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J.H. Voigts
Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde
,
mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften.

Eilften Bandes
IV. Stück.

Jahrgang 1806.
April.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs
1806
.
[[391]] [Seite 392]

I.
Reisenachrichten vom Hrn. D. Langsdorff.

[Seite 289]

Auszug aus einem Briefe desselben an den Herrn
D. Noehden.*)

(Mitgetheilt vom Hrn. Hofr. Blumenbach.)

Peter-Paulshafen auf Kamtschatka
den 6. Jun. 1895.

Im September 1804 verließen wir Kamtschat-
ka
, und traten die Gesandtschaftsreise nach Ja-
[Seite 290] pan an, einem Lande, das außer Kämpfer
und Thunberg nur noch von sehr wenigen wis-
senschaftlichen Männern ist besucht worden. Er-
sterer hat in der That für die Geschichte und ge-
nauere Kenntnis des Landes mehr geleistet, als
möglich scheint, wenn man selbst da gewesen ist;
und letzterer hat eine Flora geliefert, die wohl
schwerlich je ein anderer wieder so zusammenbrin-
gen wird.

Auch wir reisten mit nicht geringen Hoffnun-
gen nach Japan; allein – man hat uns in
Nangasacki zwar mit allen Ehren behandelt,
aber in unsern Wohnplatz eingesperrt, streng be-
[Seite 291] wacht, allen Umgang mit den Einwohnern abge-
schnitten, einige wenige holländische Dolmetscher
ausgenommen; und nachdem die Antwort vom
Kaiser aus Jedo angekommen war, uns wieder
mit Geschenken von dannen geschickt.

An naturhistorische Excursionen war gar nicht
zu denken, und freilich brachten wir auch überdem
gerade die Wintermonate in Japan zu, nämlich
vom October 1804 bis April d.J. – Man gab
uns alle Nahrungsmittel und andere Bedürfnisse
umsonst, erlaubte uns aber auch nicht die geringste
Kleinigkeit zu kaufen. – Doch Sie wissen, wie
sehr Ichthyologie mein Lieblingsfach ist, und die
gehört glücklicherweise auch mit zur Küchendynastie.
Ich ließ mir also durch den Menschen, der uns
täglich die Provision nach unserm Staatsgefäng-
nisse brachte, so viele und so vielerlei Fische brin-
gen, als nur die Jahrszeit und der Fischmarkt dar-
boten, und auf diese Art erhielt ich in den letzten
drei Monaten an 400 Exemplare der seltensten Fi-
sche Indiens, die auf 150 verschiedne Species ent-
halten. Ich schicke Hrn. Hofr. Blumenbach
einstweilen ein kurzes Verzeichnis der schon bekann-
ten; das von einer Menge neuer Species muß ich
auf eine andere Zeit versparen.

Unsere Rückreise von Japan nach Kamt-
[Seite 292] schatka ist wohl eine der interessantesten Seerei-
sen, die man heut zu Tage noch machen konnte.
Wir haben nämlich die bis jetzt ganz unbekannte
N.W. Küste von Japan befahren und untersucht.
Die Straße von Sangoar ist durch uns ganz
genau bestimmt worden. Die ganze Westküste von
Matzumai (– J. Chicha –) haben wir be-
fahren. Der nördliche Theil dieser Insel ist zwar
im Besitz der Japaner, aber doch nicht von
diesen selbst, sondern von einem andern Völkchen
bewohnt, das wir in Europa unter dem Namen der
behaarten Kuriben*) kennen, und welche
sich hier Aïnos nennen. Derjenige Theil von
Matzumai, der von ihnen bewohnt ist, heißt
Jeso, und daher kömmt die öftere Verwechselung
der Inseln Jeso und Matzumai. – La-
Perouse’s
Pic de Lamanon ist nicht, wie er
glaubte, mit dem festen Lande verbunden, sondern
macht eine Insel für sich aus.

Wir segelten quer über die La Perouse’s Straße
nach Norden, und giengen in die tiefe Bucht von
Sagalin (– Golphe Aniwa –), die von den
[Seite 293] beiden Vorgebirgen Crillon und Aniwa ge-
bildet wird. La Perouse besuchte sie nicht; und
wir wissen nun, daß sich die japanischen Etablisse-
ments bis hieher erstrecken, da wir hier eine voll-
kommene japanische Factorei fanden. – Das
Land ist von den schon erwähnten Aïnos bewohnt,
und die La Perousischen Abbildungen der Bewohner
von Sagalin (– in der Baie de Langle, Pl.
55. des Atlas zu La Perouse’s Reise –) sind sehr
charakteristisch, und auch für die in Matzumai
passend; ausgenommen, daß sie hier den Scheitel
nicht ganz kahl scheeren, sondern das Haar auf
demselben nur kürzer abschneiden, als die Seiten-
und Hinterhauptshaare. – Uebrigens sind diese
Aïnos, den langen Bart abgerechnet, gerade nicht
stärker behaart, als gar viele Europäer.

Unsere Absicht war, die ganze O. Küste von
Sagalin (– oder Séghalien oder Tchoka –)
zu untersuchen. Als wir aber zu Ende des Mai’s in
die Gegend der Bucht de patience kamen, fan-
den wir die See noch mit unübersehbaren Feldern
von Treibeis bedeckt, so daß wir fürs erste nicht
weiter konnten, sondern hier im Peter Pauls Haven
einzulaufen beschlossen, um eine spätere Jahrszeit
zur Untersuchung jener Küsten abzuwarten. Und
so erreichten wir denn gestern zum zweiten Male den
[Seite 294] Haven, aus welchem ich Ihnen nun gleich heute
schreibe.

Die Briefe und Europa waren die Hauptsache,
denen wir schon seit langer Zeit sehnsuchtsvoll ent-
gegen sahen. Herzlichen Dank für Ihren lieben
Brief. Den, so Sie mir nach Rio Janeiro ge-
schrieben, habe ich leider nicht erhalten, weil wir
nicht da, sondern auf Sta. Catharina einliefen.

Es schmerzt mich sehr, daß ich folglich die Winke,
welche Sie und Hr. Hofr. Blumenbach mir
dorthin gegeben, nicht habe benutzen können. Was
inzwischen Pflanzen, und namentlich Farrnkräu-
ter, Asplenien etc., ferner Seepflanzen aller Art
anbelangt, so bin ich auf der ganzen Reise im
Sammeln und Einlegen derselben unermüdet ge-
wesen. – Auch meine Insectensammlung ist an-
sehnlich – für Mineralogie hingegen konnte we-
nig geschehen, da wir auf der ganzen Reise für
dieses Fach nur unergiebige Seeküsten berührt ha-
ben, und nicht in das Innere der Länder gekom-
men sind.

Herr Hofr. Tilesius, der, wie Sie wissen,
ein meisterhafter Zeichner ist, hat eine große Menge
der vortrefflichsten naturhistorischen Abdildungen
verfertigt.

[Seite 295]

So viel von dem Ueberstandenen; nun auch
ein Wort von dem noch Bevorstehenden.

Mit allen diesen Schätzen beladen, wäre es
freilich wohl ganz natürlich, daß ich mich nun so-
bald als möglich nach einem Ruheplätzchen umsähe,
wo ich die reiche Geistesnahrung gehörig digeriren
könnte. – Allein ich habe mich erst noch zu einer
neuen Expedition durch Versprechungen engagiren
lassen, die ich, nach vieler Ueberredung nur des-
wegen angenommen habe, weil ich überzeugt bin,
daß wenn Sie mir vollkommen erfüllt werden, ich
davon keinen geringen Beitrag zur nähern Kennt-
niß einer für Naturgeschichte noch gar wenig be-
kannten Erdgegend liefern kann. Kurz, ich ver-
lasse jetzt unsere bisherige Expedition; ich verlasse
einen vortrefflichen Mann und Führer an dem
Capt. Krusenstern, ich verlasse meine teutschen
Freunde, Horner und Tilesius, kurz, alle
Herrn Officiere, die mir bisher Freundschaft und
Zutrauen schenkten, und reise nun mit meiner an
Strapazen gewöhnten, und wie ich glaube, unver-
wüstlichen Constitution, nach – der W. Küste
von N. America, namentlich nach der großen Insel
Kadiac, die vor dem Cook’s River gelegen
ist; um den bisherigen Gesandten nach Japan,
den Herrn Cammerherrn von Resanoff, der nun
sein Hauptgeschäft beendigt hat, und der nach einem
[Seite 296] besondern Auftrage die russischen Etablissements in
America besuchen will, dahin zu begleiten. –
Also, in wenigen Tagen bereise ich die aleutischen
Inseln, und in etwa 6 Wochen hoffe ich auf Ka-
diac
anzulangen. Wahrscheinlich werde ich da
überwintern, und nächsten Sommer (1806) nach
Ochotsk kommen, um von da die Landreise nach
St. Petersburg im Winter 1807 anzutreten.


Notes
*).
[Seite 289]

Dieser liebenswürdige, kenntnißreiche, hoffnungs-
volle Arzt und Naturforscher ist leider seinen
[Seite 290] Freunden und seinen Wissenschaften schon am 13.
Nov. 18041 durch ein hitziges Nervensieber in sei-
nem 30sten Jahre entrissen worden.

Wie viel sich von den reifen Einsichten und dem
unermüdeten Forschungsgeiste des auch mir un-
vergeßlichen jungen Mannes erwarten ließ, wis-
sen wir aus seinen trefflichen Schriften, nament-
lich aus seinem Specimen de augmentis contra
Hedwigii theoriam de generatione musco-
rum, Goett.
1897. 4. so wie aus seinen Aufsäz-
zen in Hrn. Prof. Schrader’s Journal für die
Botanik, und im Londner Medical Journal, an
welchem letzteren er seit 1799 ein sehr thätiger,
und auch in England sehr geschätzter, Mitarbei-
ter war.

J.F.B.

*).
[Seite 292]

Ich habe einiges darüber in der 3ten Ausgabe
der Schrift de generis humani varietate na-
tiva pag.
29. gesagt.

J.F.B.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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