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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen

unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1795.
Titelblattillustrationxxx

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

[Seite 601]
Textornamentxxx

60. Stück.

Den 13. April 1795.


Göttingen.

In der Versammlung der königl. Societät der
Wissenschaften am 28. März legte Hr. Hofrath Blu-
menbach eine dritte Decade aus seiner Sammlung
von Schedeln verschiedener Völkerschaften vor, die
nun in Verbindung mit den beyden vorhergehenden
eine Art von vollständigem Ganzen ausmacht, da
sie durch die thätige Theilnahme des Hrn. Baron
von Asch und des Hrn. Baronet Banks besonders
zweyerley enthält, wodurch die beyden merklichen
bisherigen Lücken in dieser Sammlung aufs voll-
kommenste gefüllt worden. Von jenem nämlich ist
ein idealisch bildschöner Schedel vom schönsten Blute
im Menschengeschlechte. Von diesem aber zweye
von den beyden Hauptrassen der Südseeinsulaner, ein
O-taheite und ein Neu-Holländer.

Ueberhaupt enthält diese Decade folgende Sche-
del: 21) den eben gedachten musterhaft gebildeten
[Seite 602] von einer Georgianerinn, die im letztern Türken-
kriege von den Russen gefangen und nach Moskau
gebracht worden, wo sie eines plötzlichen Todes
gestorben, und deßhalb vom Hrn. Prof. Hiltebrandt
gerichtlich secirt worden. – Vergleichung dieser
Form mit den weiblichen Idealen der Kunst des Al-
terthums. – 22) von einem Lithauer. So wie
der vorige und folgende ebenfalls ein Geschenk des
Hrn. Baron von Asch. Hier dieser zum Erweis
der Unzulänglichkeit der Camperschen Facial-Linie zu
Bestimmung des Nationalcharacters. Denn nach
jener Linie, im bloßen Profil angesehen, ähnelt die-
ser Schedel ganz auffallend dem einen Neger in
der vorigen Decade (tab. XVIII.). Hingegen beyde
von vorn oder von oben gegen einander gehalten,
so fällt das Charakteristische des Negers unverkenn-
bar auf. – 23) von einem 88jährigen Sinesischen
Tungusen (Daurier) aus dem Saradulischen Ge-
schlechts vom Amur; dessen Grab Hr. Hofr. Roeß-
lein am Onon geöffnet. Ein recht Mongolisches
Ideal. – Zur Vergleichung zeigte Hr. B. das
zum Sprechen ähnliche Bild eines 27jährigen Cal-
müken vor, der sich Selbst in schwarzer Kreide
mit einer alles übertreffenden, geschmackvollsten
Feinheit in Rom, wo er mit größtem Glück die
Antiken studirt, gezeichnet hat! Ein Geschenk des
Hrn. Legationssecr. Tatter. – 24) und 25) zwey
Eskimos, die Hr. B. durch die Vermittelung des
verdienstvollen Hrn. Joh. Loretz aus Nain auf
Labrador erhalten. Ganz das Mittel zwischen Mon-
golischer und Amerikanischer Gestaltung. Verglichen
mit den Bildnissen zweyer Eskimos, die der auch
als Schriftsteller bekannte Cptn. Cartwright nach
London gebracht, und Hr. Baronet Banks von Dance
malen lassen.

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Dann die gedachten beyden Südseeinsulaner. –
26) nämlich ein O-taheiten-schedel, den der um
die Humanität so verdiente Cptn. Bligh auf der be-
rühmten Reise mitgebracht, da er den Brodbaum von
den Societätsinseln nach Jamaica verpflanzt. Das
Stück ist um so schätzbarer, da noch der Unterkie-
fer dabey ist, der in jenem Clima bey der Weise,
wie dort die Leichen auf Gestellen an die Luft ge-
legt werden, sehr bald abfällt; den Erschlagenen
aber ohnehin abgeschnitten und vom Sieger als
Trophäe aufgehoben wird. – 27) der Schedel eines
der ersten Neu-Holländer, die sich unter die Eng-
länder in der neuen Colonie auf Sidney-cove bey
Botanybay gewagt, und da gestorben. Die auf-
fallende Fläche vorn am Oberkiefer ist wohl durch
den Druck des Querknebels entstanden, den diese
Wilden in der Scheidewand der Nase tragen, und
den die Englischen Matrosen einstimmig ihre Boog-
spriet-Raa nannten. Vergleichung dieser beyden
Hauptlassen der Australier unter einander. Sie
ähneln einander sehr. Doch nähert sich der O-ta-
heite mehr dem Malayen, und der Neu-Holländer
mehr dem Neger.

Zum Schluß noch drev Kinderschedel von recht
auffallend contrastirenden Spielarten des Menschen-
geschlechts. Zum Erweis, wie der Nationalcha-
racter auch schon in der frühen Bildung kenntlich
ist. – 28) von einem sehr hübschen Juden-Mäd-
chen, und dann zweye von den beyden Extremen
in der Stufenfolge der Menschenrassen. 29) näm-
lich von der Mongolischen, ein Buräten-Kind;
wiederum vom Hrn. Baron von Asch, dem es der
Hr. Hofrath Laxmann aus Irkutzk mitgebracht.
Das breite, platte Gesichtchen mit den seitwärts
nausstehenden Backenknochen, im auffallendsten Ge-
[Seite 604] gensatz zu 30) dem schmalen Kopfe mit vorragen-
dem Oberkiefer an einem neugebornen Neger-Kna-
ben, vom Hrn. Chirurgus Billmann aus Cassel.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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