Göttingen. In der Versammlung der königl. Gesellschaft der
Wissenschaften am 25. August wurde vom Hrn. Hofrath Blumen-
bach die: Decas quinta Collectionis suae craniorum diversarum
gentium vorgelegt, wodurch nun die bisherigen bedeutenden Lücken in
seiner Sammlung davon so glücklich gefüllt sind, daß er dieselbe jetzt
für ziemlich vollständig ansehen kann. Den Anfang machen zwey
von der Caucasischen Rasse: 41) der von einem 67jährigen Ar-
menier. Geschenk des Hn. Prof. Hacquet’s in Lemberg. Ein
sehr charakteristischer Kopf; hier als Repräsentant eines der ältesten
Urvölker des Menschengeschlechts, der den Charakter der Caucasischen
Stamm-Rasse durch ein auffallend prominirendes Kinn (dieses Haupt-
wahrzeichen der Humanität) und ansehnliche Habichtsnase vorzüglich an-
deutet. Auch ist der armenischen Nationalbildung dieser Urtypus so
tief eingeprägt, daß er sich bekanntlich selbst unter fernen Zonen, wo-
hin sich dieses Volk verbreitet hat, unverkennbar erhält; und sogar,
nach Hn. Hacquet’s Bemerkung (in s. Reisen durch die nordischen
Karpaten), die Kinder, die aus fremdem, mit dem Armenischen ge-
mischten Blute erzeugt werden, dennoch kaum merklich davon abwei-
chen. 42) Von einem mumisirten alten Guanchen, den nun ganz
ausgestorbenen Ureinwohnern der weiland glückseligen Inseln. Der
ganze, vortrefflich erhaltene, ungeöffnete Körper aus einer der berühm-
ten Mumienhöhlen auf Tenerife, den der Hr. Hofr. von dem Hrn.
Baronet Banks zum Geschenk erhalten, wiegt nur 7 1/2 Pfund,
(da doch die bloßen gut getrockneten Knochen eines männlichen Ge-
rippes gewöhnlich zwischen 10 und 12 Pf. am Gewicht halten.) Die
Gesichtsbildung ähnelt der gemeinen altägyptischen, die nähmlich am
häufigsten an den Mumien von Sakara, so wie auf den Sarcophagen
von Sycomor-Holz, Idolen etc. vorkommt, und sich durch ein flacheres
[Seite 206] Gesicht, breitere Wangen, und nach Verhältniß kürzern Kiefertheil von
den andern beyden Arten ägyptischer National-Physiognomieen auszeich-
net, deren eine sich mehr der Nubischen, so wie die andere der Hin-
dustanischen nähert. Auch die Vorderzähne haben bey den Guanchen so
anomalisch-stumpfe Kronen, wie sie bey so vielen ägyptischen Mumi-
en gefunden werden. Zunächst 2 von der Mongolischen Rasse: 43)
von einer Lappländerinn. Diesen Schedel verdankt der H. Hofr.,
so wie auch einen männlichen von diesem Volke, der Güte des Hn. Rit.
Thunberg. Beyde zeigen auf den ersten Blick ihren unverkenn-
baren Nationalcharakter in der kugelichten Hirnschale, breiten Stirne,
seitwärts eminirenden Backenknochen, flacher fossa malaris, und zu-
gespitztem Kinn. 44) Von einem 30jährigen Schinesen. Hr. B.
hat von unserm ehemahligen gelehrten Mitbürger, Hrn. Dr. Jassoy,
Stadtphysikus und Oberhospitalarzt zu Batavia, ein Geschenk von 6
trefflich präparirten Schedeln verschiedener indischer Völkerschaften er-
halten; sämmtlich von Personen, die entweder im Hospital gestor-
ben, oder gerichtlich obducirt worden; nebst genauen Notizen über
jede aus den officiellen Berichten. Der darunter befindliche Schine-
sen-Schedel zeichnet sich nahmentlich durch eine sonderbare, gleichsam
kugelichte, Wölbung des Vordertheiles der Oberkiefer aus, mit wel-
cher auch eine eigene Krümmung der darin sitzenden Vorderzähne cor-
respondirt. (Schon dü Halde merkt an, daß diese Zähne bey den
Schinesen eine ungewöhnliche Richtung haben, und Osbeck sucht
darin den Grund von manchem für Europäer Unnachahmlichen in
ihrer Aussprache.) Von der Aethiopischen Rasse: 45) der Sche-
del einer Hottentottinn. – Ebenfalls von einem unserer vor-
mahligen gelehrten Mitbürger, Hn. Pastor Hesse, in der Cap-
stadt, der sich schon durch mehrmahlige reiche Sendungen von dor-
tigen naturhistorischen Merkwürdigkeiten um die Wissenschaft und um
seine Freunde in Hannover und Göttingen verdient gemacht. – Auch
dieser Schedel spricht für sich selbst, und bestätigt besonders die Be-
merkung des Hrn. Rit. Thunberg von dem gleichsam Aeffischen
in der Hottentottischen Gesichtsbildung; was sich nahmentlich im Kinn
verräth, das mehr, als bey den Negern, zurückgezogen ist. (Doch
immer ohne Vergleich weniger, als bey’m Orangutang, dessen Sche-
del Hr. B. der Güte des Hn. Dr. van Marum verdankt.) Hier-
auf folgen drey von der Amerikanischen Rasse, nähmlich: 46)
[Seite 207] der von einem alten Aturier aus den berufenen Catacomben am
Alto-Orinoco. – Aus der Fülle von wissenschaftlichen Schätzen, die
der königl. preuß. Kammerherr v. Humboldt in jener fernen, vor-
her noch so wenig gekannten, Weltgegend geerntet hat. Er besuchte
die in einem Granitfels am Wasserfalle von Atures befindliche Grab-
höhle von Atarnipa im May 1800, und zählte an 600 vollständige
Skelette, jedes in einem Korb von Palmblättern eingewickelt. Die
Gebeine selbst waren auf dreyerley Art zubereitet: theils nähmlich bloß
gebleicht; theils mit Onoto (Bixa orellana) roth gefärbt; theils als
Mumien mit wohlriechendem Harz und Blättern durchknettet. Außer
jenen Leichenkörben gibt es aber auch eine Art von Sarcophagen aus
ungebranntem Thon, 4 Fuß lang, 3 Fuß hoch, mit Einfassungen von
so genanntem à la Grecque geziert, und mit Crocodilen bemahlt. Diese
Behälter sind voller Knochen, vielleicht von ganzen Familien. – Uebri-
gens entspricht die Form jenes Schedels ganz der Schilderung, die Hr.
v. Humboldt, nach Vergleichung einer Menge derselben, in seiner
lehrreichen Abhandlung über die Urvölker von Amerika gegeben. 47)
der ganze, wundersam erhaltene, Kopf eines Brasilianers. –
Der Hr. Hofr. erhielt denselben vor kurzem durch den königl. Leibarzt
de Mello Franco zugleich mit einem männlichen und weiblichen
Schedel jener Völkerschaft, und verdankt diese wichtigen Seltenheiten
zuvörderst der thätigen Theilnahme des verdienstvollen königl. Staats-
ministers D’Aranjo, durch dessen Verwendung dieselben auf mini-
steriellen Befehl aus dem Gouvernement zu Para eingeschickt worden.
Der Kopf ist auf’s Sonderbaste mit Haut und Haar, selbst bis auf
die bronzebraune Nationalfarbe (Copper colour) erhalten, und
nach der dortigen Indianer Landessitte ausgeschmückt. Das schwarze
schlichte Kopfhaar ist kurz verschnitten, oben auf dem Scheitel im
Kreis abgeschoren. Augenbraunen sind gar nicht da, und nur auf
der Oberlippe und über dem Kinn stehen einzelne straffe Barthaare.
(Marcgrav sagt: Indigenae Brasilienses barbam habent ra-
ram aut nullam. Multi tamen dantur qui barbas habent nigras.)
Die Augenhöhlen und der Mund sind mit einem festen schwarzen
Harze ausgegossen. Auf jenen sind, um die geschlossenen Augenlie-
der anzudeuten, doppelte beinerne Bogen befestigt, allem Anscheine
nach aus den Zähnen des Wasserschweins (Sçavia capybara), und
im Munde die beyden Enden einer ellenlangen baumwollenen Schnur,
[Seite 208] so wie in den deßhalb am hintern Rande durchschnittenen Ohren große
Quasten, ebenfalls von baumwollenen Schnüren. Der dabey befind-
liche Kopfschmuck ist aus den prächtigen Federn vom Ramphastos
tucanus, Tantalus ruber, Psittacus macao und ararauna verfer-
tigt. 48) Der Schedel der Brasilianerinn stimmt genau mit
jenem Kopfe, so wie mit den Schilderungen der besten Beobachter
dieses Volkes, überein. Eben die rundlichte Form, zumahl kugelich-
te Stirn, stumpfe Nase etc. Endlich auch zwey von der Malayi-
schen Rasse: 49) Ein ungefähr 30jähriger Bugginese vom süd-
lichen Celebes. Wieder vom Hn. Dr. Jassoy. Der Schedel von
diesem merkwürdigen Volke, das sich von den übrigen Macassaren,
selbst in der eigenen Sprache und Schrift, auszeichnet, verbindet auf
eine sehr ungewöhnliche Weise manche Züge vom Aethiopischen Cha-
rakter mit andern vom Mongolischen; hat von jenem den stark pro-
minirenden Oberkiefer und sehr schräge Richtung der obern Vorder-
zähne, von diesem hingegen auch breit auswärts stehende Backenbei-
ne, weite Oeffnung der Augenhöhlen und großen Abstand derselben
durch ein sehr geräumiges Siebbein. – Die Kronen der obern Schnei-
dezähne sind an der Vorderseite, nach Landessitte, durch die Kunst
flach ausgeschliffen, und das ganze Gebiß ist vom Betelkauen wie
mit einer schwarzen Kruste überzogen. 50) Von einem Marque-
sas-Insulaner, von dem jetzt noch auf den Russischen Nieder-
lassungen am nordwestlichsten Amerika weilenden Hrn. Dr. Langs-
dorff, der ihn auf der Russischen Weltreise auf Nukahiwah, der
größten von den neuen Marquesas- oder Washington’s-Inseln, von
einem der dasigen kriegerischen, aber an Wuchs wunderschönen, Ca-
nibalen erhandelt hat, welcher ihn, als eine Trophäe von einem er-
schlagenen Feinde, umgegürtet trug; zu welchem Behufe der Unter-
kiefer auf eine sonderbare Art durch eine kunstreich geflochtene, durch
die Nase gezogene, Binde aus Cocosbast, und diese wieder durch ei-
nen in die Nasenhöhle getriebenen hölzernen Zapfen befestigt ist. Die
Bildung des Schedels stimmt im Ganzen sehr mit der eines Otahei-
ten überein, der in der dritten Decade abgebildet ist.