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Göttingische
Anzeigen
von

gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1793.
Titelblattillustrationxxx

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

[Seite 321]

33. Stück.

Den 28. Februar 1793.


Göttingen.

In der Versammlung der köngl. Societät der
Wissenschaften am 2. Febr. legte Hr. Hofr.
Blumenbach eine zweyte Decade aus seiner Samm-
lung von Schädeln verschiedener Völkerschaften vor.
Sie war wieder so, wie die erste, nach dem auf-
fallendsten Contrast der Nationalformen ausgewählt,
und nach der Folge der von dem Hrn. Hofr. schon
anderwärts bestimmten Varietäten des Menschen-
geschlechts geordnet.

Also von der ersten Varietät: 11) Der Schä-
del eines ächten Zigeuners, der im Gefängniß zu
Clausenburg gestorben, von Hrn Dr. Patacki da-
selbst. – Auffallend ist die Aehnlichkeit der ganz
characteristischen Form dieses Kopfs (– so characte-
ristisch, daß ihn schon mehrmalen Siebenbürgen
unter den übrigen Schädeln sogleich von selbst für
[Seite 322] einen wahren Zigeuner anerkannt haben –) und
des von der Aegyptischen Mumie in der ersten De-
cade. Beyde zeichnen sich dadurch von allen übrigen
64 Schädeln fremder Völkerschaften, die Hr. Hofr.
Bl. gegenwärtig besitzt (worunter nämlich kein ein-
ziger deutscher begriffen ist), auf den ersten Blick
aus, ein Umstand, der bey alle dem, was Hr.
Prof. Grellmann für die Abstammung der Zigeu-
ner aus Hindostan gezeigt hat, doch um so mehr
Aufmerksamkeit verdient, je augenscheinlicher die
von Hrn. Hofr. Meiners erwiesene Uebereinkunft
der Hindus selbst mit den alten Aegyptiern ist. –
12) Der Schädel eines Casauischen Tatarn, eine
edle, schöne Form! Auch nicht ein Zug von der so
oft wiederholten Schilderung, die Büffon, und so
viele andere nach ihm, von den Tatarn machen,
und die sich, wie Hr. Hofr. Bl. gefunden hat,
ursprünglich aus Yvo's von Narbonne Nachricht von
der zu seiner Zeit, a. 1243, erfolgten Invasion der
sogenanten Tatarn nach Deutschland, herschreibt,
offenbar aber von Mogolen, und keineswegs von
Tatarn zu verstehen ist. (– Diesen und die nächst-
folgenden 6 Schädel verdankt Hr. Hofr. Bl., so
wie so viele andere in seiner Sammlung, der uner-
müdeten thätigen Unterstützung des Hrn. Baron
von Asch zu St. Petersburg. –) 13) Von einem
Starschinen (Volks-Aeltesten) der Kirgis-Kai-
sacken, vom Hrn. Dr. Sanden aus Ufa.

Von der zweyten Varietät 14) ein Calmücke,
dessen ganzes, vom Hrn. Prof. Karpinski zu
St. Petersburg verfertigtes, Gerippe Hr. Hofr.
Bl. besitzt. – Es kann kaum ein größerer Abstand
in der Form der Schädel gedacht werden, als der
zwischen diesem sowohl als den übrigen achten Cal-
mückenschädeln in der Blumenbachischen Sammlung,
[Seite 323] und hingegen dem angeblichen Calmückenschädel,
den der sel. Camper in seinem Posthumenwerke
über seine Gesichtslinie hat stechen lassen, welcher
ohne Zweifel einem Neger zugehört hat, und doch
von dem verdienten Manne als Muster der Natio-
nalgesichtsbildung der Einwohner von ganz Asien,
Nordamerika und den Südseeinseln, bis zu unsern
Antipoden in Neuseeland aufgestellt worden! –
15) Ein Jakutenschädel, den Hr. Hofr. Laxman
von Irkutzk mitgebracht. Bekanntlich sind die Ja-
kuten von manchen Geschichtforschern für ein Tata-
risches, von andern aber für ein Mogolisches Volk
gehalten worden. Der Schädel spricht für die
letztere Meynung, und bestätigt des ältern Gme-
lin's Bemerkung, da er als Augenzeuge sagt: ‘”In
der Gestalt des Gesichts glichen die Jakuten den
Calmücken, hatten eine platte Nase etc.”’ –
16) Von einem sogenannten Rehnthier-Tungusen
aus dem Gilgekirskischen Stamme, der sich selbst
erdrosselt hat, vom Hrn. Stabschirurgus Schilling,
der die Legalobduction verrichtete.

Von der dritten Varietät wieder drey Neger-
schädel wie in der ersten Decade, nur noch mehr
als jene in der Form verschieden und gegen einan-
der contrastirend. – 17) Nämlich von einem, den
Hr. Prof. Wolff zu St. Petersburg zergliedert. –
18) Von einem aus Congo, vom Hrn. Collegien-
rath Reineggs zu Petersburg. – 19) Von einer
28jährigen Negresse aus Guinea, die kürzlich in
Amsterdam gestorben, vom Hrn. Prof. van Geuns
dem jüngern zu Utrecht.

Von der vierten Varietät endlich 20) der Schä-
del einer Caraibischen Frau von St. Vincent. So
wie der von dem Heerführer dieses nun meist aus-
[Seite 324] gestorbenen Volks in der ersten Decade ein Geschenk
des Hrn. Baronet Banks. – Eine ganz mon-
ströse Gestaltung! gleichsam ohne alle Stirne, so
platt fällt diese nämlich zurück. Der Hinterkopf
hingegen ragt abentheuerlich hinaus. Beydes ganz
offenbar Werk der Kunst; Folge des gewaltsamen
Bindens und Drucks in der ersten Kindheit. Die
ganze Form entspricht vollkommen der genauen Be-
schreibung, die Hr. Dr. Amic zu Guadeloupe
neuerlich von der Einrichtung dieser Caraibischen
Kopfpresse gegeben hat.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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