in Auctionen fast die ein-
zigen Käufer waren, jetzt nicht leicht Etwas erhal-
ten. Die Literatur muß dadurch beträchtlich leiden,
da das Copiren so kostbar ist, und die Kaufleute
aus ihren Schätzen nichts verleihen. Die umständ-
liche Art, wie neu copirte Handschriften in einer
Versammlung von Gelehrten corrigirt werden, schil-
[Seite 1872] dert der Verf. S. 96. Das theologische und legi-
stische Studium besteht im Sammeln von Meinun-
gen der alten Gesetzlehrer. Astronomie wird so
ganz vernachlässigt, daß zur Zeit des Verf. nur Ei-
ner zu Aleppo war, der Sonnenfinsternisse zu be-
rechnen verstand; selbst die Calender kommen aus
Constantinopel oder Kahira. Astrologie steht noch
in Credit, obgleich die Astrologen sehr unwissend
sind; mich Zauberey und Wahrsagerey, Amulete,
Talismane, gelten noch immer, besonders bey den
Syrern. Man braucht Talismane gegen Scor-
pione, Schlangen etc., besonders gegen Mosquito-
Fliegen. Gegen letztere besitzt eine gewisse Familie
ein erbliches Geheimniß, das sie jährlich an einem
bestimmten Tage umsonst austheilt. Die Zettel mit
unverständlichen Charakteren, denn darin besteht es,
werden von den ehrenfestesten Efendi’s geschrieben und
ausgetheilt. Nur muß der, der das Mittel be-
kommt, fasten und kein Wort sprechen, bis der
Zettel im Hause angeheftet ist, wobey denn der
Muthwille geschäftig ist, durch Brechung des Still-
schweigens die Wirkung desselben zu vereiteln.
Manche Ulemas glauben an Verwandlung der Me-
talle, aber Goldmacher machen doch jetzt selten
Glück, nachdem man so viele Beyspiele des Be-
trugs vor sich hat. Vom Zustande der mathema-
tischen und physischen Wissenschaften ist das Ge-
mählde eben so wenig vortheilhaft. Selbst die Ge-
schichte des Orients, ungeachtet die zahlreichen
Schriften darüber gar nicht selten sind, wird we-
nig studiert; in der Conversation begnügt man sich
mit abgerissenen Anekdoten, und bey politischen
Discussionen mit neuern Beispielen. Poesie steht
bey Gelehrten noch immer in Achtung, aber die
Musen scheinen geflohen zu seyn, und man liefet
die alten Arabischen Dichter mit der Kälte eines
[Seite 1873] Grammatikers. Es wäre zu wünschen, daß der
Verf. von den Liedern und Epigrammen, aus die
sich, nach seiner Versicherung, die jetzige Poesie
der Aleppiner einschränkt, einige Proben mitgetheilt
hätte. Was der Verf. über die Verschiedenheit der
Aussprache des Arabischen im gemeinen Leben und
des reinen Arabischen, wie er es nennt (S. 96 flg.),
anmerkt, ist bekannt; Rec. bemerkt bloß, daß auch in
Syrien das [...] zuweilen mit einem r ausgesprochen
werden müsse. Der Verf. schreibt z.B. [...]
Runnam (ein Schaf); [...] Dugran (ein Falke)
S. 196; [...] (mulus) burhl S. 174. Indessen
muß diese Aussprache dort nicht so häufig seyn, als
in Marokos, denn [...] (Gaselle) heißt beym
Verf. S. 152 Ghazal, und so findet man in vielen
andern Wörtern das [...] durch gh ausgedruckt.

Der Abschnitt über den Zustand der Arzney-
Wissenschaft zu Aleppo liefert ein Gemählde, das
freylich in einzelnen Stücken auch wohl auf manche
Provinzen im christlichen Europa passen möchte.
Arzney-Wissenschaft kann es zwar kaum genannt
werden: es ist eine klägliche empirische Arzney-
Kunst, mit welcher sich die Türken selbst überhaupt
kaum abgeben, sondern die meist in den Händen
der Juden und der dort eingebornen Christen ist.
Die Erlaubniß zu practicieren erkauft der Candi-
dat vom Hekim Baschi für ein paar Ducaten. Chi-
na, Ipecacuanha, Quecksilber- und Spiesglas-
Mittel sind diesen Practikern noch unbekannt. Hin-
gegen sind absorbentia und Herzstärkungen ihre
gebräuchlichsten Arzneyen. Auch Edelsteine, Perlen
und Gold werden als kräftige Heilmittel dem Kran-
[Seite 1874] ken eingegeben; ihr wichtigstes Heroicum bleibt
aber eine Dosis orientalischen Bezoars. – Stirbt
ein Kranker, so geben die Weiber gemeiniglich der
zuletzt gebrauchten Arzney die Schuld. – Vom
Blutumlauf haben jene Practiker noch nichts ge-
hört. Daher glauben sie auch noch steif und fest
an die specifischen Vorzüge des Blutlassens aus
besondern Adern (– so wie sie weiland an den
Aderlaß-Männlein in unsern alten Haus-Calendern
angegeben waren. –) Daß Manual-Chirurgie bey
ihnen ihr Haupt nicht leicht erheben dürfe, dafür
ist theils durch den dort allgemeinen Volksglauben
gesorgt, daß Geschwüre und dergl. durch Berührung
von Stahl gar sehr verschlimmert werden, theils
auch dadurch, daß ein operirter Kranker wohl gar
seinen Wundarzt verklagt, und Ersatz für den Ver-
lust des amputirten Stücks verlangt: eine Klage,
die doch mit so vielen Umständen und Proceß-
Kosten für den letztern verbunden seyn kann, daß
dieser wohl froh ist, wenn er bloß mit der Ein-
buße seines sostri davon kommt.

Das vierte Buch begreift die Naturgeschichte
des Thier- und Pflanzenreichs jener Gegend von
Syrien. Auch hier müssen wir uns begnügen, ein
paar einzelne Anmerkungen auszuheben. – Bey-
des, Gazellen und Hasen, werden dort mit Hund
und Falke zugleich gejagt. Ohne des letztern Bey-
stand würden die flinken Gazellen schwerlich von
den Hunden eingeholt werden können. – Die
Englischen Jagdhunde verlieren ihren Geruch im
dortigen Clima in der ersten Generation schon großen
Theils, und in den nächst folgenden meist vollends
gar. – Vom dortigen Hornvieh ist die größere
Raße gerade so hochbeinicht und dünnleibicht, wie
die Kühe auf so vielen antiken geschnittenen Stei-
[Seite 1875] nen. – Viele treffliche Bemerkungen über den
dortigen Spring-Hasen (Jaculus meridianus), be-
sonders über seinen Winterschlaf. Auch dieses warm-
blütige Thier säuft nie. – Die besten Kamele
sind die, so aus Vermischung der Turkomanischen
Raße mit der Arabischen gezogen werden. Vom
Kamelhaar werden dort, wie es scheint, nur grobe
Tücher gemacht. Hier und an mehrern Stellen
wichtige Beyträge zur anatome comparata, die
dem Herausgeber von seinem Freunde, dem verstor-
benen John Hunter, mitgetheilt worden. Auch
beyläufig ein höchst unparteyisches und ehrenvolles
Zeugniß für die Zuverlässigkeit und den ganzen recht-
lichen Charakter des ebenfalls nun verstorbenen
Habessinischen Reisenden Bruce. – Ueber die
Unzuverlässigkeit der gerichtlichen Zeugnisse über die
Abstammung der Arabischen Pferde, wenigstens in
jenen Gegenden. – Die dortigen Hunde werden
nicht toll. Ein großes Glück für ein Land, wo
die Hunde als unrein geachtete Thiere so herren-
los herum laufen. – Auch der Hamster ist dort
zu Hause. – Der dasigen Scorpionen Stich ist
zwar nicht tödtlich: doch verursachte er wohl, zu-
mahl bey Frauenzimmern, Ohnmachten und Er-
brechen. – Wanzen und Flöhe sind dort so zu
sagen allgemein. Letztern kommt besonders die
lange Kleidung der Morgenländer recht zu passe. –
Artige Bemerkungen über den Farbenwechsel des
Chamäleon. – Ein schon von den alten Aerzten
nicht selten bemerkter lästiger Zufall, daß Leuten
durch einen Trunk aus stehenden Wassern ein Blut-
egel in den Mund kommt, der sich hinten im
Schlunde ansaugt, und zuweilen binnen etlichen
Tagen nicht los zu kriegen ist. – (Aber wie mag
Sepia loligo in die Aleppische Fauna kommen?)

[Seite 1876]

Das Pflanzenverzeichniß ist in dieser Ausgabe
besonders durch die Bemühungen des Ritter Banks
sehr berichtigt und vervollkommnet. – Die Capri-
fication, so wie sie um Aleppo gebräuchlich ist, ge-
schieht kurz und gut, indem man wilde Feigen,
in welchen der Cynips ausgeheckt wird, an die
Zweige des zahmen Feigen-Baumes hängt, damit
er von jenen zu diesem übergehe, und die Früchte
desselben durch den Insectenstich zeitiger und größer
werden. Den vielen Umständen, so nach Tourne-
fort’s
Bericht die Insulaner auf dem Archipelagus
dabey beobachten, würden sich die trägen Syrer
unmöglich unterziehen können. – Von dem selbst
in England herrschenden Vorurtheil, daß der Ge-
nuß des Reises den Augen schade, weiß man in
Aleppo nichts.

Das fünfte Buch begreift meteorologische Jahr-
bücher, und handelt überhaupt von der Witterung,
besonders in Bezug auf die dort einheimischen Krank-
heiten. – Die Lustseuche, die dort die Franken-
Krankheit genannt wird, ist sehr gemein, aber ge-
linde; trotz der widersinnigen Begriffe, die man da-
von hat, und der Behandlungs-Art, die sich auf die-
selben gründet. Man fürchtet sich z.B. mehr für
Ansteckung durch den Gebrauch eines gemeinschaft-
lichen Löffels, als durch unreinen Beyschlaf. Unter
den dasigen Iuden ist doch die Krankheit selten. –
Auch die Abschnitte vom Mal d’Aleppo, zumahl aber
die von der Pest, haben große und wichtige Zusätze
erhalten. – Zu den unter den Franken gebräuch-
lichen Vorbauungs-Mitteln gegen das Pest-Contagium
gehört auch, daß sie während der Pest-Epidemie keine
herum streichende Katzen dulden, sondern, wenn sich
eine ins Haus schleicht, sie todt schießen, und mit-
telst einer Zange auf die Straße werfen.

[Seite 1877]

Am Ende noch ein paar Anhänge. – Der eine,
Geschichte des Anfanges der Brittischen Handels-
Gesellschaft in der Türkey; – der andere, der für
die Arzney-Wissenschaft wichtig ist, Notiz von den
vorzüglichsten Arabischen medicinischen Schriftstellern.



Blumenbach, Johann Friedrich and Tychsen, Thomas Christian. Date:
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