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Medicinische
Bibliothek
herausgegeben
von
Joh. Friedr. Blumenbach,
der Medic. Prof. ord. zu Göttingen.
Zweyten Bandes drittes Stück.
W. HUNTER.xxx

Prüfet alles, und das Gute behaltet.


Göttingen,
bey Johann Christian Dieterich,
1786
.

VII.
Ueber die vorzüglichsten Methoden Collecta-
neen und Excerpte zu sammlen.

[Seite 547]

Eine gute Methode Excerpte zu sammlen, muß
für einen Arzt eine sehr ernstliche wichtige Sache
seyn, wenn er anders Ueberlegung und Gewissen-
haftigkeit genug hat, um einzusehen, wie unent-
behrlich ihm der eifrige Stubenfleiß zum Fort-
gang mit dem beständigen Wachsthum seiner Wis-
senschaft ist, und ob es ihm z.B. gleichgültig
seyn kan oder nicht, wenn er einen Kranken
zwar nach seinem besten Wissen behandelt, aber
dennoch verloren hat, und nun über lang oder
kurz auf ein Buch stößt, das ihm schon längst
hätte bekannt seyn können und sollen, und nun da
eine schicklichere Behandlung oder kräftigere Mittel
[Seite 548] findet, womit er seinen Kranken vermuthlich hätte
retten können u.s.w.

Aber alles Bücherlesen würde von kurzem Nutzen
und auch fürs glücklichste Gedächtnis doch nur
ein sehr unsicherer und vergänglicher Schatz seyn,
wenn es nicht durch Collectaneen und Excerpten
einen bleibenden gesicherten Werth erhält.

Und hier kommt nun eben alles wieder darauf
an, was man sich dazu für eine Methode wählt,
deren man mancherley theils in eigenen Werken
beschrieben und empfohlen hat, und die doch meist
alle in der Ausführung ihre eignen Schwierigkeiten
zeigen.

à priori läuft die Theorie einer guten Excer-
pten-Methode vorzüglich auf dreyerley hinaus:

A) Das Excerpiren selbst muß mit so weni-
gem Zeitverlust
als möglich verbunden seyn.

B) Jedes Excerpt muß seine passende Stelle
erhalten, damit es zum Gebrauch sicher wieder
auszufinden ist.

Hauptsächlich aber muß C) die ganze Methode
aufs bequemste zum geschwinden Nachsuchen ein-
gerichtet seyn.

Die verschiedenen Wege die man nun a poste-
riori
zur methodus excerpendi eingeschlagen hat,
[Seite 549] lassen sich im Ganzen auf zwey Hauptclassen zu-
rückbringen:

Entweder nemlich auf einzelne Zettel zu ex-
cerpiren, und diese nachher nach den Materien zu
ordnen:

Oder aber die Excerpte gleich in ein soge-
nanntes Collectaneen-Buch zu tragen, und da
Register drüber zu führen.

Jede dieser beiden Methoden scheint ihre eignen
Vorzüge zu haben; jede ist aber auch wie sich
gleich zeigen wird mit ihren eignen unvermeidlichen
und den Gebrauch erschwerenden Unbequemlichkei-
ten verbunden.

Das Excerpiren auf Zetteln, hat die Autori-
tät zweyer der größten Männer für sich, die je
die Welt gesehen: die von Leibnitz nemlich und
von Haller.

Ich habe selbst von beider ihren dergleichen
Zettel-Excerpten eine Menge gesehen. Von Leib-
nitz
nemlich vielleicht Millionen auf der Biblio-
thek zu Hannover. Und von Haller unter andern
eine ganze Partey die zur neuen bis jezt unvollen-
deten Ausgabe der großen Physiologie bestimmt
war.

[Seite 550]

Beide Männer hatten immer auf ihrem Ar-
beitstisch ein paar Capseln zur Hand, die mit
leeren Zettelchen gefüllt waren, wo sie beym
Lesen die notanda einzeln drauf schrieben und die-
selben dann von Zeit zu Zeit an Ort und Stelle
vertheilten.

Der Vortheil hiebey ist, daß man diesen Zet-
telchen nachher mit Muße ihren bestimmten passend-
sten Platz anweisen, sie aufs genaueste rangiren,
gleich nach Belieben wieder anders ordnen kan etc.

Der Nachtheil hingegen, daß diese Zettel-
chen sehr unbequem sind zum geschwinden Aufsu-
chen, Nachschlagen: auch selbst ihre Uebersicht,
und sie zu ordnen etc. ist mühsam und erfordert
manche eigne Vorsicht, z.B. gegen dir Zugluft,
die einem guten Litterator seiner Zeit, dem seligen
Stolle in Jena einmal eine Menge solcher Zettel-
Collectaneen zu einer seiner Historien der Gelahrt-
heit aus seinem Gartenhause in die Saale geführt
haben soll.

Und kommt ein großer Vorrath solcher Zettel-
chen auch nur einmal in Unordnung, so sind sie
dann, zumal für jede andere Person völlig un-
brauchbar, wie das mit Leibnitz seinen würklich
der Fall ist.

Um diese Art von Excerpten doch einigermaaßen
zu sichern, und auch bequemer aufzufinden, hat
[Seite 551] man eigne Excerpten-Schränke mit vielen Fä-
chern vorgeschlagen. Leibnitz hatte einen sol-
chen, der ebenfalls auf der Bibliothek zu Hannover
steht: und den schon vorher Vinc. Placcius in
einem besondern Buche de arte excerpendi vom
gelahrten Buchhalten.
Holm. 1689. 8. beschrie-
ben und abgebildet hatte. Nun das ist aber die
ängstlichste unbequemste Maschine, die man sich
denken kan. Und überhaupt wird man finden,
daß auch dir einfachsten und folglich besten Excer-
ptenschränke doch nicht immer den gehofften Zweck
erfüllen. Ein solcher Schrank sieht Anfangs, fol-
gends wenn er fein geräumig ist, so gar nüchtern
und leer aus, und da die hübschen Fächer noch
hundert andere Dinge interim bequem zu fassen
dienen können; so ist es begreiflich, wie sich da
manchesmal sehr heterogene Mobilien hinein
schleichen, die man dann manchesmal sehr ver-
traulich mit den gelehrten Excerpten gepaart, und
auch wohl mit der Zeit diese durch jene verdrängt
findet.

Allemal aber bleibt keine Frage daß nicht diese
ganze Zettelmethode, immer der andern, da man
die Excerpte gleich in ein Collectaneen-Buch ein-
trägt, bey weitem vorzuziehen ist: und dennoch
hat auch diese ihre Gönner gefunden. Zumal
[Seite 552] einen sonst verdienten Arzt, einen Lieblingsschü-
ler von Boerhaave, den verstorbnen Joh. van
Gorter,
der sie in einem eignen Werke unter dem
Titel methodus dirigendi studium medicum, Har-
derov.
1753. 4. umständlich beschrieben und em-
pfohlen hat. Er rathet erstens die Collectanea
ohne weitre Ordnung, sondern so wie sie sich dar-
biethen in ein großes Buch mit weissem Papier zu
tragen; und den Inhalt eines jeden Beytrags
mit einem sogenannten Titel am Rande zu be-
zeichnen. Dann aber dreyerley Register darüber
zu führen: ein alphabetisches Manual, und nächst-
dem zwey Realregister; nemlich ein allgemeines
systematisches, und ein specielles im genauern
Detail.

Von der Last dieser dreyfachen Register ganz
abstrahirt, so hat überhaupt die ganze Methode
mit solchen Collectaneen-Büchern nur das einzige
für sich, daß die Excerpte gesichert sind, und nicht
verloren gehen. Hingegen fallen doch gerade alle
die andern obgedachten Haupterfordernisse von
brauchbaren Excerpten, ganz und gar weg!

Ein solches Buch muß bey einem fleißigen
Sammler in kurzen ein Wust werden, worein er
sich nicht anders als mit Mühe und Zeitverlust
finden kan: und sobald das ist, so fällt der
[Seite 553] größte Nutze des ganzen Excerpirens mit ein-
mal hin. Denn nun erfodert das ganze erst
wieder wenigstens ein sehr umständliches Regi-
ster. Also schon doppelte Arbeit; und die noch
darzu am Ende oft vergebens und folglich sehr
verdrüßlich ist, wenn man nach doppeltem Nach-
schlagen doch vielleicht das nicht findet, was man er-
wartete. Solche Collectaneen-Bücher sind dann
wie die alten miscellanea naturae curiosorum oder
wie die Breslauer Sammlungen. Auch da steckt
tausenderley Gutes drinn zerstreut; sie sind auch
ebenfalls mit vollständigen Registern versehen,
aber doch ist es eine so umständliche langweilige
und am Ende immer noch mißliche Sache diese
zerstreuten Miscellaneen drinn aufzusuchen, daß
dadurch ihre Brauchbarkeit bekanntlich gar sehr
eingeschränkt wird.

Ich habe gesehen daß man, um sich die dop-
pelte Mühe mit dem Register zu ersparen, gleich
das ganze Collectaneen-Buch alphabetisch einge-
richtet hat. Das ist aber folgends ganz verfehlt.
Entweder man vertheilt dann die einzelnen no-
tanda
unter besondere specielle Rubriken, so wer-
den dadurch die verwandtesten Dinge getrennt,
zerstückt und der Nutze des Ganzen wiederum
durch die Mühseligkeit des vielfachen Umher-
[Seite 554] schlagens unendlich gemindert. Oder aber man
will verwandte Materien unter eine gemeinschaftliche
General-Rubrik bringen, so ist man dann wieder
wegen des Ordnens der Unterabtheilungen und
wie man für das alles bey der ersten Anlage zum
voraus den Raum berechnen soll u.s.w. in zehn-
facher Verlegenheit.

Man hat endlich noch in einer dritten Me-
thode die beiden erstgedachten mit einander zu
verbinden gesucht; die Excerpte selbst nemlich der
Kürze wegen auf Zettelchen geschrieben, aber
nachher dieselben in ein großes Collectaneen-Buch
eingeleimt. So waren die Collectaneen eines der
größten und verdienstvollsten Sammlers, des unsterb-
lichen alten Conrad Geßners, deren ich eine
unsägliche Menge in großen Folianten bey seinem
würdigen Abkömmling dem Hrn. Chorherrn Geß-
ner
in Zürich gesehen, und auch Proben davon,
die ich von seiner Güte erhalten, vor mir habe.
Jener schrieb nemlich seine Collectaneen Absatz-
weise nur auf die eine Seite von schmalen Blät-
tern so daß er diese Absätze nachher von einan-
der schneiden, und in der verlangten Ordnung in
seine Collectaneen-Bücher einleimen konnte*).

[Seite 555]

Diese Methode hat freylich den gedachten Vor-
zug, daß man beym Excerpiren selbst keine Zeit
zu verlieren braucht, und nachher bey mehrerer
Muße, jedem Zettel seinen genauen bestimmten
Platz anweisen kan.

Allein die andern Unbequemlichkeiten der Col-
lectaneen-Bücher bleiben doch auch hier; und
schon das beständige Kleistern und selbst die Un-
form die ein solches zusammen geflicktes Volumen
dadurch erhält, werden manchen davon abhalten.

Bey diesen unlängbaren Mängeln der bisher
gedachten Methoden scheinen mir also folgende
Vorschläge noch die besten zu seyn; wenigstens
habe ich sie nach mancherley andern Versuchen
nun schon seit geraumen Jahren mit Nutzen be-
folgt. Manches darüber scheint sich vielleicht
von selbst zu verstehen, und kaum erst noch der
Erwähnung zu bedürfen. Allein man muß sich
dabey an Columbi Ey erinnern; und ich weiß
wenigstens aus eigner Erfahrung, wie spät mir
zuweilen in ähnlichen Dingen ein kleiner mechani-
scher Vortheil beygefallen, der mir doch zu gros-
ser Erleichterung gedient hat.

[Seite 556]

In manchen Fällen muß man freylich wohl
die Excerpte gleich aus freyer Faust auf ein
Blatt zusammenschreiben, entweder z.B. wenn
man auf dem Lande oder sonst von den Colle-
ctaneen entfernt ist; oder wenn das zu excerpi-
rende Buch geschwinde expedirt werden muß;
und etwa sehr gemischten Inhalts ist. Oder auch
überhaupt auf den ersten Anlauf wenn man irgend
nicht sogleich mit sich eins werden kan, wohin
man dieß oder jenes am passendsten eintragen soll.

Außerdem aber ist es am rathsamsten, gleich
das Excerpt an seine behörige Stelle einzutragen.
Und da scheint nun folgende Einrichtung die
bequemste.

Für Nebenfächer, wo sich folglich die No-
tata nicht schnell und stark anhäufen; ist es hin-
länglich ein Handbuch zu haben, das etwa durch-
schossen ist, und wo man nun die Excerpte einträgt.

Diese Notata – und alle Excerpte überhaupt –
dürfen aber nicht zu kurz und laconisch aufge-
zeichnet werden. Denn so leicht man sich auch
einer solchen abbrevirrten Note die nächsten-male
wieder erinnert, wenn sie einem wieder in die
Augen fällt, so schwer hält es oft sich nach Jah-
[Seite 557] ren noch darein zu finden; und für einen etwa-
nigen künftigen Besitzer wären dann ohnehin sol-
che ihm sonst vielleicht noch so wichtige Anmer-
kungen meist ganz unbrauchbar.

Bey den Hauptfächern hingegen reicht man
mit einem durchschoßnen Handbuche nicht lange
aus, sondern da sind nun eigentliche Collecta-
neen
nöthig.

Und hier ist nun die erste und vorzüglichste
Regel gleich die, mit dem Papiere nicht zu gei-
zen, sondern die Collectaneen alle nur auf eine
Seite zu schreiben und noch oben drein das Blatt
in zwey Columnen zu brechen. – Dieses leztere
nemlich, um gelegentlich verwandte Bemerkun-
gen oder Zusätze noch beyschreiben zu können.
Das erstere aber besonders des bequemern Ord-
nens und der leichtern Uebersicht wegen, die wenn
die Blätter auf beiden Seiten beschrieben sind,
um ein großes erschwert wird.

Am besten sind wohl einzelne Quartblätter.

Kleineres Format hat schon manche Unbequem-
lichkeit der Zettel-Excerpten; und Folio hingegen
scheint zwar zur Uebersicht vorzüglicher, ist aber
immer unbequem zu handtieren: – und man möchte
sagen, Bequemlichkeit ist die Seele beym Ex-
cerpten-sammlen.

[Seite 558]

Jene gebrochnen und nur auf der einen Seite
zu beschreibenden Quartblätter werden nun oben
rubricirt. Versteht sich, daß die Rubriken nicht
zu generell,
sondern lieber der Blätter dafür
desto mehr seyn müssen.

Und diese Blätter legt man dann, nach den
Materien in dünne Pappdeckel oder Mappen,
von gleichem Format.

So sind sie groß genug um sich nicht zu ver-
lieren; und doch auch nicht zu groß, um sie be-
quem zu handhaben. Sie behalten im Anfang
immer leeren Platz genug, um gelegentlich ver-
wandte Beyträge zuzusetzen. Das Ganze läßt
sich leicht ordnen, übersehen; und nimmt dabey
doch nie unnöthigen Raum weg u.s.w.

Häufen sich allgemach mehrere Blätter voll
Anmerkungen zu einem einzelnen Gegenstand, so
giebt man ihnen anfangs im gemeinschaftlichen
Pappdeckel einen besondern Umschlag von einem
halben Bogen, oder wenn es sich mit der Zeit
der Mühe lohnt, eine eigne Pappe.

Für diese Pappen habe ich ein kleines Fach-
werk, das mir am Schreibtische zur Hand steht,
und da liegen sie, wie es die darin enthaltnen
einzelnen Blätter erfodern, horizontal.

[Seite 559]

Man könnte diese Pappen zwar um sie auf-
recht zu stellen, an den Rändern mit Bändchen
versehen, aber das erschwert gleich wieder den
Gebrauch.

Um sie gleich auf den Blick von einander zu
unterscheiden, kan man sie von verschiednen Far-
ben und von ungleichem Gehalt nehmen; leztern
aber doch nicht größer, als daß er etwa einen
Daumendicken Stoß von solchen Quartblättern
bequem faßt. Ueberhaupt aber wird man fin-
den, daß man sie auch ohnedem, durch den fleis-
sigen Gebrauch sehr bald gleichsam blindlings am
Griffe zu haben lernt.

Bey dieser Einrichtung kan inzwischen den-
noch sowohl ein Zettelkästchen als auch eine Art
von Collectaneen-Buch beyläufig statt finden.

Ersteres nemlich auf den Fall um sich ein
einzelnes kurzes Annotat geschwind aus der Hand
zu schaffen, wofür sich nicht gleich die passende Stelle
unter den eigentlichen Collectaneen darbietet.

Lezteres aber als ein Miscellan-memoran-
dum
für Dinge, die außerhalb des Gesichtskrei-
ses der wissenschaftlichen Collectaneen liegen, und
man doch etwa anmerkenswerth findet.

J.F.B.

[[I]] [[II]] [[III]]
Notes
*).
[Seite 554]

Er giebt selbst umständliche Nachricht von dieser
seiner Collectaneen-Methode im IB. seiner Pan-
dectarum. Tig.
1548. fol. pag. 19 sq.

[Seite 555]

Viel ähnliches damit hat die Weise eines an-
dern überaus scharfsinnigen Arztes, des D. Hooke
s. the posthumous Works of rob. hooke publish’d
by Rich. Waller. Lond.
1705. fol. pag. 63 sq.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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