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GOETTINGER
TASCHEN-CALENDER
VOM JAHR 1777.

BEY IOH. CHR. DIETERICH

Der Biber

[Seite 92]

Kein vierfüßiges Thier führt vielleicht Un-
ternehmungen aus, die, in Rücksicht auf seine
eigne Grösse, grösser und merkwürdiger genannt
werden könnten, als der Biber. Einem jeden
ungleich grössern Thiere würden die Gebäude
immer Ehre machen, die der Biber da, wo er
in völliger Freyheit arbeitet und ihrer bedarf,
im Wasser aufführt.

Die Länge seines Körpers beträgt ohnge-
fähr drey Fuß, seines Schwanzes nicht ganz
einen. Dieser Schwanz ist ganz platt und
breit, und nicht mit Haaren bekleidet, sondern
vielmehr gleichsam mit einer schuppichten Fisch-
haut überzogen. Der übrige Körper des Thie-
res ist durch ein gedoppeltes Haar bedeckt; ein
feineres sehr dichtes Wollhaar, das nur al-
lein zu den Castorarbeiten angewandt wird,
und ein längeres und gröberes allerwärts da-
zwischen hervorragendes.

Der Biber hat in seinem schmalen Kopfe
ziemlich kleine Augen liegen, und kurze abge-
rundete Ohren. In seinem Maule stehen oben
zween ziemlich lange und scharfe Schneidezähne
voran, und unten eben so viel; in einiger Ent-
[Seite 93] fernung davon stehen seitwärts die Backen-
zähne. Die Hinterfüsse sind eben sowohl als
die vordern mit fünf Zähen versehen, nur sind
diese Zähen an jenen durch eine Schwimmhaut
unter einander verbunden, wie die Zähen einer
Gans.

Obgleich der Biber nicht gänzlich in Eu-
ropa mangelt, so findet er sich doch in einer be-
trächtlichen Menge nur im nördlichen Asien,
besonders aber im nördlichen America, zumal
in Canada. Und eben hier im nördlichen Ame-
rica legt er die so sehr merkwürdigen Gebäude
an, welche zeigen können, was Fleiß und
Standhaftigkeit auch bey dem Schwachen ver-
mögen.

Die Biber, welche im Frühlinge und im
Anfange des Sommers einzeln, jeder für sich,
lebten, versammeln sich gegen das Ende des
Sommers an den Ufern der Gewässer. Dieje-
nigen, welche an einem stehenden Gewässer zu-
sammenkommen, unternehmen jenes grosse ge-
meinschaftliche Gebäude nicht, dessen sie nicht
bedürfen, sondern denken gleich auf die Verfer-
tigung ihrer besondern Hütten. Da sie diese
Hütten dergestalt anlegen, daß ein Theil ihres
Körpers in denselben unter, und ein andrer
Theil über dem Wasser liegen kann, und bey
einem Teiche keine erheblichen Veränderungen
in der Höhe des Wassers vorgehen: so können
die Biber in einem Teiche alle die Anstalten er-
sparen, wodurch sie in einem Flusse verhüten
müssen, daß das Wasser in ihren einzelnen
Wohnungen das eine Mal nicht zu hoch, das
andere Mal nicht zu niedrig steht.

Diese Anstalten bestehen bey denen Bi-
bern, die in einem Flusse bauen, in einem an-
[Seite 94] sehnlichen Damme queer durch den Fluß, hin-
ter welchem sich das Wasser, wann es im Flusse
abnehmen sollte, sammeln kann, und durch
dessen Oeffnungen es hingegen abfliessen kann,
so bald es im Flusse zu hoch wird; damit also
das Wasser in den Wohnungen der Biber selbst,
die über dem Damme liegen, immer ohngefähr
gleich hoch steht. Die Länge des Dammes
richtet sich nach der Breite des Flusses, aber
die Biber scheuen sich nicht, ihn selbst in Flüs-
sen anzulegen, in denen er achtzig bis hun-
dert Fuß lang seyn muß. Die Breite oder
Dicke machen sie immer um so viel grösser, wie
es die Grösse des Flusses erfordert, und lassen
ihn nach oben hin immer schwächer werden.

Zur Verfertigung dieses Dammes sägen
sie Bäume von beträchtlicher Grösse mit ihren
scharfen Vorderzähnen um, und wählen dazu
solche Bäume, die so am Ufer des Flusses ste-
hen, daß sie nach dem Umsägen ins Wasser stür-
zen; denn auf dem Lande würden die Kräfte
der Biber freylich nicht zureichen, so grosse
Bäume fortzubringen, wie sie zu ihrem Dam-
me gebrauchen; Bäume die öfters so dick, wie
ein Mensch im Leibe, sind. Mit eben den ein-
fachen Werkzeugen, womit die Biber die Bäu-
me selbst fällen, schneiden sie auch die Aeste da-
von ab, und verfertigen daraus eine Art von
Pfahl- und Flechtwerk queer durch den Strom,
das sie durch Erde, die sie mit dem flachen
Schwanze auf dem Grunde des Wassers fest-
schlagen, befestigen, und durch die Stämme der
Bäume selbst stärker machen. Dieß Flechtwerk
dient dem zu verfertigenden Damme den ersten
Halt zu geben, der dann aus zusammenge-
schleppter Erde, Steinen, Holzwerk, in der er-
[Seite 95] forderlichen Dicke aufgebauet, und oben mit ei-
nigen Ausschnitten zu Abflüssen für das Was-
ser versehen wird. Man sagt, die alten Weib-
chen dienten dabey anstatt einer Karre, und
liessen sich auf dem Rücken liegend und zwischen
den aufgerichteten Füssen mit Baumaterialien
beladen von andern Bibern durch Hülfe des
Schwanzes fortziehen: aber diese Erzählung
bedarf doch wohl noch eine weitere Bestätti-
gung, als der Umstand allein ist, daß der Rücken
der alten Weibchen unter den Bibern von Haa-
ren ganz kahl und abgeschliffen zu seyn pflegt.

Bis hieher arbeitete nun eine ganze, bis-
weilen ziemlich grosse und aus mehr als hun-
dert Bibern bestehende Gesellschaft gemeinschaft-
lich: aber sobald der ihnen allen zu gute kom-
mende Damm zu Ende gebracht ist, denkt jeder
Biber nur an die Verfertigung seiner besondern
Wohnung, oder vielmehr jede Familie an die
Verfertigung der ihrigen. Diese Biberfami-
lien bestehen aus zween, vier, sechs und meh-
rern, selbst an zwanzig Bibern, und ihrer pfle-
gen gemeiniglich zehn bis zwölf, seltner zwan-
zig und drüber, neben einander zu bauen. Die
Hütten der Biber haben eine länglichtrunde
Gestalt, und werden aus Holz, Steinen, Erde,
mit eben der Maurerkelle, die diesen Thieren
bey Verfertigung des Dammes dient, mit dem
Schwanze, aufgebauet. Sie haben zwo Thii-
ren, wovon die eine ins Wasser, die andere nach
dem Laude hingeht, und sind inwendig gleich-
sam stufenweise gebauet, damit die Biber bey
mässigen Veränderungen in der Höhe des Was-
sers, doch immer so darinn liegen können, wie
sie gern liegen mögen, daß der hintere Theil ih-
res Körpers im Wasser hängt.

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Diese Hütten halten die Biber sehr rein-
lich, und liegen in ihnen den Tag über auf Gra-
se, das sie hineintragen; denn des Nachts ge-
hen sie hauptsächlich ihren Geschäften nach, und
suchen ihre Nahrung auf, die vornemlich in
Baumrinden besteht. Im September sammeln
sie dergleichen Rinden zu Winterspeise ein; weil
aber die Biber trockne Baumrinden nicht ge-
niessen können, so verwahren sie den gesammel-
ten und dem ganzen Stamme gemeinschaftli-
chen Vorrath von Baumrinde immer unter
Wasser. Im Frühlinge entfernen sich die Bi-
ber wiederum von ihren Gebäuden; zerstreuen
sich und leben nun einzeln, bis sich der Som-
mer wieder zum Ende neigt.

Die Geburthszeit der Biber fällt im Marz,
und man meynt, daß sie vier Monathe träch-
tig sind. Sie gebähren auf ein Mal zwey,
drey bis vier Junge. Aber wenn man, wie
gewöhnlich, die Zeit, worinn ein junger Bi-
ber auswächst, auf drey Jahre setzt, und das
ganze Alter eines Bibers auf fünfzehn bis
zwanzig Jahre schatzt, so nimmt man vermuth-
lich beyde Male eine zu lange Zeit an.

Obgleich der Biber in seiner völlig natür-
lichen Freyheit das Wasser so sehr liebt, so kann
er dennoch auch füglich seine ganze Lebenszeit
durch auf dem Trocknen zubringen, und es
scheint wohl völlig gewiß, daß der jüngere Bi-
ber nur aus Nachahmung das Wasser bewoh-
nen lernt. Der Herr von Buffon hatte einen
jungen Biber aus Canada erhalten, der wirk-
lich das Wasser verabscheuete, vermuthlich weil
er seinen Eltern zu früh entrissen war, als daß
ihn die an das Wasser hätten gewöhnen kön-
nen. Nachdem der Herr von Buffon diesen
[Seite 97] Biber einmal in Wasser geworfen und ihn zu-
erst eine Zeitlang mit Gewalt darinn erhalten
hatte, befand er sich nicht nur sehr wohl dar-
inn, sondern ging auch nachher öfters von
selbst hinein.

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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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