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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1796.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Haag.

[Seite 333]

Sur la Découverte du rapport constant, entre
l’apparition ou la disparition, le travail ou le
non travail, le plus ou le moins d’etendue des
toiles ou des fils d’attache des araignées des
différentes espèces; et les variations atmosphe-
riques du beau-temps à la pluye, du sec à l’hu-
mide, mais principalement du chaud au froid,
et de la gelée à glace au veritable dégel. par
le Citoyen Quatremere d’Isjonval.
Bey J.
van Cleef, Französisch und Holländisch. 190 Seiten
in Octav. – Diese aus jeder Rücksicht merkwür-
dige Schrift gibt ein neues lehrreiches Beyspiel zum
Cardanus de utilitate capienda ex adversis. Ihr
Verfasser, der jetzige Holländische General, hat sich
schon vor 20 Jahren durch eine Preisschrift über
den Indigo vortheilhaft bekannt gemacht, gerieth
aber vor 9 Jahren bey den damahligen Holländi-
schen Unruhen in Verhaft, und hat in Utrecht acht-
halb Jahre lang, bis nähmlich im vorjährigen Jen-
ner seine Landsleute daselbst einrückten, gefangen
gesessen. Während dieser langen Zeit hat er zu
einiger Unterhaltung in seiner gezwungenen Einsam-
keit – so wie einst Pelisson in der ehemaligen Ba-
stille, und der Graf Lauzun im Gefängniß zu Pigue-
rol – mit den Spinnen Freundschaft gemacht; nur
daß Er weit reellern Vortheil, als jene beyden, da-
von gezogen, indem er das Naturell dieser Geschöpfe,
zumahl in Rücksicht auf die auf dem Titel angege-
benen Umstände, studirt, und dadurch auf die un-
erwartete Entdeckung geleitet worden, daß sie, wie
er versichert, zu den bey weitem untrüglichsten Wet-
ter-Propheten gehören, die vor allen bis jetzt be-
[Seite 334] kannten den großen, wichtigen Vorzug behaupten,
daß sie die bevorstehenden Veränderungen in der
Witterung geraume Zeit, und zwar die von anhal-
tender Dauer ganzer 10 bis 14 Tage aufs bestimm-
teste voraussagen. Der Verf. suchte zum Behuf die-
ses Studii die Spinnen möglichst an sich zu locken;
und, sagt er, j’ai vu mes soins couronnés par
une affluence d’araignées prodigiuese, je me suis
vu bientôt entouré, investi, chamarré de tant
de toiles d’araignées etc.
so daß einmahl zu Ende
des Herbstes seine Wohnung mit 4000 Spinneweben
geziert war. – Die mehresten Spinnen verkriechen
sich zwar bekanntlich im Winter. Doch bleiben im-
mer einige wenige auch während desselben munter,
und weben und arbeiten auch dann so gut, wie im
übrigen Jahre. Und so konnte z.B. der Verf. noch
während seiner Gefangenschaft im vorjährigen Jen-
ner den für das Schicksal von Holland so entschei-
denden strengen Frost voraus verkündigen. Alles traf
gegen die sonstige Erwartung ein. Mittwochs den
14. kam kalter Wind, Donnerstags fror es, und so
konnten Freytags den 16. die Franzosen in Utrecht
einrücken und ihren prognosticirenden Landsmann be-
freyen. – Den 20. trat zwar Thauwetter ein,
das 100,000 Franzosen, die mit dem schweren Ge-
schütz das Eis passiren sollten, furchtbar seyn mußte.
Allein unser Verf. war seiner Sache gewiß, that
eine seiner besten Spinnen in ein Glas, und gab
sie dem General van Damme, um sie zur vollsten
Beruhigung des Generals Pichegrü nach dem Haag
zu schicken. – Er zeigt also, wie interessant das
Studium der Spinnen überhaupt für alle Welt seyn
müsse, denn wen interessirt das Wetter nicht? –
wie äußerst wichtig aber besonders in Kriegszeiten
für Heerführer; so wie in Seestädten und Häfen
für die Marine; für Reisende; auch für Aerzte, zu-
[Seite 335] mahl wegen der bey großen Witterungswechseln zwi-
schendurch
grassirenden Krankheiten (– von den so
genannten epidemice intercurrentibus –); vor
allen auch und in der mannigfaltigsten Rücksicht für
die Landwirthschaft. – Mais quoi, dira-t-on, sind
seine Worte, sur la foi des araignées il seroit sage
d’aiguiser les faux, les faucilles et les serpettes,
quoiqu’ on vit le tems très chargé, même
très pluvieux? Je crois pouvoir certifier qu’ oui.

Glaubte er doch zu Ende des Frühlings bloß aus
dem Benehmen der Spinnen den Ertrag der Vieh-
weiden im folgenden Sommer so bestimmt voraus
zu sehen, daß er aus einer darauf gegründeten soli-
den Speculation allen Buttervorrath in Holland bey
Zeiten aufkaufen wollte.

Sehr verzeihlich ist es, daß sich der Verf. aus
Bewunderung über die ihm selbst so unerwarteten
Entdeckungen in sehr enthusiastische Lobeserhebungen
dieser seiner divines araignées, wie er sie nennt,
ergießt. Sie waren im Studium der Atmosphäre,
der Meteorologie und der Electricität seine plus grands
maitres après Mrs. Cotta, Beccaria, van Swin-
den &c.
– Ich könnte, sagt er, meine geliebten
Spinnen nicht nach Würden lobpreisen, non mihi
si linguae centum sint oraque centum
etc.
Ja,
si quelque chose mérite d’être chéri dans le
monde, ce sont les araignées.
Er nennt die Spinne
ce grand Insecte. Denn il y a peu de sujets
auxquels le mot de grand soit plus dû. – il
s’agit peut être ici de tout ce qu’il y a de plus
admirable et de plus grand dans la nature.
Man
wird diese Aeußerungen des Hrn. Generals um so
begreiflicher finden, da er selbst von sich sagt lorsqu’
un point de physique me paroit interesser l’agre-
ment de mes semblables, leurs besoins, à plus
forte raison leur vie, je ne suis plus un hom-
[Seite 336] me, – je suis un torrent qui se fait jour à tra-
vers tous les rochers et toutes les digues &c.

Ueberhaupt zeigt sich durchgehends, daß es richtig
sey, wenn er an einem andern Orte von sich gesteht
j’ai un peu le don de raisonner. Auch daß er
seine Raisonnements zuweilen auf eine sehr eigene
Weise ausdrückt; z.B. on peut être eminemment
homme a priori, c’est à dire, avoir reçu une
eminente organisation, sans être eminemment
homme a posteriori &c.

Daß auch der Verf. manche schon aus Lister,
Homberg, Rösel u.a. bekannte Bemerkung an den
Spinnen für neu hält, darf Niemanden befremden,
so wenig, als daß selbst manche der seinigen aus
jener ihren berichtigt werden können. Und doch
kommen auch außer dem, was den Hauptgegenstand
seiner Beobachtungen an diesen Insecten betrifft,
beyläufig noch manche andere interessante vor, z.B.
vom Nutzen der Spinnen in den Pferdeställen, und
daß der berühmte Astronome la Lande (so wie wei-
land die hochgelahrte Mamsell Schurmann) die Spin-
nen als eine Leckerey zu essen pflegt, und ihren
Geschmack der Nußkerne ihrem vergleicht u.s.w.

Nur Schade, daß die Schrift, so wie sie ist, noch
zu auffallende Lücken läßt, wodurch die gemein-
nützigere
Brauchbarkeit der Entdeckung des Verf.
vor der Hand noch sehr eingeschränkt bleiben muß.
Dahin gehört erstens, daß er die Gattungen der
Spinnen nicht genau genug bestimmt, die zu so
zuverlässigen Wetter-Prophezeihungen dienen sollen.
Er nennt zwar vorzüglich die Araignées pendices,
aber es gibt mehrere verschiedene Gattungen dersel-
ben, die alle ihr Netz senkelrecht weben; vermuth-
lich meint er wohl besonders die Kreuzspinne. Aber
die einzeln im Winter erscheinenden Spinnen, deren
er gedenkt, scheinen doch davon verschieden, und
[Seite 337] nach S. 88 selbst von mehr als Einer Gattung (espéce)
zu seyn. – Zweytens hat er von den Phänome-
nen im Betragen der Spinnen, und was dieselben
für die Meteorologie andeuten, gar zu wenig Be-
stimmtes mitgetheilt. Einen Hauptbezug hat in
dieser Rücksicht die Kürze oder Länge der Endfäden,
woran sie ihr Netz befestigen. Elles ont deux ma-
nières de travailler selon les tems qui regnent,
ou plutôt qui sont à venir. Si le tems doit
être pluvieux ou même venteux, elles attachent
de très court les maîtres brins qui suspendent
tout leur ouvrage, et c’est ainsi qu’ elles atten-
dent les effets d’une température qui doit être
très variable &c.
Je längere Endfäden sie hinge-
gen spinnen, desto sicherer ist auf dauerhaftes schö-
nes Wetter zu rechnen. Lorsque l’araignée tra-
vaille à grands fils, c’est la certitude d’un beau
tems pour 12 ou 15 jours au moins.
So hat
der Verf. einst eine Spinnewebe von 34 Fuß im
Durchmesser beobachtet. – Drittens aber, und
das möchte freylich dem größten Theile der Leser
am anstößigsten seyn, so scheint der Verf. in sei-
ner meteorologischen Kunstsprache das trockene Wet-
ter nicht ganz in dem Sinne zu nehmen, den man
im gemeinen Leben damit zu verbinden pflegt. Denn
so sagt z.B. der Herausgeber, Hr. P. Boddaert,
ein vertrauter Freund des Verf., in der Vorrede,
da er von jenen langen Endfäden spricht: Quant
au travail eu grand des araignées pendices et
à ces fils d’une prodigieuse étendue que je viens
d’avoir tant de plaisir à observer, ce n’est que
la secheresse intrinseque de l’atmosphère qu’ils
prédisent, et cette secheresse est très compatible
avec des pluies mêmes abondantes &c.
Mit
einer solchen secheresse intrinseque wird aber
fürwahr einer Hausfrau, die eine Wäsche, oder einer
[Seite 338] Gesellschaft, die eine Land-Partie vorhat, übel ge-
dient seyn. – Endlich muß man doch auch wohl
das in Anschlag bringen, daß der Verf. bey seinem
meteorologischen Studium der Spinnen noch einen
Gehülfen zu correspondirenden Wetterbeobachtun-
gen hatte, den sich doch selbst die eifrigsten Meteo-
rologen verbitten würden, nähmlich seine Migräne
in Gesellschaft von mancherley andern körperlichen
Beschwerden, die nach dem bevorstehenden Witte-
rungswechsel zugleich mit der Erscheinung seiner
Spinnen und ihrer Art zu arbeiten, eintraten oder
ausblieben. Wir wollen auch hierüber den Verf.
selbst reden lassen. J’ai eu deux compagnes de
travaux qui m’ont été d’un grand secours, et
dont j’ai trop à me louer pour ne pas leur ren-
dre ici les hommages de ma vive reconnoissance.
Ces compagnes ce sont les migraines et les
araignées. – Arrivé à reconnoitre que la moin-
dre pluïe petite ou grande agit sur mon sang
et le fait bouillonner tellement que je ne puis
dormir ni le jour ni la nuit, encore que toute
variation très considérable, comme celles qui
amenent les grandes pluyes ou les grands vents,
me cause deux effets immanquables qui sont un
dégorgement plus considerable de la bile par
les selles et par les urines, une irritation plus
grande aux glandes hémorroïdales, et aux glan-
des sébacées ou celles qui tapissent la couronne
du gland, outre des migraines folles, je n’ai
plus songé qu’ à m’observer comparativement. –
Les araignées comme mon individu sont sujettes
à trois mutations très marquées. Lorsqu’ elles
ne font rien, je ne dors point et c’est pluye
ou vent; lorsqu’ elles travaillent en petit, j’ai
la migraine, et c’est un tems inegal; lorsqu’
elles travaillant en grand, tout l’Univers rentre
[Seite 339] en mon pouvoir: je mange et je digère: je
travaille et je dors: mes idées embrassent tout:
j’eprouve ce que Mr. Rouelle disoit des effets
de l’Opium: je ne pese sur rien, rien ne pese
sur moi &c.
– So beschreibt der Verf., wie er
einst nach einem regnigen Junius und Julius an
einem der ersten Tage im August nach Tische um
2 Uhr plötzlich den großen bevorstehenden Wetter-
wechsel voraussehen können etc.

Manchen der obgedachten Desiderate hilft indeß
der Verf. wohl in einem zweyten ausführlicheren
Merke ab, das er so eben unter dem Titel von
Calendrier araneologique angekündigt hat.

Wir schließen diese Anzeige mit einer Stelle aus
einer der ältern Schriften des sel. Archidiac. Goeze,
wo er unter allerhand lächerlichen Volksaberglau-
ben auch ein ihm bekanntes Beyspiel einer alten
Matrone anführt. ‘”die nach dem Verhalten einer
Hausspinne über ihrem Armstuhl in der Stube
ihre ganze Oeconomie einrichtete. Diese Spinne
war allezeit erst das Orakel, welches befragt wur-
de, ehe man im Hause etwas vornahm. War die
Spinne lustig; lief sie in ihrem Netze munter um-
her; so war es ein gutes Zeichen: so wurden Brau-
tage gekauft, Malz bereitet, Gesellschaften ange-
nommen, Besuche gegeben u.s.w. War die Spin-
ne aber still, und schien sie in ihrer Höhle trau-
rig zu sitzen, so war es ein böses Zeichen etc.”’ –
Wie man doch Leuten Unrecht thun kann! – Der
gute sel. Mann hat der klugen Sibylle das zum
Aberglauben ausgelegt, was, wie wir zu ihrer
Rechtfertigung zu vermuthen alle Ursache haben,
meteorologische Beobachtungen nach der Methode
des Hrn. Quatremere d’Isjonval gewesen seyn
mögen.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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