Zu den unendlichen Vorzügen, die den
Menschen über die übrige thierische Schöpfung
erheben, gehört vor allen auch die unbegreif-
liche Geschmeidigkeit und Festigkeit seiner
Constitution, da er leichter als irgend ein
anderes Thier sich an alles gewöhnen, glück-
licher als irgend sonst eines seinen Körper
gegen die mannichfaltigsten widrigen Eindrücke
abhärten kann.
Kein anderes Thier kann so wie Er unter
jedem Meridian und in allen Extremen von
grimmiger Kälte und von brennender Hitze aus-
daueren. Keins so wie Er durchaus aller Ar-
ten von Nahrungsmitteln, entweder einzig
und allein ausschließlich, oder in den
[Seite 143] abentheuerlichsten ungereimtesten Mischungen,
gewohnen.
Der größte und sprechendste aller Beweise
für diese Dauerhaftigkeit und Stärke der
menschlichen Natur, könnte freylich wohl
daraus hergenommen werden, daß, trotz der
widersinnigsten und doch abwechselnd herr-
schenden Heilmethoden der Aerzte, sich die
Mortalität des Menschengeschlechts, im Gan-
zen genommen, immer ziemlich gleich geblie-
ben zu seyn scheint:
Allein auch schon die Behandlungsart der
neugebohrnen Kinder bey verschiedenen Völ-
kern, kan die Sache einleuchtend machen,
wovon einige Beyspiele, zumal in unsern päd-
agogischen Tagen, hier nicht am unrechten
Orte seyn werden.
Wir Meisterstücke der Schöpfung kommen
mit einem weißen käsichten Firniß zur Welt,
der dann das erste Bad nothwendig macht,
wozu sich viele Völker, selbst in den kältesten
Erdstrichen, des nächsten liebsten Flusses
bedienen.
Unsre alten deutschen Vorfahren tauchten,
wie Galenus erzählt, das noch von seinem
bisherigen mütterlichen Aufenthalte rauchende
neugebohrne Kind in den eiskalten Fluß, und
freylich sieht dieser Patriarch der Aerzte die
Sache für eine absichtliche Probe an, da
man Kinder die sie nicht zu überleben ver-
mochten, überhaupt auch nicht der Erhaltung
werth gehalten habe. Ein ähnliches Princi-
pium herrschte wenigstens weiland, bey den
Russischen Müttern: man tröstete sich bald
über den Verlust der wenigen schwächlichen
Weichlinge, die in dem Wechsel des neun-
monatlichen mütterlichen warmen Bades
(von 960 Fahrenh.) mit dem nachherigen
eiskalten (von 320) ihr ungenoßnes Leben
einbüßten.
In Lappland grub ehedem die Mutter das
Kind im Augenblick da sie von ihm entbun-
den war, in Schnee, und wenn sie merkte,
daß ihm da der Othem bald entgehen wollte,
suchte sie ihm denselben durch Eintauchen in
heißes Wasser zu erhalten, und diese Behand-
lung wiederholte sie im ganzen ersten Lebens-
jahre des Kindes wenigstens täglich dreymal.
[Seite 145] Nun, und in der That, ein Stahl der so
gelöscht wird, muß gut werden.
Auch glaubt daher der große Panegyrist
des kalten Wassers, Joh. Floyer die englische
Krankheit sey nur erst seitdem entstanden, da
man in der englischen Kirche aufgehört, die
Kinder bey der Taufe ganz einzutauchen, und
sie statt dessen blos besprengt habe.
Man hat im aufgeklärtern Europa statt
jener Wasserprobe eine Art Feuerprobe einge-
führt, die in der That, wenn sie ausgehalten
werden kann, einen sehr soliden Fond von
Lebenskräften des neugebohrnen Kindes vor-
aussetzt; ich meine das Wickeln. Die ersten
drey Vierteljahre seiner ganzen Existenz
brachte das Kind in einer fast kuglicht zu-
sammengerollten Lage zu. Nun da es das
Licht der Welt begrüßt hatte, ward es Ker-
zengerade ausgespannt in Windeln geschlagen,
mit Binden umwickelt, und dann dieser kleine
mumisirte Märtyrer erst in ein Kissen gebun-
den, und mit diesem unter Federbetten in
eine Wiege vergraben, diese wieder mit einer
[Seite 146] Himmeldecke verwahrt, und wo möglich nun
zum heißen Ofen gesetzt.
In der That sollte man glauben, daß ei-
nem Menschen der solche Quaalen hat ertra-
gen können, keine andern im Laufe seines
künftigen Lebens unerträglich fallen dürften.
Und doch scheint das Wickeln der Kinder über-
haupt beides durch sein hohes Alterthum und
durch seine Allgemeinheit bey den mehresten
Völkern des Erdbodens, gerechtfertigt zu
werden. Denn nur bey wenigen werden die
Kinder uneingewickelt getragen. Die Weiber
der Eskimos stecken ihre Kinder in ihre Stie-
feln, und die in Norton-Sund im Nord-
westlichsten America, (nach den Nachrichten
in Cooks letzter Reise) die ihrigen hinten in
die Jacke. Die Kinder der Caraiben und der
Negern werden meist ganz frey auf dem
Rücken getragen, und müssen sich mit den
Füßen in den Seiten der Mutter anklammern.
Allein es ist bekannt, daß sie eben daher fast
durchgehends krumme Beine und einwärts-
stehende Knie davon tragen. Und würklich
[Seite 147] ist das Wickeln der Kinder an und für sich, um
sie sicherer handthieren zu können, und fol-
gends bey nomadischen Völkern zum beque-
mern Transport fast unumgänglich.
Die Nordamericanischen Wilden binden fast
durchgehends ihre Säuglinge in Felle gewik-
kelt auf ein Bretgen fest, das ihnen zugleich
als Wiege dient. So tragen sie es unter-
wegs auf dem Rücken und wissen es wenn
es schreyt, sehr bald durch Schütteln zum
Schweigen zu bringen. In der Hütte aber
oder im Walde hängen sie es auf; wobey
dann die Indianer um Süd-Carolina herum
bis nach Neu-Mexico, die Sorge tragen, daß
das Kind dabey auf seinem Wiegenbret mit
den Beinen wenigstens um einen Fuß höher
hängt als mit dem Kopfe, der durch die Last
des übrigen ganz unbeweglich befestigten Kör-
pers gegen einen derbausgestopften Sandsack
gepreßt wird, um dem Kinde einen flachen
breiten Scheitel und eine niedre Stirne zu
verschaffen, die bey diesen Nationen fürs non
plus vltra der Schönheit gehalten wird. Doch
[Seite 148] versichern beobachtende und glaubwürdige
Reisende, daß sie dabey auch die Absicht ha-
ben sollen, durch diesen so lang anhaltenden
Druck auf den noch weichen nachgiebigen
Schedel die Augenhöhlen allgemach weiter
auseinander zu treiben, und sich dadurch
einen weitern Gesichtskreis zu verschaffen,
der ihnen dann im Kriege und auf der Jagd etc.
sehr vortheilhaft zu statten komme.
Uebrigens ist der Gebrauch, den neuge-
bohrnen Kindern die Köpfe nach gewissen für
schön gehaltenen Formen zu drucken, so wie
das Wickeln selbst, vom höchsten Alter und
von der ausgebreitetsten Allgemeinheit. Hip-
pocrates hat schon vor mehr als 2000 Jah-
ren, von einem Volke am schwarzen Meere
Nachricht gegeben, das, wie er sagt, lange
vor seiner Zeit die Gewohnheit gehabt, den
Kindern die Köpfe in die Länge zu zwängen,
daß aber allgemach diese durch so viele Gene-
rationen hindurch wiederholte Sitte endlich
zum erblichen Schlag, und jene anfangs er-
künstelten Spitzköpfe den Kindern zu seiner
[Seite 149] Zeit gleich vom Mutterleibe an angeboh-
ren worden.
In den beiden letztverflossenen Jahrhunder-
ten war die Sitte, den Säuglingen die Köpfe
in eine Modeform zu pressen, selbst in den
cultivirtesten Theilen von Europa, gäng und
gebe. Und noch im Anfang des jetzigen
druckten die französischen, die niederländi-
schen und die deutschen Damen ihren neuge-
bohrnen Mädchen die Köpfe aufs gewaltsam-
ste, damit ihnen dereinst die Fontange desto
stattlicher sitzen sollte.
Spuren dieses Gebrauchs scheinen sich so-
gar noch bis auf unsere Zeiten hin und wie-
der erhalten zu haben. Wenigstens beklagt
Rousseau die Köpfe seiner aufgeklärten Zeit-
genossen, die von außen durch die Hände der
Wart-Frauen, und von innen durch unsere
Philosophen zurechtgeformt werden müßten;
und pries daher die Caraiben wenigstens nur
für halb so unglücklich, weil sie doch wenig-
stens mit der letztern Art von Façonnirung
verschont blieben.
Freylich lassen sie aber dagegen ihren Kin-
dern die erstere Art in desto reichlichern Maa-
ße angedeihen. Denn bekanntlich pressen sie
diesen den Kopf zwischen zwey Breter, so
lange bis ihnen die Augäpfel bersten wollen,
und ein weißer zäher Schleim aus der Nase
zu quellen anfängt. Auch die freyen Negern
die unter den Caraiben wohnen, haben diese
Sitte adoptirt, um dadurch ihre freygebohr-
nen Kinder von den Kindern der eingebrach-
ten Negersklaven auszuzeichnen.
Völlig die gleiche Gewohnheit herrschte auch
bis gegen Ende des 16ten Jahrhunderts un-
ter den Peruanern, da sie von der Römi-
schen Geistlichkeit auf der dritten Kirchenver-
sammlung zu Lima a. 1585 in einem beson-
dern Canon verboten, und die Mutter die je
wieder ihrem Kinde die Kopfpresse anlegen
würde, mit der Strafe bedroht ward, zehn
ganzer Tage – den christlichen Missionsunter-
richt besuchen zu müssen.