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Chirugische
Bibliothek.


Des sechsten Bandes erstes Stück.

Göttingen,
gedruckt und verlegt bey J.C. Dieterich,
1782
.

I.
Anmerkungen über des H. Troja Ex-
perimenta de novorum ossium regene-
ratione
, von dem Herrn Professor
Blumenbach.

[Seite 107]

Um den Sinn des H. Troja in seinem äußerst
unverständlichen, und doch allem Anschein nach
überaus wichtigen Werke, de ossium regenera-
tione
(s. diese Bibl. III Band, S. 676.) mit
Gewißheit fassen zu können, habe ich seine vorzüg-
lichsten Versuche an lebendigen Thieren wieder-
hohlt, wovon ich den Erfolg kurz anzeigen will.
Sie reduciren sich bekanntlich auf zwey Haupt-
resultate: 1) daß sich nach der Amputation eines
Röhrenknochen um den alten Knochen herum ein
neuer erzeuge, der jenen wie ein Futteral umfaßt,
und daß 2) das Wachsthum und die Ausbildung
dieses neuen Knochen durch die Zerstöhrung des
Marks im alten sehr befördert wird.

[Seite 108]

Die Entstehung jener neuen Röhre war mir
nach seiner Erzählung desto räthselhafter, da er die
innere Haut, die erzwischen derselben und dem alten
Knochen gefunden hatte, bald für das innere Blatt
der wahren Beinhaut erkennt, (§. 48) bald aber
als von ihr verschieden angiebt. (§. 23. 35. 36.)

Um hierüber ins reine zu kommen, habe ich
genau nach seiner Vorschrift einem paar junger
Tauben das untere Ende des Schinnbeins ampu-
tirt, und sie am siebenten Tage nach der Operation
zergliedert, da ich das untere ausragende Ende
des alten Knochen schwarz und abgestorben, die
weichen Theile aber angeschwollen, und die Bein-
haut am untern Rande wol eine Linie dick, und
völlig knorpelartig, doch ohne Spuhr eines Kno-
chenkerns fand. (Ich rede vom periosteo externo.
Das periosteum internum verdient diesen Namen
nicht, und möchte überhaupt wohl schicklicher Mark-
haut genennt werden.) Sowohl aus der Zerglie-
derung dieses, als auch des zweyten Paars, das ich
erst am zehnten Tage tödtete, und wo sich schon
Knochenkerne in der Knorpelgeschwulst zeigten, ergab
sich offenbar, daß H. Troja’s innere Haut nichts
anders, als die innere Fläche der wahren Beinhaut
sey, und daß die neue äußere Knochenröhre zuver-
läßig in dieser Beinhaut selbst gebildet werde. Am
[Seite 109] allerdeutlichsten war dies aus den Schinnbeinen der
fünften und sechsten Taube erweislich, die ich vom
neunten Tage nach der Operation, bis zum funf-
zehnten, an welchem ich sie tödtete, mit Färber-
röthe gefüttert, da denn das untere Ende der
dickgeschwollnen knorpelichten Beinhaut einen
hochrothgefärbten knochichten Ring enthielt, der
mit der Zeit eine ganz neue Knochenröhre gebildet
haben würde.

Beym ersten Paare hatte ich das Mark im al-
ten Knochen unversehrt gelassen, bey den beyden
andern aber nach H. Tr. Vorschrift gänzlich zer-
stöhret. Bey jenen fand ich den alten Knochen
selbst, an der Stelle, wo ihn die knorpelichte
Beinhaut umschloß, ebenfalls aufgeschwollen, und
fest mit derselben verwachsen. Bey den beyden
andern Paaren hingegen hatte der alte Knochen
seine natürliche Dicke behalten, und ließ sich leicht
von der verdickten Beinhaut absondern.

Hingegen war weder in diesen beyden, noch im
ersten Paare die mindeste Spuhr einer zweyten
neuen kleinen Knochenröhre innerhalb der alten zu
sehen, dergl. H. Tr. zuweilen bey seinen Tauben,
und andre berühmte Wundärzte auch bey Menschen
gefunden.

[Seite 110]

Seine Bemerkung, daß die Thiere beym Zer-
stören des Marks Zeichen empfindlicher Schmer-
zen von sich gegeben (§. 55.) habe ich bey zwey
Tauben bestätigt gefunden, dahingegen die andern
beyden gar nicht einmal dabey gezuckt haben. Ue-
berhaupt finde ich immer mehr, wie wenig sich aus
solchen Versuchen an Thieren die Empfindlichkeit
oder Fühllosigkeit gewisser Theile behaupten läßt.
Die erstern zwey Tauben können aus Nachwehen
und Angst über die Amputation gezuckt haben, ohne
daß sie vielleicht das Zerstören des Marks selbst
afficirt hat. Die andern beyden können aber auch
durch den ersten heftigen Schmerz so betäubt ge-
wesen seyn, daß sie den folgenden geringen nicht
deutlich empfanden.

Selbst bey Menschen scheint die Frage nicht
leicht zu entscheiden. Viele berühmte Wundärzte ver-
sichern, daß zuweilen Kranke bey der Berührung
des Knochenmarks sehr empfindlich gewesen, und
doch habe ich noch vor kurzem einen jungen Men-
schen, von 16 Jahren untersucht, dem der Beinfraß
den obern Kopf des Schinnbeins heftig angegriffen
hatte, und den ich mit der Sonde drey Zoll tief
in der noch markvollen Röhre auf und nieder fah-
ren konnte, wobey er wol, wenn ich gegen den
Knochen drückte, ein stumpfes Gefühl, aber nicht
[Seite 111] die mindeste schmerzhafte Empfindung zu haben
bezeugte.

Uebrigens läßt sich die Entstehung der neuen
Knochenröhre zwischen dem Gewebe der Beinhaut
selbst am füglichsten so erklären, daß sie ein blo-
ses Extravasat des, zur Ernährung der alten
Röhre bestimmten Knochensaftes sey, da bekannt-
lich die Gefäße, die ihn zuführen, erst aus der
Beinhaut in den Knochen selbst gelangen. Wird
folgends das Mark nach H. Tr. Vorschrift zer-
stöhret, die Markköhle verstopft, so wird dadurch
dem Knochensaft aller fernerer Eintritt in den alten
Knochen gänzlich verwehrt, hingegen derselbe an
der äußern neuern Röhre desto mehr angehäuft,
so daß man alsdann nur den alten abgestorbnen
Knochen aus dem neuen herauszuziehen braucht.

Eben so wird auch bey Entstehung des Callus
überhaupt, dessen anfängliche Gallerte, die nach-
her zu Knorpel verhärtet, und endlich mit Kno-
chensaft getränkt wird, nicht sowol aus den Enden
des zerbrochnen harten Knochen selbst ausgeschwizt,
(v. Haller element. phys. Vol. VIII. p. 331 der
Ausgabe von 1778.) als vielmehr, wie bey den
angeführten Versuchen, aus den zerrißnen Ge-
fäßen der Beinhaut ergossen, wovon mich theils
[Seite 112] allerhand Versuche an lebendigen Thieren, denen
ich die Knochen mit mehrerer oder weniger Ver-
letzung der Beinhaut zerbrochen, theils verschiedne
geheilte Beinbrüche in meiner Knochensammlung
überzeugt haben. Ein Schenkelknochen z.E. von
einem äußerst venerisch-rhachitischen Kinde von
wenigen Wochen, der bey der Geburt in der Mitte
zerbrochen war, ist blos durch einen neuen brei-
ten Knochenring, der sich äußerlich um den Bruch
angelegt, und durch schwammichte Knochenfäden,
die sich in der Markröhre angesezt, wieder zusam-
men geheilt: da hingegen die Ränder des Knochen
im Bruche selbst wol eine Linie breit von einander
abstehen, und eine offne Lücke zwischen sich lassen.

Endlich ergiebt sich auch aus diesen Untersu-
chungen, daß zwischen der Entstehung des Callus
und der natürlichen Osteogenie zwar viel Aehn-
lichkeit, aber auch viel Verschiedenheit verwaltet,
und daß die Schlüsse von der einen auf die andre
mit viel Vorsicht und Einschränkung gefolgert wer-
den müssen.


[[I]] [[II]]


Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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