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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1799.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

London.

[Seite 945]

Hier hat sich jetzt eine Gesellschaft edler Bri-
ten zu dem großen Zwecke verbunden, die Hin-
dernisse und Schwierigkeiten möglichst zu heben,
die nach einer eben so allgemeinen als traurigen
Erfahrung so oft den gemeinnützigsten, frucht-
barsten Entdeckungen der Naturforscher den Ein-
gang unter andere Volksclassen, und nahmentlich
unter diejenigen versperren, die doch den unmit-
telbarsten Gewinn davon ziehen könnten, unter
die Handwerker nähmlich und Professionisten. Wir
haben den Plan dieser für wohlthätige Aufklä-
rung und selbst für frohen Lebensgenuß viel ver-
sprechenden Unternehmung in einer kleinen Schrift
vor uns, die den Titel führt:

Proposals for forming by Subscription, in
the Metropolis of the British Empire, a public
Institution for diffusing the Knowledge and fa-
cilitating the general Introduction of useful
mechanical Inventions and Improvements, and
for teaching, by Courses of philosophical Lectu-
res and Experiments, the application of Science
to the common purposes of life. by Benj.
Count of Rumford F.R.S. etc
. 1799. 50 S.
in groß Octav.

Der ber. Verf., der sich längst um die Natur-
wissenschaften, und durch die Anwendung derselben
aufs gemeine Leben auch um die Humanität so sehr
verdient gemacht, hat schon vor einigen Jahren den
glücklichen Gedanken zu Errichtung eines solchen
Instituts gefaßt und in seinen Essays geäussert,
der nun durch die thätige Beywirkung theilneh-
mender Mitglieder schon so weit zur Ausführung
[Seite 946] gediehen ist, daß ein ansehnlicher Fonds zu Er-
füllung der auf obigem Titel genannten Absichten
zusammengebracht worden. In einer am 9. März
d.J. im Hause und unter dem Vorsitz des Hrn.
Baronet Banks gehaltenen Versammlung waren
schon 48 von derjenigen Classe von Theilnehmern,
deren jeder 50 Guineen subscribirt. (Aus einem
Briefe vom 8. April weiß der Rec., daß dann
schon 80 solcher Subscribenten, folglich, – die
kleinern Beyträge von andern Interessenten unge-
rechnet – eine sichere Summe von vier tausend
Guineen beysammen war.)

Der Hauptzweck der Gesellschaft geht vor der
Hand auf zweyerley: A) nähmlich, alle fürs ge-
meine Leben, oder für Handwerker und Künstler
insbesondere, wirklich nutzbare, thunliche, be-
währte mechanische neue Erfindungen oder Ver-
besserungen dadurch in London bekannter zu ma-
chen, daß sie im Hause des Instituts aufgestellt
und da besehen und probirt werden können. B)
aber, den practischen Theil der fürs gemeine Leben
ergiebigsten Lehren aus der Naturkunde, Chemie etc.
durch zweckmäßige populäre Vorlesungen und De-
monstrationen mehr in Umlauf und zur gemein-
nützigen Anwendung zu bringen.

Zum Behuf des erstern dieser beiden Zwecke
werden nicht nur die Maschinen, Geräthe etc. in
natura angeschafft, sondern auch, so viel sich
thun läßt, zum wirklichen Gebrauch angewandt.
So werden z.B. im Winter die verschiedenen
Zimmer durch mancherley Arten von Caminen ge-
heitzt; Deutsche, Schwedische, Russische Öfen
gesetzt; vollständig eingerichtete Küchen mit allem
ihrem Geräthe, Waschhäuser, für Familien sowohl,
als für Hospitäler, unterhalten u.s.w. Man-
[Seite 947] ches wenigstens an genauen und gangbaren Mo-
dellen gezeigt, wie z.B. die Dampf-Maschine,
die beßten Einrichtungen zum Brauen, Brannt-
weinbrennen etc. Andere Modelle von Kalkbren-
nereyen, von Treibhäusern, von Brücken u.s.f. –
Das Institut wird tüchtige Künstler mit sich ver-
binden, die den Liebhabern auf Verlangen der-
gleichen Maschinen und Geräthschaften, muster-
haft gearbeitet, liefern können. – Auch können
Mechaniker ihre eigenen Erfindungen oder Ver-
besserungen, nachdem sie von einer Commission
des Instituts geprüft worden, daselbst ausstellen.
Nur ertheilt das Institut ihnen keine Prämien
dafür, da die Absicht desselben nicht ist, neue
Erfindungen zu veranlassen, sondern die schon
gemachten zu verbreiten. – Die Vorlesungen
aber, die den zweyten jener beiden Hauptzwecke
ausmachen, werden von einer Auswahl der vor-
züglichsten Gelehrten in den physischen und che-
mischen Fächern gehalten; und betreffen z.B.
die physiologischen und chemischen Grundsätze des
Feldbaues und anderer wichtigen Gewerbe, des
Gärbens, Bleichens, der Färberey, des Seifen-
siedens etc. vor allem aber die zweckmäßigste Be-
handlung und Ersparniß der Feuerung, als wel-
che unmittelbar oder mittelbar auf alle Gewerbe
einen so großen Einfluß hat, folglich in der
Summe eine ganz ungeheure Consumtion verur-
sacht, wovon doch bey besserer Behandlung ein
sehr großer Theil erspart werden könnte. Man
kann als ausgemacht annehmen, daß jetzt die
Feuerung in den Britischen Königreichen jährlich
über zehn Millionen Pfund Sterling kostet, und
eben so ausgemacht ist es dem Verf., daß da-
von mehr als die Hälfte durch zweckwidrige An-
[Seite 948] wendung ganz überflüssig und unnütz in die Luft
geht. – Zu diesen Vorlesungen werden nun
physische und chemische Apparate angeschafft, Hör-
säle und Laboratorien eingerichtet etc.

In der den Proposals vorgesetzten Einleitung
erörtert der Verfasser mit vielem psychologischen
Scharfsinn die Ursachen der freylich auf den er-
sten Blick unbegreiflich scheinenden Kälte und
Gleichgültigkeit, womit so viele noch so einleuch-
tend nutzbare Erfindungen oder Verbesserungen
aufgenommen werden, da indeß so oft die abge-
schmacktesten, kostspieligsten und lästigsten Moden
sich wie Lauffeuer verbreiten, und allgemeinen
Eingang finden. Am mehrsten muß das bey den
mechanischen Verbesserungen auffallen, die Künst-
lern und Handwerkern profitabel werden müßten,
vorausgesetzt, daß Mechanik die Seele von allen
Künsten und Handwerken ist, und daß eine Ma-
schine, ein Geräthe etc. je vollkommener es ist,
sich auch desto mehr verinteressirt, und doch sonst
Interesse die allerkräftigste Triebfeder für Indu-
strie zu seyn pflegt. So natürlich und überzeu-
gend aber diese Reflexion scheint, so vielen Wi-
derstand findet sie in der Trägheit der Menschen,
oder in der Macht der Gewohnheit, in der An-
hänglichkeit und Vorliebe für der Väter Weise,
im Eigendünkel etc. (– versteht sich alles dieß
bey so genannten aufgeklärten Völkern: denn die
so genannten Wilden sehen ihren Vortheil besser
ein. Da z.B. jetzt die Englischen Missionarien
nach Utaheiti kamen, fanden sie daselbst fast lau-
ter eisernes Arbeitsgeräthe: eine steinerne Axt
war nun schon eine Seltenheit geworden. Sie
fragten die Insulaner, wie lange sie mit diesen
eisernen Werkzeugen an einem Bote arbeiteten?
[Seite 949] und die Antwort war: Einen Mond. Auf die
Frage aber, wie lange denn vorher mit den stei-
nernen Äxten, lachten sie hell auf, und bezeich-
neten mit den Fingern zehn Monde –).

Zu allen jenen subjectiven Hindernissen gesel-
let sich aber eins ganz anderer Art, und zwar
das allgemeinste, und das dem ungelehrten Hand-
werksmann nicht so, wie jene, zum Vorwurf
gemacht werden kann, nähmlich die Schwierig-
keit, wie er denn selbst bey allem guten Willen
die ihm auch noch so interessanten Verbesserun-
gen erfahren soll, die in den wissenschaftlichen
Werken der Herren von der gelehrten Bank stek-
ken? Und wenn ers erführe, wie er ihre Spra-
che verstehen, sich daraus oder höchstens aus
einer bloßen Abbildung orientiren soll?

Nun diesem sonst unüberwindlich scheinenden
Hindernisse für London abzuhelfen, ist der Eine
der beiden Hauptzwecke des neuen Instituts: so
wie der Andere dazu dienen soll, so manches
wichtige wissenschaftliche Capital, das bis jetzt
todt gelegen, in Umlauf zu bringen, damit
sichs fürs gemeine Leben verinteressiren, und die
Naturwissenschaft selbst dem Ideale näher gebracht
werden möge, das sich einer der weisesten Men-
schen, Bacon von Verulam, davon machte. Ta-
lem
, sagt er, intelligo philosophiam naturalem,
quae non abeat in fumos speculationum subti-
lium –, sede quae efficaciter operetur, ad sub-
levanda vitae humanae incommoda.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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