Es ist ein sehr natürlicher Gedanke, der sich einem
jetzt, da ein Jahrhundert seinem Ende zueilt
wohl oft von selbst aufdrängen muß, wieviel doch
die Masse der wissenschaftlichen Kenntnisse im Lau-
fe desselben gewonnen hat? – Gedankt sey es dem
Genius unsers Zeitalters, daß diese Untersuchung
nichts weniger als abschreckend und das Resultat
derselben nichts weniger als demüthigend ausfal-
len kann. Nur läßt sich freylich das letztere nicht
bey allen Fächern des menschlichen Wissens mit
gleicher Leichtigkeit und Bestimmtheit ziehen. Bey
keinem aber wohl so leicht und so bestimmt als bey
der Erdkunde. Hier braucht es nichts als nur ei-
ne genaue Weltkarte, so wie sie sich nun, beson-
ders seit Cook’s letzter Reise ausnimmt, mit einer
aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts zu ver-
gleichen.
Bringt man nun dabey in Anschlag daß das
Wachsthum so mancher andern – und gerade der
[Seite 11] allgemeinnützigsten menschlichen Kenntnisse, z.B.
Völkerkunde, Naturgeschichte etc. mit der Erdkun-
de ihrem, fast durchaus gleichen Schritt hält, so
wird der vielseitige große Einfluß von dieser ihrer
Aufnahme und Erweiterung doppelt auffallend und
fühlbar. Und so kann aus dieser Rücksicht, außer
jener Periode, da vor 300 Jahren beyde Indien und
das Cap entdeckt worden, keine andre in den An-
nalen der genannten Wissenschaften eine so große
bleibende Epoche machen als die letztern Decennien
des gegenwärtigen Jahrhunderts, worinn König
Georg III. den fünften Welttheil entdecken und
die Grenzen unsrer Erde bestimmen lassen.
Freylich ist dadurch mancher stattliche Land-
strich von dem die guten Alten träumten, den sie
auf ihren Karten paradiren ließen und an welchem
sich ihre Einbildungskraft und ihre Hofnungen
weideten, wie z.B. das vermeynte große Südland
am jenseitigen Polarkreis, wiederum dahin ge-
schwunden: dafür aber der Umfang der wirklichen
fünf Welttheile nun so weit aufgehellt und be-
stimmt, als er nur durch Schiffahrt bestimmt wer-
den kann. Denn die einzige hierinn noch übrige
Lücke von Belange vollends zu füllen, nemlich die
breite Küste des nördlichsten America zu befahren,
(ein Strich der freylich dem von Lissabon bis To-
bolsk an Länge gleich kommt) wird wegen des un-
durchdringlichen Eises auch den kühnsten Europäi-
schen Seefahrern unmöglich bleiben.
Bey allen diesen mächtigen Fortschritten aber,
wodurch also im letzten Drittel unsers Jahrhun-
derts der Umriß unsrer Welttheile geographisch be-
stimmt, und selbst bey den wichtigen Entdeckun-
gen, die auch neuerlich in den Binnenländern man-
cher vorher noch wenig bekannten Erdtheile, zumal
im östlichen Asien und in beyden Hälften von Ame-
rica gemacht worden, blieb doch das Innere des
dritten großen Welttheils, das Binnenland von
Africa durchaus noch Terra incognita. – Ein
Welttheil, der doch wegen der ganz eigenthümli-
chen, höchstauffallenden Besonderheiten, wodurch
[Seite 12] sich die physische Beschaffenheit seines Bodens so-
wohl, als manche seiner Völkerschaften und so viele
seiner Thiere und Gewächse auszeichnen, von je-
her so berufen gewesen, daß es schon zu Aristote-
les Zeiten ein gemeines Sprüchwort war, Africa
sey das Mutterland des wunderbaren und aben-
theuerlichen. Und demohngeachtet wußte man von
der Erdkunde seines Innern, so wenig zusammen-
hängendes und zuverläßiges, daß noch Swift sei-
ne Laune über die armen Geographen ergoß, die
auf ihren Karten diese unbekannte Weltgegend statt
der Städte etc. nur mit Bilderchen von Elephan-
ten und dergleichen füllen müßten. Auch liegen
die großen Hindernisse am Tage, welche die Auf-
hellung dieses Theils der Erdkunde so sehr verzö-
gern und erschweren. Vor allen schon das, daß
die christlichen Europäer überhaupt so wenige Be-
sitzungen in diesem Welttheil und zwar blos an sei-
nen Küsten haben, und daß wiederum die mehr-
sten derselben solchen Nationen gehören, die wenig
Sinn für wissenschaftliche Aufklärung durch Ent-
deckungsreisen, zu haben scheinen. Hierzu kommt
einerseits die Bequemlichkeit das, was das africa-
nische Binnenland diesen Völkern brauchbares und
wichtiges erzeugt, arme unglückliche Schwarze,
und Gold, und Elfenbein, Gummi etc. sich von den
Karavanen an die Küste zuführen zu lassen; ander-
seits aber die Furcht vor den unwirthbaren Sand-
wüsten im Innern dieses Welttheils, seinen wilden
Einwohnern, Raubthieren etc. überhaupt vor ei-
nem Clima das als die Heimath und der Urquell
der mörderischesten Krankheiten (wie die Pest und
die Pocken,) sowohl, als der scheuslichsten, (wie
der Aussatz und die Lustseuche,) verschrieen wor-
den ist.
Allein Trotz aller dieser noch so abschreckenden
Hindernisse, verband sich zur gerechten Bewunde-
rung des aufgeklärtern Europa im Sommer 1788
eine Gesellschaft edler Britten, und stiftete durch
reiche Beyträge einen ansehnlichen Fond zu dem
Behufe, um davon unternehmende Reisende zu be-
solden, die Muth und Talent genug besitzen wür-
[Seite 13] den, Entdeckungsreisen ins Innre von Africa wa-
gen zu können.
Diese ehrwürdige Gesellschaft hat bis jetzt schon
fünf solcher Reisende zu diesem großen Zweck, und
zwar von verschiedenen Seiten aus, abgesandt.
Zuerst Hrn. Ledyard, einen gebohrnen Ame-
ricaner, der mit Cook die Welt umfahren und
nachher aus eignem Forschungstrieb einen andern
großen Theil derselben, nemlich ganz Sibirien von
St. Petersburg bis Ochotsk durchwandert hatte:
und Hrn. Lucas, der sich zu verschiedenen Zeiten
und in sehr verschiedner Qualität, erst nemlich
als Sclave, und dann als englischer Viceconsul am
Hofe zu Marocco aufgehalten, und nachher als
Königlicher Dolmetscher der morgenländischen
Sprachen in London gelebt hatte. Beyde giengen
gleich im Sommer 1788 nach Africa ab. Ledyard
nach Alexandrien um durch Aegypten und Nubien
nach Sennaar, und von da dann westlich dem Ni-
ger nachzuspüren. Lucas hingegen nach Tripoli,
um über Murzuk der Hauptstadt von Fezzan, süd-
westlich ins Herz von Africa zu dringen.
Allein jener fand sein Grab schon in Cairo:
und dieser kam nur bis Mesurata, da ihm die
kriegerischen Unruhen aufrührischer Araber am Fort-
kommen hinderten, so daß er im folgenden Som-
mer nach England zurück kehrte, wo er bald nach-
her gestorben ist.
Der dritte Emissar der Africanischen Gesell-
schaft war Major Houghton, der sich schon vor-
her in englischen Diensten auf der Insel Gorée
aufgehalten, und nun im Herbst 1790 nach dem
Gambia abging, um von dieser Seite nach dem
Innern von Africa zu gelangen, und besonders
den, von den Erdbeschreibern bisher so ganz wider-
sprechend angegebnen Lauf des Niger, eines der
berufensten Ströme der Erde, zu bestimmen. Er
kam im Frühjahr 1791 nach dem goldreichen Bam-
buc, wo er unter den gastfreundlichen Negern wohl
aufgenommen ward, bald hernach aber bey den treu-
losen Mauren im Königreich Ludamar seinen Tod
fand.
Und doch verfolgte bald hierauf den gleichen
Weg Hr. Mungo Park, der vorher als Wundarzt
im Dienst der Ostindischen Compagnie gestanden
hatte und im Nov. 1795 zur Entdeckung des Ni-
ger von Pisania am Gambia gen Osten abreißte.
Er hatte zwar das Unglück ebenfalls in Ludamar
in die Gefangenschaft der Mauren zu fallen, ent-
kam aber, da diese Unmenschen eben berathschlagten,
ob sie ihn lieber tödten oder ihm die Augen aus-
stechen wollten, noch durch die Flucht, und lang-
te, nachdem er noch vorher den Hauptzweck seiner
Sendung mit einer bewundernswürdigen Beharr-
lichkeit erfüllt, freylich nach manchen der schau-
dervollsten Gefahren und Abentheuer, mit Hülfe
eines braven menschenfreundlichen Negers den 10ten
Jun. 1797 glücklich in Pisania, und von da zu En-
de des Jahrs, in London an.
Durch die beyspiellose Reise dieses beherzten
Mannes ist nun zuförderst eine der wichtigsten
Lücken in der Erdkunde des Innern von Africa
gefüllt, und die große Frage über dem Ursprung
und Lauf der drey großen Ströme in der westliches
Hälfte jenes Welttheils, des Senegal, Gambia
und Niger, entschieden. Bekanntlich waren ehe-
dem die Meynungen getheilt, ob die beyden erstge-
nannten besondre Flüsse, oder aber Arme eines ge-
meinschaftlichen Hauptstromes seyen, und noch
neuerlich blieb die Frage unentschieden, ob der Ni-
ger ein Arm des Senegal oder ein eigner Strom
sey und nach welcher Richtung er laufe? Dieß al-
les ist nun durch, Hrn. Park dahin aufgeklärt,
daß jene drey Ströme gänzlich von einander ver-
schieden sind, daß aber alle drey nahe beysammen
unter dem 12° nördlicher Breite, an der südlichen
Grenze des Königreichs Jalloneadu entspringen.
Der Gambia nemlich unter dem 9° östlicher Län-
ge (von Ferro); der Senegal unter dem 11°; der
Niger aber am östlichsten unter 12°. Jene beyden
laufen bekanntlich nach Nordwest. Der Niger
hingegen (oder wie er bey den Negern heißt, der
Joliba) nordöstlich. Sechs Tagereisen weit von
seiner Quelle wird er schiffbar: bey Sego der
[Seite 15] Hauptstadt des, bisher nur dem Namen nach be-
kannt gewesnen großen Negerreichs Bambarra, die
unter dem 15° der nördl. Breite liegt und über
30,000 Einwohner hält, hat er schon die Breite
der Themse bey London, und noch östlicher jenseits
Tombuctu, bey Hussa, der ungeheuren Stadt
die an Größe mit London selbst verglichen wird –
trägt er Schiffe von 100 Tonnen (d.i. 200,000
Pfund) Lustigkeit.
Die Schilderungen die Herr Park von den
von ihm neuentdeckten Gegenden, sowohl in Rück-
sicht ihrer natürlichen Fruchtbarkeit, als ihrer Cul-
tur unter den Händen der sie bewohnenden Neger-
völker macht, contrastiren auffallend mit den Be-
griffen, die man sonst insgemein mit dem innern
Africa überhaupt, als einer unwirthbaren Wüste
zu verbinden pflegte. Er hat Erdstriche gefunden,
deren Anblick ihn in die üppigsten Gegenden von
England versetzte.
Unter den einheimischen Producten des Pflan-
zenreichs, die von den fleißigen Negern benutzt wer-
den, zeichnen sich besonders zweye aus. Erstens
nemlich der berühmte Lotus-Strauch der Alten;
eine Gattung des Kreutzdorn-Geschlechts (Rham-
nus lotus) der eine gelbe, mehlichte Beere von der
Größe einer Olive trägt, die weiland die Nahrung
der Lotophagen war, und woraus noch jetzt eine
ausnehmend schmackhafte Art von Pfefferkuchen
verfertigt, und auch ein köstlicher Liqueur bereitet
wird. Zweytens der Butterbaum, der am Wuchs
der Nordamericanischen Eiche ähnelt und eine oli-
venähnliche Frucht trägt, die in Wasser gekocht,
und dadurch eine Art von Butter bereitet wird,
die sich das ganze Jahr hindurch, auch ungesalzen
erhält, und an Festigkeit sowohl als an Schmack-
haftigkeit, die beste aus Kuhmilch bereitete Butter
weit übertrift.
Im Königreich Bondu, wovon Hr. Park sagt
daß man es im wörtlichen Sinn ein Land nennen
könne wo Milch und Honig fließt, bereiten die
Neger aus letzterm einen vortreflichen Meth: und
ein Bier was sie aus gemälzten Getraide zu brauen
[Seite 16] wissen, war nach unsers Reisenden Geschmack dem
beßten englischen Biere gleich.
Dieß nur als eine kleine Probe aus der Fülle
von wichtigen und intressanten Beobachtungen, die
Hr. Park auf seiner wunderbaren Expedition zu
machen Gelegenheit gehabt.
Während er sich nun jetzt mit der Ausgabe ei-
ner ausführlichen Erzählung derselben beschäftigt,
ist indeß der fünfte, von der ehrwürdigen Gesell-
schaft zu Beförderung der Entdeckungen im innern
Africa, nach diesem Welttheil abgesandte Reisende
nun schon unterwegs, um wo möglich, von der
Ostseite her nach Kaßina, (dem insgemein, aber
irrig sogenannten Cashna) zu dringen, und vorzüg-
lich das große Räthsel vom Ausfluß des Niger zu
lösen; ob sich dieser nemlich in einen großen inlän-
dischen See ergießt, oder ob und wie er etwa mit
dem berühmtesten alten Fluß der Erde, dem Nil
zusammenhängt, u.s.w.
Der Reisende von dem wir diese großen Auf-
schlüsse zu hoffen haben ist Hr. Friedrich Hör-
nemann aus Hildesheim, ein junger Gelehrter
der vor mehrern Jahren in Göttingen studirt und
schon damals den heißen Wunsch genährt hatte,
doch einst das innre von Africa bereisen zu kön-
nen. Er ward von da aus im Winter 1795 der Afri-
canischen Association vorgeschlagen, und die Ant-
wort war: ‘”Wenn Hr. Hornemann das ist was
ihr sagt, so ist er der Mann den wir suchen.”’ Er
kam hierauf, nach dem Willen dieser Gesellschaft
erst noch einmal wieder nach Göttingen, um sich
durch die fernere Benutzung der dasigen Hülfsmit-
tel noch näher zu seiner wichtigen Sendung vor-
zubereiten. Im Februar 1797 ging er von da nach
London und dann im Julius von dort, über Frank-
reich nach Aegypten ab.
Wenn irgend die glücklichste Vereinigung aller,
zu einem solchen großen Unternehmen erforderlichen
Eigenschaften, eine athletische Constitution, eine
ausnehmende Festigkeit des Characters, die zweck-
mäßigste Vorbereitung durch solide Sprach- und
Sachkenntnisse u.s.w. zur Hofnung eines er-
[Seite 17] wünschten Erfolgs berechtigen dürfen; so schmei-
chelt sich der Verfasser dieses Aufsatzes mit der ihm
äußerst reitzenden Aussicht, den Lesern in einem
der nächsten Jahrgänge dieses Taschenbuchs, in-
teressante Nachrichten von dem glücklichsten Er-
folge von Hr. Hornemann’s großen Unternehmen
ertheilen zu können.