Es hält schwer zu begreifen, wie man beym
Studium der Naturgeschichte – einer Wissen-
schaft, die so vieles zu Milderung des mensch-
lichen Elends, zu Stillung tausendfacher Be-
dürfnisse, zur Dämpfung des Aberglaubens,
beyträgt; die so unaufhörliche Unterhaltung
gewährt; und die daher seit den ältesten Zei-
ten, und weit früher als die mehresten übri-
gen Fächer menschlicher Kenntnisse betrieben
worden ist; die sich auch in Perioden erhal-
ten hat, wo fast alle andre Studien unter
dem Druck der Barbarey schlummerten: –
wie man bey alle dem erst so späte hat auf
den Einfall gerathen können, Naturalien-Ca-
binette, Archive der Natur anzulegen, und
die Belege zu sammlen, mittelst deren man
die Natur aus ihr selber studieren könnte.
[Seite 46] Die Sammlungen der Griechen und Römer
sind keiner Rede werth. Sie giengen blos
aufs Wunderbare, und alles was sie thaten,
war, wie man aus Pausanias u.a. sieht,
daß sie vermeinte Riesenknochen, große See-
thiere, Schlangenhäute und dergleichen Sachen
in Tempeln beylegten. Eben solche, blos
abentheuerliche Dinge, und nichts weiter, wur-
den nachher im Orient unter den Byzantini-
schen Kaisern, und in mittlern Zeiten im Oc-
cident in Kirchen und Klöstern aufgehoben.
Erst im sechszehnten Jahrhundert haben eini-
ge Aerzte, und zwar in Deutschland, ange-
fangen, zu Aufklärung der Naturkunde zweck-
mäßige Naturalien-Sammlungen anzulegen.
Georg Agricola, der in Joachimsthal, in Zwi-
ckau und Chemnitz lebte, ist der erste, der schon
um die Zeit der Reformation ein Mineralien-
Cabinet sammlete. Ihm folgten Joh. Kent-
mann, ein Torgauer Medicus, und besonders
der bekannte Zürcher Polyhistor Conrad Ges-
ner, der durch einen ausgedehnten, und in je-
nen Zeiten unglaublich mühsamen Briefwech-
sel, eine große Menge Naturalien aller Art zu-
[Seite 47] sammenbrachte. In Italien sammleten nach-
her Jul. Cäs. Arantius und Ulyß. Aldrovan-
dus, in England viel später erst Joh. Tra-
descant, Carls des ersten Hofgärtner, und so
im übrigen Europa nach und nach andre
Männer Privatsammlungen, oder legten auf
Kosten großer Herren öffentliche Cabinette an.
Diese ältern Sammlungen hatten doch fast
durchgehends den Fehler, daß man mehr Sel-
tenheiten als Merkwürdigkeiten der Natur
zusammenraste; zudem auch Kunstsachen, Ge-
wehre, Hausgeräthe fremder Völker, und ähn-
liche Curiositäten mit untermengte, und da-
durch dem Ganzen ein buntschäckiges geschmack-
loses Ansehn gab, auch selbst die Brauchbar-
keit des Instituts dabey verringerte; ein Feh-
ler der doch neuerlich meist gehoben, und Kunst-
Kammern und Naturalien-Sammlungen ge-
trennt sind.
Ueberhaupt wird der Werth eines Cabi-
nets durch seine Nutzbarkeit, und diese theils
durch die Vollständigkeit, theils durch die Art
des Gebrauchs den man davon machen darf,
bestimmt. Aus der letzten Rücksicht werden
[Seite 48] nun vorzüglich akademische Cabinette wichtig,
deren gänzliche Bestimmung dahin abzweckt,
daß sie nicht zum Prunck, sondern lediglich
zum Gebrauch, zur Untersuchung und zum
Unterricht dienen sollen. Und doch ist sonder-
bar, daß man auf diese allernutzbarste Gat-
tung von Cabinetten gerade am letzten be-
dacht gewesen.
Göttingen ist die erste Universität in Deutsch-
land, vielleicht in Europa, die mit einem ei-
gentlich akademischen Museum versehen wor-
den; und wir halten uns verpflichtet, von
ihm, auch schon als Epochemachenden Phä-
nomen, hier einige Nachricht zu ertheilen.
Die Grundlage zum Göttingischen Mu-
seum macht die bekannte Naturalien- und
Münzen-Sammlung des verdienten Hrn. Prof.
Büttners – eine Collection, die schon vor
langen Jahren von Vorfahren des Hrn. Prof,
angefangen, von ihm selbst aber, mit unabläs-
siger Rücksicht aufs Nutzbare und Lehrreiche, un-
gemein verstärkt worden ist, und die er vor ei-
nigen Jahren sehr patriotisch zum öffentlichen
Gebrauch an die Akademie überlassen hat.
Von den Münzen sagen wir blos beyläu-
fig, daß unter den Antiken besonders die Rö-
mischen Suiten, von den Consularibus an, bis
in die spätern Zeiten, von einer seltnen Voll-
ständigkeit sind; und daß bey den Modernen
vorzüglich auf Statistischen Nutzen gesehn,
mithin die gäng und geben Münzen aller
neuern Staaten, in verschiednen Perioden etc.
zusammen zu bringen gesucht worden.
Die Naturalien-Sammlung hat ihre Forçe
im Thier- und Mineralreiche, doch ganz vor-
züglich in letzterem. Sie begreift unter an-
dern eine eben so merkwürdige als kostbare
Collection aller Edelsteine, sowol in ihrer na-
türlichen crystallinischen Gestalt (forma deter-
minata), meist auch zugleich mit der Mutter
in welcher sie brechen; als in allen Nüancen
ihrer Farben, ihres Feuers, Wassers etc. ferner
ihres verschiednen Vaterlandes, und endlich
auch in ihrer verschiednen Bearbeitung, Bril-
lantirung und Fassung. Gleiche Vollständig-
keit hat man in den übrigen Branchen bey-
der Reiche zu erlangen getrachtet. Alle Stein-
arten, Erzte etc. finden sich in ihrem verschied-
[Seite 50] nem Zustande, Gestalt, Stufenfolge, wie sie mit
einander verbunden oder aufgelöst, zusammenge-
setzt oder dissociirt und verändert werden u.s.w.
Im Thierreich beläuft sich allein die An-
zahl der größern Thiere in Brantewein auf
mehrere Hunderte. Vorzüglich aber hat der
Herr Prof. auch auf Embryonen und Gerippe
von Thieren gesammlet; die um desto schätz-
barer werden, da sie oft über Umstände Auf-
schluß geben, die sich am ganzen Thier, seys
ausgestopft oder in Spiritus, nicht so füglich
erkennen lassen. So ist die Beschaffenheit der
Klauen und Zehen an unzeitigen Thieren
deutlicher zu erkennen, als bey behaarten Füs-
sen; so die Zähne besser am Gerippe als bey
einem Stück was noch seine fleischichten Theile
hat. Von solchen Thieren, die eine Me-
tamorphose bestehen, ist wo möglich immer
die ganze Suite ihrer Verwandlungsgeschichte
beysammen. Von dem, was mehr bloßes Ta-
petenwerk ist, von leeren Schneckenhäusern und
Muschelschaalen, ist zwar der Vorrath allemal
respectabel, doch sucht man lieber die Conchy-
lien in Spiritus zugleich mit ihren Bewohnern
[Seite 51] zu erhalten. Auch die sogenannten Präter-
naturalia, Misgeburten u.s.w. sind in Men-
ge vorhanden. Besonders ist die Collection
von Steinen aus dem menschlichen Körper
sehr beträchtlich und lehrreich: bey weitem stär-
ker als die in Daubentons Verzeichniß vom
Königlichen Cabinet in Paris.
Diese Büttnersche Anlage des Museums
ist nach der Hand durch die Vorsorge der Kö-
niglichen Regierung sehr beträchtlich vermehrt
worden.
Bald anfangs ward nemlich die große
Kräutersammlung des Leibmed. von Hugo, von
der Bibliothek dazu gegeben. Sie besteht in
79 Bänden, und wird vorzüglich wegen der
Menge exotischer Pflanzen, die der große Bo-
tanist Vaillant für Herrn von Hugo gesamm-
let; sodann durch eine sehr vollständige Samm-
lung Schweizer Pflanzen von der Hand des
Herrn von Haller; und dann durch zwölf Bän-
de Malabarischer Gewächse, wozu die Etiket-
ten in Malabarischer Sprache auf Palmblät-
ter geschrieben sind, merkwürdig.
Im Jahr 1777 ist auf Ihro Majestät Be-
fehl, auch die Mineralien-Sammlung, die bis
dahin auf der Bibliothek zu Hannover gestan-
den, mit dem akademischen Cabinet verbunden
worden. Diese ist vorzüglich wegen der zahl-
reichen Gold- und Silber-Stufen, und wegen
der vielen seltnen Spatdrusen von ausserordent-
licher Größe, schätzbar. Unter den Silberstu-
fen ist unter andern ein Stück gediegenes Sil-
ber mit etwas Rothgülden, was blos am in-
nern Werth gegen 1700 Rthlr. hält: und un-
ter den Kalk- Gyps- und Fluß-Spaten fin-
den sich alle Arten, die seit hundert Jahren
auf dem Harz gebrochen worden. Theils rührt
diese Collection von dem großen Mineralogen
Schlüter, theils aber vom Herrn von Leibnitz
her, der verschiedne der hier befindlichen Pe-
trefacte in seinen Protogäis beschrieben und
abgebildet hat.
Nächst dem hat auch das Museum, durch
die Freygebigkeit Ihro Durchlaucht der ver-
wittbeten Fürstin von Waldeck, der beyden
Herrn de Luc, des Freyherrn von Hüpsch und an-
drer berühmten Männer, Anwachs erhalten,
[Seite 53] und wird, wie sichs von selbst versteht, durch
die Gnade der Regierung noch immer mehr
und mehr vervollkomnet.
Wir schliessen unsre Anzeige mit einigen
für diesen Ort schicklichen Bemerkungen, die
wir im Museo zu machen Gelegenheit gehabt
haben.
Man hat gestritten, ob die Mohren schon
in Mutterleibe schwarz wären. Das wird
aber durch mehrere hier vorräthige Stücke ver-
neinend entschieden. Ein Hottentotten-Embryo
ist allerdings fleischfarben, und ein Negerfö-
tus aus Curaßao hat seine graue Farbe blos
dem Rum zu danken, worinn er verschickt
worden: wie man an einer andern Frucht von
deutscher Abkunft, die einige Zeit in gleichem
Glase gewesen, ersieht.
Einige Anthropologen haben die bestimm-
te Bildung der Schedel bey verschiednen Völ-
kern auf Rechnung des Clima zu schreiben
gewagt. Winkelmann leitete das schöne Oval
der Türkenköpfe vom Einfluß des glücklichen
griechischen Himmels her. Die Sammlung
von Schedeln verschiedner Nationen im Cabi-
[Seite 54] net, widerlegt dieses Vorgeben; selbst mehrere
Türkenschedel sind verschieden gebildet, und
machen in unsern Augen nichts weniger als
ein hübsches Oval.
Die flache Bildung des Menschengesichts
wird vorzüglich durch den Mangel eines be-
sondern Knochen bewürkt, in welchem bey an-
dern Säugethieren die obern Schneidezähne
sitzen, und der sich bey sechs Affenschedeln, die
in Cabinette sind, und selbst beym Orangutang
findet. Er mangelt hingegen bey einem, auch
aus andrer Rücksicht sehr merkwürdigen Af-
fengerippe, womit die Fürstin von Waldeck
das Cabinet beschenkt hat; dessen Kopf daher
rundlich, das Gesicht flach und ziemlich Men-
schen-ähnlich ausfällt.
Die Papageyen, Nashornvögel und Pfef-
ferfraße haben in Verhältniß ihres Körpers
unproportionirlich große und dabey sehr leichte
Schnäbel. Einige Zergliedrer neuerer Zeit ha-
ben geglaubt, daß sie diesen Thieren zu Ver-
stärkung des Geruchs, gleichsam als verlän-
gerte Nasenknochen gegeben wären. Dieß ist
irrig. Die hier befindlichen anatomischen Prä-
[Seite 55] parate von diesen Vögeln erweisen, daß es
bloße Luftbehälter sind, so wie andre Luftzel-
len der Vögel in den Flügelknochen, im Un-
terleibe etc. die ihnen zur Leichtigkeit des Flugs,
zum lang aushalten der Töne, theils auch zur
Entledigung des Unraths, nutzen.
Die wesentliche Verschiedenheit zwischen
dem Amerikanischen Kayman, und dem wah-
ren Nilcrocodil, die doch selbst von Linné u.
a. für eine einzige Gattung angesehen wor-
den, sieht man hier in einer Suite von Cro-
codilen verschiednen Alters, aus beyden Wel-
ten. Der Nilcrocodil hat starkhervorstehende
scharfe Schilder, der Kayman nur flache Erha-
benheiten, ist viel rundlicher u.s.w.
Man hat gezweifelt, ob die Pipa, eine
Surinamische Kröte, die ihre Jungen auf dem
Buckel ausheckt, eben die Metamorphose wie
unsre hieländischen Frösche, bestehe, und an-
fänglich geschwänzt sey. Dieß wird allerdings
aus einer Reihe von sechsen dieser Thiere er-
weislich, an denen die stufenweise Verwand-
lung der Jungen vollkommen zu erkennen ist.
Neuere Weltweisen haben den Unterschied
zwischen beyden organisirten Reichen, zwischen
Thieren und Pflanzen, aufzuheben getrachtet;
und sich deshalb besonders auf verschiedene Co-
rallenarten (Gorgonien) bezogen, deren Stäm-
me von innen ganz holzicht und pflanzenän-
lich wären. Die Sammlung von Thierpflan-
zen im Cabinet erweist, wie fehlgeschlossen dieß
sey. Offenbar sieht man, daß das Innere sol-
cher Corallenstämme wahre Pflanzen (Fucus)
sind, an welchen die Polypen blos angebaut
haben: die aber übrigens eben so wenig zum
Wesen dieser wahren Thiere gehören, als ein
Baum zu dem Vogel, der auf ihm nistet.
Man hat dubitirt, ob sich die unedlern
Metalle: Kupfer, Eisen, Zinn etc. in ihrer rei-
nen gediegnen Gestalt fänden. Mehrere ge-
diegne Stücken von den genannten Erzten im
Museum, lassen in der Sache keinen weitern
Zweifel übrig. Freylich sind sie selten, und
werden in der Folge immer seltner werden,
da die Wege zur Vererzung dieser Metalle im-
mer fortwürken. Aber dieß giebt keinen Grund
sie gänzlich abzuleugnen: folgends da man
[Seite 57] schon a priori schliesen kann, daß sie ehedem
viel häufiger als jetzt, und sehr gemein gewe-
sen seyn müssen; da die ältsten rohsten Völ-
ker schon Waffen aus solchen Metallen gehabt,
denen man doch schwerlich genug metallurgi-
sche Kenntnisse von Bearbeitung der vererzten
Minern zutrauen darf.
Manche gemengte oder zusammen gebackne
Steinarten, wie Granit, Porphyr etc. scheinen
von den Alten auch durch Kunst nachgemacht
worden zu seyn. Im Museum sind verschied-
ne verarbeitete Stücke, besonders Streitäxte u.
dergl. die so sichtbarlich in eine Form gedruckt
gewesen scheinen, daß sie diese Muthmaßung
mehr als blos wahrscheinlich machen.