Man hat so viel über die Producte des
Harzes, über seine unterirdischen Reichthümer,
selbst über seine Pilze und Unkräuter, und hin-
gegen so wenig von seinen natürlichen Schön-
[Seite 103] heiten geschrieben, daß wirs uns zum Ver-
dienst anrechnen, ein paar Worte drüber zu
sagen. Sie sind nach dem Urtheil der gül-
tigsten Richter beträchtlich genug, um den
Ruhm eines Landes zu machen, das von an-
dern Vorzügen entblöst wäre; da sie hinge-
gen hier durch die mannichfaltigen theils we-
sentlichern Merkwürdigkeiten gleichsam ver-
drängt und übersehen werden.
Der Oberharz oder eigentlich sogenannte
Harz, der sich von Goslar bis Lauterberg und
von der Bergstadt Grunde bis zum Brocken
erstreckt, besteht aus einem waldichten Ge-
bürge, dessen Ketten sich nach verschiedenen
Richtungen durchkreuzen. In manchen Ge-
genden ist so wenig Ebne, daß selbst ganze
Städte, wie z.B. Andreasberg, auf eine son-
derbare Weise ganz steil am Abhang der Ber-
ge haben angebaut werden müssen. Schon
die Höhe dieser Gebürge und die daher rüh-
rende Rauhigkeit des Climats, lassen nicht
sowohl anmuthige sanfte Gefilde, als viel-
mehr wilde Gegenden von erhabner Schön-
heit erwarten. Selbst die Dunkelheit, oder,
[Seite 104] wies Haller nannte, die grüne Nacht der
hohen dichten Tannenwälder, die nur hin
und wieder durch ein eindringendes Licht, oder
durch das hellere Grün der Moose und der
grosen schönen Farrenkräuter, die in dicken Bü-
schen die Wurzeln der Bäume bekleiden, er-
hellt wird, macht an sich einen schauervollen
ehrwürdigen Eindruck, der aber noch durch
die feyerliche Stille, die in den mehresten Ge-
genden dieser Wälder herscht, erhöht wird.
Sie wird gewöhnlich nur durch das Pfeifen
des Windes durch die Tannenwipfel, durch
das harmonische Geläute der viererley Rin-
derglocken auf den Bergweiden, und durch
den Gesang der Waldvögel unterbrochen. Auch
der leztre ist der Wildheit des ganzen ange-
messen. Eine Nachtigall würde in diesen Ge-
genden deplacirt seyn: hingegen stimmen die
melancholischen Töne der Blutfinken, des Ku-
kuks, der Turteltauben u.s.w. und das hole
Pfeifen der Zeisgen und Drosseln völlig mit
der Wildniß ihres Aufenthalts überein. Doch
muß das was wir hier als den Totalein-
druck angeben, den die Harzwälder auf Ge-
[Seite 105] sicht und Gehör machen, nicht etwa misver-
standen und als eine ermüdende Einförmig-
keit ausgelegt werden. Ehr würde die trockne
Anzeige aller der mannichfaltigen abwechseln-
den, meist über alle Beschreibung malerischen
Partien ermüden, die sich zwar fast bey je-
dem Schritt in diesen Waldungen, hin und
wieder aber in ganz ausserordentlicher Schön-
heit zeigen. Wir zweifeln daß viel Gegen-
den in Europa seyn werden, wo Landschaft-
maler den zahlreichen vielfachen Schmuck der
Natur im Bezirk weniger Meilen so bey ein-
ander finden und so leicht studiren könten,
als auf dem Harz: und wir können Hoff-
nung machen, daß ein junger Künstler in Göt-
tingen diese Schule benutzen, und eine Samm-
lung der schönsten Harzgegenden, theils in
Aberlis und theils in Wolfs Manier heraus-
geben werde. Die Wasserfälle auf dem Harz
sind klein, aber theils so schön als die zu Tivoli,
denen Salvator Rosa seine berufnen Gemälde
abgesehen hat. Hingegen sind die gesperrten
Landschaften, zumal Wildnisse mit unwegsa-
men Felsen, Steinklippen, dicken Gesträuchen,
[Seite 106] ausgewurzelten Bäumen und rauschenden
Waldwassern desto zahlreicher. Einige davon,
zumal in der Gegend von Andreasberg und
zwischen Goslar und Zellerfeld, sind den schön-
sten Wildnissen von Roland Savery und Al-
dert van Everdingen so ähnlich, als wenn sie
die Urbilder dazu abgegeben hätten. Die
Aussicht von den Bergen in die Thäler hinab,
wird durch den Rauch der Hüttenwerke, der
in dicken Wolken emporsteigt, und durch das
dumpfe Getöse der Eisen- und Kupferhäm-
mer und der Puchwerke schauerlicher. Die na-
türlichen Grotten sind an einigen Orten über-
aus romantisch, wie z. B, eine im Elbinge-
rodischen, da eine starke Quelle aus dem tie-
fen Schlunde einer Felsenhöle hervorstürzt und
aussen sich über bemooßte Klippen vertheilt.
Hin und wider stößt man auch mitten auf
dem Harz auf grasreiche Ebnen und fette
Trifften mit Rinderhäusern (Chalets die den
Lesern der neuen Heloise so interessant seyn
müssen) völlig wie die auf den Schweizer Alpen,
nur, da sie keine so heftigen Windstürme zu
fürchten haben, nicht mit so grosen Steinen
[Seite 107] auf den Schindeldächern beschwert; in der in-
nern Einrichtung aber ihnen vollkommen gleich.
Auch von diesen sind einige ganz vorzüglich
und unbeschreiblich reizend. So liegt z.B.
zwischen Andreasberg und Braunlage ein Rin-
derhaus in einem kleinen Thale, dessen Bo-
den fast ganz mit einer der schönsten und
größten Spielarten von Vergißmeinnicht blau
bedeckt ist: überhaupt eine so stille ruhige Ge-
gend, daß sie wol die Landschaft zu Nic. Pous-
sins Arcadien hätte abgeben können. Wir
brauchen nicht zu erinnern, daß alle diese Ge-
genden von den schönsten Gerüchen der gewür-
zigen Alpenpflanzen dufften: aber unerwarte-
te ist es, wenn man von kalen dem Anschein
nach gänzlich unbewachsenen Felsen den voll-
kommensten Veilchen-Geruch verbreitet merkt,
der von einem staubichten Mooße (Byssus ioli-
thus) herrührt.
Für alle diese Schönheiten wird aber die
Seele und das Auge durch den Einfluß der
heitern Bergluft empfänglicher, deren wunder-
bare wolthätige Würkung Petrarcha und Rous-
seau und de Lüc eben so wahr als lebhaft an-
[Seite 108] gepriesen haben. Die Sache ist so richtig,
daß man sie oft durch den Beyfall ziemlich
ungebildeter Menschen bestätigt sieht, denen der
verschiedene Eindruck nicht entgangen ist, den
Regen und Thau und Reif und Gewitter etc.
auf dem Harz, in Vergleich mit andern Ge-
genden machen. Und aus dem anhaltenden
Genuß dieses Himmels läst sich auch die ehr-
würdige Einfalt und der ganze Charakter der
Harzbewohner erklären, der einen an das von
den Dichtern besungene goldne Zeitalter erin-
nern muß, und sich fast durchgehends in Ge-
bürgen und Alpgegenden in gleichem Maaße
erhalten hat. Er zeigt sich zumal in den
abgelegenern Dörfern des Harzes, selbst mit ei-
nen Anstrich von Rauhigkeit, den man aber
unbillig für ungesittete Ungeschliffenheit ver-
schrien hat. Die Einwohner, zumal die
Bauern und die Bergleute, sind durchgehends
gutmuthig, hülfreich, und ein bey aller sei-
ner Dürftigkeit fröliches Volk. Der Reich-
thum der Bergleute, aber auch ihre Sorgen,
reichen gerade nur von einem Sonnabend zum
andern. Bey harter Kost und noch härterer
[Seite 109] Arbeit sind sie heiter und lustig, spielen ihre
Zitter und singen ihr Vergliedgen, und scheuen
den Tod so wenig, der sie so oft und so au-
genscheinlich bey ihrem Gewerbe zu überfallen
droht, daß sie im Beruf zu sterben, für eine
glorreiche Todesart halten, und man nach einen
Unglücksfall diejenigen Bergleute, die die nächste
Anwartschaft haben, sich sehr zudringlich um
die erledigte Stelle des verunglückten, selbst
um die gefahrvollsten Dienste der Ausrichter etc.
bewerben sieht. Ueberhaupt haben sie für ihr
Gewerbe eine Art von Devotion, die man mit
Verwunderung und Achtung ansehen muß;
und selbst ihre Traditionen vom silbernen Cruci-
fix und Bergmännchen, die vor Alters einmal
im Andreasberg gefunden wären u.s.w. haben
ein Gepräge von Naivität und Würde, wodurch
sie venerabel werden. In ihrem häuslichen
Leben äneln sie den Landleuten im Walliser-
land, die St. Preux so beyfällig beschrieben
hat. Sie haben eben so viel Ehrlichkeit, Bon-
hommie, Droitüre, nur mehr Reinlichkeit als
diese. Denn so wenig auch die Harzer Wort
oder Begriff für Luxus haben, so eigen ist
[Seite 110] ihnen eine ausnehmende Reinlichkeit die selbst in
ihren berußten Hütten und in einem ärmlichen
Anzuge so gut als an ihrem Milchgeräthe
merklich ist.
Wir haben nur das allgemeine von den
natürlichen und sittlichen Schönheiten des Har-
zes angegeben, da es hier der Ort nicht ist
wo wir uns dem Vergnügen überlassen könten,
auch in ein detail dieser Merkwürdigkeiten zu ge-
hen. Nur dürfen wir ein paar von diesen, die
doch einmal als die Wahrzeichen des Harzes
verschrien sind, nicht unerwähnt lassen.
Der Brocken, der die Gränze zwischen dem
Ober- und Unterharz macht, und dessent-
wegen in den erleuchteten Zeiten der vorigen
Jahrhunderte so manche arme Frau mit ro-
then Augen, gebraten worden ist, erhebt sich
mit seiner Spitze fast 500 Klafter höher als
Göttingen in die Luft, und das Häusgen auf
dieser Spitze ist so das höchste Haus in Deutsch-
land, wie das Hospitium auf dem Gotthard
das höchste Haus in der Welt. Man kan im
Sommer von diesem Berge sehr oft das feyer-
liche Schauspiel sehen, was die Arten als Wun-
[Seite 111] der vom Athos und Olympus erzälten, Wol-
ken nemlich und Blitz und Donner unter den
Füssen. Die Aussicht vom Brocken bey hei-
term Wetter ist fast zu gros und zu weit, und zer-
streut zu sehr, als daß man die einzelnen Schön-
heiten darin gewahr werden sollte. Man kan
die Elbe wie einen Silberfaden, die Nordsee,
den Gibichenstein bey Halle, den Inselsberg
bey Gotha u.s.w. unterscheiden. Den Auf-
gang der Sonne vom Brocken zu sehen, ist
zwar wegen des häufigen Nebels und sogenann-
ten Heiderauchs eine seltene, aber wenn man
sie trift, eine Scene, die an Majestät und
Prachtvoller Schönheit mit wenigen andern
Phänomenen in der Natur verglichen werden
darf.
Unter den grössern Hölen des Harzes sind
die Baumanshöle und die Scharzfelder, am
berümtesten. Jene die von ihrem Erfinder ge-
nannt worden, liegt ohnweit der Rübelander
Marmorbrüche, und hat die gröste Gleichheit
mit der berufenen Grotte von Antiparos auf
dem Archipelagus, die aus Turneforts Reisen,
und aus dem Philosoph für die Welt bekannt
[Seite 112] ist. Nicht nur die ganze Bildung, sondern auch
die Beschaffenheit der Tropfsteinzapfen hat in
beiden Hölen überaus viel gemein, und die
ungeheuren Zapfen aus der Grotte von Anti-
paros, die der Graf Orlow abschlagen ließ,
und die der Baron Asch ans Göttingische Mu-
seum schenkte, sind nur durch die gelbliche
Farbe von den in diesem Cabinet befindlichen
Stalaktiten der Baumannshöle zu unterschei-
den. Sie besteht aus sechs bekannten und
wer weis wie vielen noch unbestiegenen Klüften
die alle mit weissen Tropfstein ausgekleidet und
an der Decke und am Boden mit Zapfen,
denen die Einbildungskraft und der Aberglaube
allerhand Gestalt und Namen gegeben hat, be-
deckt sind. In der zweyten Klufft findet sich auch
schwarzer und gelber Marmor und unzälige
grose Knochen, die wenigstens zum Theil ganz
sicher Elephanten zugehört haben, wie aus ei-
nigen Stücken vom Hirnschedel die neuerlich
von da nach Göttingen gekommen, und mit
den dort befindlichen frischen Elephantenknochen
verglichen sind, erweislich ist.
Die Scharzfelder Höle ist wegen allerhand
fabelhafter Sagen unter dem Namen der Zwerg-
löcher bekannt, und erst vor ungefähr hun-
dert Jahren entdeckt worden. Sie besteht
ebenfalls aus mehrern aneinander stossenden
Klüften, die dem Vorgeben nach wol Stun-
den weit unter der Erde fortgehen sollen; und
von denen die erste sehr geraumig und hoch
ist, und sattsames Licht durch eine Oeffnung
in der Decke wie durch eine Kuppel erhält.
Die Wände sind eben so wie in der Bau-
mannshöle mit Kalkwasser übersintert, und
es finden sich ebenfalls foßile Knochen in der-
selben, aber nicht von Elephanten, sondern
von Bären und von überaus grosen Thieren
aus dem Katzen-Geschlecht, vielleicht Tigern etc.
Im Göttingischen Museum sind von beider-
ley Art sehr gut erhaltne Stücke, und es
scheint leichter den Weg begreiflich zu machen,
wie Elephanten in die Baumannshöle, als
wie Bären und Tiger zusammen in die
Scharzfelder Knochenhöle gekommen sind.
Nicht weit von dieser leztern Höle liegt
die sogenannte alte Kirche, eine überaus an-
[Seite 114] muthige obschon ungepriesene und fast in
allen Topographien vergessene Einsiedeley oben
am Rande eines Bergs zu dem man auf
einen steilen Fuspfade von der Seite hinauf
gelangt. Ihre Lage hat sehr viel ähnli-
ches mit der berühmten Eremitage im Can-
ton Schweiz auf dem Rigiberg, gegen den
vier Waldstätter See zu, und ist geräumig und
hoch in einen harten Felsen gehauen. Das
Licht fällt theils durch den Eingang theils
durch die Decke hinein, da ehedem des Ein-
fiedlers Bet-Glöckgen gehangen. An den Wän-
den sind Nischen und Altärgen eingehauen.
Vor dem Eingang ist ein ebner Platz der
am Rande des Abgrundes mit Strauchwerk
umzäunt ist. Man hat von dieser Ebne eine
weite heitere Aussicht: zu den Füssen frucht-
bare Thäler und zahlreiche Dörfer, in
der Ferne aber amphitheatralische Gebürge
die den Horizont umgränzen. Es sind vor
einiger Zeit Menschen-Gebeine da gefun-
den worden, die vielleicht noch von einem der
frommen Bewohner dieser Eremitage herrühr-
ten; von deren Geschichte sich aber selbst in der
[Seite 115] Tradition nur sehr wenige Spuren erhalten
haben. Die ganze Anlage verrätht einen Stif-
ter der nicht aus schwarzblütigen Menschen-
haß sich und seinen Gram in tiefer Einöde
vergraben wollte, sondern einen gutmüthigen
andächtigen Mann, der die Einsamkeit suchte
um sich in der Stille an der Güte des Schöp-
fers und der Schönheit seiner Schöpfung und
dem Glück seiner Geschöpfe zu weiden.