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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1790.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Edinburgh.

[Seite 1169]

Für die Naturgeschichte hat Hr. Bruce (– nun-
mehriger Sir James –) eine ausnehmend rei-
che Erndte gehalten; wie sich schon daraus ab-
nehmen läßt, daß er nur allein aus dem rothen
Meere über 300 Artikel zurückgebracht, deren Ab-
bildung und Beschreibung ein eignes großes Werk
füllen würde. Gleichsam zur Probe hat er ohn-
gefähr 40 der merkwürdigsten und seltensten Thiere
und Pflanzen, zumal aus Abyssinien, ausgehoben,
und sie, um den Faden der Erzählung in der
Reisebeschreibung selbst nicht zu oft dadurch zu
unterbrechen, in einem besondern Anhang, der
den fünften Band des Ganzen ausmacht, zusam-
mengestellt. Recht methodische Naturgeschichte
scheint zwar nicht sein eigentliches Studium ge-
wesen zu seyn, daher man denn freylich zuweilen
[Seite 1170] die Angabe kleiner charakteristischer Theile vermißt,
die doch die systematische Bestimmung der Gat-
tung etc. erleichtert haben würde. Größtentheils
wird doch aber dies theils durch die meist sehr
ausführlichen genauen Betreibungen und theils
auch durch die beygefügten Abbildungen ersetzt,
die doch aber selbst nicht durchgehends von dem
großen Werth zu seyn scheinen, den ihnen der
Verf. beylegt. (– Er nennt sie the best drawings
in natural history ever vet published
–). Man
sehe z.B. S. 155 die Abbildung des sogenannten
Goldadlers, der uns, nach der Vergleichung mit
einem Original im akademischen Museum, offen-
bar der wahre Lämmergeyer der Alpen zu seyn
scheint, ohngeachtet freylich ein Hauptcharakter
desselben, nemlich der gewölbte Höcker auf der
Spitze des Oberschnabels, in der überhaupt sehr
verzeichneten Figur nicht angegeben ist. Was soll
man vollends aus der Zeichnung der übrigens so
merkwürdigen Bremse S. 188 machen? Weit
unerwarteter, als dies, ist es uns aber gewesen,
daß manche dieser Zeichnungen, wie wir finden,
dem Verf. nicht einmal ganz eigen sind. So
z.B. das Nashorn S. 85, das (die Hörner etc. ab-
gerechnet) fast Zug für Zug nach der schon 1754
erschienenen Büffonischen Zeichnung copirt ist.
Und doch sagt Hr. Br. this is the first drawing
of the rhinoceros with a double horn that has
ever yet been presented to the public – it is
designed from the life etc.
(Auch hatte wenig-
stens das zweyhornichte Rhinocer, das der Rec.
gesehen, bey weitem keine solche schildförmige
Falten, wie die in jener Büffonischen Zeichnung
des Rhinocers mit einem Horne). – Dem allen
ohngeachtet enthält diesen Band einen wahren
Schatz für die Naturgeschichte, der sich vollends
[Seite 1171] recht verinteressiren muß, wenn manches darin
von andern Naturhistorikern genauer geprüft,
verglichen und bestimmt werden wird, das dann
zum Theil schon in der deutschen Ausgabe des
wichtigen Werks geleistet werden kann, wovon
zur Michaelmesse die zwey ersten Bände im Weid-
männischen Verlag erscheinen sollen. –

Nun einiges aus dem Buche selbst. – Die
Unverweslichkeit der Mumienkisten (Sarcophagen)
ist mehr dem trockenen Boden, worin sie beyge-
setzt sind, als dem Sycomorusholze selbst, zuzu-
schreiben. Hr. Br. hat Tischlerarbeit aus diesem
Holze in England in die Erde vergraben, und
dieselbe schon in 4 Jahren morsch und faul ge-
funden. – Eine treffliche Abbildung und Be-
schreibung des Papyrschilfs; für den Naturhistori-
ker mehr werth, als Wielands (Guilandini) gan-
zes Buch. Doch glaubt Hr. Br. nicht, daß es
dieses berühmte Schilf gewesen, das vor Erfin-
dung des Brodbackens in Ägypten zur Speise ge-
dient, sondern hiezu habe man den markichten
jungen Stamm eines, auch von ihm beschriebenen,
pisangähnlichen Gewächses (Ensete) gebraucht,
dessen Früchte aber nicht, wie bey den eigentlichen
Pisangarten, eßbar sind. Hingegen die Wurzel
des Papyrus ward ehedem, so wie noch jetzt,
wie Süßholz oder Zuckerrohr gekaut. Eigene Ver-
suche des Verf., dies Schilf zum Schreibpapier
zu bereiten, zur Berichtigung und Aufklärung der
von den Alten davon hinterlassenen Nachrichten. –
Die Balsamstaude; die Geschichte ihrer Verpflan-
zung und des ehedem so wichtigen Balsamhan-
dels. – Noch wichtiger, zumal für die Geschichte
der Materia medica, ist die Abbildung und Be-
schreibung des Abyssinischen Myrrhenbaums (Sassa),
wovon Hr. Br. schon vor einigen Jahren eine
[Seite 1172] vorläufige Nachricht bekannt gemacht. – Der
Rackbaum S. 44 ist wohl Cissus arborea des sel.
Forskähl (den wir aber zu unserm Befremden im
ganzen Werke nicht citirt finden –). – Brucea
antidysenterica
(wie Sir Joseph Banks diesen
Baum benannt hat), deren Wurzelrinde in Sub-
stanz oder der Aufguß davon ein specifisches Mit-
tel gegen die Ruhr ist. – Cusso, oder, wie es
Hr. Br. nennt, Banksia Abyssinica, ein Baum,
dessen Blüthen, mit dem dortigen Bier infundirt,
gegen ein in Abyssinien einheimisches Übel, dem
Alt und Jung ausgesetzt ist, nemlich zur Erleich-
terung eines allmonatlichen Abgangs einer großen
Menge Mastwürmer (Ascariden) gebraucht wird. –
Teff, eine Art Moorhirse, das allgemeinste Abys-
sinische Getraide.

Schwerlich sey ein Land in der Welt, das eine
so große Menge und Verschiedenheit von vierfüs-
sigen Säugthieren, zahmen und wilden, habe,
als Abyssinien. – Die unsägliche Menge der
Abyssinischen Hyänen: es seyen ihrer vielleicht
mehr als Schaafe in diesem sonderbaren Lande. –
Fennec, das neuerlich so berühmt wordne artige
kleine Thier mit den ungeheuren Ohren. Es be-
stätigt sich hier unwiderredlich, daß dieses auf-
fallende Geschöpf bey weitem nicht ins Hunde-
geschlecht, wohin man es hat setzen wollen, son-
dern wieselartig ist, und mithin die Stelle be-
hauptet, die es schon im Blumenbachischen Hand-
buch als Viverra aurita erhalten hat. Schon
die alten Araber zählen es zu den Wieseln, wo-
mit bekanntlich ehedem die Viverrae verbunden
wurden. Das ganze Gebiß etc. ist wie bey diesen
Thieren, und nicht wie beym Hundegeschlecht. –
Ein artiger kleiner Lux (Felis ocreata). – Die
Menge der Vögel in Abyssinien übertrifft die von
[Seite 1173] andern Thierclassen ohne allen Vergleich. Über
die Haushaltung in den verschiedenen Ordnungen
dieser Thiere, z.B. der dasigen Raubvögel etc.
sagt der Verf. ungemein viel Merkwürdiges, das
nur für unsere Blätter keines Auszugs fähig ist. –
Der Aasgeyer. – Der Ibis. – Des lügenhaften
P. Lobo Immenkuckuk, der ganz vom Cuculus
indensator
verschieden ist. – Ausführliche und
merkwürdige Nachrichten vom Cerasten. – Zum
Schluß von einigen Thieren im rothen Meere,
auf die Hr. Br. seinen Landsleuten Handlungs-
speculation zu machen anrathet, nemlich die Te-
studo imbricata
und mehrere Arten von Perlenmu-
scheln. Unter diesen letztern auch eine Steckmuschel.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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