Im Stiftungsjahre der königl. Societät der Wis-
senschaften A. 1751 wurden in unsrer Nachbarschaft,
zwischen Osterode und Herzberg am Vorharz,
die fossilen Gebeine von nicht weniger denn fünf
präadamitischen Rhinocern ausgegraben; und
eines der ersten Mitglieder der Societät, so wie
einer der ersten Professoren der 17 Jahre vorher
gestifteten Universität, der verdienstvolle Hollmann,
ein bis in sein 90jähriges Alter an allem Zuwachs
im Gebiete der Naturwissenschaften lebhaft theil-
nehmender Mann, hat davon eine Beschreibung ge-
geben, die als Muster von anatomisch genauer ver-
gleichender Untersuchung solcher wichtigen osteologi-
schen Denkmahle der catastrophirten Vorwelt, in
der Literatur derselben eine Epoche macht. Sie
findet sich in demselben IIten Bande der Commenta-
rien, welcher auch Haller’s erste Vorlesung über die
Irritabilität, und Tob. Mayer’s Mondstafeln ent-
hält, diejenigen beiden Früchte der Societät, die zu-
erst den Nahmen von Göttingen auch ausser Deutsch-
land allgemein verbreitet haben.
Was jenen Fund für die physische Geschichte un-
sers Planeten besonders lehrreich macht, war die
Zahl dieser Ungeheuer, die da ihre gemeinschaftliche
Grabstätte gefunden hatten. Sie widerlegte sehr
entscheidend die sonst gäng und gebe Meinung, als
ob diese weiland tropischen Geschöpfe durch eine ge-
waltige Fluth aus Südindien nach der nördlichen
alten Welt getrieben seyn sollten: denn alle andre
Gegengründe abgerechnet, so frägt man, durch wel-
ches Wunder, oder vielmehr durch welche undenk-
bare Concurrenz von Wundern, solch eine Heerde
von Rhinocern aus dem Herzen von Indien nach
dem Fuße des Harzes, so ein 1500 Meilweges
weit, hätte ungetrennt gefluthet werden können.
Nun an eben diesem Gebirgsfuße, kaum eine
Stunde von jener Lagerstätte entfernt, zwischen
Osterode und Dorste, ist so eben ein andres ausneh-
mend ergiebiges Ablager von fossilen Knochen
sehr verschiedenartiger tropischer Geschöpfe, nah-
mentlich von Rhinocern, Elephanten und Hyä-
nen, entdeckt worden, wovon Hr. Hofr. Blumen-
bach durch die Fürsorge des Hrn. Amtmann Kern
zu Osterode, und des Hrn. Apotheker Hinck daselbst,
einen merkwürdigen Vorrath erhalten, und der kö-
nigl. Societät in einem zweyten Specimen archaeo-
logiae telluris (– s. diese Gel. Anz. vom J. 1801
St. 199 –) Nachricht davon ertheilt hat.
Sie fanden sich zwischen den dasigen Gypsfelsen in
einem Mergellager nur etwa zwey Fuß tief unter der
Oberfläche. Die darunter befindlichen Elephanten-
knochen sind auch von mehr als Einem Individuum.
Denn vier trefflich erhaltne Backzähne, die Hr. B.
vor sich hat, müssen, nach der Verschiedenheit ihrer
Größe und der eben so verschiednen Art, wie die
Mahlflächen ihrer Kronen, mehr oder minder, durchs
Kauen abgenutzt sind, wenigstens zweyen Individuen
[Seite 875] zugehört haben. – Man kennt die wundersame
Weise des Zahnens und des Zahnwechsels der Ele-
phanten, daß nähmlich ihre aus vertical stehenden
Platten bestehenden Backzähne nicht, wie bey an-
dern Thieren, mit der ganzen Krone, sondern erst
nur mit der vordern Ecke derselben, hervorbrechen,
worauf dann allgemach die dahinter gelegenen gleich-
falls aus dem Zahnfleisch herausgeschoben, und nach
und nach durchs Kauen abgeschliffen werden; und daß
hinwiederum mit den Jahren die vordern verticalen
Zahnplatten nach der Reihe durch Absorption schwin-
den, so daß von einem vorher in seiner vollen
Größe bis zwölf und mehr Pfund wiegenden Back-
zahn nachher gleichsam nur noch ein verkleinertes
Modell von wenigen Lothen übrig ist.
Die gedachten vier fossilen Backzähne machen zu-
sammen eine seltne und lehrreiche Folge, um dieß
zu versinnlichen. An dem größten, auf der Bahn
7 Pariser Zoll langen, von 16 Platten, ist nur die
vordre Ecke wenig abgeschliffen; die übrige Krone
hat noch so, wie sie im Zahnfleisch gelegen, ihren
convexen unversehrten Rücken. An dem zweyten,
5 Zoll langen, von 12 Platten, ist die Hälfte der
Krone durchs Kauen abgerieben. Der dritte, 4 Zoll
lange, von 8 Platten, hat eine völlig ebne Mahl-
fläche. Vom allerkleinsten, keine 2 Zoll langen, von
6 Platten, ist bey weitem der größte Theil der gan-
zen Krone abgeschliffen. Auch zwey – aber eben-
falls nicht zusammenpassende – Elfenbein- oder
Stoßzähne finden sich darunter; beide von jungen
Thieren; der eine, 2 Pariser Fuß 4 Zoll lang. Wir
übergehen die bloße Anzeige der übrigen Knochen
von Elephanten und Rhinocern.
Das Seltenste in diesem Fund aber ist ein aus
seinen beiden zusammenpassenden Hälften bestehender,
fast vollständiger, Unterkiefer einer mächtig großen
[Seite 876] und – wie die durch vieljähriges Zerfleischen stark
abgenutzten Zähne zeigen – hochbetagten Hyäne.
So viel bekannt, das completste Stück dieser Art,
das noch gefunden ist. Denn daß sonst auch fossile
Hyänengebeine neben denen von Elephanten und
Rhinocern in Deutschland und Frankreich ausgegra-
ben worden, wissen wir aus Hrn. Cüvier’s classi-
schen gehaltreichen Arbeiten über alle diese fossilen
Denkmahle der Vorwelt.
Aus der Nachbarschaft jenes ergiebigen Ablagers
bey Osterode, doch mehr gen Herzberg zu, war
Hrn. B. schon vorher ein mit seinen Backzähnen ver-
sehenes Stück vom fossilen Kiefer eines löwen-
oder tigerartigen Raubthiers gebracht worden; die
gleiche Thierart, wovon sich auch der schöne Ober-
schedel aus der Scharzfelder Knochenhöhle in der
Leibnizischen Sammlung im academischen Museum
befindet, den neuerlich der Hr. geh. Rath Sömmer-
ring mit seiner meisterhaften Genauigkeit beschrieben
hat. Nun dazu den colossalen Höhlenbär selbst
gerechnet, dessen zahllose Gebeine sowohl in der
Scharzfelder als Baumannshöhle gefunden worden,
so gibt dieß zusammen einen ganz bedeutenden Bey-
trag zur präadamitischen Fauna der nunmehrigen
Harzgegend.
Hr. B. fügte seiner Nachricht ein Verzeichniß der
ihm bekannten Stellen des Harzes bey, wo früher
schon Reste vom fossilen Elephas primigenius aus-
gegraben worden. Zuerst schon in der Mitte des
17. Jahrh. bey Herzberg (Dr. Scheffer’s Harzreise
vom J. 1663, in Grundig’s Sammlungen); 1724
bey Osterode (der Ilfelder Ritter, in Handschriftl.
Nachr.); 1742 eben daselbst (Dr. König, in Kohl’s
Hamburg. Berichten); 1748 bey Mauderode im
Hohnsteinischen (Ritter); 1803 bey Steigerthal
in der gleichen Grafschaft (Hr. Hofr. Feder, im
[Seite 877] Hannöverschen Magazin), und zu verschiednen Zei-
ten selbst in der Baumannshöhle (nach Lesser,
Zückert, Silberschlag und Merk).
Zum Schluß auch ein Wort über den langsamen
Gang, den die Anerkennung der fossilen Elephanten
für das, was sie sind, genommen hat, als merk-
würdiges Beyspiel des Ganges so mancher Aufklä-
rung in Erfahrungswissenschaften überhaupt, wenn
er durch einmahl verjährte Vorurtheile erschwert
wird.
Schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der
fürwahr große, nur leider zu überschwenglich schreib-
selige Naturforscher Aldrovandi einen unverkennbar
fossilen Elephantenkiefer, als solchen beschrieben;
nicht in seinem mineralogischen Werke, sondern in
der trefflichen Jugendarbeit von den antiken Sta-
tüen in Rom (– wo auch Er zuerst der Mediceischen
Venus, des so genannten Antinous, des Schlei-
fers etc. gedacht hat –). Und doch haben erst noch
zwey lange Jahrhunderte dazu gehört, ehe endlich
die Ueberzeugung von der Wirklichkeit der zahllosen
fossilen Elephantenknochen, selbst bey den Herren
von der gelehrten Bank, allgemein geworden. –
Wie 1695 das schöne Elephantengerippe bey Tonna
im Gothaischen ausgegraben ward, war es kein
Naturkündiger von Profession, sondern der wackre
Bibliothekar und Historiographus in Gotha, Ten-
zel, der es sogleich für das, was es war, aner-
kannte. Da hingegen das ganze zeitige Collegium
medicum dasigen Orts in derben, nun freylich
längst verschollenen, Druckschriften es für ‘“ein mi-
nerale”’ erklärte, ‘“so in der marga arenosa, gleich-
sam in sua matrice, nach und nach gezeugt wor-
den”’. – Und der sonst grundgelehrte Hiob Ludolf
wollte, wenn das ja ein Elephant seyn sollte, ihn
lieber für Karl’s des Großen seinen halten, als zu-
[Seite 878] geben, daß er fossil sey, und von einer Erd-Cata-
strophe zeuge, weil er meinte: unico hoc exem-
plo contigisse, cum nullum aliud unquam datum
fuerit (in J.D. Winkler’s theolog. Abhandl.) –
Als lange vorher, 1577, dergleichen Gebeine unter
einer vom Sturm ausgewurzelten Eiche im Lucerner
Gebiet aufgefunden waren, erklärte sie der tüchtige
Anatome, Fel. Plater, Prof. zu Basel und Lehrer
von halb Europa, zwar für wahre Knochen, aber
nicht von Elephanten, sondern von einem netto 19
Fuß langen Menschenkinde; auf welches Wort eines
solchen Meisters dann auch die Lucerner diesen ver-
meinten Riesen von Stund an zum Schildhalter ih-
res Stadtwapens erkohren, ihn in Lebensgröße am
Rathhaus ausmahlen ließen, und seine Gebeine bey
dem heiligen Panner, das der edle Petermann von
Gundoldingen in der Sempacher Schlacht getragen,
und das mit seinem Heldenblute getränkt ist, im Stadt-
Archiv aufbewahrten. – Ein neuerer hochverdien-
ter Gelehrter, der Landvoigt Engel, glaubte, daß
unser Planet vor der jetzigen Schöpfung von den
gefallenen Engeln bewohnt gewesen, und daß man-
che vermeinte fossile Elephantenknochen, und dar-
unter nahmentlich jene Lucerner, den Gerippen
solcher Engel zugehört haben (quand et comment
l’Amérique a-t-elle été peuplée). – Der große
Leibniz ließ einen bey Tiede unweit Wolfenbüttel
gegrabenen Elephanten-Backzahn mit der Beyschrift
stechen: Dens animalis marini Tidae effossi.
Und ein sonst braver Oryktologe nimmt das in einer
seiner nützlichen Schriften für ein ihm unbekanntes
Seethier, Nahmens Tiede. – Eine abgelösete
einzelne Vertical-Platte eines jungen Elephanten-
Backzahns hielt ver verdiente Kundmann für eine
versteinte unschätzbare Pavianspfote, so wie ähnliche
Stücken weiland für gefingerte lusus naturae gehal-
[Seite 879] ten worden: ein Wahn, den doch schon der wackre
Regensburger Apotheker Harrer vor 60 Jahren wi-
derlegt hat (in Kohl’s gesammeltem Briefwechsel
der Gelehrten).