De origine paris quinti nervorum cerebri
monographia, auctore Gu. Herm. Niemeyer,
M. D. 1812. 94 Seiten in Octav, mit Kupfern. –
Der Verfasser, ein Sohn des verdienten Hrn. Canz-
lers und Ritters zu Halle, hat in dieser wackern
Probschrift einen schwierigen und interessanten Ge-
genstand der feineren Neurologie, nähmlich den Ur-
sprung des so wichtigen fünften Nervenpaares,
innerhalb seines bekannten Austritts unter den
Seitenschenkeln des kleinen Hirns, gleichsam nach
der Quelle hin, zu verfolgen gesucht. Er beschreibt
die Handgriffe und andere Hülfsmittel, deren er
sich dabey bedient; unter letzteren besonders die
seit Monro, dem Vater, dazu angewandten mine-
ralischen Säuren, deren Gebrauch er wider die da-
gegen gemachten Einwendungen in Schutz nimmt.
Die Schrift begreift zwey Haupttheile. Der erste
enthält, nach dem Muster der trefflichen Göttin-
gischen neurologischen Dissertationen, die Litterär-
geschichte des Gegenstandes in chronologischer Ord-
[Seite 194] nung; der zweyte hingegen die eigene anatomische
Untersuchung, welche durch zwey nette Kupfer, in
der solchen Gegenständen vorzüglich angemessenen
Rolet-Manier, erläutert wird. Dieser Theil zer-
fällt in vier Abschnitte: I. vom Ursprunge und
Fortgange des fünften Nervenpaares im Hirn,
von dem Austritt seiner beiden ungleichen Portio-
nen aus den eigenen Spalten in den gedachten
Seitenschenkeln, unter den Hinterschenkeln fort,
durch Varol’s Brücke bis ins verlängerte Mark,
und, wie es auch der Verf. wahrscheinlich fin-
det, wohl bis in die so genannten corpora oli-
varia. Recht nützlich macht er dabey auf die
natürliche Lage des Nerven bey der aufrechten
Stellung des Körpers attent, die bey den gewöhn-
lichen anatomischen Demonstrationen, besonders des
Gehirns, gar leicht übersehen wird. Von vier
unverästelten Arterien auf den so sehr verflochte-
nen Nervenfäden des Stammes. II. vom Fort-
gange der größern Portion nach dem Austritt des
Nerven aus der Brücke, besonders vom Zuwachs
seiner Fäden aus dem von Bichat beschriebenen
markigen Knöpfchen, und von seiner Scheide aus
der Duplicatur der harten Hirnhaut, so wie von
zweyerley Quasi-Sesamsbeinchen in dieser Gegend
der d. m., nähmlich außer dem bekannten auch
noch ein seltneres, wie es scheint, vorher noch
nicht angemerktes. Auch der Verf. hat sich von
der Nonexistenz der vorgeblich von jener Nerven-
Portion nach der harten Hirnhaut laufenden Fä-
den überzeugt. III. besonders vom innern Gefüge
des bogenförmigen Querwulstes, den man einmahl
mit dem Nahmen Ganglion Gasseri belegt hat,
dessen Textur aber von der der eigentlichen Nerven-
knoten gar sehr abweicht; mit Kupfern allerdings
[Seite 195] sauberer, als die von dem sonst auch um diesen
Gegenstand sehr verdienten Prochaska. Nach
des Verf. Untersuchung scheinen die Fäden dies-
seit und jenseit des Wulstes nicht mit einander zu
continuiren, sondern innerhalb desselben durch klei-
ne Knötchen, die der Form nach gleichsam den Haar-
wurzeln ähneln, au einander zu hängen; eine Ver-
bindungsart, die er, wenigstens zum Theil, mit der
zwischen der pars foetalis und uterina im Mutter-
kuchen vergleicht. IV. vom Verlauf der kleinern
Portion des fünften Haares meist nach Palletta (der
oft genannt, aber nie richtig geschrieben ist), doch
auch nicht ohne eigene Bemerkungen.
Der historische Theil der Schrift könnte zu aller-
hand Berichtigungen Anlaß geben. Wie z.B. daß
die herrlichen, seitdem nicht wieder erreichten, Holz-
schnitte in der Originalausgabe von Vesal’s Meister-
werke, die eben deßhalb in der Kunstgeschichte
Epoche machen, hier für Kupferstiche angegeben
werden. – Oder, daß gesagt wird, Lancisi habe die
posthumen Eustachischen Tafeln zuerst 1721 (1722)
in Amsterdam heraus gegeben. Aber der päpstliche
Leibarzt publicirte die Originalkupfer seines großen
Fundes unter den Auspicien von Clemens XI. in
Rom selbst schon 1714. Jenes hingegen war ein,
nicht getreuer, Nachstich. Doch dergleichen kann
und mag in einer anatomischen Schrift als Kleinig-
keit hingehen. – Auch, daß dem Verf. manches
hieher Gehöriges entgangen (wie z.B. des Dr. Da-
niels prodromus gustus organi novissime de-
tecti, der von S. 54_... 72 ebenfalls die frühern
Meinungen vom Ursprunge des fünften Paares auf-
zählt, und dann p. 73_... 78 seine, oder seines
Lehrers, Beobachtungen darüber mittheilt), ist
leicht zu entschuldigen. – Anders aber verhält
[Seite 196] es sich mit einem sehr unbilligen Urtheil über
unsern großen, um die Wissenschaften, und un-
sere Universität, und nahmentlich um die Socie-
tät, unter deren Aufsicht diese Blätter erschei-
nen, so hoch verdienten Haller, von welchem
es p. 29 heißt: Tanta invaluerat Viri auctori-
tas, ut litterarum rem publicam in monarchiam
potius converteret, in qua per aliquod tempus,
non nisi uni jus decidendi competere videba-
tur. – Nein, gegen diesen grundlosen Vorwurf
würden sogar die Manen des Heeres seiner Geg-
ner bey seinen gelehrten Streitigkeiten, nahment-
lich die von der Wiener, Leydener und Edinburgher
Schule, gar sehr protestiren; und Haller selbst,
dieser
wie ihn unser unbestechbarer Werlhof nannte,
dürfte sich nur auf die vielen Verbesserungen und
Berichtigungen, die er von Andern angenommen,
überhaupt aber schon auf die flüchtigste Verglei-
chung seiner spätern Werke und Ausgaben mit den
frühern, berufen; wie. z.B. seiner Noten zu den
Boerhaavischen Prälectionen mit den Elementis,
und dieser hinwiederum mit dem durch seinen Tod
unterbrochenen opus 50 annorum de corp. hum.
functionibus. – In Betreff des letztern schrieb
er dem Rec. vor 36 Jahren: ‘“ich danke der Vor-
sehung, die mir so viele Lebenszeit gegeben hat,
daß ich eine neue Auflage der Physiologie habe
ausarbeiten können, ohne die ich der Welt viele
Fehler würde zu widerlegen gelassen haben.“’ Aber
gerade dieses letzte Hauptwerk des großen Man-
nes scheint unserm Verf. unbekannt geblieben zu
seyn, worin er sonst (Tom. VIII. p. 336) auch
[Seite 197] dessen Verbesserung der Stelle vom Ursprunge der
beiden Portionen des fünften Nervenpaares ge-
funden haben würde.