Den allerbündigsten unwiederleglichsten Be-
weis von den unendlichen Vorzügen wodurch
der Mensch über die ganze übrige beseelte
Schöpfung erhoben wird, giebt schon die un-
beschränkte Herrschaft mit welcher er sich
ganze Gattungen von Thieren unterjochen,
oder doch wenigstens von den übrigen einzelne
Individua nach seinem Gefallen bändigen, ab-
[Seite 98] richten, mit einem Wort über ihr ganzes Na-
turell, über ihre Lebensart, Triebe u.s.w.
nach Willkühr disponiren kan. Zwey Priester
der Natur, Plinius und Büffon haben zwey
Thiere von diesem allgemeinen Gesetz der Un-
terwürfigkeit ausnehmen wollen, da jener die
Maus für ungelehrig und dieser den Tiger
für unbändig gehalten hat: allein beides ist
ungegründet. Ausser dem Beyspiel von ab-
gerichteten Mäusen das wir weiter unten an-
führen werken, finden sich schon beym ältern
Scaliger und andern Naturforschern genug
Beyspiele von welchen, die völlig kirre und
folgsam gewesen sind, und wir wissen, daß
noch vor nicht gar langen Jahren ein Land-
prediger im Thüringischen zur Vertreibung
seiner Muse eine ansehnliche Menge Mäuse
so kunstreich abgerichtet hat, daß sie ihrer
Freyheit ohnbeschadet umher liefen und doch
seinem Ruf folgten und sich zur gesetzten
Tischzeit um seinen Teller versammleten und
seinen Bissen mit ihm theilten. Und daß der
Tiger nichts weniger als unbändig ist, haben
wir vor drey Jahren an dem gesehen, der
[Seite 99] hier durch Göttingen geführt wurde und der
sich eben so gut als ein zahmer Löwe strei-
cheln, den Rachen aufreisen und den Arm
hineinstecken lies. Furcht von der einen –
und Futterung und anderes wohlthun von
der andern Seite, können gewiß alle Thiere
auf der weiten Erde mürbe und unter die
Hand des Herrn der Schöpfung biegsam und
geschmeidig machen. Die Geschichte ist bekannt
da ein wilder Americanischer Tiger im Zwinger
zu Dresden den Wärter anfiel, aber durch
den unerwarteten, obschon noch so ungleichen
Widerstand desselben, so schüchtern und muth-
los gemacht ward, daß er sobald ihn der
Wärter los lies mit geraden Beinen in seinen
Käficht sprang, sich in die Ecke druckte und
zitternd wieder verschliesen lies. Fast eben
so verhielt sich ein Bär der zu Ende des vo-
rigen Jahrhunderts einen Bauer auf dem
Schwarzwalde anfiel, da dieser oben am
Rande eines steilen Bergs Holz haute. Der
Mann warf seine Axt von sich, wollte seine
Fäuste gegen das Thier versuchen, über dem
balgen aber kommen beide an den Rand und
[Seite 100] rollen wie ein Knaul in einander verwickelt
die Anhöhe hinab: so wie sie auf den Boden
kommen, reist sich der bestürzte Bär los, ga-
lopirt brummend davon, und der Holzhacker
klettert wieder in die Höhe und geht stille
wieder an seine Arbeit. Auch Conrad Ges-
ner erzählt schon einen Fall, da in einer Nacht
drey auf Beute ausgehende Geschöpfe, ein
Fuchs, ein Wolf und ein altes Weib hinter-
einander in eine Grube fielen, und sich doch
so gut in wechselseitigen Respect zu erhalten
wußten, daß alle drey am Morgen unversehrt
herausgezogen wurden, ohne daß eins das
andere gebissen hätte. Was aber andernseits
Gutmüthigkeit und Wohlthun auch über die
wildesten Thiere vermöge, davon hat man an
Rhinocern und selbst an Manaten und Cro-
codilen bewundernswürdige Beyspiele gesehen.
Vielleicht lebt noch jetzt in England in einen
ehrwürdigen Alter eine gute vertrauliche Kröte
die schon zu der Zeit da der berühmte Pen-
nant ihre Geschichte beschrieb, etliche und
dreysig Jahr alt war, bey einem Landjunker
aussen an der Hofthür in einem Loche hau-
[Seite 101] sirte, alle Abend von ihrem Herrn besucht und
gefüttert ward und aus der ganzen Nachbar-
schaft zahlreiche Besuche und allgemeine Be-
wunderung erhielt. Und der alte Letzner in
seiner Braunschweig-Lüneburgischen Chronica
hat schon vor 200 Jahren das Andenken einer
solchen menschenfreundlichen Kröte verewigt,
die im Kloster Barsinghausen ohnweit Hanno-
ver residirte und da des langen zärtlichen Um-
gangs und der Pflege einer dasigen Kloster-
fräulein genoß. So haben Pelisson und der
Graf Lauzun, jener in der Bastille und dieser
im Gefängniß zu Pignerol mit Spinnen
Freundschaft gemacht, die alle Morgen so wie
jene vom Stroh aufstiegen, sich aus ihrem Fen-
sterwinkel am Faden herab liessen, und die
Fliegen zum Frühstücke aus der Hand ihrer
Wohlthäter erwarteten.
Und so ist kein Zug im Naturell der Thiere den
der Mensch nicht nach seiner Phantasie abändern
und umschaffen könnte. Er kan die heftigsten
Triebe der Thiere – selbst ihre Antipathien –
unterdrücken, und umgekehrt ihnen Geschick
zu den kunstreichsten und doch unnatürlichsten
[Seite 102] Handlungen beybringen. Was scheint unab-
änderlicher als die Gierde mit welcher die
Katze Mäuse und Vögel verzehrt! und doch
erzählt Cappeller die Geschichte eines Luzerner
Geistlichen bey dem ein Hund, eine Katze,
eine Maus und ein Sperling zusammen aus
einer Schüssel frassen, und die einer alten
Jungfer die ihre Einsamkeit zu vertreiben nicht
weniger als zwey und zwanzig solcher Tisch-
genossen hatte, die aufs friedlichste aus einem
gemeinschaftlichen Napfe zusammen frassen,
und worunter Mäuse, Katzen, Amseln, Hunde,
Turteltauben, Murmelthiere, Staare und Ka-
paunen zu sehen waren. Die fremdesten aus-
serordentlichsten kunstreichsten Handlungen aber
die man Thieren beygebracht hat, sind unzäh-
lig. Die müssigen Römer lehrten Elephanten
zu Tische sitzen, sich in der Sänfte tragen
lassen, auf dem Seile tanzen und saubere
Billets schreiben. Man hat mit abgerichteten
Dohmpfaffen Concerte gegeben, und nicht nur
zahlreiche Vögel, Papagayen, Raben, Staa-
re, Aelstern etc. reden gelehrt; sondern Leibnitz
hat in den Annalen der Pariser Academie
[Seite 103] sogar von einem Hunde Nachricht gegeben,
den ein Bauerjunge ohnweit Zeitz in Meisen
zu Anfang dieses Jahrhunderts bey dreysig
Worte vernemlich auszusprechen gelehrt hatte.