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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1786.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Braunschweig.

[Seite 978]

Völlig entdecktes Geheimnis der Natur, sowohl
in der Erzeugung des Menschen, als auch in der
willkürlichen Wahl des Geschlechts der Kinder, von
Joh. Christ. Hencke, Organist bey der Kirche St.
Martini zu Hildesheim. Zu bekommen beym Verf.
1786. 224 Seiten in Octav – ohne die Vorrede
und das Register der Pränumeranten und Subscri-
benten nach den Orten ihres Aufenthalts, worun-
ter wir 16 deutsche Universitäten zählen; Göttin-
gen ist zufälliger Weise nicht mit darunter. Ueber-
haupt aber sehen wir diese pränumerirten Ducaten
[Seite 979] mehr für milde Gaben an, als daß wir daraus
folgern sollten, daß Hanns Nord mit seiner Bou-
teille auch noch wohl in unserm gepriesenen philo-
sophischen Jahrhundert sein Glück machen könne. –
Im Werke selbst, das der Verf. nicht nach der
Quantität, sondern nach der Qualität zu schätzen
bittet, giebt er erst ein paar Bogen Gedrucktes von
Generationstheorien, die ihm zu Gesichte gekommen
sind, und dann nichts geringers, als seine ohn-
maßgebliche Kritik über dieselben zum Besten. Von
letzterer sagen wir kein Wort, da es vermuthlich
dem Hrn. Organisten an einem Freund gefehlt hat,
der ihn vor so einem abentheuerlichen Unternehmen
gewarnt hätte. Wir eilen vielmehr zur Eröffnung
des ersten von den beiden auf dem Titel erwähn-
ten Geheimnissen der Natur, nemlich von der Er-
zeugung des Menschen, das sich dann hier auf
nichts mehr und nichts weniger, als auf die in
etwas zugestutzte uralte Behauptung reducirt, daß
jeder der beiden Hoden einen eigenartigen Saamen
absondere, der rechte den zur Befruchtung der
männlichen Eyer, der linke den zur Befruchtung
der weiblichen, und daß jene im rechten, und diese
im linken Eyerstocke liegen sollen. Die Richtig-
keit dieser Behauptung versichert nun Hr. H. durch
wiederholte Versuche an Hunden, Caninchen und
Schweinen erprobt und bestätigt gefunden zu ha-
ben. Je nachdem er nemlich den männlichen Thie-
ren einen von beiden Geilen, oder den Weibchen
einen von beiden Eyerstöcken ausgeschnitten, nach-
dem haben sie, seiner Erzählung nach, auch blos
vom einen oder vom andern Geschlechte Junge ge-
zeugt oder geworfen. Er habe z.B. eine solche
halbverschnittne Hündin mit vollständigen Männ-
chen zusammengelassen, die von verschiedenen Raçen
waren; und sie haben ihm Blendlinge von ver-
[Seite 980] schiedenen Raçen, aber alle von einerley Geschlecht
gebracht u.s w. – Da ihm auch aus der Bibel
die Geschichte von Jacobs bunten Stäben etc. einge-
fallen, so habe er verschiedene blaue Mäntel aus
einander gebreitet, da wo trächtige weisse Canin-
chenweibchen den Ausgang aus ihrer Höhle ge-
habt, und habe sie darauf mit Gewalt über diese
Mäntel herüber gejagt, da dann, wie Hr. H. sagt,
nach einiger Zeit zweye von denen Weibchen, wel-
che sich damals im Anfang der Trächtigkeit befun-
den, dunkelblaue Junge gebracht etc. etc. – Eben
so erzählt er Geschichtchen von Misgeburten, die
durchs Versehen der Mütter entstanden, erklärt sich
auch dabey dahin, daß alle Misgeburten durch
Zufall entstehen; und widersetzt sich der Meynung,
präformirte Misgeburten im Keime anzunehmen: –
denn ‘”so müßte man ja den unendlich weisen Schö-
pfer gleichsam eines Fehlers, eines Versehens
beschuldigen, – gewiß ein schändlicher Gedanke –”’
(also an der nachherigen Verunstaltung des gesun-
den wohlgebildeten Keims soll der Schöpfer keinen
Antheil haben). – Die Art, wie Hr. H. die etwa-
nigen Einwürfe und Zweifel gegen seine Lehre be-
handelt, ist eine Merkwürdigkeit in ihrer Art. Bey
anatomischen Erfahrungen z.B., die ihn widerle-
gen, fragt er: ‘”sollte wohl nicht hier die Fantasie
mit den Beobachtern ihr Spiel getrieben haben?”’
Die Fälle aber, wo Ehemänner, die den einen
Testikel verlohren, doch noch mehrere Kinder von
beiden Geschlechtern gezeugt, erklärt er sehr
menschenfreundlich durch Untreue ihrer Weiber!
(ein Argwohn, den er wenigstens der jungen
S. 214 gedachten Frau Doctorin zu Gefallen hätte
unterdrücken sollen, deren endlichen Eheseegen er
blos dem guten Rathe zuschreibt, den er dem Ehe-
[Seite 981] manne gegeben, was er beym Beyschlaf für eine
Lage nehmen sollte –).

Die zweyte versprochene Entdeckung, nemlich
die willkührliche Wahl des Geschlechts der Kinder,
ist unsers Wissens ganz des Hrn. Organisten Eigen-
thum. Der Saame, sagt er, ergiesse sich blos
aus demjenigen Saamenbläschen, dessen Hode sich
im Beyschlaf in die Höhe ziehe –. Und nun nach
dieser kleinen Voraussetzung, giebt er Regeln, wie
man diese Ergießung aus der einen oder andern
Seite nach Willkühr bewirken solle. ‘”Wenn nem-
lich ein Knabe soll erzeugt werden, heißt es, so
muß der Mann mit dem rechten Knie zuerst über-
schreiten etc. etc. Wie man aber ein Mädchen erzeu-
gen müsse, darf ich wohl kaum sagen, da ein Ver-
nünftiger es schon aus dem vorhergehenden schlies-
sen kann. Er muß ja natürlich mit dem linken Knie
zuerst überschreiten etc.”’ – – Auch sogar den drey-
und vierbodigen Männern giebt er besondere Vor-
schriften! – Gegen alle etwanige künftige Vor-
würfe aber, bey mislungenen Proben, waffnet sich
Hr. H. mit der ‘”allerfeyerlichsten Protestation ge-
gen die Versuche aller zu jungen, zu raschen und
feurigen Männer, weil diesen wohl die nöthige
Kaltblütigkeit
und Vorsicht in dem kritischen Au-
genblicke fehlen möchte”’ etc. ‘”Für solche Leute, wel-
che in dem Beyschlaf noch zu heftig, zu feurig
sind, für hitzige rasche Männer, die alle Besin-
nung vergessen, wenn der Geschlechtstrieb wirkt,
schreibe ich nicht, sondern nur für keusche Ehe-
leute etc.”’

Vielleicht erspart der Rec. doch manchen dieser
keuschen Eheleute manchen unbequemen Versuch,
wenn er ihnen sagt, daß er von den bekannten
Fällen, wo man ganze menschliche Leibesfrüchte
ausserhalb der Gebärmutterhöhle in einem von bei-
[Seite 982] den Eyerstöcken oder Fallopischen Röhren gefunden,
diejenigen, wovon ihm eben die Originalnachrich-
ten zur Hand lagen, nachgesehn, und unter 9,
ihrer viere gefunden hat, bey welchen der Ge-
schlechtsunterschied zu erkennen gewesen und ange-
geben worden. Dieß waren zwey Fälle, wo Knäb-
chen
in der rechten Fallopischen Röhre; ein drit-
ter, wo hingegen ein Mädchen in der rechten
Röhre; und ein vierter, wo wieder ein Knäb-
chen
im linken Eyerstocke gelegen hatten.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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