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Allgemeine
Geographische
EPHEMERIDEN.
Verfasset
von
einer Gesellschaft Gelehrten
und herausgegeben
von
F. von Zach,
H.S.G. Obristwachtmeister und Director der herzoglichen
Sternwarte Seeberg bey Gotha.

Erster Band.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs.
1798
.
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2.
Nachricht
von der letzten grossen Russischen
Entdeckungsreise
im nordöstlichen Weltmeer
.

[Seite 525]

Von
J.F. Blumenbach, in Göttingen.


Da von der grossen sechsjährigen Entdeckungsreise
im Russischen Nord-Archipel oder östlichen Weltmeer,
deren im zweyten Stück der A.G.E. S. 164 gedacht
worden, noch sehr wenig öffentlich bekannt ist, so
theile ich hier einen Auszug von demjenigen mit, was
ich davon aus den zuverlässigsten Quellen, und un-
ter andern vom Dr. C.H. Merck, Correspondenten
der hiesigen königl. Societät der Wissenschaften, der
als Naturforscher der Reise beygewohnt hat, erfahren
habe.

Katharina II. hatte diese Expedition schon im
November 1784 beschlossen, und den Plan dazu ent-
[Seite 526] worfen; auch damahls gleich das Commando dem Ca-
pitain Billings, einem Engländer im Russischen See-
dienst, übertragen, der den Astronomen Bayly auf
der letzten Cook’schen Weltreise von 1776–80 beglei-
tet hatte. Unter ihm standen die Capitains vom zwey-
ten Range, Hall, Sarischef und Bering, nicht der
Sohn, wie Lesseps sagt, sondern der Enkel des un-
sterblichen Capitain Commandeur Vitus Bering, der
den 8ten Dec. 1741 auf der nach seinem Namen be-
nannten Insel im Kamtschatkischen Meere, wo er erst
Schiffbruch gelitten, sein Grab gefunden hat.

Zu den Hauptzwecken dieser grossen und äusserst
kostspieligen Expedition gehörte erstens, die, nach
allen den wichtigen Entdeckungen, wodurch seit Pe-
ter
des Grossen Zeiten die Erdkunde des Russischen
Asiens
bereichert worden war, fast einzig übrige
Haupt-Lücke zu füllen, nämlich die noch so wenig
bekannte nordöstlichste Ecke von Asien, das Tschukt-
schen-Land
, zu bereisen; dann, wo möglich, die von
Cook versuchte nordöstliche Durchfahrt weiter zu ver-
folgen, und endlich an der Küste des nordwestlichsten
Amerika’s
bequemere Posten für den Russischen Pelz-
handel aufzusuchen.

Capitain Billings reiste mit seinen Instructionen
zu Ende des Jahrs 1785 von St. Petersburg ab, und
kam im Jul. 1786 nach Ochotzk. Er überwinterte in
Werchne Ostrog und verliess im Sommer 1787 die
Mündung der Kolyma (oder Kovyma) mit zwey Fahr-
zeugen, wovon das grössere (Pallas) von ihm selbst,
das kleinere aber (Jesaschna, nach dem Arm des Ko-
vyma
Stroms genannt, woran es erbaut wurde) vom
Capitain Sarischef geführt ward. Diess war nur eine
[Seite 527] vorläufige Expedition, die aber keinen geringern
Zweck hatte, als, wo möglich, endlich das Tschelaz-
kische
Vorgebirge (Cook’s Cap north) zu umschiffen,
und auf diesem unerhörten Wege aus dem Eismeere
durch die Berings-Strasse zum Anadyr zu gelangen!
Ich nenne den Weg unerhört, da die abentheuerliche
Seefahrt des Kosaken-Starschina, Semön Deschnew,
vom J. 1648, ohngeachtet der Nachrichten, die der
critische Russische Historiograph, Etatsrath Müller,
davon im J. 1736 im Archiv zu Jakutzk entdeckt hat,
doch noch von manchen Sceptikern bezweifelt und
ein Zusammenhang der nördlichsten Landstrecken bey-
der Welten für möglich gehalten wird.

Allein die kühnen Reisenden konnten nicht wei-
ter, als bis zur Gegend zwischen Baranikamen und
der Mündung des Tschaun-Flusses gelangen, weil die
undurchdringlichen Eisfelder, die sie da trafen, ih-
nen alle weitere Fahrt nach N.O. unmöglich mach-
ten, und sie nöthigten, von Seredun-Kerymsky
Osirog
nach Jakutzk zum Überwintern zurück zu
kehren. Indess waren die Capitains Hall und Bering
mit Vorbereitungen zur grössern Haupt-Expedition
beschäftigt gewesen. Jener führte die Aufsicht über
den Bau der beyden dazu bestimmten Schiffe zu
Ochotzk; dieser hingegen über die zur Equipirung
derselben nöthigen Transporte, die von Jakutzk da-
hin abgingen.

Im Sommer 1789 waren endlich die beyden Haupt-
schiffe zu Ochotzk segelfertig, als unglücklicher
Weise das zweyte davon (Dobrowa namerine, der gute
Vorsatz), welches Capitain Hall führen sollte, gleich
bey der Mündung der Ochochta auf den Strand gerieth,
[Seite 528] und weil der Kiel geborsten war, verbrannt wurde.
Dieser Unfall machte, dass Capitain Billings mit sei-
nem Hauptschiffe (Slawa Rossie, der Ruhm Russ-
lands) erst gegen die Mitte des Sept. Ochotzk verlas-
sen konnte, da er dann im October in die Awatscha-
Bay
vor Anker kam und schon auf dieser Fahrt eine
für die nautische Geographie jener Gegenden wichtige
Entdeckung machte, da er 300 Werste südlich von
Ochotzk nach den Kurilen hin, eine hundert Klaftern
hohe und eine Werst im Umfang haltende Klippe mit
mehrern Nebenfelsen entdeckte, die St. Jonas-Insel
genannt wurde, und an welcher vermuthlich schon gar
manches der verloren gegangenen Schiffe seinen Un-
tergang gefunden hat. Eine ungeheure Menge See-
vögel kommt alle Morgen von dort nach der Ochotzki-
schen Küste und kehrt des Abends wieder nach jenen
Klippen zurück, um darauf zu übernachten.

Nachdem die Reisenden in Kamtschatka überwin-
tert hatten, besuchten sie im Sommer 1790 die Aleuti-
sche Insel-Kette
, ganz vulcanischer Arbeit, und dann
die von Cook bereisten grossen östlichen Inseln, Una-
laschka
und Kadjak, die Bay am Vorgebirge St. Elias
u.s.w. kehrten wieder zum Überwintern nach Kamt-
schatka
zurück, und traten dann im Sommer 1791
ihrer Hauptbestimmung zu Folge, die grosse Expedition
zur Untersuchung einer nördlichen Durchfahrt ins
Eismeer an; landeten erst an Gore’s und Clerk’s Insel
und dann an dem festen Lande von Amerika.

Doch auch hier machten die stehenden Eisfelder,
die sich nach dem Osi-Cap von Asien erstreckten, den
weitern Durchgang unmöglich. Dafür unternahm
nun aber Capitain Billings mit dem Dr. Merck, in
[Seite 529] Begleitung eines Steuermanns, des Zeichenmeisters,
mit zwey Dollmetschern und noch vier Mann, eine
der merkwürdigsten Untersuchungs-Reisen von der St.
Lorenz-Bay
durchs Land der Tschuktschen hindurch
nach dem Kolyma-Strom, den sie vier Jahre vorher
verlassen hatten. Diese wunderbare Reise, die sie in
Begleitung der wackern Tschuktschen auf Rennthier-
Schlitten zurücklegten, dauerte von der Mitte des
Augusts bis Ende Febr. 1792, da sie beym Angarka-Fluss,
der in den grossen Anuy fällt, anlangten; nachdem
sie die bis dahin so sehr wenig bekannten Gegenden,
die St. Lorenz-Bay und die Inseln zwischen der Be-
rings-Strasse
und der Mündung des Anadyr, von et-
wa viertausend ichthyophagischen Tschuktschen be-
wohnt, und das ganze fast ebne waldlose Land der
Rennthier-Tschuktschen von gedachter Strasse bis zum
Kolyma durchreist, und geographisch, naturhistorisch
und statistisch untersucht hatten.

Mit Anfang des May’s kamen diese unternehmen-
den Reisenden zu Pferde in Jakutzk wieder an. Ihr
Schiff, das sie in der St. Lorenz-Bay verlassen hatten,
war indess unter Commando des Capitains Sarischef
nach Unalaschka gegangen, und hatte da zugleich
nebst einem kleinen Cutter (Tschorne orel, der schwar-
ze Adler) überwintert, der bald nach der ersten An-
kunft auf Kamtschatka gebaut worden war, um den
Verlust des bey Ochotzk gescheiterten Schiffs zu er-
setzen, und auf welchem sich die Capitains Hall und
Bering befanden.

Im nächsten Frühjahr kehrten beyde Fahrzeuge
nach Kamtschatka zurück. Slawa-Rossie blieb daselbst
im Peter-Pauls-Hafen. Die Capitains Hall und
[Seite 530] Sarischef aber besuchten im Sommer mit dem schwar-
zen Adler
die Kuriliscke Kette vulcanischer Inseln. Von
da kamen sie nach Ochotzk, wohin ihnen im Sommer
1793 die übrige Mannschaft von Slawa Rossie auf ei-
nem Transport-Schiffe unter Commando des Capitains
Bering folgte: und von wo aus dann im Winter 1794 die
ganze Expedition nach St. Petersburg zurückkehrte.

Die ausführliche Beschreibung dieser überaus
merkwürdigen und ergiebigen Reise wird jetzt
unter Aufsicht der Petersburger Acad. der Wissen-
schaften ausgearbeitet. Indess hat schon das hiesige
academische Museum durch die unermüdete Freyge-
bigkeit seines grossen Wohlthäters, des wirklichen
Etatsraths Baron von Asch, unter einem neulichen
abermahligen grossen Geschenk (von mehr als fünft-
halbhundert Numern) eine für die Völker- und üb-
rige Natur-Geschichte äusserst interessante Sammlung
von Kunst-Arbeiten und Naturalien aus jenen fernen
Gegenden des nordöstlichen Asiens so wie des nord-
westlichsten Amerika’s
und der zwischen diesen beyden
Welttheilen liegenden Insel-Ketten, erhalten, wo-
von ich in Prof. Voigt’s neuem Magazin für die Natur-
Kunde weitere Nachricht geben werde.

Die Arbeiten jener ehrlichen Polar-Menschen,
vor allen aber die Näherey der Weiber, die doch meist
als unterirdische Troglodyten in ihren Erd-Kellern
(Jurten) hausen, und folglich beym ewigen Thran-
Qualm ihre Augen anstrengen müssen, übertrifft an
unbeschreiblicher Eleganz schlechterdings alles, was
ich je von ähnlichen Kunstwerken, ich will nicht sa-
gen, der sogenannten Wilden, sondern selbst der
nicht wilden Europäer, gesehen habe. Zu einem Be-
[Seite 531] weise dafür statt aller dient, dass sie die so entscheidende
Probe unter dem Vergrösserungs-Glase aushalten, wor-
unter hingegen die feinste Europäische Stickerey, die
ich damit verglichen habe, ganz auffallend verliert.

Die Behauptung, dass nächst Speise und Trank
für den Menschen kein dringenderes Bedürfniss exi-
stirt als – Putz, und dass der Hang zur Coketterie
einer der allgemeinsten, so wie der allerwohlthätig-
sten Grundtriebe in der menschlichen Natur ist; eine
Behauptung, die sich durch die ganz einleuchtende In-
duction bewährt, dass es zwar genug Völker der Erde
gibt, die unbekleidet, selbst ohne Feigenblatt einher-
gehen, aber keins, so weit bis jetzt die Völker aller
Zeiten un daller Himmelsstriche bekannt worden sind,
das sich nicht bey aller seiner Blösse auf irgend eine
Weise putzen sollte, – diese Behauptung habe ich
auch durch die in der gedachten neuen Aschischen
Sendung befindlichen Früchte jener grossen nordi-
schen Entdeckungs-Reise von neuen aufs vollkom-
menste betätigt gefunden.

Die Mannigfaltigkeit, die Sonderbarkeit, und
die Sauberkeit der Toilettenstücke jener ins kälteste
Clima gleichsam verbannten, unaufhörlich mit Frost
und Hunger kämpfenden Polar-Menschen übersteigt
alle Vorstellung. Nur eins von vielen anzuführen,
so befindet sich darunter als Hauptschmuck der Aleu-
tischen
Schönen ein Paar ins Kleine nachgeschnitzte
lange Hauzähne, die sie durch Löcher zu beyden Sei-
ten der Unterlippe von innen herausstecken, um sich
dadurch die unwiderstehlich reitzende Aehnlichkeit ei-
nes Wallrosses zu verschaffen.


[[I]] [[II]]


Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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