Die erste sichtliche Spur der menschlichen Lei-
besfrucht zeigt sich nicht vor der dritten Wo-
che nach ihrer Empfängnis; und zwar Anfangs
blos unter der sehr einfachen Gestalt eines klei-
nen bohnenförmigen halbdurchsichtigen Klümpchen
Gallerte, das, auf einer Tasse oder in einem Löf-
fel über Kohlfeuer gehalten, meist ganz verdun-
stet, und nicht viel mehr soliden Stoff zurück-
läßt als irgend ein andrer vertrockneter Tropfe.
Schon in dem nächsten Wochen erhält aber dieses
unförmliche kleine Geschöpf eine zum Bewundern
[Seite 32] schnelle und bestimmte Ausbildung, und durch die
in der 7ten oder 8ten Woche beginnende Verknö-
cherung seines Gerippes auch immer mehr und
mehr Consistenz.
Seine Bewegungen werden der Mutter nicht
leicht vor der 20ten Woche bemerkbar: und weil
auch bis dahin seine Eingeweide noch zu weit von
ihrer nachwärtigen zur Lebenserhaltung nothwen-
digen Vollkommenheit entfernt sind, so wird ihm
auch so lange noch keine Vitalität (in dem Sin-
ne, wie dieses Wort bey den Gerichten genommen
wird, wenn über den Termin der Erbfähigkeit des
Fötus gestritten wird) zugeschrieben.
Nach dem ordentlichen Laufe kommt es dann
zu Ende der 40ten Woche zur Welt.
Ein solches reifes gesundes Kind ist gegen 20
Zoll lang, und ohngefähr 7 Pfund schwer: so,
daß es in der 40ten Woche so viele Pfunde wiegt,
als es in der 4ten etwa Grane wog.
Man pflegt den physischen Lebenslauf des ge-
bohrnen Menschen in drey Stadien einzutheilen:
Zunahme nemlich; Reise des Lebens; und Abnah-
me. Jedes derselben zeichnet sich durch eigne Re-
volutionen in der körperlichen Oekonomie aus.
Der erste große Fortschritt den das Kind in
der Periode des Wachsthums macht, ist der, daß
es gegen Ende des ersten Jahrs auf eine drey-
fache Weise von der Mutter unabhängiger wird.
Es lernt nemlich laufen und so seinen Wirkungs-
kreis erweitern. Es lernt sprechen und dadurch
seine Bedürfnisse andern verstehn zu geben. Es
kriegt Zähne, um nun mannichfaltigere und soli-
dere Nahrung als bloße Muttermilch zu sich neh-
men zu können. Aus allen dreyen, zumal aber
aus dem letztern ergiebt sich zugleich der Termin,
den die Narur selbst fürs Entwöhnen bestimmt zu
haben scheint. Das Kind soll ohngefähr eben so
lange mit mütterlicher Milch als vorher mit müt-
terlichen Blute ernährt werden.
Die ersten 20 Zähne (die sogenannten Milch-
zähne) fallen vom 7ten bis ins 13te Jahr allge-
mach aus, und es tieten eben so viele neue peren-
[Seite 33] nirende an deren Stelle. Die hintersten 12 Backen-
zähne hingegen, die theils erst späte ausbrechen,
werden im natürlichen Laufe nie gewechselt.
Die zweyte Hauptperiode des physischen Le-
benslaufs, die Jahre der Mannbarkeit und des
völlig erreichten Wachsthums, erlebt kaum die
Hälfte der Menschen die gebohren werden. Die-
se wichtigste Reihe von Lebensjahren worinn der
Mensch in seiner ganzen Größe sich zeigt, – die
edelsten Kräfte seiner Seele zu ihrer Reife gedei-
hen, sein Körper alle Verrichtungen des animali-
schen Lebens, und zwar in ihrer vollsten Stärke
auszuüben vermag, – begreift ohngefähr die 30
Lebensjahre, die ihm zur Fähigkeit sein Geschlecht
wieder fortzupflanzen bestimmt sind.
Der Körper hat dann sein volles Wachsthum
und Festigkeit erreicht, die ihm in der vorherge-
henden Periode noch mangelten und hat doch
zugleich noch alle die saftreiche Geschmeidigkeit,
die ihm das höhere Alter meist wieder entzieht.
Denn man rechnet, das im männlichen Alter, in
einem Körper, der gegen 6 Fuß hoch ist und etwa
150 Pfund wiegt, die eigentlich festen Theile doch
nur 1/10 ausmachen, da das gebleichte Gerippe
kaum 1/15 und hingegen das Blut allein 1/5 je-
nes Gewichts, (also ohngefähr 30 Pfund) aus-
macht. Und wie Beobachtungen über das Ver-
brennen der Leichen gelehrt haben, so kann man
die bloß ausgebrannte Asche eines ganzen erwach-
senen Körpers, dessen cubischer Gehalt doch we-
nigstens 2 und 3/4 Fuß betrug, bequem in beyde
Hände auffassen!
Im letzten Stadium der menschlichen Lebens-
bahn sucht die wohlthätige Natur allgemach die
Bande lockerer zu machen, die in den vorigen
beyden, dem Menschen an die übrige irdische Schö-
pfung fesseln konnten. Seine äußern Sinne le-
gen allmälich ab. Zuerst gewöhnlich das Gehör,
das ihn mit der moralischen Welt in die nächste
Verbindung setzte. – Eben so auch sein Gedächt-
niß und die immer mehr von ihrem sonstigen
Feuer verlierende Phantasie.
So wird der Mensch der für Alter stirbt,
endlich zum zweytenmal Kind.
Sein Wirkungskreis wird immer enger und
enger. Er selbst immer Hülfsbedürftiger. Und
wer viel solcher kraftloser kindischer Alten gesehn,
der wird es fürwahr der Natur Dank wissen, daß
sie nur wenige Menschen, dieses von so vielen so
sehnlich gewünschte hohe Lebensziel erreichen läßt.
Denn man rechnet, daß von 1000 nur ohngefähr
78 dieses Todes, – des Todes für Alter, –
sterben.
Für jenes Ziel läßt sich zwar kein bestimmtes
Lebensjahr angeben. David sang: ‘”Unser Leben
währer 70 Jahr, wenns hoch kommt so sinds
80.”’ – Doch möchte man sagen 84. – We-
nigstens scheint sich diese Bemerkung zu bestätigen,
daß in Verhältniß ziemlich viele Alte das 84te
Jahr erreichen, hingegen auffallend wenige es
überleben.
Keinem andern Säugthiere hat die Natur
in Verhältniß zu seiner körperlichen Größe etc. ein
so ausnehmend langes Leben zugestanden als dem
Menschen. Aber auch alle Termine seines physi-
schen Lebenslaufs, hat sie weiter als den irgend
einem andern dieser Thiere hinausgesetzt. Keins
bleibt so lange Kind, keins lernt so spät auf die
Beine treten, keins kriegt so spät sein Gebiß,
keins wechselt seine Zähne so spät, keins wird so
spät mannbar u.s.w.