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Allgemeine
Geographische
EPHEMERIDEN.
Verfasset
von
einer Gesellschaft Gelehrten,
und herausgegeben
von
F.J. Bertuch
Doctor der Philosophie und Herzogl. Sachsen-Weimar.
Legations-Rathe.

Vier und dreissigster Band.

Mit Charten und Kupfern.

Weimar,
im Verlage des Landes-Industrie-Comptoirs
1811
.
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I.
Beschreibung von Nukahiwa*).

[[3]]

(Fortsetzung von S. 275. des vorigen Bandes.)

(Nebst drei Abbildungen Taf. 1. 2. 3.)


Einleitung
des Hrn. Hofr. Blumenbach, über die Gewohnheit des
Tatowirens.

Unter den endlos vielartigen, theils noch so
abentheuerlichen Verschönerungsmitteln, die sich
der Mensch ersonnen, ist das Tatowiren, so wie
[Seite 4] eins der ältesten und der weit verbreitetsten, so
eins der wundersamsten, paradoxesten, da es ei-
ne ganz schmerzhafte Operation voraussetzt und
dann aber lebenswierig permanent bleibt, nicht
(was der Vorzug andrer Art von Putz ist) nach
Willkür oder Mode abgeändert werden kann.

Bekanntlich versteht man schon seit 40 Jahren
unter diesem nun in Europa allgemein natura-
lisirten, ursprünglich Utaheitischen Worte die
punctirten Züge, welche in die Haut entweder
eingestochen oder aber mittelst eines gefärbten
Fadens eingenäht werden, und unterscheidet da-
von sowohl die mit einem schneidenden Instru-
ment in die Haut gezogenen vernarbten Figuren,
die bei vielen Negervölkern, so wie auch bei den
Brasilianern gebräuchlich sind, als auch das
Einbrennen von Mahlzeichen, womit sich man-
che Völkerschaften in Süd-Indien, so wie im
westlichen Africa und in Südamerica aus-
zeichnen.

Für’s hohe Alter jenes eigentlichen Tatowi-
rens
braucht man bloss den Vater der Profange-
schichte, Herodot anzuführen, der es bekannt-
lich schon von den alten Thraciern meldet, so wie
spätere Griechen und Römer, Strabo, Plinius
[Seite 5] u.a.m. auch von den Illyriern, Sarmaten,
u.s.w.

Die weite Verbreitung dieser Sitte aber un-
ter Völkern von allen fünf Hauptrassen des Men-
schengeschlechts, ergiebt sich aus den in der
Folge anzuführenden Datis.

Merkwürdig ist in Bezug auf die Malajische
Rasse, dass das Tatowiren bloss auf die braune
Abart derselben beschränkt, hingegen der schwar-
zen unbekannt ist.

Uebrigens haben aber diese in die Haut punctir-
ten Zeichnungen, ausser dem dass sie zum Putze
dienen sollen, auch noch mancherlei andern
Zweck und Bedeutung; selbst in verschiedenen
Gegenden Teutschlands.

So ist es z.B. hin und wieder im westli-
chen Theile des Königreichs Westphalen, na-
mentlich bei Ziegenhayn, eine nicht ungewöhn-
liche Galanterie, dass sich die jungen Bauerbur-
sche von ihren Mädchen den Namen oder auch
Figuren auf die Arme einstechen lassen.

In Tyrol bezeichnen viele Aeltern ihre Kin-
der auf ähnliche Weise, bevor sie dieselben in
die Fremde schicken, wodurch diese sich theils
nach vieljähriger Abwesenheit wieder bei ihren
Verwandten legitimiren können. (S. Keyssler’s
Reisen.)

[Seite 6]

Dass sich die Christen, die nach dem heili-
gen Grabe wallfahrten, daselbst das Wappen von
Jerusalem u. dergl. eintatowiren lassen, ist all-
gemein bekannt. Der Brandenburgische adeli-
che Pilger, wie er sich nennt, von der Grö-
ben
, hat in seiner orientalischen Reisebeschrei-
bung 5 Figuren, womit er dort an beiden Ar-
men bezeichnet worden, in Kupfer abgebildet;
und ich besitze in meiner anatomischen Samm-
lung das Stück Haut vom Arme eines solchen
Pilgrims mit jenem Wappen, in Spiritus; und
dabei zum Contraste ein andres von einem Hol-
ländischen Matrosen, der sich und sein Schätz-
chen darauf vorstellen lassen. Denn bekanntlich
lassen sich unzählige Matrosen, und im südli-
chen Europa auch Soldaten ohne weitern be-
stimmten Zweck, als weil es unter ihnen ein-
mal gebräuchlich ist, an den Armen oder Beinen
punctiren. (S. Fleurieu in Marchand Voy. aut.
d. Monde.
)

Bei manchen Völkern der caucasischen,
americanischen und malajischen Rasse, ist es
ein Wahrzeichen der Mannbarkeit ihrer Mäd-
chen; so wie bei den Männern aus den letzt-
gedachten beiden Rassen, Feld- und Siegeszei-
chen ihrer Krieger.

Aber eine ganz eigne Gewohnheit ist es bei
den Bewohnern der Marquesas- oder Mendoza-
Inseln
, dass, wenn ein Krieger von seinen Fein-
den erschlagen und gefressen worden, eine sei-
ner Schwestern auf eine besondre Weise quer
[Seite 7] über das Gesicht tatowirt wird, und nur dann
davon verschont bleibt, wenn sie noch unerwach-
sen oder vorzüglich schön ist. (S. Evangelical
Magazine
Vol. VIII. for 1800. p. 6.)

Die Verschiedenheit der Operation selbst
reducirt sich hauptsächlich, theils auf die Weise,
wie die Stiche in die Haut gemacht, theils
auf die Art des Pigments, womit sie gefärbt
werden.

Ersteres geschieht entweder durch eigentli-
che Acupunctur mit einzelnen Nadelstichen;
oder aber, wie bei den braunen Südsee-Insula-
nern
, mittelst eines beinernen schmalen Kammes
mit kurzen, aber sehr spitzigen Zinken*); oder
endlich, wie bei manchen Stämmen der mongo-
lischen Rasse z.E. in Sibirien bei den Tungu-
sen
und im nördlichsten America bei den Grön-
ländern
und Eskimos, so dass die Züge gleich mit
einem, flach durch die Haut gezognen, gefärbten
Faden ausgenäht werden. (S. J.G. Gmelin und
Dav. Cranz.)

Zum Pigment nehmen die Europäer und
Negern meistens Schiesspulver; von erstern man-
che auch Zinnober; die Beduinen Ochsengalle,
oder auch ein Spiesglaspräparat; die Aleuten ei-
nen schwarzen Thon; die Utaheiten etc. den Russ
von abgebrannten Oelnüssen. (Aleuritis triloba.)

Bei manchen Völkern ist das Tatowiren bloss
auf eins von beiden Geschlechtern beschränkt.
[Seite 8] So bei den europäischen Nationen aufs männli-
che. Hingegen bei den Eskimos und Grönlän-
dern
, so wie bei den Ostiaken, und den Bewoh-
nern der Aleutischen- und Fuchs-Inseln, auch
bei den Loango-Negern; bloss aufs weibliche.
Und die Negressen um Sierra-Leona und die
Abiponerinnen werden zwar nicht ausschliesslich,
aber doch auf eine, von den Männern sehr aus-
gezeichnete, kunstreichere Weise tatowirt. (Win-
terbottom
und Dobrizhoffer.)

Auch bei den Kayns oder Bergbewohnern
zwischen Arracan und Ava bloss die Mädchen,
und zwar ausschliesslich im Gesichte. (Symes.)

Bei manchen andern Völkerschaften wer-
den nur gewisse Theile des Körpers, allein
oder doch vorzüglich tatowirt. So bei den Uta-
heitischen Mädchen die Hinterbacken; da hinge-
gen diese Insulaner das Gesicht davon frei las-
sen, das hinwiederum bei den Männern eines
andern Volks des gleichen Stammes, nämlich bei
unsern Antipoden, den Neuseeländern über und
über so stark bezeichnet wird, dass es einem ge-
blümten Damast ähnelt, die dagegen die eben
gedachten Hintertheile ungeziert lassen; so wie
anderseits ihre Weiber sich meist nur an den
Lippen tatowiren. (Banks.)

Endlich wird auch bei manchen Völkern
diese Operation vermuthlich aus religiösem Be-
zug, der überhaupt wohl den ersten Anlass zu
derselben gegeben haben mag, in einem be-
stimmten Lebensalter oder bei gewissen beson-
dern Ereignissen vorgenommen. So werden, wie
[Seite 9] schon erwähnt, bei vielen, z.E. bei den Bedui-
nen, Abiponern, Utaheiten
etc. die Mädchen ta-
towirt
, wenn sich die ersten Spuren der Mann-
barkeit an ihnen zeigen. Bei den Marquesas-
Insulanern
wird den Buben bei ihrer Tatowi-
rung
ein neuer Name beigelegt. (S. das Evan-
gelical Magazine
a.a.O.) u. dergl. m.

Doch alles dies steht hier nur als Einleitung
zu Hrn. Hofr. Dr. Langsdorff’s folgender Nach-
richt über die Tatowirung der Bewohner von Nu-
kahiwa
und der Washingtons-Insulaner.

* * *
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[Tab. I]
Taf. I. Tatowirter vornehmer Mann aus Nukahiwa.xxx
[Tab. II]
Taf. II. Brustbild eines Mannes von Nukahiwa.xxx
[Tab. III]
Taf. III. Linke Hand der Königin Katanuaeh auf Nukahiwa, der größten der neuen Marquesas Inseln; nach dem Leben genau gezeichnet von Dr. Langsdorff. 1804.xxx
Notes
*).
[[3]]

Ich knüpfe diese beiden interessanten Aufsätze
über das Tatowiren, dessen hohe Schule und Kunst-
akademie Nukahiwa ist, eben deshalb an die vor-
[Seite 4] gängige Beschreibung dieser Insel an, weil sie ganz
dazu gehören, und eine wahre ethnographische
Seltenheit sind; für deren gütige Mittheilung ich
hier meinem verehrten Freunde, Hrn. Hofr. Blu-
menbach
meinen Dank öffentlich bringe.

D. H.

*).
[Seite 7]

Man sehe die Schluss-Vignette.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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