Die Vorlesung des Hrn. Hofrath Blumenbach
bey der funfzigjährigen Jubelfeyer der königl.
Societät der Wissenschaften am 14. November ent-
hielt ein Specimen archaeologiae telluris, ter-
rarumque in primis Hannoveranarum. Ein
Versuch, die älteste Geschichte unsers Planeten,
und namentlich die Art, und auch im Allgemei-
nen die Zeitfolge, der ganz verschiedenen Catastro-
phen, die er erlitten, und wodurch seine Rinde
ihre jetzige, von so mancherley Zerstörungen zeu-
gende, Gestalt erhalten, durch eine neue, zweck-
mäßige, Ansicht und Benutzung der Petrefacten-
kunde zu erläutern. Versteht sich also, daß da-
bey nicht von allen, weiland organisirten und
nun fossilen Körpern Gebrauch gemacht werden
kann, sondern nur von solchen, die offenbar auf
vormahlige partielle oder allgemeine Erd-Revo-
lutionen deuten. Folglich liegen, um Ein Bey-
[Seite 1978] spiel statt vieler anzuführen, manche in Rasen-
eisenstein metallisirte Hölzer ganz ausser dieser
Ansicht, da ihre sehr moderne Umwandlung in
Vergleich zu den Versteinerungen, die hier be-
nutzt werden, nur wie von gestern und ehegestern
ist. So wie hingegen manche andere so genannte
Fossilien hierher gehören, die gar keine Verstei-
nerung (im wörtlichen Verstande) erlitten haben,
wie z.B. die unveränderten Holzkohlen, die sich
in manchen Steinkohlen, so wie unter den Frau-
kenberger Stangengraupen und dem Traß von
Andernach, finden. Und unter den Versteine-
rungen, von welchen hier die Rede ist, beschränkt
sich der Hr. Hofrath wieder fast ausschließlich auf
solche, deren Vorkommen und Lagerstätte er ent-
weder selbst an Ort und Stelle untersucht, oder
doch vollständige und genaue Nachricht davon
erhalten hat. Doch hofft er den Plan der Be-
handlung so gefaßt zu haben, daß auch die übri-
gen Petrefacten oder Fossilien (– diese Worte in
dem so eben bestimmten Sinne genommen –) bey
näherer Prüfung darunter gebracht werden kön-
nen. Er befolgt nähmlich zur allgemeinen Ab-
theilung derselben eine chronologische Ordnung,
die sich erstens auf ihre critische Vergleichung mit
den organisirten Körpern der jetzigen Schöpfung,
und zweytens auf ihre Lagerstätte und das re-
spective Verhältniß und das darnach zu bestim-
mende Alter derselben, gründet. Er hebt mit
denen von neuerem Datum an, geht von da zu
denen ältern Ursprungs zurück, und endiget mit
den allerältesten Denkmahlen einer organisirten
Schöpfung auf unserer Erde, zu welchen er z.B.
die Abdrücke von Vegetabilien im Grauwacken-
schiefer rechnet, die auf der Grenze der eigent-
lichen Ganggebirge brechen, in deren Schoße selbst
[Seite 1979] übrigens wohl so wenig, als im primitiven Gra-
nit, Versteinerung von Thieren oder Pflanzen
denkbar ist.
Unter die erste Abtheilung, von der er aus-
gehet, bringt der Hr. Hofr. die Versteinerungen,
die erst seit der letzten allgemeinen Catastrophe,
welche unsern Planeten betroffen, aus partiellen
Localrevolutionen entstanden sind. Sie begreift
folglich lauter solche, deren Urbilder noch jetzt
existiren; zerfällt aber selbst wieder in zwey Clas-
sen. Zur ersten derselben gehören diejenigen
Fossilien, deren Urbilder noch jetzt in der glei-
chen Gegend einheimisch sind. Dahin rechnet er
z.B. die meist so ungemein saubern Reste aus
allen sechs Classen des Thierreichs, und so viel-
artiger Pflanzentheile, die sich in den deßhalb
berühmten Stinkschieferbrüchen bey Oeningen am
Bodensee finden. Er hat auf einer Reise in jene
Gegend eine Menge derselben zusammengebracht,
und eine noch größere in andern Sammlungen
gesehen; aber unter allem, was er davon selbst
genau zu prüfen Gelegenheit gehabt, schlechter-
dings nichts Exotisches gefunden, nichts, was
sich nicht entweder ganz unverkennbar oder doch
höchst wahrscheinlich auf die Fauna und Flora
des dortigen Landstrichs und seiner Gewässer hätte
zurückbringen lassen.
Schon anders verhält es sich mit einer über-
aus merkwürdigen Art von Fossilien, deren Urbil-
der zwar auch nach der größten Wahrscheinlich-
keit zur jetzigen Schöpfung, und sie selbst folg-
lich zur nähmlichen ersten Abtheilung, wie die so
eben gedachten, gehören; die aber deßhalb in
eine eigene Classe von denselben abgesondert zu
werden verdienen, weil sie nicht, so wie diese,
vordem an gleichem Ort und Stelle, wo sie nach
[Seite 1980] der Hand ihre Grabstätte gefunden, gelebt haben
können, sondern offenbar erst nach ihrem Tode
durch gewaltsame Fluthen, wenn gleich nicht aus
der Weite ferner Zonen, dahin gebracht seyn
müssen. So z.B. die prodigiosen Knochenbre-
schen in so vielen Küstenfelsen des Mitländischen
und Adriatischen Meeres, wovon der Hr. Hofrath
eine Menge sowohl von Cerigo als Gibraltar und
Dalmatien besitzt. Was sich unter diesen, offen-
bar durch die furchtbarste Gewalt zertrümmerten,
Knochen Bestimmbares erkennen läßt, zumahl
die Zähne, das läßt sich alles auf Thiere zurück-
bringen, die entweder bis jetzt unter dieser Breite
der alten Welt leben, oder doch noch in Zeiten,
bis zu welchen die Geschichte reicht, unter dersel-
den gelebt haben, wie z.B. vormahls die Löwen
in Aetolien, Phrygien etc. Das ganze große Phä-
nomen reimt sich übrigens mit dem einstmahligen
Durchbruch des Caspischen und schwarzen Meeres
ins Mitländische, wovon die alte Tradition durch
die neuern genauen Untersuchungen des Locals
die größte Glaubwürdigkeit erhalten hat. – Hier
folgt in der Abhandlung eine Episode von den
vorgeblichen Anthropolithen: denn wenn es der-
gleichen gibt, so wären sie freylich in den beiden
Classen dieser Abtheilung noch am ersten zu er-
warten. Aber erwiesen ist auch unter diesen noch
nicht ein Einziger. –
Nun zu einer ganz andern Hauptabtheilung
von so genannten Versteinerungen, weit höhern
Ursprunges, zu den nun fast zahllosen hieländi-
schen Elephanten, Rhinoceren u.a. jetzt tropi-
schen Geschöpfen. Der Verf. hatte vorlängst der
Meinung beygepflichtet, daß dieselben einst hie-
ländisch gewesen seyn müßten. Jetzt sucht er dieß
durch neue Gründe zu unterstützen, die er haupt-
[Seite 1981] sächlich in den mächtig großen Ablagern der un-
geheuren Bärengattung, nahmentlich in den deß-
halb berühmten Berghöhlen am Harz, am Fichtel-
berge und zu Altenstein am Thüringer Walde
findet. Alles spricht dafür, daß jene Bären leben-
big in diese Höhlen gekommen, und da ihr Grab
gefunden haben. Nun aber finden sich in diesen
Höhlen mitunter auch Knochen und Zähne von
löwen- und hyänenartigen Raubthieren der heis-
sen Erdstriche, als wozu der Verf. Belege aus
allen der drey gedachten Höhlen in seiner Samm-
lung hat. Folglich ist nach aller Wahrscheinlich-
keit auch jenes eine tropische Bärengattung ge-
wesen, so wie noch jetzt Bären in manchen tro-
pischen Zonen leben; und da nun jene Bären
und Löwen sich in einer Lage finden, wo sie
schwerlich erst nach ihrem Tode durch eine Fluth,
haben hingeschwemmt werden können: so bleibt
dieß auch von den Elephanten und Rhinoceren
unglaublich. Vollends wenn man erwägt, daß
sich von manchen derselben ganze kleine Horden
beysammen gefunden, wie z.B. die fünf Indi-
vidua von Nashörnern am diesseitigen Vorharz,
deren fossile Reste unser verdienstvolle Hollmann
so meisterhaft bestimmt und beschrieben; und daß
man von andern, wie z.B. von den beiden
Tonnaischen Elephanten, die fast completen Ge-
rippe hat ausgraben können, u. dergl. m. End-
lich aber erhält dieß alles noch ein neues Ge-
wicht durch ein anderes geologisches Phänomen,
das nach des Verf. Überzeugung in die gleiche
Abtheilung gehört, und damit verbunden werden
muß; nähmlich – die Reste von andern tropi-
schen Thieren in gewissen Kalkflözen. So z.B.
die in den Pappenheimer Kalkschiefern, als worin
man unter so vielen andern tropischen Geschöpfen
[Seite 1982] nahmentlich eine Art Moluckischen Kiefenfuß, und
die noch zusammen articulirenden Armknochen einer
dem fliegenden Hund ähnelnden Fledermausgat-
tung gefunden, und alles dieß, bis auf die zar-
testen Indischen Seesternchen, so nett und in sol-
cher Integrität erhalten, daß von einem Trans-
port derselben durch eine allgemeine Fluth von
der südlichen Halbkugel her etc. kein Gedanke
bleibt. – Sondern, jene elephanten-, rhinocer-,
löwen- und hyänenartige Thiere müssen einst so
gut, wie diese Kiefenfüße, Seesterne etc. in un-
sern Zonen einheimisch gewesen seyn, bis durch
irgend eine, jetzt freylich nicht mit Gewißheit zu
bestimmende, Ursache eine Total-Veränderung der
Climate erfolgte, die den Untergang der damahls
lebenden Generationen jener tropischen Geschöpfe,
wie so vieler andern mit ihnen existirenden Ge-
schlechter und Gattungen von organisirten Körpern
bewirkte, zu welchen sich in der jetzigen Schöp-
fung gar nicht einmahl ähnliche, geschweige spe-
cifisch gleiche, Urbilder finden; wie z.B. unter
den großen Landthieren das Ohio-Incognitum,
unter den Wassergeschöpfen in den Pappenheimer
Schieferbrüchen, manche so ganz fremdartige
Gattungen von Krebsen, das seltsame steifarmige
Medusenhaupt und andere mehr.
Von dieser, wie es scheint, bloß climatischen
Revolution kommt der Verf. endlich auf die noch
frühern, weit gewaltsamern, wodurch die feste
Rinde der Erde selbst so mächtige Umkehrungen
erlitten, daß z.B. vormahliger Meeresboden der
Urwelt nun mit sammt seinen ungestörten Con-
chylien-Lagern jetzt hohe Alpen deckt, und hin-
gegen vormahlige Landgewächse tief unter der
jetzigen Meeresfläche vergraben sind. Daß diese
so zerstörenden Catastrophen selbst wieder vielartig,
[Seite 1983] und nichts weniger als gleichzeitig gewesen seyn
müssen, lehrt der Augenschein. Aber es wird
vor der Hand noch kaum möglich seyn, eine be-
stimmte chronologische Unterabtheilung der suc-
cessiven Perioden, worin sie sich ereignet, ge-
schweige Angabe der Ursachen derselben, mit eini-
ger Sicherheit festzusetzen. Der Verf. begnügt
sich daher mit der Anzeige und kurzen Beschrei-
bung und Abbildung vorzüglich merkwürdiger,
bisher entweder noch gar nicht, oder unzuläng-
lich bekannter, in diese Abtheilung gehöriger,
Fossilien, zumahl aus den ältern Flözgebirgen und
Erdlagern (– älter nähmlich in Vergleich zu den
Lagerstätten jener Elephantenknochen etc. oder der
Pappenheimer, oder gar der Oeninger Schiefer-
brüche –), besonders aber von solchen aus den
Hannöverschen Churlanden und deren Nachbar-
schaft; als Nachlese zu dem, was von seinen
Vorgängern, seit dem genie- und kenntnißreichen
Jüngling Valer Cordus (der vor mehr als dritte-
halb hundert Jahren zuerst diese cosmogonischen
Urkunden hier zu Lande aufgesucht) davon bekannt
gemacht worden. Ein trockenes Nahmenverzeich-
niß aus dieser Nachlese wäre hier eben so wenig,
als eine ausführlichere Anzeige davon, an sei-
nem Orte.
Am Schlusse seiner Abhandlung kommt der
Hr. Hofrath. auf das allerdings höchst merkwür-
dige Problem, daß sich unter der Fülle von fossi-
len Incognitis der Urwelt doch auch solche or-
ganisirte Geschöpfe finden, die manchen jetzt existi-
renden Gattungen aufs unverkennbarste gleichen.
Soll man zur Lösung desselben annehmen, daß
jene alle diese Revolutionen glücklich überstanden,
und so ihr Geschlecht bis in die neueste Umschaf-
fung der Erde fortgepflanzt hätten? oder aber,
[Seite 1984] daß die bildende Natur bey diesen Umschaffungen
zwar auch zum Theil wieder Geschöpfe von ähn-
lichem Typus, wie die in der Vorwelt, von
neuem reproducirt, die bey weitem allermehresten
aber mit andern, der neuen Ordnung der Dinge
zweckmäßigern, Formen habe vertauschen müssen.
Aus physiologischen Gründen stimmt der Verf.
für die letztere Meinung, und glaubt hierin, wie
Lucretius, daß die Natur bey solchen Umschaffun-
gen, nach den dadurch anders modificirten Ge-
setzen des Bildungstriebes, quod potuit, nequeat;
possit, quod non tulit ante.