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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1797.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingen.

[Seite 161]

Das academische Museum hat von der unermü-
deten Freygebigkeit des Hrn. Baron von Asch zu
St. Petersburg (dem es nun schon seit seiner Stif-
tung meist Jahr für Jahr, und in manchen zu wie-
derhohlten Mahlen, sehr reiche und wichtige Samm-
lungen, zumahl von Mineralien und andern Natur-
seltenheiten aus dem weiten Umfange des Russischen
Reichs und der benachbarten Länder, verdankt), vor
kurzem ein abermahliges großes Geschenk von mehr
als fünftehalb hundert Numern erhalten, das ins-
besondere eine äußerst interessante Sammlung von
Merkwürdigkeiten begreift, die von der letzten großen
Russischen Entdeckungsreise ins Eismeer und dem
nordlichen Theil des stillen Oceans zurück gebracht
worden. – Zuerst ein Wort von dieser wichtigen
Reise selbst, von welcher bis jetzt noch in Deutsch-
land sehr wenig bekannt worden, und zu welcher
der Plan von der nun verstorbenen, wahrhaft großen,
[Seite 162] Monarchinn schon im November 1784 entworfen,
und gleich damahls das Commando derselben den
Capitänen Billings und Bering übertragen wor-
den. Jener ein Englischer, in Russische Dienste ge-
tretener, See-Officier, der vorher die letzte Cookische
Weltreise mitgemacht. Dieser hingegen ein Sohn
(so sagt Lesseps) des unsterblichen Seefahrers, der
1742 auf der deßhalb nach ihm benannten Insel,
wo er Schiffbruch gelitten, sein Grab gefunden. Ein
Hauptzweck der Kaiserinn war der, daß endlich da-
durch eine der wichtigsten Lücken in der bisherigen
Erdkunde gefüllt, und die große Frage entschieden
werden sollte, ob das nordöstliche Asien mit dem
nordwestlichen Amerika zusammenhänge oder nicht? –
Denn die abenteuerliche Seefahrt des Kosaken Star-
schina Semön Deschnew, der 1648 vom Ausflusse
der Kowyma (oder Kolyma) ins Eismeer, ums
Tschukotschkoi-Nos herum, bis in die Mündung des
Anadyr gekommen seyn sollte, ward, trotz der Nach-
richten, die der Staatsrath Müller davon im Ar-
chive zu Jakutzk entdeckt, doch noch von manchen
Skeptikern bezweifelt; und Andere hielten mit Büf-
fon den Zusammenhang der beiden Continenten,
selbst aus theoretischen Gründen a priori, für
wahrscheinlicher. Nächstdem sollte aber auch die für
den dortigen Pelzhandel so wichtige Amerikanische
Küste des großen Nord-Archipels von der Berings-
straße bis Nutka- (oder Nutschek-) Sund genauer
untersucht werden. – Der Erfolg dieser Reise,
wozu die Vorrichtungen mit ganz ausnehmenden
Kosten, und ihre Ausführung mit eben so großen
Mühseligkeiten und Gefahren verbunden gewesen,
hat jene Zwecke vollkommen erfüllt. Die gedachte
wichtige Frage ist nun verneinend entschieden, und
das ganze, fast ebene, waldlose Land der Rehnthier-
Tschukischen von der Kowyma bis zu Bering’s Meer-
[Seite 163] enge, und wiederum von da bis zum Anadyr die
von etwa 4000 ichthyophagischen Tschuktschen be-
wohnte Bucht und Inseln des heil. Laurentius, genau
bestimmt: eben so hat die Kenntniß der genannten
Amerikanischen Küste, und selbst der Aleutischen
Inselkette (größten Theils von vulkanischer Arbeit)
wichtige Berichtigungen erhalten; und auf der Rück-
reise sind sogar noch im Ochotskischen Meere Ent-
deckungen gemacht worden, die für die nautische
Geographie von Wichtigkeit seyn müssen. Eben so
wichtig ist aber auch die Ausbeute, womit die Völ-
kerkunde und die Naturgeschichte (letztere besonders
durch die Kenntniß und den Fleiß des zu dieser
Absicht dabey angestellten Hrn. Dr. Merk aus
Darmstadt) jener merkwürdigen Weltgegenden be-
reichert worden, und wovon die große, an das hie-
sige Museum gekommene, Aschische Sendung, zu
der wir nach dieser kleinen zweckmäßigen Ausschwei-
fung zurück kehren, eine Fülle von lehrreichen Be-
weisen enthält. Besonders sind die darunter befind-
lichen zahlreichen sonderbaren Geräthschaften, Klei-
dungsstücke etc. der auf dieser Reise besuchten, bis-
her noch so wenig bekannt gewesenen, Völkerschaf-
ten für das Museum um so schätzbarer, da sie so
passend an die große, aus mehr als viertehalb hun-
dert Numern bestehende, Sammlung von Südlän-
dischen Merkwürdigkeiten anschließen, die von den
drey Cookischen Weltreisen zurück gebracht worden,
und von Sr. Majestät dem Könige an dasselbe
geschenkt worden. Schon die erste allgemeine Ueber-
sicht einer solchen, für das philosophische Studium
der Menschheit und der Völkerkunde so lehrreichen,
Collection, als die ist, welche das academische Mu-
seum nunmehr besitzt, zeigt, wie wahr und wie un-
übertrefflich schön Franklin den Menschen überhaupt
a toolmaking animal genannt hat: so wie hinge-
[Seite 164] gen bey näherer Vergleichung der auffallende Con-
trast in der endlos mannigfaltigen Weise, wie Völ-
ker verschiedener Climate sich bey der Stillung des
gleichen Bedürfnisses nach den Localumständen ihrer
Heimath zu bequemen wissen, das unendliche Ueber-
gewicht der menschlichen intellectuellen Fähigkeiten
über der übrigen Thieren ihre aufs sprechendste er-
weiset. So z.B. in der Südländischen Sammlung
eins der musselinartigen, luftigen, aber keine Nässe ver-
tragenden, Gewande, die der O-taheiter unter seinem
paradiesischen, meist trockenen, Himmel um sich
schlägt, verglichen mit den bewundernswürdigen,
aller Nässe undurchdringlichen, Regenhemden (Kam-
lei) in der neuen Aschischen Sendung, die sich
der Anwohner der Beringsstraße aus Wallfischdär-
men nähet, um in seinem kalten, ewig feuchten,
Clima sich und seine warmen, aus Pelzen oder
Vogelhäuten bestehenden, Unterkleider (Parki) trotz
Schnee, Regen und Wellen immer trocken zu er-
halten. – Die Näherey, so wie die übrige, fast
unbegreiflich kunstreiche, Arbeit an diesen Regen-
hemden und andern Kleidungsstücken, auch an Beu-
teln und mehr dergleichen Geräthschaften dieser Völ-
ker, rechtfertigt aufs vollkommenste das, was Cook
von ihnen sagt: ‘”Their sewing, plaiting of
sinews, and small work on their little bags,
may be put in competition with the most
delicate manufactures formed in any part of
the known world.”’ – Der Verfasser dieser
Anzeige hat schon oft ähnliche, äußerst feine, Ar-
beit von Europäischer Fabrik mit dem Vergröße-
rungsglase betrachtet, entsinnt sich aber nicht, je
Etwas darunter gefunden zu haben, was bey dieser
Probe (bey welcher sonst dergleichen Gegenstände meist
so sehr an Ansehen zu verlieren pflegen) die nähm-
liche, ausnehmend symmetrische, Gleichheit und
[Seite 165] Schärfe und Nettigkeit in den kleinsten Partieen
zeigte, und sich dadurch den zartesten Producten der
Natur in ihrer organisirten Schöpfung so sehr nä-
herte, als manche dieser wunderbaren Näharbeit. –
Das Mehreste ist mit äußerst feinem zweydräthi-
gem Zwirn aus Wallfischsehnen genähet, die bey
manchen dieser Seeungeheuer gegen 200 Fuß lange
Fäden geben. Die dazu gehörigen Nadeln sind
aufs sauberste aus langen, abgerundeten Knochen-
splittern verfertigt, und statt des Oehres mit einer
äußerst seinen Kerbe versehen. Unbegreiflich ist,
wie die dasigen Weiber, die dieß alles verfertigen,
in ihren unterirdischen Iurten beym beständigen
Qualme ihres Thranfeuers diese Anstrengung der
Augen aushalten können. – Unter vielen mit eben
so großer Geduld als Kunstgeschick verfertigten Schnitz-
arbeiten aus Wallroßzähnen verdient eine, von
einem einzigen solchen Zahn aus dem Ganzen ge-
arbeitete, Kette von der Amerikanischen Küste beson-
dere Erwähnung, die aufs genaueste dem berühmten
Stücke ähnelt, das Krascheninnikow als eine aus-
nehmende Sehenswürdigkeit in ihrer Art beschreibt,
die 1735 mit dem Fahrzeug Gabriel vom Tschukots-
koi-Nos zurück gebracht worden war, und wovon
er glaubt, daß über Jahr und Tag daran müsse
gearbeitet worden seyn. Die unsrige ist eben so,
wie jene, Einen Fuß lang, und besteht aus 21 zu-
sammenhängenden ringförmigen Gliedern. – Nicht
so kunstreich, aber aus einer andern Rücksicht nicht
minder interessant sind die aus eben solchen Zähnen
geschnitzten Stifte und andere Zierathen, die zumahl
die Amerikanischen Küstenbewohner und benachbarten
Insulaner in der Unterlippe tragen, und die schon
Semön Deschnew auf seiner obgedachten Fahrt vor
beynah anderthalb hundert Jahren angemerkt hat. –
Der Raum gestattet hier nicht, von den in diesem
[Seite 166] neuen Aschischen Geschenke befindlichen mancherley
Jagd- und Fischergeräthen jener nordischen Anwoh-
ner des großen Weltmeeres, so wie von ihren Bö-
ten (denn auch davon sind Modelle mitgekommen,
die von diesen kunstreichen so genannten Wilden
selbst, nach verjüngtem Maaßstab, aber aufs net-
teste, verfertigt worden), mehr zu sagen, als daß
sie denen, die man längst an der ostlichen Küste
des nordlichen Amerika bey den Grönländern und
Eskimos (folglich in einer weitern Entfernung, als
von Lissabon bis Tobolsk) gefunden, selbst bis auf
die willkürlichsten Nebensachen, zur Verwunderung
gleich sind, und folglich die auch aus andern Grün-
den erweisliche Verwandtschaft und gemeinschaftliche
Abstammung dieser nicht zahlreichen und doch so
weit verbreiteten Völkerschaften darthun.

Von den durch die Freygebigkeit des Hrn. Ba-
ron dem Museum bey dieser Gelegenheit zugekom-
menen seltenen Mineralien können wir hier nur we-
nige berühren. Unter denen von den auf der ge-
dachten Entdeckungsreise besuchten Küstenländern
zeichnen sich besonders mancherley Gattungen des
Talkgeschlechtes aus, namentlich der schöne, bisher
bloß auf Neuseeland gefundene, und von unsern
dasigen Antipoden zu Aexten, Hobeln, Meisseln etc.
benutzte Punamustein. – Unter denen von der
Kamtschatkischen Halbinsel verschiedene Abarten eines
merkwürdigen milchblauen Kieselsinters aus den
dortigen heissen Quellen. – Unter denen von
Ochotsk eine Folge der neuerlich so berühmt wor-
denen Marekansteine. – Von denen aus dem
übrigen Sibirien nennen wir bloß einige vom Bai-
kal, dessen Gebirge durch den unermüdeten Eifer
des sel. Laxmann so vielfache neue und unerwar-
tete Fossilien geliefert haben. Wir zählen von da
her in dieser neuen Sendung besonders mehrere große
[Seite 167] Prachtstücke des von ihm in den Granitgebirgen
am südwestlichen Ende des Sees in höchster Voll-
kommenheit der Farbe entdeckten Lasursteins; an-
sehnliche Drusen der sonderbaren, nach ihrem Fund-
orte benannten, Baikalitkrystallen in einem Mutter-
gestein von derbem Kalkspath; Tremolit vom Scha-
manskischen Felsen; und mancherley Varietäten der
großen rein auskrystallisirten Vesuviane und grünen
Granaten vom Wiluj. – Von manchen dieser
wichtigen exotischen Merkwürdigkeiten, die nach der
Einrichtung unserer Blätter hier bloß genannt wer-
den konnten, wird in des Hrn. Prof. Voigts’s Ma-
gazin ausführlichere Nachricht gegeben werden.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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