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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band.
auf das Jahr 1781.


Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Genf.

[Seite 1162]

Die zweyte Lieferung der neuen Ausgabe von
Rousseaus Werken besteht, wie die erste, aus
vier Bänden, und verdient wegen einiger Schrif-
ten des tugendhaften Mannes, die hier zum ersten-
mal erscheinen, eine besondere Anzeige. Von den
[Seite 1163] beiden Bänden, die den gemeinschaftlichen Titel
von Mélanges führen, enthält der erstere das
Schreiben an Erzbischof Beaumont; die Briefe vom
Berge; den an D’Alembert; die Antwort auf das
Schreiben eines Ungenannten; und die Schrift
von der theatralischen Nachahmung.

Im zweyten erst zwey Preisschriften: eine
über die nöthigste Tugend für Helden; und dann
die berüchtigte vom Nachtheil der Wissenschaften
für die Sitten, nebst den andern Aufsätzen, die
dadurch veranlaßt worden. Dann 3. Le Lévite
d’Ephraïm
in vier Gesängen. Die schaudervolle
Geschichte selbst kan niemanden fremd seyn, dem
die Bibel nicht selbst fremd ist; R. hat sich da-
bey genau an die drey lezten Capitel des Buchs
der Richter gehalten, und da dessen Verf. vom
Geist Gottes, und nicht vom Geist Batteux’s in-
spirirt worden, so muß man verzeihen, wenn die
Gesetze des leztern nicht durchgehends darin be-
folgt sind; so wie denn überhaupt das Stück den-
jenigen Liebhabern, die solche Stellen der heil.
Schrift lieber von der Voltärischen Muse behandelt
sehen, unmöglich behagen kan. 4. Lettres à Sara,
ein blosser Versuch, ob einige wenige Liebesbriefe
eines bejahrten und in ein junges Mädchen ver-
liebten Mannes, der doch bald genug seine unzei-
tige Leidenschaft zu unterdrücken lernt, interessant
werden könnten. Und wirklich – l’hiver a beau
couvrir l’Etna de ses glaces, son sein n’est pas
moins embrasé
. 5. La Reine Fantasque, das
bekannte launichte Mährgen. 6. Le Persifleur,
das erste Stück einer Wochenschrift, die R. in Ge-
sellschaft herauszugeben vorhatte. Dann drey
Uebersetzungen: nemlich 7. von Taciti histor. L.I.
[Seite 1164] Ein jugendlicher, aber für diejenigen Leser, die
die lateinische Urkunde, die deshalb beygedruckt
werden mußte, verstehen und mit der Uebersetzung
vergleichen können, sehr interessanter Versuch, wel-
cher zeigt, wie sich aus der anfänglichen Nachah-
mung des Tacitus nach und nach der eigene männliche
kraftvolle Styl des Uebersetzers gebildet hat: 8.
von Seneca’s Apokolokyntosis. Die beissende Schrift
hätte schwerlich einen bessern, so ganz mit ihres
Verf. Sinn übereinstimmenden, Uebersetzer finden
können: 9. von Olindo und Sofronia aus den
53 ersten Stanzen des zweyten Buchs des be-
freyten Jerusalem, das, wie man schon aus der
neuen Heloise und aus dem musikalischen Wörter-
buch weis, Rousseaus Lieblingsgedicht war. Die
drey lezten Schriften in diesem Bande sind –
botanischen Inhalts. 10. Fragmens pour un Di-
ctionnaire des termes de Botanique:
11. Lettres
élémentaires sur la Botanique
: und 12. noch
zwey andere Briefe ähnlichen Inhalts. Wir wa-
ren sehr begierig zu sehen, wie weit sich R. ins
Studium der Pflanzen eingelassen hatte, die be-
kanntlich, so wie seine Musik, les consolations
des miseres de sa vie
waren. Aber wir finden
auch hier Tizians goldne Linie, die ihren Meister
verrieth, und entsinnen uns nicht, einen angeneh-
mern und zugleich so scharfsinnigen botanischen
Schriftsteller gelesen zu haben. Zumal die Defi-
nitionen in den Fragmenten des Wörterbuchs sind
Muster von Bestimtheit der Begriffe und Prä-
cision im Ausdruck, z.B. La Fleur est une par-
tie locale et passagere de la plante qui précede
la fécondation du germe et dans laquelle ou
par laquelle elle s’opere. Végétal: corps orga-
nisé doué de vie et privé de sentiment
.

[Seite 1165]

Der dritte Band hat die Aufschrift: Theatre,
Poësies et Musique
, und ist in zwey Theile ab-
gesondert. Der eine enthält die Theaterstücke und
Gedichte. 1. Narcisse. 2. L’engagement témé-
raire
. 3. Les Muses galantes. 4. Le Devin du
Village
. 5. Lettre à M. le Nieps: ein merk-
würdiger Beytrag zu Rousseaus Lebensgeschichte;
wie ihm die ehrlichem Directeurs der Oper zu Pa-
ris nach dem bekannten Verfahren gegen ihn doch
4800 Livres für ein Theaterstück boten u.s.w.
6. Pygmalion und 7. einige kleine Pieces en
Vers
. Im zweyten Theil dieses Bandes 1. Pro-
jet concernant de nouveaux signes de Musique
.
2. Dissertation sur la Musique moderne. 3 Essai
sur l’origine des Langues
. Diese Abhandlung
hat einen Fehler mit einigen andern, die über
diesen Gegenstand erschienen sind, gemein; daß
sie nemlich aus Mangel physiologischer Kenntnisse
und aus Vertrauen auf eine handvoll Reisebe-
schreibungen manches Irriges enthält. Z.B. Il
n’y a que les Européens qui gesticulent en par-
lant
– die Nordamerikanischen Wilden sind ganz
Gesticulation, wenn sie zusammen reden. Les
Sauvages de l’Amérique ne parlent presque ja-
mais que hors de chez eux; chacun garde le
silence dans sa cabane
– die Grönländer und
viele andere plaudern unaufhörlich mit einander.
Les Esquimaux, le plus sauvage de tous les
peuples
– sie sind ohne Vergleich gesitteter, als
die Californier, Feuerländer etc. L’estomac ni les
intestins de l’homme ne sont pas faits pour di-
gérer la chair crue
– verdauen sollten sies wol,
wenn nur die Backenzähne und die Kaumuskeln
darnach eingerichtet wären. Aber solche kleine
Fehler dürfen dem Werth der vortrefflichen Schrift
[Seite 1166] im ganzen keinen Eintrag thun, die einen so wich-
tigen Gegenstand aus einem eigenen, neuen und
überaus interessanten Gesichtspunkt behandelt. Ihr
Verf. unterscheidet genau den zweyfachen Ursprung
der Sprache aus sittlichen und aus thierischen Be-
dürfnissen. Jene seyen mehr die Quelle der älte-
sten, nemlich der morgenländischen, diese mehr die
der nordlichen Sprachen. Daher das dichterische,
bilderreiche, melodische bey jenen: und hingegen
das rauhere, einförmigere, kreischendere bey
diesen. Den gleichen Unterschied wendet er dann
auf die Musik an; zeigt, wie sehr Melodie und
Harmonie von einander differiren; wie jene aufs
Herz, diese blos aufs Ohr wirkt; und wie sehr
in unserer jetzigen Modetonkünsteley die erstere von
der leztern verdrängt, von jener nur der leere
Name beybehalten wird u.s.w. Eine Stelle, die
uns für alle die kleinen Unrichtigkeiten, deren
wir einige angezeigt haben, reichlich entschädigt,
und die ein Wort ist, geredt zu seiner Zeit, fan-
den wir S. 419: dans ce siècle où l’on s’efforce
de matérialiser toutes les opérations de l’Ame,
et d’ôter toute moralité aux sentimens humains,
je suis trompé si la nouvelle philosophie ne de-
vient aussi funeste au bon goût, qu’à la vertu
.
Noch folgen in diesem Bande 4. Lettre sur la
Musique Françoise
. 5. Lettre d’un Symphoniste.
6. Lettre à M. l’Abbé Raynal 7. Examen de
deux principes avancés par M. Rameau,
und 8.
Lettre à M. Burney, suivie d’une réponse du
Petit Faiseur
.

Den vierten Band dieser Lieferung macht das
Dictionnaire de Musique aus.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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