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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1809.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 1049]

In der Versammlung der königl. Societät der
Wissenschaften am 10. Junius ward derselben eine
aus mehrerer Rücksicht lehrreiche Abhandlung eines
ihrer verdienstvollen Mitglieder, des Hrn. Präfectur-
Rath Westfeld zu Weende, über die letzte Aus-
bildung der obersten Erdrinde der Gegend um
Göttingen,
vorgelegt, worin der Verf. hauptsäch-
lich das Vorkommen und die Entstehungsart der
aufgeschwemmten Erdlager, zumahl des für die hie-
sigen Gegenden als Baustein so wichtigen Mergel-
tuffs, untersucht: ein für die neuere Geschichte un-
serer Erde bedeutendes Naturereigniß, das aber,
ungeachtet es uns so viel näher liegt, als die Bil-
dung der ältern Flöz- und Gang- und Urgebirge,
doch den bisherigen geologischen Untersuchungen über
unsre Gegend, selbst in Leibnizens Protogäe, fast
ganz übergangen worden. Hingegen hat sich der
Hr. Präfectur-Rath schon in seinen frühern minera-
logischen Schriften damit beschäftigt, und sich neuer-
lich noch durch die so vortheilhafte Anwendung die-
ses Tuffs zu freystehenden, über tausend Fuß lan-
gen, Mauern ein wichtiges Verdienst erworben.

[Seite 1050]

Zuerst genaue Bestimmung des Laufs der Flöz-
gebirge im hiesigen Leinethal; zumahl der vom obern
Eichsfelde kommenden Kalkgebirgskette, wozu unser
Heinberg (die berühmte Grabstätte so vieler prä-
adamitischen Seegeschöpfe) gehört; und des jenes
Thal quer durchschneidenden Flözes von rothem
Sandstein (Hrn. Werner’s bunter Sandstein oder
Flözsandstein zweyter Formation), welcher letztere
weiland gleichsam einen Damm für die das Thal da-
mahls bedeckenden Wasser gemacht haben muß.
Denn der tiefere Untergrund, der den Boden der
hiesigen Brunnen ausmacht (als durch welchen man
wegen der alsdann aufsteigenden Wasser nicht tiefer
dringen kann), besteht aus Geröllen, meist von
Kalkstein, deren Vorkommen dafür zeugt, daß der-
selbe in jenen Zeiten ein großes Flußbette gewesen
seyn müsse. Die Folge der successiven Durchbrüche
dieses Wassers bestimmt der Verf. zwischen hier und
Hannover an sieben verschiedenen Stellen. Von
dem letzten dieser Durchbrüche, wodurch der Göt-
tingische Boden aufs Trockene versetzt worden, da-
tiren sich die mancherley Schichten, die nun jenen
Untergrund decken, und von dem Hrn. Präfectur-
Rath genau untersucht und bestimmt worden. Un-
ter andern auch nesterweise ein schwarzes blättriges
brennbares Fossil, das, wie es scheint, meist aus
Schilfblättern entstanden, und der von den Herren
Klaproth und Gehlen untersuchten Erdkolla oder
Torfgallerte aus Ostpreussen ähnelt. – Der dar-
über liegende reine Mergeltuff ist von verschiedener
Mächtigkeit, von 3 bis 20 Fuß, größten Theils
röhrenförmig als osteocolla von incrustirtem Schilf,
Wurzelgestrüppe etc., durch und durch mit einge-
mengten calcinirten Schalen von hieländischen Land-
und Fluß-Conchylien (zumahl von Nerita valvata,
Turbo perversus
, und wenigstens einem Dutzend
[Seite 1051] Gattungen des Helix-Geschlechts), theils noch mit
ihren natürlichen Farben. Einzeln finden sich auch
Knochen von Säugethieren darin, nahmentlich von
Füchsen und Schweinen (– so wie anderwärts auch
die Gebeine von präadamitischen, jetzt bloß tropi-
schen, Thiergeschlechtern, z.B. bey Burgtonna im
Gothaischen die vom Elephas primigenius, Rhi-
noceros antiquitatis
u.a.m., aus deren Vorkom-
men in den dasigen Mergeltufflagern Hr. Hofrath
Blumenbach einen Hauptgrund für die Meinung ge-
zogen, daß jene Thiere einst in jenen Gegenden ein-
heimisch gewesen seyn müssen, s. dessen Beytr. zur
Naturgeschichte I. Th. S. 16 u.f. –). Aber nie ist
dem Hrn. Präfectur-Rath Etwas von Menschenkno-
chen, geschweige von Artefacten, darin vorgekom-
men. (– Auch dem Verfasser dieser Anzeige sind
die Menschengebeine, die Schober, und das Zulege-
messer, welches Hr. Bergrath Voigt im Tuffstein
gesehen zu haben meldet, noch höchst zweifelhaft –).
Und die Urnen, die auch in hiesiger Gegend häu-
fig ausgegraben werden, und doch wenigstens auf
1000 Jahre alt seyn müssen, stehen immer auf dem
Tuff, sind nie damit umzogen oder bedeckt. (– So
wie auch bey Wisbaden das Römische Mauerwerk
ebenfalls über dem Tuffstein steht –).



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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