So wenig wir den ernsten Patrioten ihren
Eifer verargen, wenn sie beym Luxus ihrer
Zeitgenossen, denen nun eigne Modejournale
[Seite 135] zum Bedürfniß zu werden anfangen, mit
inniger Indignation ihr: o Zeiten o Sitten!
ausrufen: so billige Nachsicht sollten sie hin-
gegen doch auch uns Calenderschreibern ange-
deihen lassen, wenn wir in dergleichen Fällen
dennoch das: schicket euch in die Zeit! nicht
ganz aus den Augen lassen. Unser Calender
hat nun schon seit Menschengedenken, unter
andern auch zu einem kleinen Handreperto-
rium der neuesten Modekleidungen und Kopf-
putzes gedient, und so wird man es nicht
am unrechten Orte finden, wenn wir nächst
dieser jährlichen Lieferung in effigie, auch
einmal einen schriftlichen Beytrag zum Stu-
dium der Moden geben, ja gar ein Wort zu
ihrer Rechtfertigung zu sagen, unternehmen.
Offenbar fließt doch der Hang zum Putz
aus der Sucht zu gefallen. Und wenn die
leztere, wie es keines Beweises bedarf, einer
der ersten und für die menschliche Gesellschaft
wohlthätigsten Grundtriebe ist, die die Natur
am tiefsten und am allgemeinsten in die
menschliche Seele gelegt hat, so wird man
den ersten an und für sich nicht blos verzeih-
[Seite 136] lich, sondern geradezu, ebenfalls ganz na-
türlich und selbst vortheilhaft finden müssen.
Dann aber braucht man sich ferner blos
zu erinnern, daß sich dieser Hang, wie es die
Sache mit sich bringt, nach dem Begriff von
Schönheit richten muß, und daß endlich
nichts relativer und veränderlicher und mehr
von Zufällen abhängend gedacht werden kan,
als eben dieser, um nun auch das eben so
veränderliche und theils ausschweifende in den
Moden mit billigern Augen zu beurtheilen.
Selbst unter den Thieren scheinen einige
eine Art von Gefühl für den Putz zu haben,
wie man z.B. nach der Versicherung auf-
merksamer Reisenden an den Elephanten in
Indien bemerken soll, wenn sie bey Aufzü-
gen etc. mit Blumenbinden behängt, ihre ver-
goldeten Elfenbeinzähne mit Ringen besteckt
werden etc.
Im Menschengeschlecht aber ist wohl durch-
aus noch kein Volk unter der Sonne gese-
hen worden, das nicht durch irgend eine Art
von Putz, die ihm von der Natur verliehe-
[Seite 137] nen Reize zu erhöhen und sich dadurch lie-
benswürdiger zu machen suchen sollte. Selbst
die armseligen Einwohner des traurigen
Feuerlandes nicht ausgenommen, die elenden
kümmerlichen Pescheräs, die als der Abschaum
der Menschheit geschildert werden. Denn
auch von diesen besitzt das Göttingische Mu-
seum in der großen Sammlung südländischer
Merkwürdigkeiten ein Halsband von niedlichen
schillernden Schneckgen, das bey der daran
verwendeten Kunst sogar Verdacht von stu-
dirter Koketterie erwecken könnte.
Es giebt Völker, die so ganz dem von un-
sern neuern Sophisten so gepriesenen Natur-
stande getreu geblieben sind, daß sie sogar
vom Feigenblatt unsrer ersten Eltern keinen
Gebrauch machen. Von der Art sind die
Einwohner von Neu-Holland. Diese gehen
schlechterdings gang unbekleidet; aber dennoch
nicht ganz ungeputzt. Sie incrustiren wenig-
stens den Körper mit einem schwarzen Firniß
den sie wieder mit weißen Streifen bemahlen,
und knebeln sich einen fast Spannen langen
Knochen durch die Nase, der dick genug ist,
[Seite 138] um aller Lust den Weg zu versperren, so
daß sie nicht anders als mit offnem Munde
athmen, nie anders als mit schnarrender
Resonanz sprechen können.
Andre Völker, die zwar den sehr weisen
Gebrauch jenes Feigenblatts einsehen, haben
aber doch auf Surrogate dieses einfachsten aller
Bekleidungsstücke raffinirt, die theils von so
sonderbarer Einrichtung sind, daß sie offenbar
etwas mehr als die bloße Bedeckung zur Ab-
sicht zu haben scheinen.
Im südöstlichen Africa z.B. bediente man
sich ehedem zu diesem Gebrauch eines Katzen-
schwanzes.
Die Einwohner von Darien trugen nach
Waffers Bericht statt dessen eine Maschine,
die er mit einer Lichtputze vergleicht.
Ein benachbartes americanisches Volk einen
Kürbis oder ein großes Schneckenhaus.
Noch weit auffallender und umständlicher
ist ein colossalischer Apparatus, dessen sich
die männlichen Einwohner von Mallicolo und
[Seite 139] den übrigen neuen Hebriden auf der Süd-
see zu dieser Absicht bedienen, und wovon
Capt. Cook in der Beschreibung seiner zwey-
ten Reise um die Welt Abbildungen geliefert
hat: nemlich eine cylindrische Kapsel von ei-
ner solchen Länge und Stärke, daß sie durch
besondere Stricke getragen und um den Leib
befestigt werden muß.
Endlich verdient auch noch ein anderer
Schmuck unter den Erfindungen dieser Art
Erwähnung, der ebenfalls in der gedachten
Südländischen Sammlung im hiesigen Mu-
seum befindlich ist, und bey unsern Antipo-
den in Neuseeland zu Hause gehört. Es
ist dieß ein hölzerner mit Bindfaden um-
wickelter Reif, dessen oberer Bogen mit
einem ausgebreiten Federbusch besezt ist, und
der mutatis mutandis auf die gleiche Weise
wie die vorgedachten Kapseln getragen wird,
und durchaus blos zur Parade bestimmt zu
seyn scheint.
Allein die Vorkehrungen dieser Art sind
bey weitem nicht etwa blos den Wilden ei-
[Seite 140] gen. Es war eine Zeit, wo auch unsere
Vorfahren diesen Theil ihres Anzugs auf
eine ähnliche Weise auszuzeichnen suchten.
Besonders im 15ten und 16ten Jahrhundert,
wo es der gute Ton mit sich brachte, die
Beinkleider vorn mit einem Knopfe zu zieren,
dessen ungeheures Maaß sich auf den Kunst-
denkmälern aus jenen Zeiten erhalten hat.
Der Verf. dieses Aufsatzes erinnert sich, ei-
nes dergleichen in der Kirche zu Wildungen
gesehen zu haben. Es ist das steinerne Mo-
nument eines Grafen Samuel von Waldeck,
der in Lebensgröße daran ausgehauen ist,
und an dessen Knopf die Chorschüler ge-
wöhnlich ihre Hüte hängen.
Ueberhaupt schien in jenen Zeiten der
Prunk beym männlichen Anzug größtentheils
auf die Beinkleider, so wie der weibliche hin-
gegen auf einen sehr ansehnlichen cul de Pa-
ris concentrirt zu seyn. Zumal war in der
Mitte des 16ten Jahrhunderts der Luxus
mit den Beinkleidern zu einer Beyspiellosen
Höhe gestiegen, da man auf 100 bis 130
[Seite 141] Ellen Karteck zum Unterfutter eines einzigen
Paares Pluderhosen verwandte, die nach der
Zeit durch die Pumphosen verdrängt wurden,
die man mit Pferdehaaren ausstopfte, und
wo zu einem Paar kaum drey Kalbhäute
zureichten.
Es lebte zu der Zeit ein guter alter Prof.
theolog. zu Frankfurt an der Oder, Andr.
Musculus, der seinen Eifer über diese Greuel
a. 1555. in einem eignen merkwürdigen
Werke: vom zerluderten Zucht- und Ehrver-
geßnen pluderichten Hosenteufel ausließ, wo-
rin er in der That alles erschöpft hat, was
sich nur irgend über die Moralität der Bein-
kleider sagen läßt.