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Allgemeine
Geographische
EPHEMERIDEN.
Verfasset
von
einer Gesellschaft Gelehrten,
und herausgegeben
von
F. J. Bertuch
Herzogl. Sachsen-Weimar. Legations-Rathe.

Fünf und zwanzigster Band.

Mit Kupfern und Charten.

Weimar,
im Verlage des Landes-Industrie-Comptoirs
1808
.
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1.
Auszug eines Briefs des Hrn. Dr. Langs-
dorffs, an Hrn. Hofrath Blumenbach
zu Göttingen.

[Seite 477]

Aus St. Francisco in Neu-Californien vom 6ten Mai 1806.
(angekommen in Göttingen den 19ten Febr. 1808.)

Nach unserer Rückkunft von Japan verliess ich im
Junius 1805 das Expeditionsschiff Nadeschda, und trat
die Reise nach der Nordwestküste America’s an*). Den
14ten segelten wir vom Petri-Paulshaven aus Kamtschatka,
giengen nördlich längs der Aleuten, und unser erster
Landungsplatz sollte Unalaschka seyn. Kaum hatten wir
uns aber den 30sten dieser Insel genähert, so erhob sich
ein sehr heftiger Südostwind, der uns gerade entgegen-
stürmte, und es uns unmöglich machte, in den nord-
östlich an der Insel gelegenen Haven einzulaufen. Es
ward daher beschlossen, die nordwestlich von Unalaschka
liegenden, noch wenig bekannten und nur auf den neue-
sten russischen Charten angegebenen kleinen Inseln St.
Georg
und St. Paul zu besuchen.

[Seite 478]

Am 6ten Julius bekamen wir die uns schon seit ei-
nigen Tagen nahe, aber im Nebel verhüllt gewesene
Insel St. Paul zu Gesichte. Die Beschreibung derselben
könnte einen langen Brief füllen, ich muss mich aber
für jetzt kurz fassen.

Diese sowohl, als die benachbarte Insel St. Georg
scheinen vulcanischen Ursprungs, sind kahl und kaum
mit etwas Erde bedeckt. Es finden sich hier grosse Süss-
wasserteiche, die durch das Schmelzen des tiefen Schnees
der umliegenden mässig hohen Berge entstehen, und de-
ren Betten eben die Crater der ausgebrannten Vulcane
zu seyn scheinen.

Die Ufer sind mit viel Tausenden von Phocis, jubata
und ursina, bedeckt. Diese liegen hier mit ihren Jun-
gen, gleich mächtig grossen Viehheerden, ganz wie
sie Steller beschreibt, und kennen keine Nachstellung.

Etwa 30 Russen bewohnten bei unserer Ankunft die-
se Insel, und nähren sich vom Fleisch dieser sogenann-
ten Amphibien, und den Eiern der ganz unermesslichen
Menge, – ich möchte wohl sagen, der Millionen –
von Seevögeln, namentlich aus den Geschlechtern La-
rus, Colymbus, Pelecanus
und Alca, welche hier brüten.

Die sogenannten blauen Füchse fanden sich sonst
bloss auf der Bering’s und diesen beiden, nicht aber
auf den etwas südlicher gelegenen Aleutischen Inseln.
Seit einigen Jahren aber hat man sie des geschätzten
Felles wegen, mit Success nach einigen der letztern
und namentlich auf die Insel Atcha verpflanzt, wo sie
sich sehr zahlreich vermehren.

Der Trichechus Stelleri*), welcher vormals in un-
säglicher Menge auf der Bering’s-Insel von den Russen
erlegt worden, ist nun ganz aus jenen Gegenden ver-
[Seite 479] schwunden, und wenn sich die Nachkommenschaft die-
ses so räthselhaften und merkwürdigen Geschöpfs nicht
gänzlich nach Norden gezogen, so scheint es ein neues
Beispiel von ganzen, aus der jetzigen Schöpfung vertilg-
ten Gattungen von Thieren*) abzugeben; denn we-
nigstens in den letzten zehn Jahren hat man kein einzi-
ges Individuum davon mehr an irgend einem, den Rus-
sen in diesem Theile der Welt bekannten Orte, bemerkt.

Schon am folgenden Tage, den 7ten Julius, verlie-
ssen wir diese in vieler Rücksicht sehr merkwürdige
Insel und erreichten am 16ten den Haven von Una-
laschka.

Im Nordwesten dieser Insel ist ein brennender Vul-
can, und das ganze Ansehen ihrer steil abgerissnen pik-
ähnlichen felsigen Bergrücken, so wie der kahle, von
aller Holzung entblösste und bloss am Fuss der schwar-
zen Felsenwände mit einem Grasteppich überzogne Bo-
den, hat auf den ersten Blick so viele Aehnlichkeit mit
dem auf den vulcanischen Inseln der Südsee, dass man
sich kaum enthalten kann, sie mit diesen letztern für
gleichen Ursprungs zu halten. Doch fand ich bei nähe-
rer Untersuchung steile Klippen und Uferfelsen aus Por-
phyr, und im Innern des Landes aus Granit bestehend.

Die Landschaften der Küsten und Buchten waren
hier sehr wenig von Vögeln belebt, wahrscheinlich hat-
ten sich die meisten nach den nördlichern kleinen In-
seln weggezogen, um zu brüten. Ich bemerkte nur Fal-
co
leucocephalus, Haematopus ostralegus, Colym-
bus grylle
und einige Gattungen von Larus.

Auf der Reise von Kamtschatka hieher kamen mir
besonders Procellaria grisea und nigra, Alca cir-
rhata, Colymbus troile
und Diomedea exulans zu
[Seite 480] Gesichte. Von letztern waren einige mehr schwarzbraun,
andere ganz weiss; ersteres sollen die Jungen, letzteres die
Alten seyn. Gewöhnlich erscheinen eine grosse Menge
derselben in hiesigen Regionen im März und April, als
der Zeit der Häringe, welche ihre Lieblingsnahrung
seyn soll. Bei ihrer Ankunft sollen diese Riesenvögel
sehr mager, kurze Zeit nachher aber gleich sehr fett
und gut zu essen seyn.

Das Nest dieser Albatrosse ist den Aleuten gänzlich
unbekannt, wodurch es sich zu bestätigen scheint, dass
diese Vögel von den südlichen nach den nördlichen Po-
largegenden ziehen*), und gleich dem Menschen die
verschiedenartigsten Klimate vertragen können.

Dieser Bemerkung füge ich auch gleich noch eine
spätere, ebenfalls den Albatros betreffend, bei.

Im Februar 1806. brachte man mir in Norfolk-
Sound
, Nordwest-Küste von America, einen dieser
Vögel, an welchem ich nicht die geringste Verletzung
entdecken konnte. Hierdurch aufmerksam gemacht, er-
kundigte ich mich, auf welche Art man ihn gefangen
habe, und erhielt zu meiner Verwunderung die Ant-
wort: ‘„mit der Hand.“’ Und alle Aleuten, so viele ich
deren in der Folge genau darüber befragte, kamen ein-
stimmig darin überein, dass diese Vögel beim stärksten
Sturme im unaufhörlichen Fluge freudig wie in ihrem
Elemente lebten; bei der unmittelbar darauf folgenden
gänzlichen Windstille aber, gleichsam erschöpft, ganz
und gar nicht fliegen könnten; dass sie dann wohl noch
versuchten, durch Laufen auf dem Wasser den Verfol-
gungen zu entgehen, dessenungeachtet aber sehr leicht
mit den einsitzigen ledernen, den grönländischen ähn-
lichen Fahrzeugen eingeholt, und dann mit den Hän-
den gefangen oder mit dem Ruder oder einem Pfeil
erlegt werden könnten. – Der Albatros also, der
[Seite 481] kühn den heftigsten Stürmen trotzt, dem die gefürchte-
ten Regionen des Cap Horn zum Lieblingsaufenthalte an-
gewiesen sind, der jährlich zweimal fast den halben
Erdmeridian durchfliegt, der soll hingegen bei voller
Windstille trotz seiner Riesenflügel zum Fluge unfähig
seyn!

Den 25sten Julius verliessen wir Unalaschka und ka-
men den 31sten in Kadjak, dem Hauptetablissement der
russisch-americanischen Compagnie am nordwestlichen
America, an.

Nach einem kurzen Aufenthalte wurden den 20sten
August auch hier die Anker wieder gelichtet, um ein
neueres Etablissement der Compagnie in Norfolk-Sound
zu besuchen.

Den 26sten kamen wir glücklich daselbst an und das
Winterquartier wurde aufgeschlagen.

Nun in aller Welt, – werden Sie sagen, – was
wird da nicht unser D. L. Alles zusammen getrieben ha-
ben. Allein * * * *

Es ward mir unmöglich gemacht, ausser der Jagd
und dem Abstreifen einiger wenigen Vogelhäute etc., wo-
von ich Ihnen das Verzeichniss hersetze, etwas mehr
für Naturgeschichte zu thun.

Anas bucephala Mas. et Fem.
histrionica M. et F.
perspicillata M. et F.
glacialis M. et F.
boschas

nebst einigen, vor der Hand noch unbestimmten Gattun-
gen dieses Geschlechts:

Alcedo alcyon.
Colymbus auritus?
– – arcticus.
– – grylle.
– – obscurus.
Diomedea exulans.
Falco leucocephalus.
[Seite 482]

Mehrere Gattungen des Mövengeschlechts.

Mergus serrator.
– – merganser.
Motacilla . . . ?

Eine neue Gattung von Oriolus.

Pelecanus urile.
– – graculus?
Eine neue Gattung von Strix;
Und wie es scheint auch von Tringa.
Tetrao lagopus.
Turdus – –
und die Felle von Mustela lutra L.
– – lutreola?
– – fluviatilis.

Am 25sten Februar 1806. wurden die Anker von neuem
gelichtet und wir verliessen das so traurige Winterquar-
tier. Von etwa 200 ausgehungerten Personen waren nur
50 bis 60 dienstfähig, die übrigen lagen am Scorbut.

Unsere Reise gieng nun nach Neu-Albion, um von
da Lebensmittel für das Mangel leidende Etablissement
herbei zu schaffen.

Den 26sten März sind wir hier in St. Francisco ange-
kommen, werden aber in wenigen Tagen wieder nach
Norfolk-Sound zurückkehren, und ich bin nun fest ent-
schlossen, von dort mit der erstmöglichsten Gelegenheit,
nach so vielen Irrfahrten mich auf die Heimreise zu
machen.


[[501]] [Seite 502]
Notes
*).
[Seite 477]

S. Hofr. Voigt’s Magazin für den neuesten Zustand der
Naturkunde X B.S. 203 u.f. XI B.S. 295 u.f.

*).
[Seite 478]

S. eben dieses Magazin XI B.S. 298.

*).
[Seite 479]

S. Blumenbach’s Beiträge zur Naturgeschichte. I Th.
S. 24 u.f. der zweyten Auflage.

*).
[Seite 480]

S. Pennant’s aretie Zoology. Vol. II. p. 507.



Blumenbach, Johann Friedrich and Langsdorff, Georg Heinrich von. Date:
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