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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1798.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Paris.

[Seite 1305]

Voyage de la Pérouse autour du monde
Zweyter Band, der, wie neulich schon gesagt, nebst
dem dritten dieses würdigen, aber unglücklichen,
Seefahrers eigenes Tagebuch enthält. Er com-
mandirte die eine der beiden Fregatten, die Bous-
sole, der Capitain de Langle (der ihn auch A. 1782
auf der Expedition nach der Hudsons-Bay begleitet
hatte) die andere, nähmlich den Astrolabe. Als
Astronome ging Dagelet mit: als Geologe de La-
manon:
als Mineraloge und Physiker der Abbé
Mongès: als Botaniker der Dr. de la Martinière:
und noch als Naturalisten der P. Receveur und Du-
fresne:
der Wundarzt Rollin hat besonders die
naturhistorische Beschreibung der Menschen-Varie-
täten bearbeitet. – Die Schiffe gingen den 1. Aug.
1785 von Brest aus unter Segel. Erst nach den
Canarien. Auf Teneriffa gaben die Inclinations-
[Seite 1306] Bonssolen keine zusammenstimmenden Resultate;
la P. vermuthet, dazu trage die Menge Eisen bey,
womit der ganze Boden dieser vulkanischen Insel
durchzogen ist. – Barometrische Höhenmessungen
des Pic: das Quecksilber fiel auf der Spitze des-
selben bis 18 Z. 43/10 L. während es zu Ste Croix
auf 28 Z. 3 L. stand: zugleich das Thermometer
dort 9 Gr. Reaum. hier aber 24½. – Auf der
Fahrt nach der Küste von Brasilien kamen sie an
die kleine Portugiesische Insel Trinitad, deren Fel-
sen aus Basalt bestehen. Hingegen war die Insel
Ascençaon da, wo sie insgemein angegeben wird,
nicht zu finden: auch läugnete der Spanische Gou-
verneur auf St. Catharina ihre Existenz. Auf der
letztgedachten Insel fand la P. alle ihm nöthigen
Victualien im reichsten Überfluß, und ohne Ver-
gleich wohlfeiler, als er sie in Rio de Janeiro hätte
erhalten können. Aber die Einwohner sind beym
ergiebigsten Boden doch unter dem Druck, worin sie
leben, blutarm. Sie dürfen z.B. bloße Zuschauer
des einträglichen Wallfisch- und Caschelot-Fanges
seyn, den die Regierung an ihren Küsten treiben
läßt, und ihn an eine Handelsgesellschaft zu Lissa-
bon verpachtet hat. Man fängt da jährlich im
Durchschnitt 400 jener Cetaceen, deren Thran und
Wallrath nach Portugall geht.

Von da ging die Fahrt ums Cap Horn zuerst
nach la Conception in Chili. Die vorige Küsten-
stadt dieses Nahmens ging 1751 im Erdbeben un-
ter; seitdem ist sie anderthalb Meilen landein-
wärts am Biobio-Flusse wieder aufgebauet. –
Auch la P. bestätigt die Schilderungen seiner Vor-
gänger von dem glücklichen Himmel und der über-
schwenglichen Fruchtbarkeit von Chili. Mais, sagt
er, l’influence du gouvernement contraire sans
cesse celle du climat.
So fand ers hier, und
[Seite 1307] eben so in den beiden andern Spanischen Besitzun-
gen, die er nachher besuchte, in Californien nähm-
lich, und am allerauffallendsten in den sonst so
paradisisch schönen Philippinen. Die ängstliche
Eifersucht, womit die Regierung den Handel und
Wandel in diesen ihren Colonieen beschränkt, lähmt
alle Industrie, und die daraus entstehende Indo-
lenz und Trägheit macht dann, daß sich in Chili
eine sehr große Menschenmenge dem müssigen Klo-
sterleben weiht. La paresse, bien plus que la
credulité et la superstition, a peuplé ce royau-
me de couvens de filles et d’hommes.
Züge
von der ausgelassenen Sittenlosigkeit der dasigen
Mönche. Personne, plus que ces mêmes reli-
gieux, ne donnait à nos jeunes gens des ren-
seignemens plus exacts sur des endroits que des
prêtres n’auraient dû connaitre que pour en
interdire l’entrée.
Die Indianer in diesem großen
Küstenlande, von St. Jago bis zur Magellani-
schen Straße, geben ein merkwürdiges Beyspiel
von dem mächtigen Einfluß, den die Einführung
eines neuen Hausthieres auf die ganze Lebens-
weise und auf den ganzen Charakter einer Nation
haben kann. Dadurch, daß die Chilier Pferde
und Rindvieh erhalten, und diese sich so über-
schwenglich vermehrt haben, sind sie zu berittenen
Nomaden, wie die Araber oder Kalmüken, und
zugleich von den Spaniern nicht nur ganz unab-
hängig, sondern denselben vielmehr furchtbar ge-
worden.

Von Chili ging nun la P. in die weite Süd-
see.
– Zuerst nach der Oster-Insel, wo er sich
zwar kaum Einen Tag aufhalten konnte, doch
aber schätzbare Notizen davon liefert, die wir zum
Wichtigsten und Interessantesten rechnen, was
dieser Band enthält, da diese überaus merkwür-
[Seite 1308] dige Insel und ihre Bewohner, die sich durch
ihre Lebensweise, so wie durch das Eigene ihrer
Kunstarbeiten, so sehr auszeichnen, doch bis jetzt
nur durch die theils unzuverlässigen Nachrichten von
ihres Entdeckers, Roggewein’s, und dann durch
Cook’s zweyte Reise um die Welt, bekannt wa-
ren. Die Abbildungen, die der Mahler Hodges,
der den Capitain Cook auf dieser Reise begleitete,
von den dasigen Insulanern gegeben, sey ganz
verfehlt. (– Das bestätigt also das Urtheil, das
G. Forster von der Unzuverlässigkeit dieses Man-
nes als Portrait-Mahler fällte. –) Die Weiber
waren mit ihren Gunstbezeugungen auffallend frey-
gebig. Les Indiens, heißt es, nous engageaient
à les accepter: quelques-uns d’entr’eux don-
nèrent l’exemple des plaisirs qu’elles pouvaient
procurer; ils n’etaient separés des spectateurs
que par une simple couverture d’etoffe du pays.

Mehrmahlen sah man eine Menge Kinder, wohl
20, in Hütten beysammen unter der Aufsicht eini-
ger Frauen, die, nach dem gleichen Alter der Kin-
der zu urtheilen, nicht die Mütter derselben seyn
konnten. La P. fand kein Küchengeräthe bey
ihnen, sondern sagt, sie kochen ihre Speisen, die
fast ausschließlich aus Vegetabilien bestehen, in
kleinen in die Erde gemachten Gruben mit glühen-
den Steinen. (– Da Roggewein 1722 da war,
kochten und brateten sie in irdenen Töpfen. –)
Eins der dasigen Dörfer bestand, ausser einigen
Nebenhütten, aus einem einzigen Hause oder
Schoppen, 310 Fuß lang, nur 10 Fuß breit,
und in der Mitte eben so hoch. Wenn die In-
sulaner unsern Reisenden ihre Grabhügel zeigten,
hoben sie nachher die Arme gen Himmel, das
dann von diesen für einen Beweis des Glaubens
an ein künftiges Leben gedeutet wird. Von den
[Seite 1309] colossalischen Statuen u.a. Denkmählern auf die-
ser merkwürdigen Insel sind genaue Beschreibun-
gen, Messungen und auch Abbildungen gegeben.

Von da ging la P. nach den Sandwich-In-
seln,
wo er aber bey seinem kurzen Aufenthalt keine
beträchtliche Nachlese zu den ausführlichen Nach-
richten liefern konnte, die wir von den Englischen
Seefahrern erhalten haben; und hierauf nach der
nordwestlichen Küste von Amerika. Zuerst nach
dem St. Eliasberg, dessen Höhe hier auf 1980
Toisen angegeben wird, und von da nach dem
von ihm benahmten vortrefflichen Port des Français
(59 Gr. N. Br. ungefähr in der Mitte zwischen
jenem Berge und Maurelle’s Bucarellihafen), wo
ihm aber der erste große Unfall begegnete, daß
von dreyen zur Sondirung desselben ausgeschick-
ten Fahrzeugen zweye mit 6 Officieren und 15
Mann der Equipage untergingen. Auffallend ist
die Stärke der Vegetation an dieser Küste, in Ver-
gleich zu der unter der gleichen Breite an Hud-
sons-Bay. La P. hat Fichten gemessen, die 140
Fuß hoch waren. Übrigens halte die dortige
Flora kaum ein oder das andere Gewächs, das
nicht auch in Europa gefunden werde. – 200
Toisen über der Meeresfläche fanden sich versteinte
Königsmäntel (Ostrea pallium). – Die dasigen
Indianer rechnet la P. zur Amerikanischen Rasse,
und nicht zu den Eskimos, die er auf seiner Ex-
pedition nach Hudsons-Bay genug kennen gelernt.
Übrigens sind sie eben so wenig, als andere Ame-
rikaner, von Natur bartlos. J’ai vu, sagt er,
les indigenes de la Nouvelle-Angleterre, du
Canada, de l’Acadie, de la Baie d’Hudson, et
j’ai trouvé chez ces différentes nations plusieurs
individus ayant de la barbe; ce qui m’a porté
à croire que les autres étaient dans l’usage de
[Seite 1310] l’arracher.
So versicherte ihm auch nachher der
Gouverneur von Californien, der tief ins Land
gereiset war, und 15 Jahre lang mit den Wilden
gelebt hatte, que ceux qu’ on voyait sans barbe,
l’avoient arrachée avec des coquilles bivalves
qui leurs servaient des pinces.
– An List und
Verschlagenheit bey ihren Diebereyen geben jene
Indianer am Port des Français den Südsee-In-
sulanern wenigstens nichts nach. Sie krochen bey
diesen Expeditionen auf dem Bauch durchs Ge-
büsch, so leise, daß sich kaum ein Blatt regte.
So kamen sie sogar des Nachts ganz unbemerkt
in ein Zelt, stahlen zweyen darin schlafenden
Officieren, ohne daß diese davon erwachten, die
Kleider unter dem Kopfe weg, und entwendeten
unter andern Dingen die astronomischen Observa-
tionen, die während des dasigen Aufenthalts auf-
gezeichnet waren.

Von da ging die Fahrt südlich gen Califor-
nien.
– Bey Croß-Sound verlieren sich die
1300 bis 1400 Toisen hohen Schneegebirge. Die
nun folgenden Berge sind nur 8 bis 900 Toisen
hoch, bis zum Gipfel mit Bäumen bewachsen,
und scheinen sich tief landeinwärts zu erstrecken.

Den bekannten Englischen Aufsatz von la Fuen-
te’s
Entdeckungsreise, der schon so oft und viel-
seitig bestritten und wieder verfochten worden,
nennt la P. (freylich ein wenig zu decisiv) gera-
dezu un roman ridicule, der in England von
enthusiastischen Vertheidigern der nordwestlichen
Durchfahrt in den großen Ocean geschmiedet wor-
den. (– Der Augenschein lehrt ja aber, daß er
aus dem Spanischen, und noch dazu von einem
dieser Sprache nicht recht kundigen Manne, über-
setzt seyn muß. –)

[Seite 1311]

Ausnehmende Fruchtbarkeit von Neu-Califor-
nien, d.h. im Norden der Halbinsel und des Rio
colorado. Das Korn trägt gewöhnlich siebenzig-
bis achtzigfältig, zuweilen gar hundertfältig. Die
Californier sind schwarzbraun, wie manche Neger.
La P. sah unter diesen Amerikanern welche mit
einem starken, ansehnlichen Bart. Elle etait
chez quelques-uns très-fournie, et aurait
figuré avec éclat en Turquie, on dans les en-
virons de Moscow.
Sie wissen mit ungemeinem
Geschick die Hirsche dadurch zu beschleichen, daß
sie sich ein Geweihe auf den Kopf setzen, und sich
so auf allen Vieren zu ihnen nahen. (– Also
ganz, wie vorlängst die Floridaner beym Lau-
donniere. –) Sie scalpiren, wie die ostlichern
Amerikanischen Indianer, die überwundenen Fein-
de, stechen ihnen aber auch ausserdem die Augen
aus, die sie ebenfalls als Siegeszeichen trocken
aufzuheben verstehen. – Eins ihrer Lieblings-
spiele ist, daß der Eine rathen muß, in welche
Hand der Andere vor seinen Augen ein klein Hölz-
chen practicirt: zum Gewinnst setzen sie dabey
Corallen, und die freyen Californier auch die
Gunstbezeugungen ihrer Frauen aufs Spiel.

Ungeachtet das nordliche Californien, nach der
eigenen Versicherung des Gouverneurs, jährlich
auf 20,000 Seeotterfelle liefern kann, und unge-
achtet die Spanier über Manilla so viel Verkehr
mit Schina haben, wo diese Felle bekanntlich in
einem so ausnehmend hohen Preise stehen, so sind
sie doch erst durch Cook’s letzte Reise darauf ge-
bracht worden, von diesem wichtigen Handels-
artikel Gebrauch zu machen. Bis dahin stand
in Californien ein Seeotterfell im Werth von zwey
Hasenfellen.

[Seite 1312] Von der Monterey-Bay ging la P. schräg
über die Südsee nach Schina; hat aber, unge-
achtet er mit Fleiß, in Hoffnung geographischer
Entdeckungen, den gewöhnlichen Weg der Manilla-
Schiffe vermied, doch auf dieser weiten Fahrt nur
ein Paar Klippen entdeckt, deren Kenntniß aber
doch künftigen Seefahrern zur Warnung dienen kann.

Über die Demüthigungen, die sich die Europäer
von den Schinesen auf Macao gefallen lassen müs-
sen. Il ne se boit pas une tasse de thé en Eu-
rope qui n’ait couté une humiliation à ceux qui
l’ont acheté à Canton, qui l’ont embarqué, et
ont sillonné la moitié du globe pour apporter
cette feuille dans nos marchés.
(– Nun und nach
Franklin’s Ausdruck thun wir kein Stück Zucker
in die Tasse, das nicht mit Menschenblut in West-
indien gleichsam getränkt wäre. Das macht also
zusammen einen Trank, dessen Genuß, aus die-
sem Gesichtspunct angesehen, der Menschheit Ehre
bringt! –)

Von Macao ging die Fahrt nach den Philip-
pinen,
diesen herrlichen Inseln, deren Besitz bey
ihrer Fruchtbarkeit und vortheilhaften Lage, unter
einer weisen Regierung mit unübersehlichem Vor-
theil benutzt werden könnte. Je ne craindrai pas
d’avancer
, sagt la P., qu’ une très-grande na-
tion qui n’aurait pour colonie que les iles Phi-
lippines, et qui y etablirait le meilleur gouver-
nement qu’elles puissent comporter, pourrait
voir sans envie tous les etablissemens Européens
de l’Afrique et de l’Amerique.
Wie wenig aber
dieß die bisherigen Beherrscher dieser an sich so
glückseligen Inseln seit 200 Jahren verstanden ha-
ben, ist freylich eben so bekannt als unbegreiflich
und in seiner Art bewundernswürdig! – Das
erste, dringendste, nothwendigste Bedürfniß der
[Seite 1313] Einwohner ist Tabak. Beide Geschlechter rauchen
durchgehends, und von der Wiege an. Auf ein-
mahl sind (ein Paar Jahre, ehe la P. hinkam)
alle die unzähligen kleinen Tabakspflanzungen die-
ser armen Insulaner zerstört und bey schwerer
Strafe verboten, dagegen dieses allgemeine Be-
dürfniß zum Regal gemacht und mit einer solchen
Taxe belegt worden, daß der Tagelohn eines Ar-
beiters nicht hinreicht, den Tabak für seine Fa-
milie zu bestreiten.

Von Manilla ging la P. durch den Canal von
Formosa, bey den westlichsten Liquejo-Inseln vor-
bey, und so zu Ende des Mayes 1787 durch die
Straße von Corea ins Japansche Meer, nachdem
er vor dem Eingang in jene Straße die reitzende
Küste der Insel Quelpaert gesehen hatte, die
durch die Abenteuer der 36 Holländer berühmt
geworden, die in der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts daran gestrandet, und von denen doch
achte nach einer vierzehnjährigen Gefangenschaft
wieder entflohen und glücklich nach Amsterdam
zurückgekommen sind.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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