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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1799.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

London.

[Seite 1433]

Travels in the interior Districts of Africa: per-
formed under the Direction and Patronage of
the African Association, in the years 1795–
97, by Mungo Park, Surgeon, with an Ap-
pendix, containing geographical illustrations of
Africa, by Major Rennel.
1799. 372 und
XCII Seiten in gr. Quart, mit Kupfern und Land-
karten.

Vor drittehalb Jahren ward zuerst in unsern
Blättern angezeigt, daß die unter dem Nahmen
der African Association zur möglichsten Aufhel-
lung der Länder- und Völkerkunde im Innern von
Africa verbundene Gesellschaft edler Briten, nach
dem Tode des zu diesem Behuf von ihr ausge-
sandten Major Houghton, zwey andere Reisende
zu fernern Entdeckungen in jener, uns bisher so
unbekannten, Weltgegend bestimmt habe: den
[Seite 1434] Wundarzt Park, der Houghton’s Weg von der
Westseite verfolgen –, und unsern Hornemann,
der von der Nordost-Seite ins Herz von Africa
zu dringen suchen solle. Von letzterm, der erst
im vorjährigen September mit der Fezzan-Car-
wane von Cairo aufgebrochen, können wir in den
nächsten Jahren schwerlich schon Nachrichten er-
warten. Ersterer aber ist indeß von seiner bey-
spiellosen Expedition glücklich nach England zu-
rück gekommen, und legt in dem Werke, das wir
anzeigen, von dem wichtigen Erfolge derselben in
einer einfachen und ungeschmückten, aber eben
dadurch um so viel interessanten Erzählung, Re-
chenschaft ab.

Er war im May 1795 von Portsmouth ab-
gesegelt, landete im folgenden Monath an der
Mündung des Gambia; mußte erst wegen der
Regenzeit und anderer Hindernisse einen Monath
lang zu Pisania am nördlichen Ufer dieses Stroms
(unter 13° W. Länge von Greenwich) bey einem
seiner dort ansässigen Landsleute, einem Arzte,
verweilen, der sich mit zwey andern Engländern
so vortheilhaft daselbst etablirt hatte, daß der
größte Theil des dasigen Handels mit Sklaven,
Gold und Elfenbein durch ihre Hände ging. Zu
Anfang Decembers brach unser Reisender in Be-
gleitung zweyer Neger (deren Einer vorher 7 Jahr
in England gewesen war) von dannen auf. Er
zu Pferde, seine beiden Schwarzen aber auf Eseln;
und so nahm er seinen Weg gegen Morgen, um
den Niger zu erreichen, und zuvörderst die seit
Herodot’s Zeiten so strittige Frage über die Rich-
tung seines Laufes zu bestimmen. So sehr er
sich dabey immer in den Gebieten der gutmüthi-
gen, biedern Neger zu halten, und hingegen die
[Seite 1435] der brutalen Mauren zu vermeiden suchte: so
nöthigte ihn doch ein damahls zwischen den zwey
Negerkönigen von Bambarra und Kaarta ausge-
brochener Krieg, das Maurische Königreich Lude-
mar zu betreten, wodurch er aber zu Anfang des
März 1796 nahe bey der Gegend, wo sein Vor-
gänger, der Major Houghton, den Tod gefunden,
in die Gefangenschaft des dasigen Königes Ali
gerieth. Der Eine seiner beiden Neger hatte ihn
schon früher aus Furcht vor den Mauren verlas-
sen; der Andere ward vom hartherzigen Ali ohne
Umstände als Sklave zurück behalten. Was Hr.
P. selbst fast vier lange Monathe hindurch von
diesem Tyrannen und seinem Volke erdulden müs-
sen, läßt sich schon daraus ermessen, daß er sagt:
never did any period of my life pass away so
heavily: from sunrise to sunset, was I obli-
ged to suffer, with an unruffled countenance,
the insults of the rudest savages on earth.

Mehrmahlen ward ihm bey dem unbedeutendsten
Anlaß die Pistole auf die Brust gesetzt; einmahl
deliberirt, ab man diesen Nazarener lieber gerade-
zu umbringen, oder doch die Augen ausstechen
sollte, weil sie katzenähnlich seyen, u. dergl. m.
Kurz seine Lage war so lebensgefährlich und für
die Länge so unerträglich, daß man sehr leicht
begreift, wie er endlich den, freylich auch schau-
dervollen, Entschluß ergreifen konnte, im Innern
von Africa mutterseelen allein zu entfliehen, und
lieber zu wagen, von Raubthieren zerrissen zu
werden, oder zu verschmachten, als sich von je-
nen Unmenschen länger mißhandeln zu lassen.
Mehr scheint zu bewundern, daß, da er nun
wirklich entkam, er nicht gerade zurück gen Pi-
sania flüchtete, sondern – um ja erst den Zweck
[Seite 1436] seiner Sendung möglichst zu erfüllen – seinen
Weg immer tiefer landeinwärts nahm, wo er
dann endlich in der dritten Woche nach der Flucht
den 20. Julius das große Ziel seiner Wünsche, den
Niger oder Joliba, erreichte, und sich von der
Richtigkeit der ihm selbst, so wie dem Major
Houghton, von kundigen Negern und Mauren
gegebenen Versicherung überzeugte, daß er nicht,
wie der Senegal und Gambia, von Osten nach
Westen, sondern in der entgegen laufenden Rich-
tung von Westen nach Osten ströme. Er ver-
folgte den Lauf dieses berüchtigten Flusses bis
unter 2° westl. Länge (von Greenwich), wo er
sich endlich wegen unüberwindlicher Hindernisse
umzukehren entschließen mußte, aber auch nun
erst einen ganz andern Weg, als auf der Hin-
reise, nähmlich an den Ufern desselben hinauf-
wärts, nahm, bis ins Königreich Manding, wo
er im September ankam, und hier mit einem
Sklavenhändler accordirte, der ihn, nachdem
er sieben Monathe bey demselben durch Krank-
heit und andern Aufenthalt zu verweilen genö-
thigt worden, endlich, da er seit 18 Monathen
keinen Christenmenschen gesehen, und kein Wort
in seiner Muttersprache geredet hatte, im Julius
1797 nach den Englischen Besitzungen am Gam-
bia zurückbrachte: so daß er zu Anfang Octo-
bers von Africa erst nach Westindien absegeln,
und von dannen im December nach einer drittehalb-
jährigen Abwesenheit nach London zurückkehren
konnte.

Von der reichen wissenschaftlichen Ausbeute,
so diese seine unerhörten Wanderungen, ausser der
schon gedachten endlichen Bestimmung des Laufes
des Nigers, gegeben, können wir hier nur We-
[Seite 1437] niges von Vielem ausheben. – Vor allem rech-
nen wir dahin die ausführliche und genaue Schil-
derung der mancherley Völkerschaften, die den
von ihm durchreiseten beträchtlichen und von die-
ser Seite vorher noch wenig gekannten Erdstrich
zwischen dem 12. und 16° N. Br. bis zu 2°
westl. Länge bewohnen. So z.B. die nähere
Kenntniß der Foulah’s und anderer Mittel-Rassen,
wodurch die Mauren mit den Negern wie durch
unmerkliche Übergänge zusammenfließen; beson-
ders aber die anthropologische Charakteristik der
Mauren im Süden der Wüste, die sich zwar sehr
von denen in der Barbarey auszeichnen, und
gleichsam ein eigenes großes Mulattenvolk aus-
machen, das den ganzen Erdgürtel von der Mün-
dung des Senegal bis nahe an Habessinien zu
bewohnen scheint. Die Grenze zwischen diesem
Volke und den Negern macht westlich der Sene-
gal bis zu dem durch die ehemahligen Niederlas-
sungen der Franzosen bekannten Fort St. Joseph,
und von da eine bis Tombuctov meist ostlich lau-
fende und auf der einen, dem Parkischen Werke
beygefügten, Karte gezeichnete Linie. Aber frey-
lich breiten die Mauren ihre Herrschaft auch in
den Negergebieten immer weiter aus. Was ihnen
vorzüglichst dabey zu statten kommt, das sind ihre
herrlichen Pferde (statt daß die Neger nur Esel
haben) und ihre Schulmeister. Jene geben ihnen
das große Übergewicht bey den feindlichen Inva-
sionen, und diese machen ihre Propaganda aus,
die sich bey den heidnischen Negern einnistelt, und
unter dem Vorwande, den Kindern Arabisch lesen
zu lehren etc., die Muhammedanische Religion,
und mit ihr die politische Verfassung der Mauren,
einführt. – Die Physiognomie dieser Mauren,
[Seite 1438] besonders der wilde, stiere Blick ihrer Augen, ist
unter ihnen so allgemein und so auffallend, daß
ein Fremder sie leicht für eine ganze Nation von
Tollhäuslern halten würde. Durchaus schildert
der Verf. dieses Volk als das brutalste, bigotste,
intolerantste unter der Sonne; das allen blinden
Aberglauben der Neger mit der Treulosigkeit und
wilden Grausamkeit der nomadischen Araber in
der Wüste verbindet. – Der einzige Maaßstab
weiblicher Schönheit bey dieser Menschen-Rasse ist
Wohlbeleibtheit. Eine vollkommene Beauté muß
eine Kamelsladung betragen, und die Mädchen
werden zu diesem Behuf von Kindesbeinen an mit
Mehlspeise und Kamelsmilch förmlich gemästet. –
Die Mauren haben große Viehzucht, aber wenig
Feldbau: sondern erhandeln ihr Getreide und
baumwollenen Zeuge etc. von den Negern, beson-
ders gegen Steinsalz, das sie ihnen zuführen,
und das eines der dringendsten Bedürfnisse der
Neger im Binnenlande, so wie ihre größte Lecke-
rey ist. Kleine Kinder saugen an einem Stücke
Salz, als wäre es Zucker: und einen wohlhaben-
den Mann zu bezeichnen, sagt man, der hat Salz
zu seinen Mahlzeiten.

Nichts kann auffallender contrastiren, als der
Charakter jener Mauren, verglichen mit derjeni-
gen Negervölker ihrem, die Hr. P. bey seinem
langen Aufenthalt unter denselben vollkommen zu
studiren Gelegenheit gehabt. Die gastfreundliche,
gutmüthige Aufnahme, die er fast durchgehends
unter diesen treuherzigen Schwarzen gefunden,
so viele charakterisirende, theils recht rührende,
Scenen, wovon er Augenzeuge gewesen, und die
er theils ganz umständlich beschreibt, müssen jeden
präjudizlosen Leser von der Wahrheit seiner Be-
[Seite 1439] hauptung überzeugen, ‘”that whatever difference
there is between the Negro and European in
the conformation of the nose and the colour
of the skin, there is none in the genuine
sympathies and characteristic feelings of our
common nature
.”’ Von den vielen überaus
interessanten Nachrichten, die Hr. P. über ihre
häusliche und bürgerliche Verfassung, Rechts-
pflege etc., so wie über ihren Handel und Wan-
del, über ihre Kriege etc., ertheilt, gestattet uns
der Raum nur einiges Weniges anzuführen. –
In dem Königreiche Woolli trank er Bier, das
er dem beßten Englischen Doppelbier gleich schätzt,
und das dort aus dem ordentlich gemalzten Hol-
cus spicatus
gebraut wird. – Der Butter-
Baum, aus dessen abgekochten Kernen eine über-
aus schmackhafte Butter bereitet wird, die der
beßten Kuhbutter gleicht. Ein Zweig des Baums
ist abgebildet, so wie auch einer vom Rhamnus
lotus
, dessen mehlichte Beeren noch jetzt, wie
weiland von den Lotophagen, zu einer Art Ku-
chen und auch zu einem angenehmen Trank be-
nutzt werden. – Ausführlich über die Gewin-
nung des Waschgoldes, den Vertrieb der Elfen-
beinzähne, und besonders über den Sklavenhan-
del. Er glaubt, daß sich in den von ihm berei-
seten Gegenden die Zahl der Sklaven zu den
Freyen fast verhalte, wie 3 zu 1. Sie sind
entweder eingeborne Leibeigene, oder durch Zu-
fall in die Sklaverey gerathen; und diese sind
entweder Kriegsgefangene, oder insolvente Schuld-
ner, oder Verbrecher, oder solche, die aus äus-
serster Hungersnoth dazu gebracht worden. –
Auch umständlich über Boden und Clima jener
Weltgegenden. Ein großer, aber furchtbarer,
[Seite 1440] Anblick ist es, wenn in jenen Negerländern,
nachdem der alles austrocknende und mit einer
Art Heerrauch verbundene, aber der Gesundheit
so zuträgliche, Harmettan gewehet hat, das
Gras in Brand gesetzt wird. (– Das erklärt
Hanno’s Feuerströme. –) Die Raubvögel
schweben dann über den brennenden Feldern,
um die Schlangen und Eidechsen wegzuschnap-
pen, die durch die Gluth aufgescheucht wer-
den. – Auch von den benachbarten Binnen-
ländern, die Hr. B. nicht selbst besuchen kön-
nen, hat er doch wichtige Notizen von Andern,
die da gewesen, besonders von einigen She-
riffs, die er während seiner Gefangenschaft ken-
nen gelernt, eingezogen, nahmentlich von den
beiden großen Städten Houssa und Tombuctoo.

Noch müssen wir endlich auch eines beträcht-
lichen Wörterbuchs der Mandingo-Sprache geden-
ken, das Hr. P. seiner so überaus reichhaltigen
und selbst durch die vielen glücklich bestandenen
Abenteuer äusserst unterhaltenden Reisebeschrei-
bung beygefügt hat, und das den Sprachforschern
ein wichtiges willkommenes Geschenk seyn muß.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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