Zu den großen vielbedeutenden Begebenheiten aus kleinen
unbedeutenden Veranlassungen gehört bekanntlich auch
die Restauration der Wissenschaften und die allgemeine Auf-
hellung durch Erfindung der Buchdruckerkunst. Denn es
mag nun entweder der alte Küster und Schöppe der Stadt
Harlem, Laurens Janszoon, oder aber der wackere Cavalier
zu Mainz, der Herr von Sorgenloch, genannt Gänsefleisch,
zuerst darauf verfallen seyn, so ist doch gewiß keiner von bey-
den in der Absicht ausgegangen, den damals immer mehr sin-
kenden Musen auf die Art unter die Arme zu greifen: sondern
jenen führte (wie erzählt wird) die Langeweile, da er beym
Spazierengehen Buchstaben in Baumrinden schnitt; und die-
sen sein Petschaftring mit seinem Namen, gelegentlich einmal
auf die ganze Idee.
Die Formschneidekunst, der gewiß die Medicin, und
besonders die Anatomie, Botanik und Naturgeschichte wohl
nicht viel weniger, als der Buchdruckerkunst selbst, zu verdan-
ken hat, schreibt sich im Grunde von einem noch weniger rühm-
lichen Ursprunge her. Sie stammt, wie die größten Kunstken-
ner neuerlich mit viel Wahrscheinlichkeit annehmen, aus den
Bierhäusern und Dorfschenken, für welche die deutschen Brief-
maler schon im 14ten Jahrhundert Spielkarten verfertigten,
und die erst nach der Hand auch zu andern Holzschnitten Anlaß
gegeben haben. Wenn man sich der anatomischen Figuren des
Vesals, der zoologischen und botanischen von Gesner, Leonh.
Fuchs, Hier. Bock u.s.w. erinnert, so wird man zugeben,
daß sie die brillanteste Epoche in der Geschichte des Wachs-
[Seite 136] thums dieser Theile unsrer Wissenschaft verursacht haben. Es
verlohnt sich daher sowohl zum Behuf der Litteratur, als der
Kunstgeschichte wegen, allerdings der Mühe, den ersten Spuren
von dieser so wichtigen wissenschaftlichen Benutzung der Form-
schneidekunst nachzugehen, und die rohem Versuche aufzuspü-
ren, aus deren allmähligen Vervollkommung endlich die ge-
nannten, (und seitdem nie wieder erreichten, geschweige über-
troffenen) Meisterstücke dieser Kunst entstanden sind.
Ich gebe diesmal blos von den ältesten anatomischen
Holzschnitten, die ich habe auffinden können, und die, so viel
ich weiß, bisher fast ganz verkannt worden, einige Nachricht.
Insgemein wird zwar der alte leipziger Magister, Ma-
gnus Hundt, von Magdeburg, für den gehalten, der zuerst
und zwar A. 1501 anatomische Figuren herausgegeben. Dies
behauptete schon der verdiente und gelehrte schneebergische
Arzt D. Hänel*), und der sel. Platner schrieb einige Jahre
nachher ein eigen Programm darüber**), worinn er von
Hundt und seinen im genannten Jahre edirten Anthropo-
logium umständliche Nachricht giebt; ihn aber doch selbst
nicht entscheidend für den allerersten Herausgeber anatomi-
scher Figuren erklärt, sondern blos andre Schriftsteller wider-
legt, die dem Berengarius von Carpo, oder gar noch
spätern Anatomen, C. Stephanus etc. diese Ehre haben zu-
schreiben wollen.
Allein zuverläßig ist Hundt eben so wenig, als diese,
Erfinder der anatomischen Holzschnitte. Die ältesten, welche
ich vor mir habe, sind nicht nur früher (nämlich noch aus
dem funfzehnten Jahrhundert) sondern auch vergleichungs-
weise bey weitem mehr nach der Natur und sauberer als die
seinigen.
Das erste menschliche Skelet nämlich (versteht sich, das
absichtlich osteologisch gezeichnet ist – nicht etwa nur, um den
Tod vorzustellen) finde ich in Tractatu de animalibus, der
den zweyten Theil zu einigen Folioausgaben des Ortus sanita-
tis ausmacht, und worunter die meinige zwar ohne Anzeige
des Druckorts und der Jahrzahl, aber nach einer wahrschein-
lichen Schätzung, ums Jahr 1490 herausgekommen ist. Das
Skelet steht hinter dem Titel, hat fast Bogenhöhe und die
Ueberschrift:
Homo natus de muliere breui viuens tempore.
Und auf den Seiten ist die Anzahl der Knochen und ihre Be-
nennungen theils arabisch, theils lateinisch und deutsch beyge-
druckt. Die Zeichnung ist roh, aber doch, wie man sieht, nach
der Natur, wenigstens ungleich besser als irgend eine in
Hundts Anthropologium.
Die älteste splanchnologische Figur hingegen, die ich
kenne, findet sich in einem ungleich merkwürdigern Werke, näm-
lich in der zweyten Ausgabe von Kethams fasciculus medi-
cinae, die mit Mundini Anatomie A. 1500 zu Venedig in
Fol. mit Mönchschrift herausgekommen. Die erste ist 1495 im
gleichen Format auch bey den gleichen Verlegern erschienen,
und hat, wie ich im platnerschen Catalogo finde, ebenfalls
Figuren, nur kann ich doch nicht gewiß behaupten, ob auch
die anatomische, wovon hier die Rede ist, mit darunter be-
findlich. Herr von Haller erzählt*) aus dem Paschalis
Gallus (le Coq) Ketham habe ausnehmend schöne anato-
mische Figuren verfertigt, aber ich kann das weder im Pa-
schalis noch sonst irgendwo finden, denn dieser sagt blos, daß
er auch Ioannes de Karthan genannt werde, und führt die
Ausgabe von 1495 an. Die Figur im fasciculus medicinae
ist in Bogenhöhe auf dem siebenden Blatt, und stellt eine sitzende
[Seite 138] schwangere Frau mit offnem Unterleibe vor, worinnen, außer
den Nieren, den vasis emulgentibus, spermaticis etc. vor-
züglich der vterus grauidus für jene Zeiten recht unerwartet
gut abgebildet ist. Der fundus hochgewölbt, weit über die
ouaria hinaufgestiegen, die vagina geöffnet, um den ceruix
vteri zu zeigen u.s.w. Doch entspricht freylich die wenige
Feinheit dieser Zeichnung einer andern Vorstellung, die im glei-
chen Buche, beym Anfange der Anatomia Mundini vom da-
maligen methodus secandi gegeben wird, da der Prosector
mit hochaufgestreiften Ermeln und einem ungeheuren Küchen-
messer in der Faust, über die vor ihm liegende Leiche herfällt u.s.
w. also völlig so, wie noch ein Dichter aus dem 17ten Seculo in
Fabricii Hildani Fürtrefflichkeit der Anatomie singt:
Von dem kethamischen Werke selbst erinnere ich nur
noch, daß dessen eigentlicher Titel erst auf der vierten Seite,
und zwar ganz versteckt, steht. Die drey vorhergehenden Sei-
ten sind voll Figuren. Auf der ersten ein Arzt hinter einem
Schreibschrank, mit Büchern umgeben, und der Ueberschrift:
Petrus de Montagnana, vor ihm allerhand Patienten, die
den Urin bringen. Auf der zweyten wieder ein solennes
Harnbeschauen von fünf Aerzten. Auf der dritten 21 Urin-
gläser in Kreiß gestellt mit Explication. Auf der vierten
endlich die Ueberschrift des Werks: Incipit fasciculus me-
dicine compositus per excellentissimum artium ac me-
dicine doctorem: dominum Ioannem de Ketham Ala-
manum: tractans de anothomia et diuersis infirmitati-
bus etc. corporis humani: cui annectuntur multi alii
tractatus per diuersos excellentissimos doctores compo-
siti. Nec non Anothomia Mundini.
Und am Ende: Explicit fasciculus medicine in quo con-
tinentur: v.z.
Impressum Venetiis per Ioannem et Gregorium de Gre-
goriis fratres. Anno domini. MCCCCC. Die XXVIII.
Martii.
Aus dem platnerschen Catalogus sehe ich, daß es auch
bemalte Exemplare giebt. Das aber, welches ich besitze, ist
schwarz.
Ungleich besser aber als diese kethamische Zeichnungen,
und auch als die von Carpus, (die ohnehin vier Jahr später,
erst 1521 herausgekommen) sind drey Figuren, die besonders
die ganze Splanchnologie vorstellen, in Meister Hanß von
Gersdorff genannt Schylhans Feldt- vnd Stadt Büch der
Wundarzney, das zu Straßburg 1517 in Fol. herausgekom-
men, und nachher oft wieder aufgelegt worden. Dieses Werk
begreift nämlich zuerst des Guy von Chauliac Anatomie;
und dieser sind die gedachten drey Figuren mit folgender Nach-
richt beygefügt:
‘„Diß obbeschribene Anatomy hat der hochberümpt Artzt
vnd Meister Guido de Cauliaco Montis Pessulani, erst-
lich mit Arbeit zu Latein verfaßt, welche nachmals in
teutsch verdolmetschet. Vnd dieweil der Augenschyn ein
großer Behilf ist, findest du in nachgonder vnn zwo vor-
gonden figuren eygentlich aller sychtlichen, innern vnd
vßern glyderen, beynen vnd aderen gewißliche Anzoig, so
[Seite 140] zu Straßburg warlich contrafayt vnd deutlich verzeychnt
ist ab eime todten, vnd darzu erbettenen Mann mit dem
strang gericht. Anno Christi. M.D. xvij.“’
Die größte von diesen Figuren hat Bogenhöhe mit der
Ueberschrift: Anatomia corporis humani 1517. und der Un-
terschrift: ‘„getruckt zu Straßburg durch Joannem Schott.“’
In der Mitte die Leiche mit geöfneter Brust und Unterleib.
Zu beyden Seiten sieben kleine Figuren von Gehirn, basis
cranii, Schlund etc. Unten eine Menge Reime, worinn die Lei-
che redend eingeführt ist. Unter andern heißt es: