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Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte
,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
Prof. an der Herzogl. Landesschule zu Gotha, und Corresp. der
Königl. Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Des vierten Bandes drittes Stück, mit Kupfern.

Gotha
1787
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.

Neue Beobachtungen.

[Seite 1]

I.
Einige naturhistorische Bemerkungen bey
Gelegenheit einer Schweizerreise. Vom
Hrn. Prof. Blumenbach.


Von den Negern.

In der Pommersfelder Bildergallerie sah ich
vier Negerköpfe von van Dyk,*)wovon
zumal zweye, so gar keine auffallend schräg
vorlaufende Faciallinie hatten, daß sie nur sehr we-
nig von der Europäischen Gesichtsbildung abwichen.

Da ich damals noch wenige Gelegenheit gehabt
hatte, mir eigne anschauliche Kenntnisse vom Bau
der Negerköpfe und Schedel aus der Natur selbst zu
erwerben, und mir hingegen beyfiel, daß Hr. Cam-
[Seite 2] per in einer in der Maler-Academie zu Amsterdam
gehaltenen Vorlesung geäussert hatte – ‘„die meh-
resten großen Mahler – und namentlich Rubens
und van Dyk und Jordaens – hätten, anstatt
Mohren, nur Schwarzgefärbte Europäer gemahlt;„’
so schrieb ich auch das sehr humane jener Neger-
Physiognomien auf Rechnung dieses allgemeinen
Fehlers.

Allein schon wenige Monate nachher hatte ich
Gelegenheit mich zu überzeugen, daß es doch aller-
dings auch ächte Neger giebt, deren Gesichtslinie
sehr mit der Europäischen zusammen fließt, und daß
also wenigstens jenes Pommersfelder Stück gar wohl
getreue Darstellung der Natur seyn kann.

Ich wollte in Yverdun die Hrn. Gebr. Trey-
torrens
besuchen, deren einer, der Chevalier, 35
Jahr lang in Französischen Diensten, vorzüglich
als Commandeur einer Escadre auf St. Domingo
gelebt, und der andre, eben durch die günstige Lage
seines Bruders, eine an sehr merkwürdigen Stücken
reiche Naturaliensammlung besitzt.

Wie ich in den Hof ihres herrlichen neuen Hau-
ses am Wege nach Goumoens eintrat, sah ich nie-
mand, der mich hätte zurecht weisen können, als
ein rücklings stehendes Frauenzimmer, von einer
Schönheit des Wuchses, die mir auffallend war.

[Seite 3]

Aber wie ward ich nicht folgends frappirt, da
sie sich auf meine Ansprache umwandte, und ich an
ihr eine Negresse von einer Gesichtsbildung fand,
die einem solchen Wuchse aufs vollkommenste ent-
sprach, und die porträtmäßige Treue von van Dyk’s
Negerköpfen, die ich in Pommersfelden gesehn,
nun vollkommen bey mir rechtfertigte.

Ein Gesicht, das durchaus – selbst in der Na-
se und in den etwas stärkern Lippen, – doch sogar
nichts auffallendes, geschweige denn unangenehmes
hatte, daß die gleichen Züge bey einer weissen Haut,
gewiß allgemein gefallen haben müßten.

Und nun zu allem dem nicht nur die aufgeweck-
teste munterste Lebhaftigkeit bey einem sehr gesunden
Verstande, sondern, wie ich bald nachher erfuhr,
oben drein ausnehmende Einsicht und Geschicklich-
keit in – der Entbindungskunst. Die zum Ver-
lieben hübsche Negresse von Yverdun ist weit und
breit in der welschen Schweiz als die beste Hebam-
me berühmt.

Von ihrem Herrn, dem Chevalier (der außer-
dem auch noch einen bildschönen Neger in Diensten
hat) hörte ich, daß sie eine Creole aus St. Domin-
go ist: ihre beyden Eltern aber aus Congo waren;
mithin auch nicht so schwarz als die Senegambischen
Mohren etc.

[Seite 4]

Seit jener Zeit habe ich Gelegenheit gehabt
ziemlich viele Negern zu sehen und zu sprechen, und
drey Negerschedel und eine Menge andrer Präpa-
rate von Negern in meine Sammlung zu kriegen,
und bin durch das alles, in Verbindung mit dem,
was ich mir aus Reisebeschreibungen darüber be-
kannt gemacht, immer mehr von der Wahrheit
zweyer Sätze überzeugt worden:

daß nemlich 1) zwischen Neger und Neger,
so wie in der Farbe, so besonders auch in Rück-
sicht ihrer Faciallinie eben so viele, wo nicht
mehr Verschiedenheit vorwaltet, als zwischen
manchen der übrigens noch so ächtesten Ne-
ger und andern Menschenvarietäten.

Und daß 2) die Neger in Rücksicht ihrer
natürlichen Geistesanlagen und Fähigkeiten
gerade um nichts dem übrigen Menschenge-
schlechte nachzustehen scheinen.

Die drey Negerschedel, die ich vor mir habe, ge-
ben bey der äusserst auffallenden Stufenfolge, womit
ihre Gesichtslinie vom einen zum andern übergeht,
einen sehr sinnlichen Beweis für den ersten dieser
Sätze.

[Seite 5]

Der eine, den mir Hr. Hofr. Michaelis aus
Neu-York mitzubringen die Güte gehabt, und den
ich anderwärts*) genau beschrieben, zeichnet sich
durch einen so hervorragenden Oberkiefer aus, daß,
wenn alle Neger so aussähen, man in Versuchung
gerathen könnte zu muthmaßen, sie möchten wohl
gar einen andern Adam gehabt haben, als unser
einer.

Der dritte hat eine nur so wenig schräge Ge-
sichtslinie, überhaupt eine so wenig exotische Gestal-
tung, und ist hingegen vom vorigen so äußerst ver-
schieden, daß, wenn ich nicht (– ebenfalls durch
die Güte des Hern. Hofraths –) den ganzen un-
versehrten Kopf, wie er so eben von der frischen Lei-
che abgeschnitten war, selbst zergliedert hätte, ich
anstehen würde, ob ich ihn auch wirklich für einer
ächten Neger ansprechen sollte?

Der zweyte steht völlig in der Mitte zwischen
beyden; und hat in der Totalform große Aehnlichkeit
mit dem Kopf des Abessynier Abbas Gregorius, von
welchem ich das gute Blatt, das Heiß im J. 1691.
nach von Sand gearbeitet, vor mir habe, und
der im Ganzen, nicht blos überhaupt von der na-
hen Verwandschaft der Abessynier mit den Negern
[Seite 6] zeugt, sondern der sogar nach den Europäischen
Begriffen von Schönheit den häßlichern Negern noch
ungleich näher steht, als den so wohl gebildeten,
wie die Negresse in Yverdun; oder wie eben der
überaus hübsche junge Neger, dessen Kopf ich, wie
gedacht, ganz frisch zergliedert; oder wie so tau-
send andre von guter, wenig von der Europäischen
verschiedenen, Gesichtsbildung.

Wirklich wie so tausend andere –: denn
was ich hier von der ziemlich Europäischen Gestal-
tung so vieler Neger gesagt, ist weiter nichts als
Bestätigung einer längst bekannten Wahrheit, die
so oft schon von präjudizlosen beobachtenden Reisen-
den angemerkt worden, und von welchen ich doch
ein Paar, die mir eben zur Hand liegen, als Zeugen
anführen darf.

So z.B. le Maire, in den Voyages aux Cap
verd, Senegal & Gambie,
S. 161. – ‘„à l’ex-
ception de la noirceur, il y a des Négresses aussi
bien faites que nos Dames Européanes.
„’ –

Leguat in seiner bekannten Reise, II. B. S.
136. – ‘„j’ai rencontré à Batavia plusieurs fort
jolies Négresses. Un visage tout-à-fait formé
à l’Européene.
„’ –

Hr. Adanson in seiner N. G. von Senegal
S. 22. von den Senegambischen Negressen: –
[Seite 7] ‘„Les femmes sont à peu près de la taille des hom-
mes, égalemant bien faites. Leur peau est
d’une finesse et d’une douceur extréme. Elles
ont les yeux noirs, bien fendus; la bouche et
les lèvres petites, et les traits du visage bien pro-
portionnés. Il s’en trouve plusieurs d’une beau-
té parfaite. Elles ont beaucoup de vivacité, et
sur-tout un air aisé de liberté qui fait plaisir.
„’ –

Hr. de Ulloa in den Noticias Americanas II.
B. S. 92. nach Hofr. Dieze’s Uebers. – ‘„Unter
den Negern haben einige dicke aufgeworfene
Lippen, eine platte Nase und tief im Fleische lie-
gende Augen, die man insgemein Getudos
nennt, und statt der Haare Wolle. Andere,
deren Farbe völlig eben so schwarz, als der vo-
rigen ihre ist, und deren Gesichtszüge, beson-
ders in Ansehung des Mundes, der Nase und
der Augen, den Weissen ähnlich sind, haben
schlichte aber dicke Haare.„
’ –

Nun und eben so unwiderredlich und zahlreich
sind die Zeugnisse und Beyspiele zum Erweis des
zweyten der obgedachten Sätze, nemlich von dem
gesunden Verstande und den guten natürlichen Anla-
gen und Geistesfähigkeiten der Neger.

[Seite 8]

Ihr erstaunliches Gedächtniß, ihre viel um-
fassende Geschäftsthätigkeit*), ihre Verschlagen-
heit im Handel, zumal mit Goldstaub, wobey selbst
die erfahrensten Europäischen Kaufleute nicht immer
genug auf ihrer Hut seyn können, sind alles zu all-
gemein bekannte Dinge, als daß es sich der Mühe
lohnte, darüber noch lang Gewährsleute anzuführen.

Eben so bekannt ist die ausnehmende Anlage der
Sclaven zu Erlernung aller Art von seiner Hand-
arbeit.

So ihre musikalischen Talente, da man Bey-
spiele hat, daß Neger die Violine so meisterhaft
gelernt, und so viel damit verdient, daß sie sich für
große Summen frey kaufen konnten.**)
[Seite 9] Vom poetischen Genie der Neger sind Beyspie-
le aus beyden Geschlechtern bekannt.

Einer Negresse, die Dichterin war, gedenkt Hr.
von Haller.

Ein Muster von den lateinischen Gedichten des
Neger Francis Williams, eines wackern Schul-
mannes, stehen in der History of Jamaica.

Und der Neger Ignatius Sancho ist neuer-
lich durch seine interessanten Briefe allgemein be-
kannt worden.

Nun aber doch auch ein Paar Beyspiele statt
vieler, von den Anlagen und Fähigkeiten dieser
unsrer schwarzen Brüder in wissenschaftlichen
Kenntnissen
:

Der protestantische Geistliche Jac. Joh. Eli-
za Capitein
war bekanntlich ein Neger, und ein
kundiger Schriftgelehrter und braver Redner. Ich
besitze sein Portrait auf dem treflichen Blatt, das
Tanjé nach P. van Dyk gestochen hat.

Unser würdiger Hr. Prof. Hollmann hat, da
er noch in Wittenberg war, einen Neger zum Dr.
der Weltweisheit creirt, der sich sowohl in Schrif-
ten, als auch als Docent vortheilhaft gezeigt hat,
[Seite 10] und nachher als königl. preuß. Hofrath nach Berlin
gekommen ist. Ich habe zwey seiner Abhandlungen
vor mir, wovon zumal die eine viel unerwartete und
wohlverdaute Belesenheit in den besten physiologi-
schen Werken jener Zeit veräth; ihr Titel ist: Diss.
inaug. philosophica de humanae mentis απαϑεια
s. sensionis ac facultatis in mente humana absen-
tia, et earum in corpore nostro organico ac vivo
praesentia, quam Praes. D. Mart. Gotth. Loc-
schero publice defendit auctor Ant. Guil.

Amo GuineaAfer, Phil. et. AA. LL. Mag.
et J.V.C. Wittebergae
1734. m. Apr.

Die andere führt den Titel: disp. philosophica
continens ideam distinctam eorum quae competunt
vel menti vel corpori nostro vivo et organico,
quam
Praeside M. Ant. Guil. Amo Guinea

Afro d. 29. Maii 1734. defendit Io. Theodos.
Meiner Rochliz-Misnic. philos. et. J.V. Cultor.

In einer Nachricht von Amo’s Leben, die bey
dieser Gelegenheit im Namen des academischen
Concilii gedruckt worden, heißt es unter andern von
seinen Talenten: – ‘„Honorem, meritis ingenii
partum, insigni probitatis, industriae, cruditio-
nis, quam publicis privatisque exercitationibus
declaravit, laude auxit. – Compluribus phi-
losophiam domi tradidit, excussis tam veterum,
[Seite 11] quam novorum, placitis, optima quaeque sele-
git, selecta enucleate, ac dilucide interpretatus
est.
„’ –

Und der Präses bey Vertheidigung der erstge-
dachten Schrift, sagt ausdrücklich in dem angehäng-
ten Glückwünsche an Amo: – ‘„Tuum potissi-
mum eminet ingenium felicissimum – utpote
qui istius felicitatem atque praestantiam, erudi-
tionis ac doctrinae soliditatem ac elegantiam, mul-
tis speciminibus hactenus in nostra etiam academia
magno cum applausu omnibus bonis, et in prae-
senti Dissertatione egregie comprobasti. Reddo
Tibi illam proprio marte eleganter ac erudite
elaboratam, integram adhuc et plane immuta-
tam, ut vis ingenii Tui eo magis exinde eluces-
cat.
„’ –

Von den nicht gemeinen Einsichten vieler Ne-
ger in die praktische Medicin, haben Boerhaave
und de Haen als gültige Richter die vortheilhafte-
sten Zeugnisse gegeben.

Und die soliden Kenntnisse und die seine geübte
Hand der Hebamme von Yverdun, sind, wie ge-
dacht, in jener Gegend allgemein berühmt.

Endlich zählt auch die Pariser Academie der
Wissenschaften einen Neger unter ihren Correspon-
[Seite 12] denten, Hrn. Lislet in Isle de France, der in
Genauigkeit meteorologischer Beobachtungen ex-
cellirt.

Und dieß nun zusammen genommen, so läßt
sich das, was ich von der ziemlichen Gleichheit der
Negern mit uns übrigen Adamskindern gesagt habe,
doch hoffentlich ganz wohl rechtfertigen.

Im Gegentheil sollte ich denken, man könnte
wohl ganz ansehnliche Provinzen von Europa nen-
nen, aus deren Mittel man schwerlich vor der Hand
Virtuosen, Dichter, Philosophen und Correspon-
denten der Pariser Academie zu erwarten hat.


Notes
*).
[Seite 1]

S. Verzeichn. der Schildereyen in der Gal-
lerie des Hochgräfl. Schönbornischen Schlos-
ses zu Pommersfelden. No. 110.

*).
[Seite 5]

In der Osteologie, S. 87. u.f.

*).
[Seite 8]

Ueberaus viel merkwürdiges hierüber erzählt Bar-
bot in seiner classischen Descr. of the Coasts of North
and South-Guinea
im 5ten B. der großen Chur-
chillschen Sammlung, an gar vielen Stellen.

So z.B. S. 235. – ‘„The Blacks are for the
most part men of sense and wit enough; of a
sharp ready apprehension, and an excellent me-
mory beyond what is easy to imagine; for, though
they can neither read nor write, they are always
regular in the greatest hurry of business and trade,
and seldom in confusion.
„’ –

**).
[Seite 8]

S. z.B. Hrn. Urlsperger’s Americanisch
Ackerwerk Gottes S. 311.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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