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xxx
Goettinger Taschen
CALENDER
vom Jahr
1787.
beÿ Joh. Chr. Dietrich.

Ueber
einige kräftige Mittel

die Vernunft zu betäuben.

[Seite 164]

Wenn man die Wichtigkeit einer Erfindung
nach der beyfälligen Allgemeinheit ihres Ge-
brauchs beurtheilen darf, so ist Vater Noah
seine, Sorgen und Grillen und gelegentlich
den Gebrauch der Vernunft selbst, in einem
fröhlichen Trunk zu begraben, ohne Wider-
rede eine der wichtigsten von allen. Es
sind wenige Völker der Erde, die allen Ge-
brauch irgend eines berauschenden Getränkes
verkennen sollten, und die ihn kennen die lie-
ben ihn. Ja selbst diejenigen Thiere, die dem
Menschen entweder in Rücksicht ihrer Bildung
oder ihrer vorzüglichern Geisteskräfte, näher
stehen, als die übrigen, scheinen leicht Ge-
schmack daran zu finden, da wenigstens Af-
fen, Papageyen etc. sich sehr bald und bis
[Seite 165] zur Leidenschaft an Wein und Brantewein
gewöhnen, und für Elephanten kein kräfti-
geres Ermunterungsmittel zur Arbeit gedacht
werden kan, als ein Glas Rack.

Auch scheint die gute Mutter Natur dafür
gesorgt zu haben, daß, da sie unter allen
Thieren nur einzig und allein den Men-
schen die ganze Erde unter allen Climaten,
folglich auch da zu bewohnen bestimmt hat,
wo sich kein Rebensaft ziehen läßt, sie doch
überall auf kräftige Surrogate bedacht gewe-
sen, die die Stelle desselben zu jenen wichti-
gen Zwecken vertreten können.

Unter diesen ist wohl das Bier eins der älte-
sten. Denn wenn sich auch sein vorgebliches
Alter nicht bis in die Aegyptische und Griechi-
sche Mythologie verliert, so waren doch wenig-
stens unsere Urahnen, die alten Deutschen,
gewiß schon vor anderthalbtausend Jahren
im Besitze desselben. Kaiser Julian, der be-
kanntlich selbst in Deutschland gewesen ist,
hat es in einem Epigramm besungen, worin
[Seite 166] er ihm freylich mehr seine Bewunderung
als seinen Beyfall, zumal in Vergleich mit
dem Weine, zu schenken scheint.

Die Erfindung des Branteweins läßt sich
wohl schwerlich mit einiger Zuverlässigkeit
über den Anfang des 14ten Jahrhunderts
hinaussetzen. Und dann bleibt noch ungewiß,
welchem von beiden berüchtigten Abentheu-
rern und respective Adepten, die Ehre da-
von zukommt, ob dem Doctor illuminatus,
Raimund Lullus, oder wie es doch wahr-
scheinlicher ist, schon seinem Lehrer Arnold
von Villeneuve. Sey’s welcher er wolle, so
könnte sicher kein andrer Erfinder, wenn er
für die Folgen seiner Erfindung responsabel
seyn sollte, einen härtern Stand haben!
selbst Barthold Schwarzen, menschenfreund-
lichen Andenkens, nicht ausgenommen. Denn,
um nur eins statt aller zum Beweis dafür
anzuführen, so sind doch alle die Tausende
von Christen, die sich selbst im Brantewein
zu todt gesoffen, so gut wie für nichts ge-
gen die unzähligen Tausende von Schlacht-
[Seite 167] opfern zu rechnen, die sie durch die Verbrei-
tung desselben unter die Unchristen aller Welt-
theile hingerichtet haben.

Es ist nichts, was den Europäern
einen vortheilhaftern und dauerhaftern In-
greß bey den Wilden verschafft hat, als
eben der Brantewein. Denn, so wider-
lich er auch einem noch so rohen Gau-
men im Anfang seyn kan, so schnell wird
er ihm doch zum dringendsten aller Bedürf-
nisse. Die Grönländer verabscheuten anfangs
dieses Tollwasser, wie sie es nennen, eben
so sehr, als sie es nachher aufs gierigste
tranken.

Die Peruaner, die doch ohnehin von je
eigne berauschende Getränke hatten, zogen
dennoch den Brantewein, den ihnen die Eu-
ropäer zuführten, bey weitem vor, und er
ward bald das einzige Band, das den Han-
del beider Nationen unterhielt, da jene durch-
aus sich auf keine andern Europäischen Waa-
ren einließen, wenn nicht Brantewein dar-
unter war.

[Seite 168]

In Quito war das Vorrecht, sich betrin-
ken zu dürfen, nach vor Kurzem blos auf
die Mannsen eingeschränkt. Die Weiber
mußten nüchtern bleiben, um ihre Männer
aus den Gelagen heimschleppen zu können.
In andern Gegenden von Peru aber nahmen
schon längst auch Weiber und Kinder an die-
sem Nectar Theil; denn den letztern ward er
meist zugleich mit der Muttermilch eingefüllt;
ein Educationsprincipium, das, wie man
zuverlässig weis, vor etwa einem halben
Jahrhundert auch in einigen Gegenden von
Deutschland geherrscht hat.

Zum Beweis der unbändig heftigen Gierde
der Americaner nach Brantewein, erzählt
Ullaa, daß es sich mehr als einmal zugetra-
gen, daß ein sonst treuer Indischer Bedienter
seinen Herrn auf der Reise im Schlafe er-
mordet habe, einzig und allein, um dessen
Branteweinflasche austrinken zu können.

Auf Guinea und den benachbarten Küsten
ist bekanntlich der Brantewein die kräftigste
Triebfeder den Sclavenhandel zu unterhalten.
[Seite 169] Die kleinen Negerkönige treiben unaufhörli-
chen Menschenraub unter einander, blos um
dafür Brantewein erkaufen zu können, und
ihre stolzesten Ehrentitel, Vollzapf und Trun-
kenbold,
nicht unwürdiger Weise zu führen.

Eben so wichtig ist der Vertrieb des Eu-
ropäischen Branteweins, bis in die äußersten
Enden von Asien. Der Hauptertrag den die
Russische Krone von Kamtschatka zieht, ist
blos der Verkauf des Branteweins, der zu
Krascheninikows Zeiten jährlich auf 4000 Ru-
bel betrug. Und doch fehlte es den Kamt-
schadalen ohnedem nicht an mehrerley Arten
von einheimischen berauschenden Getränken
aus ihrem Zucker-Rohr (Heracleum sibiricum)
und andern Pflanzen. So wie sie auch,
eben so wie die Koräken, Jukagiren, und
andre heidnische Sibirische Völker, zur
gleichen Absicht den Aufguß von dem
furchtbar giftigen Fliegenschwamm (Agaricus
muscarius
) trinken, der seine Würkung selbst
noch nachdem er durchs Blut gegangen, be-
hält. Daher die ärmern Koräken, die sich
keinen Vorrath von Fliegenschwamm ankau-
[Seite 170] fen können, den Harn der davon berauschten
Reichen auffangen, und sich so eben so gut
den gewünschten glücklichen Taumel zu ver-
schaffen wissen und zwar läßt sich dieß, wie
Steller versichert, auf gleiche Weise weiter
fort bis auf den vierten fünften Mann wie-
derholen.

Nicht viel delicater scheint die Bereitung
eines andern berauschenden Tranks, der
doch in einem großen Theil von Süd America
und auf den bekanntesten Inselgruppen des
stillen Weltmeeres allgemein im Gebrauch ist,
da man eine Menge mehlichter Pflanzenwur-
zeln durchkaut, das Gekaute zusammen in
ein Gefäß speyt, es dann ein wenig gäh-
ren läßt, und nun Tassenweise ausschlürft.
In Brasilien bedient man sich dazu der Ma-
niokwurzeln (iatropha manihot), und da war,
wenigstens zu des ehrlichen Hanns Staden
von Homburg Zeiten, das Kauen und die
weitere Bereitung blos den Mädchen überlas-
sen. Auf der Südsee hingegen wird die
Wurzel einer Pfefferart (piper latifolium) da-
[Seite 171] zu gebraucht, die in der Landessprache, so
wie der daraus gekaute Speicheltrank, Kava
genannt wird. Capt. Cook und die Herren
Forster fanden die ganze Procedur auf den
Freundschafs- und Societätsinseln meist eben
so, wie sie Schouten und le Maire schon
vor 180 Jahren auf der Hornsinsel gesehen
und beschrieben haben. ‘“Die dasigen Kö-
nige”’ sagt Schouten, ‘“die diesen lieblichen
Trank mit ihren Hofjunkern für ihren Mal-
vasier hielten, präsentirten auch unsern Leu-
ten denselben, als ein seltsames und köstli-
ches Werk; weil sie aber das wunderbare
Mengniß gesehn, war ihnen der Durst bald
erloschen.”’ Auf Cook’s letzter Reise faßten
doch einige seiner Leute ein Herz, und tran-
ken von diesem Malvasier. Sie wurden da-
von berauscht oder vielmehr sinnlos, betäubt,
wie von übermäßigem Genuß des Mohnsafts,
womit es der verstorbene Wundarzt Ander-
son, der den Capt. Cook auf seiner letzten
Fahrt begleitete, in einem Aufsatze, den die-
ser seiner Reisebeschreibung inserirt hat, ver-
gleicht. Auch darin kommen beide Arten von
[Seite 172] Betäubungsmitteln überein, daß sie durch die
Angewohnheit so leicht zum dringendsten un-
entbehrlichsten Bedürfnis werden, ohne doch
im mindesten dem Gaumen angenehm zu
seyn. Denn die vornehmen Einwohner der
Freundschaftsinseln, die doch meist den gan-
zen Morgen beym Kavatrinken zubringen,
schienen doch großentheils bey jedem Schluck
das Gesicht, wie bey etwas Widerlichem, zu
verziehen, und hinterdrein mit einem Schau-
der befallen zu werden.

Das Opium selbst bleibt wegen seiner so
unbegreiflich wunderbaren, so Beyspiellos ein-
zigen Würkungen auf Körper und Geist, bey
weitem das merkwürdigste, und trotz der un-
zähligen Schriften, worin man seit den letz-
ten 20 Jahren seine Würkungsart zu erklären
versucht hat, noch immer das räzelhafteste
von allen berauschenden Mitteln. Ein mäßi-
ger Gebrauch desselben scheint sowohl die kör-
perlichen als die Geisteskräfte auf eine sehr
vortheilhafte Weise zu excitiren. Es erfrischt
und ersetzt die schwindenden Kräfte bey Er-
[Seite 173] müdungen zum Wunder. Daher z.B. die
Bothen und Expressen in der Türkey nie oh-
ne Opium seyn dürfen. Eduard Smith, der
sich lange in den Morgenländern aufgehalten,
erzählt die Geschichte eines solchen Laufers,
der den Ort seiner Bestimmung zwar erreich-
te, aber im Augenblick der Ankunft für todt
niederfiel, weil ihm kurz vorher sein Opium
ausgegangen war. Man errieth dieß, und
eine Dosis davon dem Menschen geschwind
in den Mund gesteckt, brachte ihn glücklich
wieder zum Leben. Und den Geist versetzt
ein mäßiger Genuß von Opium in die mun-
terste glücklichste Laune von der Welt, die
sich auch selbst beym habituellen täglichen Ge-
nuß dieses Saftes, dem sich die Morgenlän-
der so leicht und so häufig überlassen, doch noch
lange Zeit erhält. Hr. von Peyssonel erzählt in
seinen Erinnerungen gegen des Baron Tott
Memoiren, wie er den Minister Jsmael Bai
besucht habe, der auch ein starker Opium-Esser
war, aber doch in den Intervallen zwischen
dem lethargischen Dumpfsinn, den der Mis-
brauch desselben verursacht, überaus geistreich
[Seite 174] sprach, und selbst in seinen soporösen Paro-
xysmen kein Wort von dem verlor, was
Peyssonel indessen sagte. Aber eben das ist
das traurige Unglück, daß sich die Natur zu
bald an eine mäßige Dose Opium gewöhnt,
so daß diese dann beym täglichen Gebrauch
ihre Würksamkeit zu verlieren anfängt, daß
aber solchen Personen zugleich das Opium,
und zwar in immer stärkern Dosen, nun
von Tag zu Tag unentbehrlicher wird, und
sie so allgemach in einen Zustand versinken,
der alles das unendlich übersteigt, was man
sich nur von den Greueln der unmäßigsten
unaufhörlichen Branteweinssäufer Schauder-
volles vorstellen kan. Ein vortrefflicher Be-
obachter, der Hr. Dr. Reinegg in Persien,
hat dem Hrn. Baron von Asch in St. Pe-
tersburg eine überaus merkwürdige Abhand-
lung, über die Würkungsart des Mohnsafts
bey den Morgenländern, zugeschrieben, die
Hr. Prof. Blumenbach im 2ten Bande der
medic. Biblioth. bekannt gemacht hat, und
woraus, wie wir hoffen, viele unserer Leser
ein paar ausgezogene Stellen gar gerne hier
lesen werden.

[Seite 175]

Junge Leute, die vom bösen Beyspiel ge-
reizt, sich auch ans Opium gewöhnen wollen,
gehen bey einen erfahrnen Opium-Esser oder
Theriaky, wie man sie in der Türkey und in
Persien nennt, förmlich in die Lehre, und unter-
werfen sich einem zehntägigen in der That recht
bänglichen Regimen, das fast einen bestän-
digen Wechsel von Schlafen, dumpfsinnigem
Erwachen, sinnlosem Taumeln, Erbrechen,
Frost, angstvoller Beklemmung zur Folge hat,
das dann aber nach und nach auch den Geist
in dieso ganz eigne gewünsche Stimmung
versetzt, daß er ganz nach eigner Willkühr
jede Art von Phantasie und leidenschaftli-
chem Gefühl erwecken, und sich dem innern
Genuß desselben so ganz überlassen kan!
Freylich hält es dann aus der gedachten Ur-
sache schwer, sich lange mit der gleichen mä-
ßigen Dose von Opium begnügen. Doch
giebt es viele die so viel Gewalt über sich
haben, daß sie sich immer nur an ein be-
stimmtes Maaß davon halten. Und diese
bedienen sich des Opiums unter folgender
Gestalt: sie lassen eine Unze Saffran in sü-
ßen Wein digeriren, und endlich etwas auf-
[Seite 176] kochen. Hernach drucken sie den Saffian fest
und stark aus, werfen ihn weg, und lassen
den Wein bis zur Honigdicke abrauchen; sie
werfen hierzu eine Unze klein geschnittenes
Opium, und wenn dieses zergangen, so thun
sie noch eine Unze geschabten grauen Amber
hinzu. Sie lassen hernach alles dieß in hei-
ßem Wasser ab dunsten und theilen es in
zwey Hälften, deren jede für einen Monat
hinreichend ist.

Allein, wenige Theriakys haben Festigkeit
und Enthaltsamkeit genug, es bey diesem
bestimmten, verhältnismäßig noch unschuldi-
gem Maaße bewenden zu lassen. Viele, de-
nen der Zustand unerträglich fällt, wenn
die Würkung des eingenommenen Opiums
allgemach sich zu verlieren anfängt, suchen sich
durch immer öfter und stärker wiederholte Dosen
einen ununterbrochenen Nausch zu verschaf-
fen; und so sieht man da Menschen, denen
zwey Loth Opium für jeden Tag kaum noch
zureichend sind; und diese Menschen sinken
dann allgemach in den jammervollen Zu-
stand, dessen oben erwähnt worden. Ihre
[Seite 177] ganze Bildung wird wie umgeschaffen; das
Gesicht aufgedunsen, seine Muskeln schlapp,
wie paralytisch; die Augen stier, triefend,
der ganze Körper als wenn er für Kraftlo-
sigkeit zusammen fallen wollte; von einem
beständigen Froste durchdrungen, daher sich
solche Unglückliche in den Aschenheerden und
andern warmen Orten herumwälzen, und
überhaupt bey der immer mehr zunehmenden
eckelhaftesten Sinnlosigkeit allen Menschen
zum Abscheu werden, bis zuletzt eine lang-
same Wassersucht ihrem Jammer ein Ende
macht.


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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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