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Da Sie, verehrtester Lehrer und Freund, mir
während meines Aufenthaltes bey Ihnen, so häufige
Erweise Ihres unschätzbaren Wohlwollens gegeben
haben, da ich Ihrem Unterrichte so vieles verdanke
und gerne immer noch mehr verdanken möchte; so
erlauben Sie mir, dann und wann durch ein Paar
Zeilen auch mein Andenken bey Ihnen zu erneu-
ern.
Ihr Augenleiden wird sich doch hoffentlich
schon lange gänzlich verlohren haben? Wenigstens
wünschte ich es von Herzen und darf es vielleicht,
wie sonst schon aus meinem eignen Befinden schließen:
Denn wenn ich auch auf der Reise, wegen des schlechten
Wetters und Weges noch zum letztenmal einen
kleinen Rückfall auszuhalten hatte; so fühle ich
mich doch seit dem Aufenthalt in München täglich
wohler, und meine Augen sind wieder so vollkommen
hergestellt, daß ich kaum mehr einen Unterschied von
ihrem ehemaligen Zustande bemerken kann. Ich
verdanke die Genesung hauptsächlich der guten
Pflege unter den Augen meines Vaters, den ich
Gottlob so thätig, wie immer, und ich möchte sagen
jünger, wenigstens rüstiger, als vor zwey Jahren fand.
[S. 2]
Neulich bekam er (leider freylich nur zur Ansicht) einen
fast vollständig erhaltenen kleinen Ornithocephalus aus
Sohlenhofen, der vieles über den vorigen gesagte, auf
eine erfreuliche Weise bestätigt. So zeigt dieser deutlich
an allen vier Extremitäten nur eine Zehe und an
den vorderen nur einen eigentlichen Flugfinger, obgleich
er wenn auch zu demselben Genus doch sicher zu einer an-
dern Species gehört. Ich zeichnete ihn möglichst genau ab,
und suchte die auf 2 Platten zerstreuten Knochen auf einer
darzustellen: auch wagte ich nach der Vergleichung mit
mehreren Vespertilionen[-] und Pteropus-arten den Versuch,
das Gerippe in seine naürliche Lage zurück zu bringen,
zumal da mein Vater mit der ähnlichen Zeichnung des
Ornith. antiqu[…] von Koeck gar nicht zufrieden ist. Ihre Mey-
nung darüber würde dem Vater von der größten Wichtig-
keit seyn zumal da er vielleicht eine Abhandlung darüber
in der Akademie vorlesen wird, bey der er Ihre Bemer-
kungen mit größtem Danke benutzen würde. Es thut
mir leid, daß ich Ihnen keine bessere Zeichnung und den
Kupferstich nur erst [durchgestrichen: in der] halb vollendet schicken kann.
Dieser Tage skelettirte er auch einen großen
schönen Proteus anguin[us] für Doktor [korrigiert aus: Direktor] v. Schreibers und
fand das äußerst zarte halb knorpelige Skelett in manchen
Theilen ziemlich abweichend von Cuvier’s in Humbolds Oser-
[S. 3]
tions zoologiques befindlicher Abbildung, zumal in Gestalt
u[nd] Anfügung der Becken[-], Schulter[-] u[nd] Brustknochen.
Ein Paar mitgeschickte Salamander (die gemeine
Lacert. lacustris L.) habe ich skelettirt und seine (Direktor Schreibers) merkwür-
dige Beobachtung, daß durch Kriechen(?) auf zähem Lehmbo-
den sich die Zahl der Rückenwirkel dieser Thiere künstlich
vermehren lasse, bestätigt gefunden. Der verlängerte hatte
19 der andre 16 Wirbel vom Kopf bis zum dem Wirbel
an dem die Hinterfüße befestigt sind (inclusive) gerechnet.
Die Ganze Rücken Wirbelsäule schien auch gestreckter der Schwanz
(leider war er nicht ganz erhalten) aber [durchgestrichen: eher] minder verän-
dert. Doch schien es mir, als hätten sich nicht so wohl neue
Rückenwirbel zwischen alten erzeugt, wie Schreibers vermuthet,
(denn dann müßte man dochwohl Wirbel von ver-
schiedenen Stufen der Ausbildung finden welches der Fall
nicht ist) sondern als seyen die ohnehin schwach befestig-
ten hintern Extremitäten und Beckenknochen auf Ko-
sten der Länge des Schwanzes um ein Paar Wirbel
hinabgewandert. Doch Ihnen ist vielleicht diese Selt-
samkeit des Thieres, das ja in der Geschichte des Bildungs-
triebes eine so große Rolle spielt, schon längst bekannt.
Verzeihen Sie, daß ich so lange Ihnen Ihre kost-
bare Zeit geraubt habe. Mein Vater empfiehlt sich
Ihnen, und auch Ihrer lieben Familie: desßgleichen
mit der Versicherung der aufrichtigsten Hochachtung
und Dankbarkeit
Ihr
Ergebenster
Wilhelm Sömmerring
München d. 25. Aug. 1816 |
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