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Nachrichten
von
sehenswürdigen
Gemälde- und Kupferstichsammlungen,
Münz- Gemmen- Kunst- und Naturalienka-
bineten, Sammlungen von Modellen, Maschi-
nen, physikalischen und mathematischen Instru-
menten, anatomischen Präparaten und
botanischen Gärten
in
Teutschland,
nach alphabetischer Ordnung

der Oerter.

Herausgegeben
von
Friedrich Karl Gottlob Hirsching.

– – Si quid nouisti rectius istis,
Candidus imperti: si non, his vtere mecum.
Horat. Epist. L. I. ep. V.

Vierter Band.

Erlangen
bey Johann Jakob Palm.
1789
.

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S. 182. ist noch folgendes zu den Nachrich-
ten des Göttingischen Museums hinzu
zu setzen:

Im übrigen Thierreich besizt das Museum,
ausser einer beträchtlichen Anzahl ganzer Thiere,
besonders eine lehrreiche Sammlung von Theilen
derselben, Embryonen, Schädeln, oder ganzen
Gerippen und andern Präparaten, die für ana-
tome comparata
und Physiologie so wohl,
als für die Untersuchung der Absicht des Schö-
pfers (Physikotheologie, Reteologie) dem in-
teressantesten Theil der ganzen Naturgeschich-
te, einen einleuchtenden Werth haben.

Herr Hofrath Blumenbach hebt auch
hier, so wie es der Zweck dieser kurzen Auf-
sätze mit sich bringt, nur einiges weniges aus.

Zu den seltenen im Göttinger Museum befindli-
chen Säugethieren gehört z.B. der kleine Meki
[Seite 479] oder Loris (Lerius cucang) von Ceilon, ein
affenartiges Thier mit vier Händen; aber nur
von der Gröse eines Eichhörnchen, und von
einem überaus schlanken Bau, zumal der lan-
gen Arme und Beine. So auch das kleine,
nicht viel über eine Spanne lange, castanien-
braune formosanische Teufelchen oder der Pha-
tagin (Manis macroura), dessen ganzer Körper
und langer Schwanz mit überaus sauber ge-
streiften grosen Schuppen dicht besezt ist, wes-
halb eben dieses seltene Thier, folgends bey
seinen kurzen Füsen und übrigem Ansehen, und
da wegen seines eingeschränkten entfernten Va-
terlandes, von seiner Geschichte wenig bekannt
war, von ältern Naturforschern und Reisenden
unter die Eidexen gezählt worden.

Das Gerippe eines kleinen Affen*), wel-
ches die verwittwete Fürstin von Waldeck,
Christiana, dem Museum geschenkt, wird
dadurch äusserst auffallend, daß ihm gerade ei-
ner der Hauptcharactere abgeht, wodurch sonst
alle übrige, auch noch so menschenähnliche
Säugethiere, selbst die Orang-Utange, von
Menschen unterschieden sind; da sich nemlich
am Schädel desselben keine sichtliche Spur
von dem merkwürdigen Knochen (os intermaxil-
[Seite 480] lare) erkennen läßt, der bey den vierfüssigen
Säugethieren vorn zwischen die beiden Knochen
des Ober-Kiefers eingekeilt, und durch eige-
ne sehr bestimmte Näthe mit demselben ver-
bunden ist; und der eben so viel zur Verlän-
gerung der Schnauze beyträgt, wodurch sich
bekanntlich das thierische Profil so sehr vom
menschlichen auszeichnet. Man möchte zwar
glauben, daß nur etwa die Näthe an jenem
Schädel verwachsen wären, wenn nicht 1) alle
übrige Suturen bey diesem dem ganzen Anschein
nach jung verstorbenen Thiere aufs schärfste erhal-
ten, und 2) hingegen gerade wie beym Menschen,
eine senkrechte Nath mitten zwischen den Zahnzel-
len der obern Schneidezähne befindlich; 3) auch
das Profil des ganzen Schädels weit weniger
schräg, als bey andern Affen, und vielmehr men-
schenähnlich wäre.

An einem Elephanten-Schädel ist die Hirn-
schale aufgesägt, um den erstaunungswürdigen
Bau der Stirnhöhlen in selbigem zu zeigen,
als welche bey diesem prodigiösen Thiere vorn
6. Zoll in die Länge, und 10. Zoll in die Brei-
te halten, zu beyden Seiten des Scheitels
aber sich bis hinten in die beyden Knöpfe er-
strecken, wodurch der Kopf mit dem ersten
Halswirbel eingelenkt ist.

Ebenfalls überaus merkwürdig sind die Ge-
ruch-Organe an einer auch wegen der Schön-
[Seite 481] heit der Hörner vorzüglichen Hirnschaale eines
Steinbocks, die der jetztregierende Hr. Herzog
von Sachsen-Gotha aus dem Faucigny mitge-
bracht, und dem Museum geschenkt hat. Auch
dieses in Europa nun so seltenen und fast
ausgestorbenen Thieres Stirnhöhlen erstrecken
sich durch die grosen knöchernen Zapfen, die
in den Hörnern stecken, bis fast in die Spi-
tzen derselben. Der dadurch so sehr verstärk-
te Geruch kommt wohl dem einsamen Thiere
zu gute, das in dem unzugänglichsten Schnee-
gebirge, wo sich die Vegetation schon zu ver-
lieren anfängt, nach seinem sparsamen Futter
weit umher wittern muß.

Ein einzelnes Horn des sibirischen Muffel-
thiers oder Argali (Capra ammon, musimon)
unter den Aschischen Geschenken ist wegen
seiner ausnehmenden Gröse auffallend, da es,
ohne den knöchernen Zapfen, worüber es ge-
sessen, volle neun Pfund wiegt, und schon
hierdurch, noch mehr aber durch seinen Bau
und Windung die Behauptung vieler neuen
Naturforscher unwahrscheinlich macht, daß die-
ses Geschöpf das ursprünglich-wilde Schaaf
seyn solle.

Rhinocer-Hörner sind von beyden Gattun-
gen da. Einfache nemlich vom ostindischen
Nashorn, ein doppeltes aber vom Süd-Afri-
kanischen.

[Seite 482]

Vorzüglich vollständig ist die Sammlung
von Steinen
und ähnlichen Concrementen
aus dem Magen und andern Eingeweiden der
Säugthiere. – So z.B. ausnehmend grose
und schöne Stücke von den verschiedenen Be-
zoaren. Orientalische nemliche vom Aegagrus,
dem vermuthlichen wilden Stammthiere unse-
rer Hausziege, das in den wildesten Gegenden
des Caucasus und der daran grenzenden östli-
chen Gebürge lebt.

Occidentalische vom peruvianischen Schaaf-
kameel, welches die berühmte Vicugna-Wolle
giebt. – Affen Bezoar von Coromandel. –
Ein groser piedra del porco oder Gallenstein
des moluckischen Stachelschweins, der noch im
Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts im
Ruf einer Panacee stand, und wenn er irgend
so wie der im Museum, die Gröse einer Wall-
nuß; hatte, mit tausend und mehr Gulden be-
zahlt ward. – Eine ähnliche Seltenheit ist
ein Harnblasenstein von einem wilden Schwei-
ne aus der russischen Tartarey, 500. Werste
jenseits Orenburg, wo sich zuweilen dergleichen
Steine bey diesen Thieren finden, und als
Heilmittel angesehen und theuer verkauft
werden.

Die im Museum befindlichen Misgebur-
ten
von vierfüssigen Thieren so wohl als von
Vögeln bestätigen eine doppelte Anmerkung:
[Seite 483] daß nemlich erstens auch diese Abweichungen
vom natürlichen Bau, gemeiniglich doch ihre
bestimmte Richtung haben, so daß gewisse Ar-
ten von Misgestaltung, wie z.E. mit doppel-
ten Leibern und Füssen, sehr gemein, und theils
zum Wunder einander ähnlich, gleichsam wie
aus einer Form gegossen sind: und dann, daß
überhaupt die Misgeburten blos unter den
Hausthieren so häufig, und hingegen unter
den wilden Stamm-Raçen derselben unerhört
selten sind: eine unläugbare Bemerkung, die
ohne Zweifel über das Zeugungsgeschäfte eini-
gen Aufschluß giebt.

In der Classe der Vögel sind unter an-
dern, ihrer Gröse wegen, Kopf, Fänge und
Schwungfedern des berüchtigten, aber noch
wenig bekannten Lämmergeyers (vultur barba-
tus
) merkwürdig, welche Stücke zur Wider-
legung des von vielen unserer neuen besten Na-
turforscher z.B. Büffon, Fortes etc. auch
Bomare, Molina u.a. dienen, die ihn (ganz
irrig) für einerley mit dem Condor des westlichen
Süd-Amerika halten. Einer der zuverlässigsten,
bisher meist übersehenen Charaktere, wodurch sich
der Lämmergeyer vor diesen und andern Geyern
auszeichnet, ist der vordere am Oberschnabel
befindliche gewölbte Rücken.

Ein anderer, ebenfalls ziemlich unbekann-
ter Alpenvogel des Museums ist die Flüt-Lerche
[Seite 484] (Motacilla alpina), die so gar noch neuerlichst
Hr. Latham in seinem sonst so classischen Werke
unter zwey ganz verschiedne Geschlechte, der Staa-
re nemlich und der Grasmücken gebracht hat. –
Noch ein paar merkwürdige kleine Vögel und die
niedlichen Baum-Kletter von Owhyher, aus de-
ren Gefieder die dasigen Wilden den in diesem
Bande S. 170. gedachten ausnehmend kunstrei-
chen Federputz machen.

Unter den ausländischen Amphibien ist
vorzüglich eine lehrreiche Folge zur Naturge-
schichte der Crocodille vom Eye an merkwürdig.
So eine andere von dem lebenslang geschwänzten
Süd-Amerikanischen Frosche (rana paradoxa)
und noch eine andere von der Pipa, der bekañten
Surinamschen Kröte, wovon das Weibchen seine
Jungen in besondern Hauptzellen des Rückens (wie
in tiefen Pockennarben) ausheckt. Das wichtigste
in dieser lezten Suite ist ein Exemplar, wo die aus-
kriechenden Jungen wirklich mit Schwänzen, wie
unsere einländischen Kaulquappen (gyrini) ver-
sehen sind; was sonst die Naturforscher geläug-
net und dagegen behauptet haben, die jungen
Pipas kröchen gleich als vierfüssige ungeschwänzte
Frösche aus dem Eye; ein Irrthum, der lan-
ge durch einen doppelten Scheingrund unter-
stüzt ward. Theils nemlich dadurch, daß bis
dahin in keinem Kabinete in Europa ein Exem-
plar bekannt war, wo die Jungen der Pipa
[Seite 485] geschwänzt wären; (so gemein dagegen so wohl
Pipas mit Eyern auf dem Rücken, als mit
vierfüssigen ungeschwänzten Jungen in diesen
Rücken-Zellen zu seyn pflegen) und theils durch
den Schluß a priori, daß man meinte, die
jungen Pipas brauchten auch keine solche Ru-
derschwänze, da sie nicht wie unsre Frösche und
Kröten im Wasser – sondern auf der Mutter
Rücken auskröchen.

Von einländischen Amphibien verdienen
einige Wassermolche Erwähnung, an welchen
Hr. Blumenbach bey ihren Lebzeiten Repro-
ductions
-Versuche angestellt, und bey wel-
chen nun die Regeneration der vorher ampu-
tirten Beine, Schwänze u.s.w. sehr anschau-
lich zu sehen ist. Das wichtigste Stück dar-
unter ist eine lacerta lacustris aus dem göttin-
gischen Stadtgraben, welcher Hr. Blumenbach
fast das ganze Auge exstirpirt; nemlich alle
Säfte auslaufen lassen und dann 4. bis 5. der
ausgeleerten Häute rein ausgeschnitten: – und
doch hat sich binnen 10. Monaten ein vollkom-
mener neuer Augapfel mit neuer Hornhaut,
Augenstern, Crystall-Linse etc. reproducirt, der
sich blos dadurch vom andern gesunden Auge
auszeichnet, daß er nur erst halb so groß ist.

Unter den Fischen sind vorzüglich diejeni-
gen zahlreich, und theils wegen ihrer auffal-
lenden Gestalten, theils wegen ihrer Seltenheit
[Seite 486] merkwürdig, die Linné zu den Amphibien zähl-
te und Nantes nannte. Auch von einzelnen
Theilen der Fische sind interessante Stücke da.
Wie z.B. die berüchtigten und theils so theuer
bezahlten Belugasteine; die sich zuweilen in
den Nieren der Hausen im caspischen Meere
und der Wolga finden. – So in der südlän-
dischen Sammlung Waffen der Neu-Caledo-
nier, mit den Stacheln des sogenannten Gift-
Rochen geschäftet, u. dergl. m.

Von Insecten führe ich blos an, daß
das Museum die verschiedenen Gattungen von
Apulischen Spinnen besizt, die insgemein so
unbestimmt mit dem gemeinschaftlichen Namen
der berufenen Tarantel belegt, und daher auch
in Büchern so verschieden beschrieben und abge-
bildet worden sind. Auch die Astracanische ist
mit ihrer Brut hier.

Die Classe der Gewürme enthält hier
vorzüglich eine zahlreiche Conchyliensamm-
lung
, worunter sich ausser den bekannten
Liebhaberseltenheiten, Wendeltreppen u. dergl.
besonders einige ausnehmend schöne südländi-
sche Schnecken; und unter den Muscheln ein
pohlnischer Hammer von einer ganz auffallenden
Gröse und Gestalt auszeichnen. So wie unter
den Corallen, ihrer unbeschreiblichen Eleganz
wegen, einige vom ältern Herrn de Lüc prä-
parirte Sertularien von den englischen Küsten.

[Seite 487]

Zur Naturgeschichte des Pflanzenreichs
gehört ausser mancherley eigenen Sammlungen
besonderer Theile der Gewächse, wie z.B. der
Holzarten, Früchte u.s.w. oder auch der
als Arzneymittel wichtigen vegetabilischen
Substanzen, wovon sich vorzüglich unter den
Aschischen Geschenken merkwürdige Stücke be-
finden, vorzüglich das herbarium vivum, wel-
ches ausser der Hauptsammlung, die der verstor-
bene königl. Leibarzt von Hugo mit leiden-
schaftlichem Eifer zusammengebracht, besonders
noch einige wichtige Floren einzelner Erdstriche
begreift. Es gehören zu den leztern z.B. ein
reicher Vorrath von Alpen-Pflanzen, vom
Hrn. von Haller selbst gesammlet und ei-
genhändig bestimmt. Ferner zwölf grose Bän-
de malabarischer Pflanzen, wozu die Etiket-
ten grosentheils in malabarischer Sprache und
Schrift mit einem Griffel auf Stückchen Palm-
blatt geschrieben; ausserdem aber auch nicht nur
Namen mit lateinischen Buchstaben, sondern
hin und wieder auch kleine Anwendungen vom
medicinischen, ökonomischen und technologi-
schen Gebrauch der Pflanzen in Indien beyge-
fügt sind.

Auch von sibirischen Pflanzen hat das
Herbarium mehrmalen Beyträge vom Herrn
Baron von Asch erhalten. Und ganz neu-
erlich hat Hr. geheimer Rath Forster das
[Seite 488] Museum mit dem ganzen Schatze getrockneter
Pflanzen beschenkt, die er auf seiner Reise um
die Welt (in den Jahren 1772. bis 75.), zu-
mal auf den Inseln der Südsee und am
Feuerlande, gesammelt hatte.

Noch verdienen ein paar wegen ihrer aus-
nehmenden Sauberkeit merkwürdige botanische
Sammlungen Erwähnung, als nemlich die vom
Hrn. de Lüc ebenfalls an den englischen Kü-
sten aufgefischten und mit äusserster Genauigkeit
und Eleganz aufgetrockneten Sertang-Arten
(Frui), und dann ein groses, ausgesuchtes
Exemplar von den 10. Decurien skeletirter
Blätter, die Herr Doctor Bieber in Gotha
verfertigt, und die, zumal für Physiologie der
Gewächse, Abscheidung ihrer Säfte, Ausdün-
stung, Einsaugen u.s.w. vielen merkwürdigen
Aufschlus geben.

Notes
*).
[Seite 479]

*) Hr. Prof. Blumenbach getraut sich nicht zu
bestimmen, von welcher Gattung er sey.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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