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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1795.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingen.

[Seite 777]

Von der vormaligen Inauguraldissertation des Hrn.
Hofr. Blumenbach: de generis humani varie-
tate nativa
, ist bey Vandenhoeck und Ruprecht
eine dritte Ausgabe auf 326 Seiten in Octav, mit
zwey neuen Kupfertafeln, erschienen. Voran steht
eine Zuschrift verwandten Inhalts an Hrn. Baronet
Banks; und ein Verzeichniß der Hülfsmittel aus
der eigenen Sammlung des Verf., deren er sich zu
dieser neuen Ausgabe vorzüglichst bedient hat; z.B.
Schedel und Embryonen von verschiedenen Völker-
schaften; andere hieher gehörige anatomische Prä-
parate; und dann porträtmäßige Abbildungen frem-
der Nationen; darunter besonders eine Anzahl noch
nirgend gestochener seltner Handzeichnungen. Die
Schrift selbst hat durch diese Subsidien ein von
den vorigen Ausgaben sehr auffallend verschiedenes
Ansehen erhalten. Auch die Ordnung des Vor-
trags ist verbessert. Wir ziehen nur Weniges aus.

[Seite 778]

Zuerst von den specifischen Eigenheiten des Men-
schen, die ihn von andern Thieren, zumal von den
sogenannten menschenähnlichen Affen, auszeichnen.
Seinen fleischigten Hinterbacken haben Physicotheolo-
gen den Zweck zugeschrieben: ‘”ut citra molestiam
sedendo cogitationibus rerum divinarum animum
rectius applicare posset
.”’ – Warum das weib-
liche Geschlecht nicht, wie bey andern Säugethieren,
retromingens ist? Von der natürlichsten Bestim-
mung des Menschen zur Venus observa. Freylich
aber zählte es Berengarius zu den Eigenthümlichkeiten
des Menschen quod coëat per diversos situs, dan-
do amplexus et oscula:
doch setzt er auch hinzu:
detestandus est in hoc, quia est magis vitiosum
ac voluptuosum et diabolicum, quam rationale
.
Hierbey von Da Vinci’s anatomischer Vorstellung
einer männlichen und weiblichen Figur in copula,
die der Verf. zu London in der großen Sammlung
von Handzeichnungen in der Bibliothek Sr. Majestät
des Königs gesehen. – Für einen Hauptcharacter
der Humanität hält der Verf. die aufrechte Stellung
der Schneidezähne im Unterkiefer. Ausführlich
von den anatomischen Eigenheiten im innern Bau
des menschlichen Körpers. Auch von den zur neu-
empfangenen Leibesfrucht gehörigen Theilen, der
vesicula umbilicalis etc. – Dann physiologisch von
den dem Menschen eigenen Functionen seiner thieri-
schen Oeconomie; darunter auch, in gewissem Sinn,
die nächtlichen Befleckungen; und daß er an keine
bestimmte Brunstzeit gebunden ist. Doch disputirten
spätere Aristoteletiker qui fiat ut aestate puellae
sint libidinosiores et amantiores: viri autem con-
tra hyeme
. – Franklin’s Definition des Menschen,
a tool-making animal. – Die ehrlichen Schola-
stiker gestanden zwar den menschenähnlichen Affen
eine Art von Sprache zu, doch mit der Einschrän-
[Seite 779] kung: ‘”Pygmaeus loquitur quidem cum tamen
sit irrationabile animal, verum non disputat
.”’ –
Hierauf auch von den dem Menschen ausschließlich
eigenen Krankheiten, in so fern sie ihren Grund in sei-
ner ausgezeichneten Organisation und thierischen Oeco-
nomie haben. Zuletzt von den fälschlich vorgegebenen
Eigenheiten des Menschen, z.B. Aemylian’s Be-
hauptung: cum recte solus incedat homo, solus
etiam inter tot animalia ructat; nam cum leves
sint flatus, sublimiorem exposcunt regionem &c
.
oder die von einem berühmten neuern Französischen
Arzte angegebene Besonderheit des Menschen, daß
er sich nicht, wie andere Thiere, mästen lasse! –
Hierauf von der Ausartung der Thiere überhaupt.
Vor allem Untersuchung der Frage, worauf in diesem
Theil der Menschengeschichte alles ankommt: Was
heißt
Species in der Zoologie? – Vergleichung
der Ursachen und Wirkungen der Ausartung anderer
Hausthiere mit des Menschen (als des vollkommen-
sten aller Hausthiere) seiner. Bey Gelegenheit der
Bastardzeugung von dem mancherley Anlaß oder
Vorwand, warum sich Menschen mit Thieren ver-
mischt haben, z.B. aus Andacht, oder Demuth, oder
als eine besondere Curart etc. – Dann der Haupt-
abschnitt (S. 114 bis 238) von den Abartungen im
Menschengeschlechte und deren Ursachen. – Erklä-
rung der Mohrenschwärze aus den Principien der
antiphlogistischen Chemie. Wie sich alle andere hie-
her gehörige Phänomene damit reimen, z.B. die
so oft beobachtete Schwärze am Unterleibe Europäi-
scher Weiber währender Schwangerschaft; oder auch
ausser derselben bey solchen, die nie monatliche Aus-
leerung gehabt; die wachsgelbe Farbe des Fettes
bey den Negern; die schwarzen Flecken beym Schar-
bock u. dergl. m. Ausführlich über die mancherley
Ursachen der Nationalphysiognomieen. Dann die
[Seite 780] übrigen Verschiedenheiten, z.B. sonderbare National-
eigenheiten in Rücksicht der Genitalien bey beyden
Geschlechtern. – Die Quimos auf Madagascar
scheinen dem Verf. nach genauer pathologischer Prü-
fung eine Art Cretine zu seyn. Kritik der Sagen
von geschwänzten Völkern.

Im letzten Abschnitt das Resultat. – Alle bis
jetzt bekannten Nationalverschiedenheiten im Men-
schengeschlecht, verglichen mit den analogen Spiel-
arten unter andern Hausthieren, und zurückgebracht
auf die vorher erklärten Quellen der Ausartung, so
bleibt für den Physiologen und Naturforscher kein
Grund, zu bezweifeln, daß sie alle sammt und
sonders zu einer und eben derselben Species gehö-
ren sollten. – Alle die mannigfaltigen National-
verschiedenheiten lassen sich am füglichsten auf fünf
Hauptspielarten zurückbringen: 1. die Caucasische;
2. Mongolische; 3. Aethiopische; 4. Americanische;
und 5. Malayische (Australische). – Physiologische
Gründe, warum die Caucasische als die Stamm-
rasse angenommen werden müsse; wie sie in beyde
Extreme ausgeartet; einerseits nämlich bis in die
platte, breitköpfige Mongolische Gestaltung mit seit-
wärts eminirenden Backenknochen;
und ander-
seits bis ins ganz entgegengesetzte Extrem, nämlich
die schmale negerartige Bildung mit vorwärts pro-
minirenden Kiefern.
– Zuletzt von den mancher-
ley Uebergängen zwischen diesen Spielarten, wodurch
sie Alle wieder zu einer und eben derselben Species
zusammenfließen.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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