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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band.
auf das Jahr 1781.


Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Haag und Paris.

[Seite 273]

Lettres de J.A. de Luc. Vom ersten der bei-
den Haupttheile, worein dieses wichtige Werk
seinem Inhalt nach zerfallt, nemlich von des Verf.
cosmologischen System, haben wir um so umständ-
lichere Nachricht ertheilt (Zugabe 1780. 49. Stück,
und 3. St. von d.J.) je nuzbarer eine solche all-
gemeine Uebersicht, besonders auch für die Leser der
Briefe selbst, seyn mußte. Der andere Haupt-
theil, worin nemlich Hr. de L. seine leztern Reisen
und die darauf gemachten Bemerkungen erzählt,
sind zwar, wenn man anders keine blosse Marsch-
rute geben will, keines allgemeinen Auszugs fähig,
doch wollen wir, um ihn nicht unberührt und
keine Lücke in unsern Blättern zu lassen, etwas
von dem ausheben, was der Verf. von unserer
hiesigen Gegend gesagt, die auch der Recens. ganz
fleissig und theils in Gesellschaft des Verf. durch-
sucht hat. Ueberhaupt, sagt er (L. cx.), wenige
andere Gegenden seyen so reich an cosmologischen
[Seite 274] Datis, als die um Göttingen. Auch sey kein
einziges System der bisherigen Cosmologen, die
ebenfalls, so wie er, das Einstürzen des ehema-
ligen festen Landes angenommen, dem seinigen
näher gekommen, als unsers Hrn. Prof. Hollmann
seines, (L. cxxxviii) der es eben auf die Lage
und Beschaffenheit der hieländischen Petrefacten
gegründet, wovon er noch neulich eine Sammlung
merkwürdiger und ansehnlicher Stücke ans akade-
mische Museum geschenkt hat.

Hr. de L. sezt unsern Heinberg der Buffonischen
Hypothese vom thierischen Ursprung des Kalks
entgegen. Denn, so wie sich anderwärts ganze
Kalkberge ohne eine Spur irgend eines Petrefacts
finden, so sind hingegen andere, und namentlich
unsere nächsten Nachbarn, mit grossen Thonlagern
untermengt, die doch eben so reich an Versteine-
rungen sind, als die kalkichten. (So vorzüglich
am Fuß des Bergs vor dem Geismarthore, wo
die Thonlager in den Wasserrissen am Tage liegen,
und mannigfaltige Ammonshörner, Belemniten,
Bohrmuscheln, Cochliten, besonders aber die schon
bey anderer Gelegenheit in unsern Blättern genann-
ten räthselhaften Doppelröhren, mit unter auch har-
zichte Holzkohlen, und zwar alles dieß mehrentheils
mit Kies durchdrungen und überzogen, enthalten.)

Umständlich von den zahlreichen ausgebrann-
ten Vulcanen in unserer Nachbarschaft, deren sich
der Verf. vorzüglich zur weitern Bestärkung seines
Systems bedient. Ihre Menge beweise, daß unser
Erdboden nicht sowol durch tiefe Abgründe, als
durch lange, weit umherlaufende, Gänge unter-
graben sey, daß sich auch daher die gleichzeitigen
Erdbeben in entfernten Gegenden erklären las-
[Seite 275] sen u.s.w. Die meisten dieser alten Vulcane sind
mit einem Kalküberzug bedeckt; einige aber, wie
der Staupenberg, mit Sand: beide seyen aber noch
vor der Sündfluth vom Meere in diesem seinem
damaligen Bette abgesezt worden: doch der Sand
später, als die Kalklager; denn er sey der lezte
solche Absatz vor der grossen Erdcatastrophe gewe-
sen. Ueberhaupt erweist Hr. de L. daraus, daß
auch diese Vulkane selbst noch unter Wasser, in
der Tiefe des Meers entstanden seyn müssen. Er-
klärt auch daher die Entstehung der Basalte, die
durchs Abkühlen der Lava im Wasser ihre bestimmte
säulenförmige Gestalt erhalten hätten. Besonders
die Vulcane um Dransfeld (das, wie Neapel, mit
Lava gepflastert ist), worunter der Dransberg we-
gen der sonderbaren Bildung seiner Basalte vor-
züglich merkwürdig ist. (Der Rec. hat ihn noch
seitdem mehrmalen bereist, und ausser den hier
vom Hrn. de L. beschriebenen keilförmigen Ba-
salten noch andere eben so ungewöhnliche Arten in
den zahlreichen, daselbst angelegten, Steinbrüchen
gefunden; vorzüglich eine überaus regelmässige
in Gestalt dreyseitiger spitzzulaufender Pyramiden,
und theils in sehr kleinen saubern Stücken von
wenigen Zollen im Umfang der Grundfläche: eine
andere in Form zusammengepreßter kleiner Kugeln,
etwa von der Grösse einer Orange, deren wol zehn
und mehrere in der mürben ockerichten, halb vul-
kanischen und halb vegetabilischen, Erde, die ge-
wöhnlich die Zwischenräume der Basalte ausfüllt,
senkrecht über einander liegen und gewissermassen
den gegliederten Basalten ähneln u.s.w.)

Eben so sorgfältig beschreibt der Verf. die be-
nachbarten Erdfälle und Berghöhlen, und erklärt
ihren gemeinschaftlichen Ursprung aus durchsippern-
[Seite 276] den Wasser, das den Kalk in der Erde auflöst und
decomponirt; und ihn nachher anderwärts als
Tuffstein wieder absezt etc. Ist der Erdboden oder
die Decke über solchen allgemach ausgewaschenen
Klüften so schwach, daß sie einsinken muß, so ent-
stehen Erdfälle: ausserdem aber Höhlen: und zwar,
wenn es Kalklager trifft, die Knochen enthielten,
so werden diese zwar losgeschlemmt, bleiben aber
doch in den Höhlen zurück, und so entstehen die
so merkwürdigen Knochenhöhlen, dergleichen die
Scharzfelder ist, die hier genau beschrieben wird.
Die Gebeine der vierfüssigen Thiere nemlich, die
sich darinnen finden, seyen vor der Sündfluth vom
damaligen festen Lande durch die Flüsse in die See,
und durch die Meeresstrudel und Ströme ferner-
weit in die Kalklager gebracht, die nach der Hand
auf die vorgemeldete Weise durch eingeseigtes Was-
ser ausgehöhlt und die Knochen losgespült wor-
den u.s.w. (Dem Recensenten, doch vielleicht nur
ihm, kommt es dabey räthselhaft vor, daß diese
vor der grossen Erdcatastrophe ins Meer getrie-
bene Knochen nun nach der Umbildung der Erde
auch gerade wieder in ihre alte Heimath und an
ihren Geburtsort versezt worden seyen: denn alle
die zahlreiche Schädel, Zähne und andere Kno-
chen, die er theils selbst in der Scharzfelder Höhle
losgebrochen, theils aus der Büttnerischen und
Leibnitzischen Sammlung im akademischen Museo
untersucht hat, sind ohne Ausnahme von Bären
und Luchsen, den bekannten vormaligen Einwoh-
nern des Harzes. –)

L. lxv. Université de Goettingue. – L. lxvi.
bis lxxii. überaus mannigfaltige und reichhaltige
Bemerkungen über den Harz, theils über die
Gruben- und Hüttenarbeiten, theils über die baro-
[Seite 277] metrischen Messungen, die der Verf., zumal in
den tiefen Gruben, angestellt und die in den Phi-
losophical Transactions
umständlich bekannt ge-
macht sind. Eine physiologische Bemerkung, die
Hr. de L. schon längst auf den Eisbergen von Fau-
cigny gemacht, erhält hier aus den tiefsten Schach-
ten Bestätigung, daß nemlich die äusserste Ver-
schiedenheit des Drucks der Luft wol die Barome-
ter, aber nicht die Lungen afficirt. Auf die ein-
gestreuten Anmerkungen über die Physiologie der
Gewächse haben wir schon neulich die Leser auf-
merksam zu machen gesucht. Auch hier sind ihrer
viele, z.B. über den grossen Nutzen der alten Wurzel-
stämme für die neue Vegetation. Vergleichung des
Harzes mit den Alpen, Pyrenäen und Apenninen.
Beschreibung einiger seiner vielen romantischen
malerischen Gegenden und Aussichten: und der
Bergleute: von ihrer Andacht (L. lxiii. und lxiv.),
Lebensart, frölichen Humeur, von ihrem Hang
zur Music u.s.w. Alles mit so viel menschenfreund-
licher liebevoller Theilnehmung beobachtet, und
mit so viel Wärme einer beredten Schreibart vor-
getragen, als man es von einem so vertrauten
Freunde des würdigen Rousseau erwarten kan.
Leser, die in den Briefen des einen dieser beiden
Genfer Bürger durch die Beschreibung des glückli-
chen Pais de Vaud, der liebenswürdigen Sitten der
Walliser u.s.w. hingerissen worden sind, werden ein
ähnliches Vergnügen an denjenigen Briefen des an-
dern
finden, worin er den Charakter der Göttingi-
schen Landleute schildert, ihre gutmüthige Gastfrey-
heit, ihr gefälliges Zuvorkommen u.s.w. und wo er
die einnehmenden Gemälde vom Glück ihres häusli-
chen Lebens entwirft und einige besondere Auftritte,
wie den zu Rüstefeld, zu Beniehausen u.s.w. so ganz
im malerischen Detail liefert.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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