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Medicinische
Bibliothek
herausgegeben
von
Joh. Friedr. Blumenbach.

Dritten Bandes viertes Stück.
P. CAMPER.xxx

Prüfet alles, und das Gute behaltet.


Göttingen,
bey Johann Christian Dieterich,
1795
.

X.
Einige einzelne Anmerkungen und Zusätze
zu allen drey Bänden dieser Bibliothek.

[Seite 716]
* * *

Von dem Herausgeber.


Zum ersten Bande.

S. 231. Versuche mit Ticunas-Gifte.

Ich habe vor einigen Jahren durch die Güte
eines Freundes aus Barby einige der kleinen furcht-
baren Giftpfeilchen der Arawacken in Guiana er-
halten. Sie sind aus dem Holze des Cocarito-
baums (Bactris maior Jacquin.) geschnitzt, ohn-
gefähr 4 Zoll lang, und die Spitze, etwa ¾ Zoll
weit mit dem, bekanntlich aus mehrern Pflanzen
zusammengesetzten Gifte, dessen Haupt-Ingrediens
aber von einer Art Busch-Tau oder Liane (Toxi-
caria Americana Aubl.
) genommen wird, be-
strichen. Das stumpfe Ende wird mit Baumwolle
umwickelt, und so die Pfeile wie Bolzen aus einem
Blasrohre geschossen. Diese Pfeile waren schon
im Jahre 1781 an den durch seine Flora Barbiensis
[Seite 717] berühmten Dr. Scholler geschickt worden, folglich
war zu vermuthen, daß sie durch die Länge der
Zeit viel von ihrer Kraft verloren haben möchten.
Doch hielt ich einen Versuch der Mühe werth,
und ritzte den 31. März 1791 Nachmittags um
5 Uhr einem jungen Caninchen die Haut auf dem
Rücken, so daß ein Tropfen Blut erfolgte, und
fuhr dann mit der Spitze eines dieser Pfeile, die
ich vorher einen Augenblick in warmes Wasser
gehalten hatte, in diese kleine Hautwunde. Das
Gift ward sogleich vom Blute zu einem bräunlichen
Safte aufgelößt, und schien zu schmelzen wie
Zucker. Sobald ich das vorher muntre Caninchen
hinsetzte, blieb es wie betäubt auf einer Stelle, fiel
nach zwey Minuten auf die eine Seite, kriegte
einige Zuckungen und starb in der fünften Minute.
Von dem Augenblick an war und blieb der ganze
Körper auffallend welk und schlaff. Ich öffnete
ihn gleich nach dem Tode. Zuerst die Brust. Da
war aber alle eigne Bewegung des Herzens schon
vorbey. Bloß durch künstlichen Reitz mit der
Messerspitze ließ sich noch einige Minuten hindurch
einige schwache Spur von Irritabilität wieder
erwecken. Hingegen zeigte sich bey Oeffnung des
Unterleibes der motus peristalticus, zumal der
dünnen Därme, über eine Viertelstunde lang noch
sehr lebhaft.

[Seite 718]

Gleich darauf brachte ich einem größern Ca-
ninchen auf gleiche Weise, die nämliche Pfeil-
spitze bey, die nun aber durch den vorigen Ver-
such schon größtentheils von Gifte entblößt war.
Das Thier war anfangs noch im Stande einige
Schritte weit in der Stube umher zu kriechen;
fiel aber dann auch bald ganz und gar gelähmt
und äußerst flaccide nieder: zeigte indeß doch noch
eine Stunde lang krampfichte und zuckende Be-
wegung in der Haut; zumal an der Schnautze
und an den offnen stieren Augen. Die Augen-
sterne hatten ihre Beweglichkeit bald verloren:
so daß das Auge womit das Thier auf dem Boden
lag, eine sehr weite, das andre nach der Hellung
gekehrte hingegen eine enge Pupille hatte. Beide
Augen waren übrigens gegen Licht oder Dunkel
gleich unempfindlich. Das Herz schlug diese Stunde
hindurch äußerst unordentlich, intermittirend und
sehr schwach. Gegen 7 Uhr stand es still, indeß
die Hautkrämpfe noch fortdauerten. Bey der
Oeffnung zeigten sich im Ganzen die gleichen Phä-
nomene wie beym vorigen, nämlich lebhafter
motus peristalticus bey sehr schwacher Reitzbar-
keit des Herzens, als an welchem nur das rechte
Ohr noch einige schwache eigenthümliche Bewe-
gung zeigte.


[Seite 719]

S. 233. Versuche mir Kirschlorbeergeiste.

Durch die Güte des Hrn. Geh. Hofrath Gir-
tanners
erhielt ich eine Quantität von dem näm-
lichen in der Hofapotheke zu Florenz ohne Wasser
von den bloßen Blättern destillirten Kirschlorbeer-
geistes womit Herr Fontana seine Versuche ange-
stellt. Ich brachte in des Hrn. Geh. Hofraths
Gegenwart einem jungen sehr muntern Pudel drit-
tehalb Quentchen von diesem Spiritus rector mit-
telst einer Halssprütze in den Magen. So wie er
losgelassen ward, lief er hastig mit großem Heulen
und Würgen in die Ecke des Zimmers, wo er
sogleich auf die linke Seite fiel und augenblick-
lich mit den heftigsten Convulsionen, zumal mit
Opisthotonus befallen ward. Nach einigen Mi-
nuten lag er schon wie todt: fing doch aber bald
nachher noch einmal einige Minuten lang an zu
winseln und zu würgen. Aber ohngefähr eine
Viertelstunde nach dem Empfang des Giftes war
er wirklich todt, und das ohne die mindeste vor-
gängige Ausleerung irgend einer Art. Der linke
Augapfel war niederwärts, der rechte hingegen
aufwärts verdreht. Bey der Oeffnung war der
Magen nicht entzündet, aber gelähmt, ohne alle
Spur von wurmförmiger Bewegung, die hinge-
gen an den dünnen Därmen sich lebhaft zeigte.
Auch das Herz zog sich noch einige Minuten lang
[Seite 720] von selbst in seinem regelmäßigen Rhythmus zusam-
men. Aber auffallend war auch nach dieser Todes-
art die ganz ausnehmende Erschlaffung aller will-
kührlichen Muskeln, so daß das ganze Thier, selbst
nachdem es völlig erkaltet war, wie ein Lappe
sich zusammenlegen ließ, alles gleichsam an ihm
schlotterte.

Dieß brachte mich auf den Gedanken, den
Versuch an demjenigen Thiere zu wiederholen, das
wegen der enormen Stärke und Kraft seiner flexo-
rum
und constrictorum so merkwürdig ist, am
Igel. – Mittelst der Halssprütze (denn anders
wäre es nicht möglich gewesen) brachte ich also
einem erwachsenen Igel anderthalb Quentchen
dieses Kirschlorbeergeistes in den Magen. Nach
wenigen Minuten fing er von selbst an den Kopf
zurück zu beugen, und von Zeit zu Zeit den Mund
weit zu öffnen als ob er gähnte, auch einmal
einen Theil des Geistes mit milchichten Schleim
vermischt wieder wegzubrechen. Eine gute Viertel-
stunde nach empfangnen Gifte war er todt. Aber
schon wohl 10 Minuten vorher äußerte sich jene
sonderbare Erschlaffung am Halse und an den
Pfoten. Vollends nach dem Tode war das ganze
Thier so wie dort der Pudel erschlafft. Bey der
Oeffnung hatten Magen und Därme alle wurm-
förmige Bewegung verloren, da hingegen das
[Seite 721] Herz noch 6 Minuten, nachdem die Brust geöffnet
war, freywillige Irritabilität zeigte. – Daß dieses
(gegen das sonstige gemeine Vorurtheil) mit seinem
zwar zarten und weiten aber übrigens unverkenn-
bar sichtlichen Herzbeutel versehen war, erinnere
ich nur zu allem Ueberfluß.


S. 241. – Eine ohne allen Vergleich schönere
Abbildung der geflammten Retina hat schon vor
40 Jahren unser sel. Zinn aus einem Haasen-
Auge gegeben. S. Commentar. soc. Regiae scien-
tiar. Gotting.
Tom. IV. tab. VIII. fig.
3.


S. 337. Begriff und Name vom Bildungstrieb.

Dort übersetzte Herr Dr. Panzerbieter Büf-
fon’s moules intérieurs, in welchen sich seine
molécules organiques abformen sollten, durch in-
nern Bildungstrieb. – Herr Rect. Lichtenstein
sagt, Bildungstrieb sey Synonym dessen was bey
den alten Völkern Natur (Physis) geheißen; –
und Herr Dr. Birkholz belehrt uns, Bildungs-
trieb sey mit Haller’s Irritabilität, mit Newton’s
Attraction und mit Thouvenel’s gas aëroelectri-
cum
einerley. – Andre haben geradezu geäußert
Bildungstrieb sey blos ein neues Wort für eine
[Seite 722] längst bekannte Sache. Diesen mache ich viel-
leicht eine kleine Freude wenn ich ihnen sage, daß
ich so eben das Wort Bildungstrieb selbst, in einem
gar curiösen Buche aus der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts gefunden habe, worin von Verei-
nigung der Naturen in Christo Jesu, vom Unter-
schied der Natur und Gnade und von dergl. mehr
sehr gelehrt gehandelt wird.

Mir würde es dagegen eine große Freude seyn,
wenn mich einer von ihnen gefälligst belehren
wollte, ob irgend einer der Schriftsteller über
Natur oder Irritabilität oder Attraction oder vis
plastica etc
. bey Untersuchung des Zeugungs-
geschäftes, vor mir die Vereinigung der beiden
Principien, welche man sonst geglaubt hat unver-
einbar zu seyn, nämlich der physisch-mechanischen,
und der bloß teleologischen Erklärungsart der or-
ganischen Natur, versucht habe?


S. 523. Die Brodfrucht.

Herr Baronet Banks, von dem ich vorigen
Sommer eine ausnehmend große und schön con-
servirte Brodfrucht in Spiritus erhalten habe,
(die der würdige Cptn Bligh mitgebracht, da er
ein paar tausend Stämmchen des Brodbaums von
Otaheiti abgeholt und nach den westindischen
[Seite 723] Inseln transportirt,) schreibt mir im vorigen
December eine Nachricht, die gewiß auch jedem
meiner Leser freuen wird, qui humani nihil a se
alienum putat
,

‘„daß nämlich jene nach Jamaica und den
Leewards-Inseln überbrachten Brodbäume
über alle Erwartung herrlich anschlagen,
und sich schon im vorjährigen September
Stämme darunter befunden haben über
14 Fuß hoch und über 16 Zoll im Umfang.
– So bauet man auch jetzt im Englischen
Westindien drey neue Spielarten von
Zuckerrohr, die alle drey der bisher allge-
mein bekannten bey weiten vorzuziehen sind.’


Zum zweyten Bande.

S. 113. ‘„fierine potest conceptio sine coitu?„’

Die dort angeführte famöse Erzählung beym
Averroes bezweifelt schon Berengarius (Carpen-
sis) in Mundinum pag.
191.

‘„Credo„’ sagt er, ‘„Averroim fuisse deceptum
a mulieribus, quia illa mulier iudicio meo,
saluo semper saniori, quae dixit se esse im-
praegnatam in balneo, fuit impraegnata me-
[Seite 724] diante virga virili et non aliter. Et miror de
Averroe qui dicat se credere mulieribus, quia
non credidit creaturae neque creatori. Et sic
Averroes tanquam vulpis antiqua fuit captus
et deceptus a sua vicina quae iudicio meo
deridebat eum
.„’


S. 124. Bestandtheile des Carlsbader Wassers.

Daß das was der sel. Brückmann dort für
Schwefelleberluft gehalten, nichts anders als
kohlengesäuertes Gas sey, zeigt Herr Dr. Scherer
in den Abhandlungen der Böhmischen Gesellschaft
der Wissenschaften zu Prag, aus das Jahr 1785.
zweyte Abtheilung S. 38 u.f.


S. 171. Ursachen des in gewissen Ländern auf-
fallend häufigern Selbstmords.

Der berühmte Dr. Johnson wollte bemerkt
haben, daß seit das Tabaksrauchen unter den
gebildetern Ständen in England aus der Mode
gekommen, der Selbstmord dagegen weit häufiger
vorgefallen. S. Sir John Hawkins’s Life of
Dr. Johnson pag.
320.


[Seite 725]

S. 593. Ueber Lord Kaimes’s Behauptung,
daß die Nacktheit der Keuschheit weit zuträg-
licher sey als die Bekleidung.

‘„Chez plusieurs peuples Indiens toutes les
filles et les femmes vont nues, excepté les cour-
tisanes, dont l’état, disent ces peuples, est de
chercher à irriter les desirs.
„’ de Saînt-
foix
, Essay historique sur Paris. T. V. p.
100.

‘„Un prince, héritier d’une grande monarchie,
n’aimait que les pieds. On a dit qu’en Espagne
ce goût avait été assez commun. Les femmes, par
le soin de les cacher, avaient tourné vers eux
l’imagination de plusieurs hommes.
”’ – Vol-
taire,
Dictionnaire philosophique art, impuis-
sance
pm.
291.


S. 598. Infibulation.

Ich habe seit ich jenes geschrieben, in London
bey dem großen Alterthumskenner Hrn. Rich.
Payne Knight,
der sich neuerlich durch sein äußerst
scharfsinniges und gelehrtes analytical Essay on
the Greek alphabet
auch um die Physiologie der
menschlichen Stimme und Rede sehr verdient ge-
macht hat, und der bekanntlich die ausgesuchteste
instructivste Sammlung von antiken Bronzen besitzt,
die nur außer Italien anzutreffen ist, ein kleines
[Seite 726] bronzenes Ex voto gesehen, das die Infibulation
auf eine andre Weise als in der Antike die ich dort
aus Winkelmann’s monumenti inediti abbilden
lassen, vorstellt. Es sind die Genitalien eines
Knäbchen, wovon die Vorhaut, die über die Eichel
hervorgezogen ist, nahe hinter ihrer Oeffnung mit
einem ringförmig darum gelegten Bande zusam-
mengezogen und so fest gebunden ist, daß bevor
dasselbe abgenommen, nicht einmal das Wasser
gelassen werden könnte. – Die Zeichnung die ich
mit Hrn. Knight’s Erlaubniß von dieser in ihrer
Art einzigen Antike genommen habe, gedenke ich
anderwärts bekannt zu machen.


S. 644. Z. 15. l. angeschossen.


S. 654. Z. 15. l. unverantwortlich.


S. 673. Ueber den Anfang (– den Terminus
a quo
–) der Bildung der menschlichen Leibes-
frucht nach der Empfängniß.

Was ich dort nur aus der Analogie und gleich-
sam a priori gegen die gewöhnlichen Angaben so
mancher Schriftsteller und Sammler erinnert habe,
[Seite 727] die sich rühmen menschliche Embryonen aus der
ersten oder zweyten Woche nach der Empfängniß
zu besitzen, das habe ich bey meinem nachherigen
Aufenthalt in London durch eine sehr entscheidende
Erfahrung bestätigt gefunden. Ich habe nämlich
daselbst in dem British lying- in Hospital in
Brownlow-Street, Long Acre bey welchem sich
eine äußerst instructive Sammlung von merkwür-
digen Stücken zur Geschichte der menschlichen
Empfängniß und Krankheiten der Schwangern,
Gebährenden und Kindbetterinnen findet, ein
menschliches ouulum abortiuum gesehen, ohnge-
fähr von der Größe einer Sauerkirsche, der Em-
bryo darin so groß als ein Kümmelkorn, alles aber
so vollkommen unversehrt, frisch, als man es
etwa bey einem Thiere durch eine Vivisection er-
halten könnte. Nun, und von dieser frühsten
menschlichen Leibesfrucht wußte, wie mir die Hrn.
Doctoren Combe und Gartshore versicherten, die
dabey ganz unbefangene unverdächtige Mutter
mit Gewißheit anzugeben, daß sie entweder 21
oder aber 23 Tage alt seyn müsse. – Also gleich-
sam auf den Tag so wie ich es in den institut.
physiolog.
angegeben hatte.


Zu diesem dritten Bande.

[Seite 728]

S. 141. Da Vinci’s anatomische Hand-
zeichnungen.

Es ist während meines Aufenthalts in London
einer der größten Genuße für mich gewesen, mich
zu Zeiten in der Bibliothek Sr. Majestät des
Königs an der daselbst befindlichen in ihrer Art
einzigen Sammlung von Handzeichnungen großer
Meister zu weiden. Vor allen aber habe ich jenes
berühmte Volumen von anatomischen Zeichnungen
die Da Vinci (meist nach des de la Torre Zer-
gliederungen) verfertigt, mit innigen Vergnügen
und größter Bewunderung studirt. Der Scharf-
blick dieses großen Forschers und Darstellers der
Natur hat schon auf Dinge geachtet die noch
Jahrhunderte nachher unbemerkt geblieben sind.
So sind z.B. schon hier die menschlichen Zähne
in vier ordines abgetheilt, nämlich die ersten
beiden Backzähne, die John Hunter bicuspides
nannte, von den übrigen dreyen hintersten, ei-
gentlichen molaribus, unterschieden. – Ueberaus
scharfsinnig und lehrreich sind vorzüglich manche
Vorstellungen von Kopf und Rumpf, die zu be-
sondern Demonstrationen nach mancherley verti-
calen Richtungen durchschnitten sind; so z.B. ein
männlicher und ein weiblicher Körper zusammen
[Seite 729] in copula, den Vorderleib gegen einander gekehrt,
und beide von hinten nach vorn (nämlich vom
Rückgraat bis zum Brustbein und der Synchon-
drose der Schaambeine) durchschnitten um die re-
spective Richtung der männlichen Ruthe in wäh-
render Erection zu der Axe der weiblichen Scheide
zu zeigen, und die von Lucretius bestrittne na-
türliche Bestimmung des Menschen zur Venus
obversa
zu erweisen.


S. 414. Daß die Hosen eher manche Krankhei-
ten zu verhüten als zu veranlassen scheinen.

Was ich dort aus einem Briefe des Herrn
Baronet Banks von dem bey den unbehoßten
Bergschotten so häufigen Wasserbruch angeführt
habe, hat wie ich finde auch der Wundarzt Lem-
priere
in Marocco bemerkt: – ‘“the cause of
the hydrocele so frequently occurring in this
country seems to be in a great measure the
loose dress of the Moors
.
”’ S. dessen Tour from
Gibraltar to Tangier
&c. pag.
27 u.f.


S. 429 und 534. Die giftigen Wirkungen der
kohlensauren Schwererde.

Ich habe mit diesem merkwürdigen Foßil, dem
so genannten Witherit aus den Bleywerken zu
[Seite 730] Anglezark bey Chorley in Lancashire mancherley
Versuche an lebendigen Säugethieren, und zwar
sowohl an reißenden wie Hunde und Katzen, als
an bloß grasfressenden wie z.B. Caninchen, und
an vielerleyfressenden wie der Igel, angestellt;
zumal um ihre Wirkung mit der des Strontianits
aus den Granitgebirgen bey Strontion in Schot-
land zu vergleichen, weil diese beiden Fossilien so
oft mit einander verwechselt worden. Der Raum
gestattet mir hier bloß folgende Resultate mit-
zutheilen:

Ich gab jedem Thiere eine Drachme des ge-
pulverten Foßils: den Fleischfressenden auf magern
Braten, den Caninchen mit rohen Kohl, den
Igeln im Gemüße etc.

Das Strontianit-Pulver fraßen sie ohne An-
stand und ohne die mindeste merkliche Wirkung.
Es schien durchaus nichts in ihren körperlichen
Verrichtungen zu verändern.

Das Witherit-Pulver schien allen sobald sie
es gekostet hatten zu widern: ließen davon liegen,
so daß ichs ihnen theils mit Gewalt beybringen
mußte. Wenn sie es aber nun hinter hatten, so
waren die vier allgemeinen Folgen: erbrechen,
laxiren, öfteres Harnen in kurzen Absätzen, und
Lähmung der Glieder.

[Seite 731]

Einige der Fleischfressenden erbrachen sich kurz
nachdem sie das Pulver genossen hatten und er-
holten sich bald wieder.

Sobald aber Thiere nach dem Genuße laxirt
hatten, so starben sie unausbleiblich.

Der Tod erfolgte dann drey, vier bis fünf
Stunden nach dem Genuße.

Bey der Oeffnung fand ich den Magen und
die dünnen Därme von kohlengesäuerten Gas auf-
getrieben.

Ein paar Hunden habe ich das Fell stark scari-
ficirt und die Wunden zu wiederholten Malen mit
Witherit-Pulver eingerieben und bestreut. Sie
trockneten davon schnell, binnen wenigen Minuten,
ohne daß es übrigens den Thieren im mindesten
geschadet hätte.

Daß alle die genannten Thiere unsern Iberger
Schwerspath, (die Schwefelsaure Schwererde) ge-
pülvert und unter ihr Futter gemengt willig, wie
Brey, und ohne den geringsten merklichen Nach-
theil fraßen, brauche ich nicht erst anzuführen.


[[I]]


Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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