Die vom Hrn. Hofr. Blumenbach bey der neu-
lichen Stiftungsfeyer der Königl. Societät gehaltene
Vorlesung betraf ein Specimen historiae naturalis
ab auctoribus classicis praesertim poetis illu-
stratae, eosque vicissim illustrantis; gleichsam
ein Seitenstück zu seiner Abhandlung von Erläute-
rung der Naturgeschichte aus den Kunstwerken
des Alterthums die im 16ten Bande der Commen-
tationes abgedruckt ist. Nur beschränkt er sich in
der dießmahligen bloß auf Stellen aus Griechischen
und Römischen Dichtern und Geschichtschreibern, mit
Ausschluß der alten Aerzte und eigentlichen Natur-
historiker. Doch war er eben durch diese schon
früh auf die Naturwissenschaftliche Benutzung von
jenen aufmerksam worden, wenn er so oft in Ari-
stoteles zoologischen und in Galen’s physiologischen
Werken den Homer, Euripides u.a. nicht zum
Schmuck, sondern als bedeutende Autoritäten, an-
geführt fand.
Wir heben einiges aus der Vorlesung aus, theils
an sich ungemeine und doch ganz naturgetreue Be-
merkungen bey den Alten aus jenen Classen, oder
denen doch der Verf. den nächsten Anlaß zur eignen
weitern Untersuchung verdankt.
So z.B. – Ovid schildert die ganz auffallende
Stärke der Irritabilität der Zunge, die Tereus
seiner von ihm geschändeten Schwiegerinn ausschnei-
det, (Metamorph. VI. 557 u.f.) Radix micat
ultima linguae, Ipsa jacet – Utque salire solet
mutilatae colubrae, Palpitat etc. – Hr.
Bl. hatte früher zwar manches in dieser Schilderung
auf poetische Licenz geschrieben, aber doch nie be-
zweifelt, daß die Zunge mit ausgezeichneter Reitz-
barkeit (– im eigentlichen physiologischen Sinne –)
versehen sey; und es war ihm daher unerwartet, als
er vor zwölf Jahren in einem übrigens vortrefflichen
Aufsatz über den Bau derselben in den philosophi-
cal Transactions die gegenseitige Behauptung las,
das innere Gefüge derselben sey minder reitzbar als
kaum irgend ein anderer organischer Theil des Kör-
pers. (‘“The internal structure of the tongue
is less irritable than almost any other orga-
nized part of the body.”’) Um also hierüber ins
Reine zu kommen, hat Herr Bl. seitdem keine Ge-
legenheit versäumt bey Vivisectionen von Säugethie-
ren die Reitzbarkeit ihrer Zunge durch Versuche zu
erproben, und suchte nun das damit zu vergleichen,
was andere Beobachter darüber bekannt gemacht.
Die nützlichsten Beyträge erwartete er bey den
Schriftstellern über die nach unserm Haller benannte
Irritabilität nach der Mitte des vorigen Jahrhun-
derts; dann bey denen über den Galvanismus aus
dem letzten Decennium desselben; und endlich bey
dem Heer der so genannten medicinisch-chirurgischen
Observatoren. Aber es ist anmerkenswerth, daß
in allen diesen drey Feldern, so weit sie der Verf.
aus dieser Rücksicht besucht hat, die Ernte unter
aller Erwartung ärmlich ausgefallen. Auch in der
großen Hallerschen Physiologie ist die Sache mit
den drey Worten abgethan ‘“irritabilitate lingua
gaudet.”’ Hingegen ist der Herr Hofrath auf dem
Wege der eignen Versuche glücklicher gewesen, und
[Seite 2035] hat bey denjenigen Säugethieren deren gleich im
Tode warm ausgeschnittene Zunge er mit mancherley
mechanischen und chemischen Reitzmitteln behandelte,
immer sehr sichtliche Vibrationen und Zuckungen in
den frisch durchschnittenen Fleischfasern der eigent-
lichen Zungensubstanz bemerkt; nur wie bey allen
oft wiederhohlten Versuchen dieser Art, nach Ver-
schiedenheit der (– nicht immer erklärbaren –)
Umstände von ungleicher Lebhaftigkeit oder Dauer.
Noch wenige Tage vor der Societäts-Sitzung ließ
er einem vierjährigen Ochsen der in seiner Gegen-
wart durchs Halsabschneiden und Verbluten (– ab-
sichtlich weder durch den Stirnschlag noch durch den
Genicksang –) getödtet ward, die warme Zunge,
und zugleich zum comparativen Versuch das Herz,
das sonst allerirritabelste von allen muskulosen Or-
ganen, ausschneiden. Letzteres verlor aber während
es noch warm war alle sichtliche Spur von Reitzbar-
keit 7 Minuten früher als die Zunge, deren Spitze
nach einem Quereinschnitt in die vordere Hälfte, so
auffallend lebendige Bewegung zeigte, daß eine dabey
stehende Frau sie den lebendigen Stücken eines zer-
schnittenen Aals (– so wie oben der durch dieses
unbefangene Wort so vollkommen gerechtfertigte
Dichter mutilatae caudae colubrae –) verglich.
Diesen Versuchen fügte aber der Verf. auch eine an
der Menschen-Zunge zufällig gemachte und aufs voll-
kommenste damit übereinstimmende Beobachtung bey,
deren erste Kenntniß er noch seinem ehrwürdigen
Freunde dem sel. Reimarus verdankt, und späterhin
von dem trefflichen Arzte der sie angestellt, Hrn.
Dr. Chaufepié in Hamburg die umständliche Be-
stätigung darüber erhalten hat. Ein Knabe hatte
sich in einem epileptischen Anfalle ein Stück von der
Zunge so abgebissen, daß es nur noch wie mit einem
Läppchen daran hing und beschwerlich war. Es ward
also abgeschnitten, und da es der eben genannte Arzt
in die Hand nahm, sah er daß es sich merklich regte.
[Seite 2036] Um sich aber vor Täuschung von etwaniger Bewegung
der Muskeln in der Hand zu sichern, legte er es auf
die Fensterbank. Allein auch hier bewegte es sich,
wie alle Anwesende sahen, so, daß es sogar aus der
Stelle rückte, und dieses mehrere Minuten lang.
Künstliche Reitze, mit einer Nadel oder mit Salz,
erregten auch Bewegung, aber nicht stärker als die
von selbst erfolgte gewesen war.
Xenophon in seinem selbst so unterhaltenden
Werke vom Rückzug der Zehntausend, beschreibt im
vierten Buche, wie so viele dieser seiner Landsleute,
als sie im Januar (nach unsrer Jahrsrechnung) über
die beschneiten Gebirge von Armenien ziehen mußten,
von der Schneeblindheit befallen worden, und wie
man sich dann dagegen zu schützen gesucht, daß man
was schwarzes (μελαν τι) vor die Augen genommen.
Das hat Hrn. Bl. veranlaßt, sowohl über die Schnee-
blindheit selbst, wie sie zumahl in den Nordländern
beider Welten gleichsam endemisch ist, als über die
verschiedenen Schutz- und Heilmittel deren man sich
dagegen bedient, die Reisebeschreiber etc. zu ver-
gleichen. Hier nur ein Wort von zweyen der mecha-
nischen Schutzmittel die in der Versammlung vor-
gezeigt wurden. Das eine, was schwarzes vor die
Augen, so recht nach jener Griechen Weise, dessen
sich die Tataren auf ihren Winterreisen allgemein
bedienen, gehört zu den vielfachen Geschenken, womit
der unermüdete Wohlthäter unserer Institute, der
unvergeßliche Baron von Asch das academische
Museum bereichert hat. Eine Augenbinde (Kaar-
Yoeslik) aus Pferdehaaren, aber so bauchicht ge-
flochten, daß sie der freyen Bewegung der Augen-
lieber nicht hinderlich wird. – Das andre ist von
Labrador. So viel der V. auch von dem wundersamen
Scharfsinn den die rohen Eskimos und Grönländer
in der so zweckmäßigen Verfertigung ihrer Schnee-
brillen zeigen oder von ihren so genannten Schnee-
augen bey Heinrich Ellis, David Cranz u.a.
[Seite 2037] gelesen hatte, so wenig vermochte er sich doch aus
ihren Beschreibungen eine deutliche Vorstellung
davon zu machen, bis ihm einer seiner Corresponden-
ten in der evangelischen Brüdergemeinde eine solche
von den Eskimos selbst verfertigte Brille von der
Mission Hoffenthal auf Labrador kommen ließ. Von
Seiten der Einfachheit das Kunstloseste und zugleich
wegen seiner vollsten, man möchte sagen raffinirten
Zweckmäßigkeit vollkommenste Schutzmittel was nur
gegen die Schneeblindheit ausgesonnen werden kann.
Aus dem räthselhaften Treibholz geschnitzt; feder-
leicht; der obere Vorderrand vor dem untern weiter
vorstehend um desto besser das Licht von oben und
den Schnee selbst abzuhalten. Zum erstern Zwecke
auch die vordere Wand mit Lampenruß geschwärzt.
Sehr enge und doch vollkommen hinreichende scharfe
Querschnitte zum Durchsehen. An den innern untern
Rändern die an die Backenknochen zu liegen kommen
ein Paar Kerben, schwerlich zu was anderm als zu
kleinen Aquäducten für die Thränen u. dergl. m.,
was sich aber erst durch eine Abbildung recht ver-
sinnlichen läßt. Uebrigens hat der Verf. im vorigen
Sommer bey einem hartnäckigen Augenübel häufige
Gelegenheit gehabt von dieser Schneebrille den er-
wünschtesten Gebrauch zu machen. Denn wenn er
doch oft bey voller Hellung sich mit Naturalien und
Präparaten beschäftigen mußte, so hat er das nie
mit weniger Beschwerde thun können, als wenn er
sich dabey dieses Eskimotischen Hülfsmittels be-
diente. Auch bestätigen alle die dasselbe bey ihm
versucht die Richtigkeit dessen, was Ellis sagt, daß
es auch außer der Schneeblendung sehr gut statt
Fernglases zu gebrauchen ist.
Das seit Lucrez (IV. 332 u.f.) und Varro (in
den Fragm. aus den Eumeniden) bis auf Boerhaave
von so vielen als ausgemacht angenommene, und selbst
als Metapher in die Sprache übergegangene, hingegen
neuerlich von andern als unrichtig verworfene und
[Seite 2038] zuletzt nur auf einzelne seltnere Fälle beschränkte
Gelbsehen der Gelbsüchtigen, hat den Verf. veran-
laßt, nach eigener Beobachtung und Erkundigung bey
erfahrnen Aerzten von seiner Bekanntschaft, beson-
ders aber nach critischer Vergleichung der seit Mor-
gagni von einigen neuern, nahmentlich von Fel.
Fontana und Ant. Durazzini benutzten Gelegenheit
die Augen von verstorbenen Gelbsüchtigen sorgfältig
zu zergliedern, jene seltne Fälle nach ihren Bedin-
gungen näher zu bestimmen. Beyläufig von dem
Fehler, wenn nur das Eine übrigens gesunde Auge
das weiße gelblich sieht, wie es Rohault nach ange-
strengtem Sehen durchs Fernrohr, und der Verf. eine
lange Zeit nach anhaltendem Gebrauch eines zusam-
mengesetzten Microscops erfahren. Hingegen ist ihm
unwahrscheinlich was Voltaire vom Mahler Jou-
venet sagt, er habe die Gegenstände eines ähnlichen
aber habituellen Augenfehlers wegen, gelblich ge-
mahlt; und wenn Raph. Mengs und Winkelmann
das mangelhafte Colorit ihres Freundes Gavin Ha-
milton einem gleichen organischen Fehler zugeschrie-
ben haben. Denn, den Augenfehler selbst zugegeben,
so sollte man doch vermuthen, daß sich die daraus
entstehende Täuschung eben so wohl auf ihre Mahler-
farben erstreckt, und diese dann auf alle andere ge-
sunde Augen u.a. wieder die wahre naturgemäße
Wirkung gehabt haben müßten.
Wenn Homer und nach ihm andere Griechische
und Römische Dichter den Löwen im Zorne schildern,
so lassen sie ihn sich, ganz nach der Natur, mit dem
Schwanze an die Seiten schlagen. Mox ubi se
saevae stimulavit verbere caudae sagt Lucan;
und alte Naturforscher wie Alexander von Aphrodi-
sias stellen es als ein Problem auf, warum nur dieses
Thier und der Stier dieß im Zorne thue, da es bey
andern vielmehr Anzeichen des zuthuigen Schmei-
chelns sey. – Der Scholiaste zum Homer, der so-
genannte Didymus sagt bey der Stelle zur Ilias
[Seite 2039] XX. 170. wo eben der zornige Löwe auf die gedachte
Weise geschildert wird: ‘“Das Thier habe im Schwanze
mitten zwischen den Haaren einen schwarzen Stachel,
gleich einem Hörnchen, womit es sich steche und da
durch dann heftiger zum Zorne reize.”’ Das ist von
Eustathius zu jener Stelle und auch im Etymologi-
con M. wiederhohlt; hingegen von den neuern Com-
mentatoren um so eher als Fiction verworfen worden,
da keiner von den Zootomen, welche Löwen zu zerglie-
dern Gelegenheit gehabt, dieses Stachels gedenke.
Auch Serao nicht, der doch sonst das Schwanzende des
Thiers besonders genau beschreibt. – Hr Bl. erhielt
vor einiger Zeit von einer hohen Hand, der er schon
so viel Belehrendes für seine Studien verdankt, eine so
eben gestorbne zehnjährige Löwin, die außer vielfachen
andern instructiven das ihm ihre Zergliederung dar-
both, auch die Ehrenretterinn des in puncto des Lö-
wenschwanzes der Unwahrheit geziehenen guten alten
Scholiasten ward. Denn wirklich zeigte sich an ihrem
Schwanzende eine hornartige Spitze, da wo sie in der
Haut saß, mit einer scharfen ringförmigen Falte um-
geben, und wie sich bey sorgfältiger Section dieser
Stelle des Coriums fand, mit einem ovalen folliculus
verbunden. Das alles zwar so winzig klein und der
zarte Stachel so zwischen den langen Büschelhaaren
verborgen, daß freylich von dem vorgeblichen Nutzen
des Stachels beym alten Scholiasten, der auch Wahr-
heit und Dichtung zu verweben gewußt, kein Gedanke
bleibt; übrigens aber doch in seiner ganzen Form so
bestimmt, daß es schwerlich für ein bloß zufälliges
abnormes Gebilde zu halten ist. Andre die Gelegen-
heit haben, mögen weiter nachsuchen, ob und was für Modi-
fication in diesem kleinen Organ sich etwa nach Verschieden-
heit des Alters und Geschlechts etc. zeigt. Dem Verf. der ohne
jenen Fingerzeig des alten Griechen wohl gewiß von diesem
Umstand so wenig als einer seiner zootomischen Vorgänger
erfahren haben würde, diente er hier zu einem neuen Beweis
dessen, wovon er in seiner Vorlesung ausging, von dem be-
wundernswerthen Beobachtungsgeist der herrlichen Alten
[Seite 2040] und ihrem scharfen Tact in der überall, nahmentlich aber
beym Studium der Naturgeschichte, so wichtigen und doch
nichts weniger als eben gemeinen Kunst zu sehen.
Auch die Benutzung des wichtigen und in seiner Art ein-
zigen Geschenks das der grundgelehrte Dean of Westmin-
ster neuerlich der Königl. Societät gemacht (davon oben im
146. St. dieser Anz. S. 1438 u.f.) hat Hrn. Bl. Anlaß zu
Untersuchungen für seine Abhandlung gegeben. – Z.B.
über die Vorstellung von Bildung der Mongolischen Rasse
des Menschengeschlecht bey den Alten, sowohl in antiken
Kunstwerken die dahin gedeutet worden, als in ihren Be-
schreibungen. Von erstern ist ihm aber kein einziges echtes
bekannt. Denn daß Archäologen wie Hancarville, und
Anthropologen wie Hr. Virey ein bronzenes Caricatur-
figürchen eines Silen’s (in den Bronzi di Ercolano T. II.
tab. 88.) für einen Mongolen ansprechen konnten, bleibt
ihm räthselhaft. Von Beschreibungen jener Rasse aber bey
alten Schriftstellern hält er eben die in dem von Hrn. Dr.
Vincent commentirten Periplus des Arrian’s für die bün-
digste, da sie den richtigen anthropologischen Character ohne
unpassende Attribute enthält. (– Wie dieß hingegen bey
Herodot’s Schilderung der Argippäer der Fall ist, in welcher
die γενεια μεγαλα das ganze Bild entstellen, weshalb sich Hr.
Bl. außer den Schedeln und Porträtmäßigen Abbildungen
in seiner Sammlung, aus die Beobachtung der lebendigen
Mongolen, die wir neuerlich auch hier zu sehen Gelegenheit
gehabt, und auf das Wort von Pallas beruft, als welcher
ausdrücklich ‘“ein kurzes Kinn”’ zu den allgemeinen Wahr-
zeichen der Kalmückischen und aller Mongolischen Gesich-
ter rechnet. –)
Bey Gelegenheit der merkwürdigen Nachricht von zufällig
verwilderten Schafen in Nearch’s Periplus, überhaupt
von Hausthieren die wieder in Wildniß gerathen, besonders
in Bezug auf Varro de R.R. II 1. 5.
Aus einer von den zahlreichen handschriftlichen Margina-
lien des Hrn. Dr. Vincent zu dem gedachten Exemplar
seines Meisterwerks erfuhr der Verf. der Vorlesung, daß der
berühmte Reisende Hr. Salt den wahren Opsian auf der
im Periplus des rothen Meers angegebnen Stelle, an der
W. Küste des Meerbusens, in der Sarbobucht, 16 M. von
Aduli südl. wieder gefunden, und erhielt gleich durch die Güte
des Hrn. Dr. V. zwey Stücke dieses seltnen Fossils, nach
welchen er die oryktognostische Beschreibung desselben ab-
gefaßt hat.