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Annalen
der
Braunschweig-Lüneburgischen
Churlande,
herausgegeben
von
Jacobi und Kraut.

Zweyter Jahrgang.
Zweytes Stück.

Hannover,
gedruckt bey W. Pockwitz, jun.
1787
.

III.
Einige Nachrichten vom academischen
Museum zu Göttingen,

[Seite 25]

von J. Fr. Blumenbach.


2s Stück.*)

Im übrigen Thierreich besitzt das Museum außer einer
beträchtlichen Anzahl ganzer Thiere, besonders eine
lehrreiche Sammlung von Theilen derselben, Embryonen,
Schädeln, oder ganzen Gerippen und andere Präpara-
ten, die für anatome comparata und Physiologie, so-
wohl als für die Untersuchung der Absicht des Schöpfers
(Physicotheologie, Reteologie) den interessantesten Theil
der ganzen Naturgeschichte, einen einleuchtenden Werth
haben.

Ich hebe auch hier, so wie es der Zweck dieser kurzen
Aufsätze mit sich bringt, nur einiges weniges aus.

Zu den seltenen hier befindlichen Säugethieren
gehört z.B. der kleine Meki oder Loris (Leriur cucang)
von Ceilan, ein affenartiges Thier mit vier Händen; aber
nur von der Größe eines Eichhörnchen, und von einem
überaus schlanken Bau, zumal der langen Arme und
Beine. So auch das kleine, nicht viel über eine Spanne
lange, castanienbraune formosanische Teufelchen, oder der
[Seite 26] Phatagin (Manis macroura) dessen ganzer Körper und
langer Schwanz mit überaus sauber gestreiften großen
Schuppen dicht besetzt ist, weshalb eben dieses seltene
Thier, folgends bey seinen kurzen Füßen und übrigen An-
sehen, und da wegen seines eingeschränkten entfernten Va-
terlandes, von seiner Geschichte wenig bekannt war, von
ältern Naturforschern und Reisenden unter die Eidexen
gezählt worden. – (Beyläufig eine neue Instanz, wenn
es anders noch welcher bedarf, gegen die so sehr gepriesene
Bilder von Stufenfolge in der Natur, wo die Geschöpfe
wie Glied auf Glied in einer Kette, oder wie Sprosse auf
Sprosse in einer Leiter aufeinander folgen sollen. Der
Mensch und die übrigen Säugethiere sollen in der sichtba-
ren Schöpfung den Anfang dieser Kette machen. Was
soll aber auf diese folgen? Soll die Fledermaus zunächst
den Uebergang von ihnen zu den Vögeln, – oder die for-
mosanischen Teufelchen den zu den Amphibien, – oder
aber die Wallfische den zu den wahren Fischen machen?)

Das Gerippe eines kleinen Affen, (ich getraue mir
aber nicht zu bestimmen von welcher Gattung?) das Ihro
Durchl. die verwitw. Fürstinn von Waldeck
dem Mu-
seum geschenkt, wird dadurch äußerst auffallend, daß
ihm gerade einer der Hauptcharaktere abgeht, wodurch
sonst alle übrige auch noch so menschenähnliche Säugethiere,
selbst die Orang-Utange, vom Menschen unterschieden
sind; da sich nemlich am Schädel desselben keine sichtliche
Spur von dem merkwürdigen Knochen (os intermaxillare)
erkennen läßt, der bey den vierfüßigen Säugethieren vorn
[Seite 27] zwischen die beyden Knochen des Ober-Kiefers eingekeilt,
und durch eigene sehr bestimmte Näthe mit demselben ver-
bunden ist; und der eben so viel zur Verlängerung der
Schnauze beyträgt, wodurch sich bekanntlich das thieri-
sche Profil so sehr vom menschlichen auszeichnet. Ich
würde glauben, daß nur etwa die Näthe an jenem Schä-
del verwachsen wären, wenn nicht 1) alle übrige Sutu-
ren bey diesen dem ganzen Anschein nach jungverstorbenen
Thiere aufs schärfste erhalten, und 2) hingegen gerade
wie beym Menschen eine senkrechte Nath mitten zwischen
den Zahnzellen der obern Schneide-Zähne befindlich; 3)
auch das Profil des ganzen Schädels weit weniger schräg
als bey andern Affen, und viel mehr menschenähnlich
wäre.

An einem Elephanten-Schädel ist die Hirnschaale
aufgesägt, um den erstaunungswürdigen Bau der Stirn-
hölen in selbigen zu zeigen, als welche bey diesem prodi-
giösen Thiere vorn 6 Zoll in die Länge und 10 Zoll in die
Breite halten, zu beyden Seiten des Scheitels aber sich
bis hinten in die beyden Knöpfe erstrecken, wodurch der
Kopf mit dem ersten Halswirbel eingelenkt ist. Sie
scheinen zu einem doppelten Zwecke zu dienen. Theils
nemlich um den so äußerst schärfen Geruch des Elephanten
zu verstärken, als worin ihm wie bekannt, vielleicht aus-
ser dem Hund kein andres Thier beykommt; und theils,
um durch diese mächtige Zellen, wodurch folglich der größte
Theil des ganzen Schädels wie ausgehölt ist, das Ge-
wicht desselben, (das ohnehin auch durch die beyden Elfen-
[Seite 28] bein-Zähne, die wohl über drey Centner wiegen können,
und durch den hervorhängenden Rüssel vergrößert wird)
auf eine solche Weise zu erleichtern, daß er doch dabey
eine angemessene Dicke zur Sicherheit des darin verwahr-
ten Gehirns, behält.

Ebenfalls überaus merkwürdig sind die Geruch-Or-
gane an einer auch wegen der Schönheit der Hörner vor-
züglichen, Hirnschaale eines Steinbocks, die Sr. Durchl.
der Herzog von Sachsen-Gotha
aus dem Faucigny
mitgebracht, und dem Museum geschenket haben. Auch
dieses in Europa nun so seltenen und fast ausgestorbenen
Thieres Stirnhölen erstrecken sich durch die großen knö-
chernen Zapfen, die in den Hörnern stecken, bis fast in
die Spitzen derselben. Der dadurch so sehr verstärkte
Geruch kommt wohl dem einsamen Thiere zu passe, das
in dem unzugänglichsten Schneegebirge, wo sich die Vege-
tation schon zu verlieren anfängt, nach seinem sparsamen
Futter weit umher wittern muß.

Ein einzelnes Horn des sibirischen Muffelthiers oder
Argali (Capra ammon, musimon) unter den Aschischen
Geschenken ist wegen seiner ausnehmenden Größe auffal-
lend, da es, ohne den knöchernen Zapfen, worüber es ge-
sessen, volle neun Pfund wiegt, und schon hierdurch, noch
mehr aber durch seinen Bau und Windung die Behaupt-
tung vieler neuen Naturforscher unwahrscheinlich macht,
daß dieses Geschöpf das ursprünglich-wilde Schaaf seyn
solle.

[Seite 29]

Rhinocerr-Hörner sind von beyden Gattungen da.
Einfache nemlich vom ostindischen Nashorn, ein doppel-
tes aber vom Süd-Africanischen.

Vorzüglich vollständig ist die Sammlung von Stei-
nen und ähnlichen Concrementen aus dem Magen und
andern Eingeweiden der Säugthiere. – So z.B. aus-
nehmend große und schöne Stücke von den verschiedenen
Bezoaren. Orientalische nemlich vom aeggrus, dem
vermuthlichen wilden Stammthiere unsrer Hausziege, das
in den wildesten Gegenden des Caucasis und der daran
grenzenden östlichen Gebürge lebt.

Occidentalische vom pevianischen Schaafkameel,
daß die berühmte Vicugn Wolle giebt.

Affen-Bezoar von oromandel.

Ein großer pdra del porco oder Gallenstein des
moleckischen Schelschweins, der noch im Anfang des
gegenwärtig Jahrhunderts im Ruf einer Panacee
stand, und wenn er irgend so wie der im Museum, die
Größe einer Wallnuß hatte, mit tausend und mehr Fl. be-
zahlt ward.

Eine ähnliche Seltenheit ist ein Harnblasenstein von
einem wilden Schweine aus der rußischen Tattarey, 500
Werste jenseits Orenburg, wo sich zuweilen dergleichen
Steine bey diesen Thieren finden, und als Heilmittel an-
gesehen und theuer verkauft werden.

Die im Museum befindlichen Misgeburten von
vierfüßigen Thieren sowohl als von Vögeln bestätigen eine
[Seite 30] doppelte Anmerkung: daß nemlich erstens auch diese Ab-
weichungen vom natürlichen Bau, gemeiniglich doch ihre
bestimmte Richtung haben, so daß gewisse Arten von
Misgestaltung, wie z.E. mit doppelten Leibern und Füs-
sen sehr gemein, und theils zum Wunder einander ähn-
lich, gleichsam wie aus einer Form gegossen sind: und
dann, daß überhaupt die Misgeburten blos unter den
Hausthieren so häufig, und hingegen unter der wilden
Stamm-Raçe derselben unerhört selten sind: eine unläug-
bare Bemerkung, die, wo ich nicht irre, über das Zeu-
gungsgeschäft einigen Aufschluß giebt, da sie bey reifen
Nachdenken offenbar zur Widerlegung der vermeyntlichen
präformirren Keime dient, die nach der Meynung des Hrn.
von Haller und des würdige Herrn Bonnet auch bey
den Misgeburten schon in dies misgestalten Bildung
seit der ersten Schöpfung längst vo ihrer Empfängniß
präexistirt haben sollen.

In der Classe der Vögel sind unter andern ihrer
Größe wegen, Kopf, Fänge und Schwungfede des be-
rüchtigten, aber noch wenig bekannten Lämmergeyers
(vultur barbatus) merkwürdig, welche Stücke zur Wider-
legung des von vielen unsrer neuen besten Naturforscher,
z.B. Büffon, Fortes etc. auch Bomare, Molina u.
a. dienen, die ihn (ganz irrig) für einerley mit dem Con-
dor des westlichen Süd-America halten. Einer der
zuverläßigsten, bisher meist übersehenen Charaktere, wo-
durch sich der Lämmergeyer vor diesen und andern Gey-
ern auszeichnet, ist der vorne am Oberschnabel befindliche
gewölbte Rücken.

[Seite 31]

Ein andrer, ebenfalls ziemlich unbekannter Alpen-
vogel des Musei ist die Flüc-Lerche (Motacilla alpina) die
sogar noch neuerlichst Herr Latham in seinem sonst so
claßischen Werke unter zwey ganz verschiedne Geschlechte,
der Staare nemlich, und der Grasmücken, gebracht hat.

Noch ein paar merkwürdige kleine Vögel sind die
niedlichen Baum-Kletter von Owhyher, aus deren Gefieder
die dasigen Wilden den im vorigen Stück gedachten aus-
nehmend kunstreichen Federputz machen.

Unter den ausländischen Amphibien ist vorzüglich
eine lehrreiche Folge zur Naturgeschichte der Crocodille
vom Eye an, merkwürdig. So eine andere von dem le-
benslang geschwänen Südamericanischen Frosche (Rana
paradoxa
) und noch eine andere von der Pipa, der be-
kannten Surinamischen Kröte, wovon das Weibgen seine
Junge inbesondern Hautzellen des Rückens (wie in tiefe
Pockearben) ausheckt. Das wichtigste in dieser letz-
ten Suite ist ein Exemplar, wo die auskriechende Junge
wirklich mit Schwänzen, wie unsere einländischen Kaul-
quappen (gyrini) versehen sind; was sonst die Naturfor-
scher geläugnet und dagegen behauptet haben, die jungen
Pipas kröchen gleich als vierfüßige ungeschwänzte Frösch-
gen aus dem Eye: ein Irrthum, der lange durch einen
doppelten Scheingrund unterstützt ward. Theils nemlich
dadurch, daß bis dahin in keinem Kabinet in Europa ein
Exemplar bekannt war, wo die Jungen der Pipa ge-
schwänzt wären; (so gemein dagegen sowohl Pipas mit
Eyern auf dem Rücken als mit vierfüßigen ungeschwänz-
[Seite 32] ten Jungen in diesen Rücken-Zellen zu seyn pflegen) und
theils durch den Schluß à priori, daß man meynte, die
jungen Pipas brauchten auch keine solche Ruderschwänze,
da sie nicht wie unsre Frösche und Kröten im Wasser, –
sondern auf der Mutter Rücken auskröchen.

Von einländischen Amphibien verdienen einige
Wassermolche Erwähnung, an welchen ich bey ihren Leb-
zeiten Reproductions-Versuche angestellt, und bey
welchen nun die Regeneration der vorher amputirten
Beine, Schwänze etc. sehr anschaulich zu sehen ist. Das
wichtigste Stück darunter ist eine lacerta lacustris aus dem
hiesigen Stadtgraben, der ich vor drey Jahren fast das
ganze Auge exstirpirt; nemlich alle Säfte auslaufen las-
sen, und dann 4 bis 5 der ausgeleerten Häute rein aus-
geschnitten: – und doch hat sich binnen 10 Monaten
ein vollkommener neuer Augapfel mit neuer Hornhaut,
Augenstern, Crystall-Linse etc. reproducirt, der sich blos
dadurch vom andern gesunden Auge auszeichnet, daß er
nur erst halb so groß ist.

Unter den Fischen sind vorzüglich diejenigen zahl-
reich, und theils wegen ihren auffallenden Gestalten, theils
wegen ihrer Seltenheit merkwürdig, die Linnee zu den
Amphibien zählte und nantes nannte. Auch von einzel-
nen Theilen der Fische sind interessante Stücke da. Wie
z.B. die berichtigten und theils so theuer bezahlten Be-
lugasteine; die sich zuweilen in den Nieren der Hausen
im caspischen Meere und der Wolga finden. – So in
[Seite 33] der südländischen Sammlung Waffen der Neu-Caledonier,
mit den Stacheln des sogenannten Gift-Rochen geschäftet,
u. dergl. m.

Von Insecten führe ich blos an, daß das Mu-
seum die verschiedenen Gattungen von Apulischen Spin-
nen besitzt, die insgemein so unbestimmt mit dem gemein-
schaftlichen Namen der berufenen Tarantel belegt, und
daher auch in Büchern so verschieden beschrieben und ab-
gebildet worden. Auch die Astracanische ist mit ihrer
Brut hier.

Die Classe der Gewürme enthält hier vorzüglich
eine zahlreiche Conchyliensammlung: worunter sich
außer den bekannten Liebhaberseltenheiten, Windeltrep-
pen u. dergl. besonders einige ausnehmend schöne südlän-
dische Schnecken; und unter den Muscheln ein polnischer
Hammer von einer ganz auffallenden Größe und Gestal-
tung auszeichnen.

So wie unter den Corallen, ihrer unbeschreiblichen
Eleganz wegen einige vom ältern Herrn de Lüc präparirte
Sertularien von den englischen Küsten.

Zur Naturgeschichte des Pflanzenreichs gehört
außer mancherley eignen Sammlungen besonderer Theile
der Gewächse, wie z.B. der Holzarten, Früchte u.s.w.
– oder auch der als Arzneymittel wichtigen vegetabi-
lischen Substanzen, wovon sich vorzüglich unter den
Aschischen Geschenken merkwürdige Stücke befinden;
vorzüglich das herbarium vivum, welches außer der
Hauptsammlung die der verstorbene Königl. Leibarzt
[Seite 34] von Hugo mit leidenschaftlichen Eifer zusammengebracht,
besonders noch einige wichtige Floren einzelner Erdstriche
begreift. Es gehören zu den letztern z.B. ein reicher
Vorrath von Alpen-Pflanzen, von Herrn von Haller
selbst gesammlet und eigenhändig bestimmt.

Ferner zwölf große Bände malabarischer Pflan-
zen, wozu die Etiketten großentheils in malabarischer
Sprache und Schrift mit einem Griffel auf Stückgen
Palmblatt geschrieben; außerdem aber auch nicht nur
Namen mit lateinischen Buchstaben, sondern hin und
wieder auch kleine Anwendungen vom medicinischen, öko-
nomischen und technologischen Gebrauch der Pflanzen in
Indien beygefügt sind.

Auch von sibirischen Pflanzen hat das Herbarium
mehrmalen Beyträge vom Herrn Baron von Asch erhal-
ten.

Und ganz neuerlich hat Herr Geh. Rath Forster
das Museum mit dem ganzen Schatze getrockneter Pflan-
zen beschenkt, die er auf seiner Reise um die Welt (1772
bis 75.) zumal auf den Inseln der Südsee und am Feu-
erlande
gesammelt.

Noch verdienen ein paar wegen ihrer ausnehmenden
Sauberkeit merkwürdige botanische Sammlungen Er-
wähnung, als nemlich die vom Hrn. de Lüc ebenfalls an
den englischen Küsten aufgefischten und mit äußerster Ge-
nauigkeit und Eleganz aufgetrockneten Sertang-Arten
(Frui) und dann ein großes ausgesuchtes Exemplar von
den 10 Decurien sceletirter Blätter die Herr D. Bieber
[Seite 35] in Gotha verfertigt, und die zumal für Physiologie der Ge-
wächse, Abscheidung ihrer Säfte, Ausdünstung, Einsau-
gen u.s.w. vielen merkwürdigen Aufschluß geben.

[[198]] [Seite 199] [Seite 200]
Notes
*).
[Seite 25]

*) S. 1r Jahrg. 3s St. S. 84 u.f.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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