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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1801.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Paris.

[Seite 1017]

Voyage autour du monde pendant les an-
nées 1790, 91 et 92. par Étienne Marchand
,
précédé d’une introduction historique; auquel
on a joint des Recherches sur les terres austra-
les de Drake, et un examen critique du voya-
ge de Roggeween; avec cartes et figures: par
C.P. Claret Fleurieu
– Vier Bände in
groß Quart; der erste von 144 und 628 S., der
zweyte 676 S., der dritte 431 S., der vierte
158 S. mit XV Karten und Kupfern.

Auch diese Reise um die Welt (– die zweyte,
so überhaupt bis jetzt von den Franzosen ausgeführt
worden –) ist, so wie mehrere von den in den
letzten Jahrzehenden unternommenen, durch die
Begier nach einem fürwahr güldenen Vließe, nähm-
lich nach den köstlichen Fellen der Meerottern an der
Pelzküste des westlichen Nordamerica, veranlaßt.
Capitän Marchand hatte auf einer Rückfahrt
[Seite 1018] aus Ostindien, den durch seine Reise nach jener
Küste bekannten Englischen Capitän Portlock ge-
troffen, und von ihm nähere Auskunft über den
einträglichen Vertrieb dieser kostbaren Pelterey
nach Schina erhalten, die er dann in Marseille
dem Handelshause Baux mittheilte, und von dem-
selben gleich selbst den Auftrag zu Ausführung
einer solchen Expedition erhielt. Das zu diesem
Behuf ausgerüstete tüchtige Schiff (le Solide)
lief mit 50 Mann an Bord im December 1790
aus, ging im April des folgenden Jahres südlich
um das Feuerland, ward aber durch widrigen
Wind bis 60° südl. Br. getrieben. Doch fiel auch
hier das Thermometer nur auf den Gefrierpunct,
und selbst dieß bloß des Nachts einige Stunden
lang. – Auf der so genannten Südsee ging nun
die Fahrt zuerst nach den Marquesas-Inseln, wo
an Santa Christina gelandet wurde. Der Cha-
rakter und das Benehmen der Einwohner, nah-
mentlich die Diebereyen der Männer und die Ga-
lanterien des andern Geschlechts, werden hier
eben so, wie in andern neuern Reisen nach die-
ser Insel, geschildert; nur die letztern mit vor-
züglich lebhaften Farben, die überhaupt in dieser
Reisebeschreibung, ohne Zweifel um desto mehr
Classen des lesenden Publicums dadurch zu unter-
halten, sehr reichlich angebracht sind. So heißt
es z.B. von den meist jungen und schönen In-
sulanerinnen, die an Bord des Schiffs kamen:
on les a vues, sans autre vêtement que celui
de la nature, grimper au haut du mât par
les enfléchures, avec une agilité que les jeu-
nes matelots qui s’empressoient à leur suite,
pouvoient à peine égaler; et la hune goudron-
née du Vaisseau se vit transformée en un bos-
quet de Gnide
; und wenn sie wieder fort muß-
[Seite 1019] ten, so sprangen sie zwar über Bord – mais,
vraies Sirènes, elles s’éloignoient pas du Vais-
seau; elles faisoient mille évolutions à sa
vue, et se montroient sous toutes les formes; –
c’étoit réaliser sous les yeux de nos Marins
ce charmant tableau de la naissance de Venus,
où le pinceau de Boucher a représenté les jeu-
nes Néreïdes se jouant sur les flots à l’entour
de la conque qui porte la Déesse. Et que ne
pouvoit pas l’àrt de ces Sirènes sur le jeune
Marin qui n’est pas un Ulysse!
– Hühner
und Schweine waren, wider Erwarten, nichts we-
niger als häufig zu haben. Ein Chef brachte ein
großes Schwein, wollte es aber für keine Nägel,
Messer, Spiegel und dergl. abstehen, sondern
verlangte durchaus eine der an Bord befindlichen
Katzen dafür; und nahm es auch, da man ihm
diese versagen mußte, wieder mit sich zurück. –
Bey Gelegenheit des Tatuirens wird beyläufig
die ähnliche Procedur genauer, als es uns sonst
vorgekommen, beschrieben, wie sich auch Euro-
päische Matrosen allerhand Figuren, Crucifixe,
Madonnen etc. oder ihre eigenen Nahmen oder den
ihrer Liebschaft auf eine eben so unvergängliche
Weise in die Haut zeichnen lassen. Nach man-
chen Nachrichten sollte dieß durch Schröpfen, nach
andern durch Brennen geschehen. Hier erfährt
man, wie beide Mittel zugleich dazu angewandt
werden. Die Zeichnung wird durch Nadelstiche
gemacht, dann aber sogleich fein geriebenes Schieß-
pulver darauf gestreuet und angezündet. – Die
Marquesaner tragen alle Europäische Fabrikate,
womit sie sich behängen können, als höchsten
Putz. So stolzirte eine junge Insulanerinn mit
dem blechernen Barbierbecken, das sie dem Schiffs-
barbirer entwendet hatte, statt eines Ringkragen
[Seite 1020] Halse; und ein Indianer mit des Capitän
Marchand Ladestock, den er als Ohrgehänge trug.
Was sie von ihrer Landestracht am höchsten schätz-
ten, und nur mit großer Schwierigkeit vertausch-
ten, sind die sonderbaren, mit Haarlocken dicht
besetzten, Kopfbinden, Armbänder etc. die sie, wie
hier vermuthet wird, als Reliquien ihrer verstor-
benen Anverwandten tragen, und sich deßhalb so
ungern davon trennen. (– Das hiesige acade-
mische Museum besitzt in seiner großen Sammlung
von Merkwürdigkeiten der Südsee-Inseln auch ein
solches Armband, das von der zweyten Cookischen
Weltreise mitgebracht worden. –) Die ausschwei-
fende Wollust, die unter diesen schönen Insula-
nern herrscht, wird mit starken Zügen geschildert;
es sey sogar nicht unwahrscheinlich, daß sie sich
dem concubitus vagus überlassen; wenigstens
wissen die Männer eben so wenig von Eifersucht,
als die Weiber von ehelicher Treue. – Bey
Überschwemmungen, denen diese Inseln ausgesetzt
sind, gehen die Einwohner sehr geschickt auf
zweckmäßig dazu eingerichteten Stelzen. – Nahe
bey den Marquesas-Inseln, im Westen derselben,
fand auch Marchand die kleine Inselgruppe, die
der Nordamericanische Capitän Ingraham zuerst
entdeckt, und nachher der würdige Vancouver in
seinem classischen Werke am genauesten beschrie-
ben und Hergest’s Inseln genannt hat. Doch schei-
nen sie sogar schon auf der merkwürdigen hydro-
graphischen Karte jenes Theils des großen Oceans
angedeutet zu seyn, die Hr. Baronet Banks auf
seiner großen Weltreise nach der Angabe des be-
kannten Tupia entworfen hat. (– Letzterer wird
hier in dieser Reisebeschreibung mit seinem Lands-
mann Omai verwechselt. –) Von diesen Inseln
ging die Fahrt geradezu gen Norden nach der
[Seite 1021] Americanischen Pelzküste, als dem eigentlichen
Ziele ihrer Bestimmung. Zuerst nach der von
Capitän Dixon so genannten Norfolk-Bay un-
ter dem 58° nordl. Breite, wo sie im August
(1791) ankamen. Die dortigen Indianer waren
durch die Besuche der Englischen Pelzhändler-
schiffe, wie es hier heißt, schon sehr Europäani-
sirt; trugen Hemden, Tuchwesten, Beinkleider,
fast alles von Englischer Fabrik, und verstanden
ihr Tauschgeschäfte so meisterhaft, daß sie darin
schwerlich von unsern Handelsjuden noch hätten
Etwas lernen können. Weislich hat man ihnen
aber noch kein Schießgewehr gegeben; oder we-
nigstens kein Kraut und Loth dazu; denn ein da-
siger Indianer erzählte, daß er so ein Ding ge-
habt, aber es aus Ärger zerschlagen hätte, weil
es immer nur krick gemacht, und nie das rechte
Puhu machen wollen. Von da segelte Marchand
an den Charlotten-Inseln vorbey bis herunter
nach Nutkasund, und eilte dann, um nach Schina
zu kommen, und da die Seeotterfelle, die er an
der Pelzküste, nicht eben in großer Menge und
meist ziemlich theuer, eingekauft hatte, recht pro-
fitabel abzusetzen. Die hier von dieser Küste und
ihren Bewohnern ertheilten Nachrichten enthalten
übrigens wenig, was nicht schon aus der Engli-
schen Seefahrer, zumahl aus Capitän Vancou-
ver’s meisterhaften Beschreibung derselben, bekannt
wäre. Marchand ging nun nach Owhyhi, von
da nach Tinian und Formosa, doch ohne an einer
dieser Inseln zu landen, und langte so gegen
Ende Novembers in Macao an, wo er aber alle
Hoffnungen zu einem vortheilhaften Absatz seiner
Peltereyen durch ein strenges Verbot vereitelt
fand, kraft dessen schlechterdings kein Pelzwerk,
[Seite 1022] und nahmentlich keine Seeotterfelle, in irgend
einen Hafen des mittäglichen Schina eingeführt
oder verkauft werden durften. Es blieb ihm also
keine andere Wahl, als diese köstlichen Waren
vor der Hand mit nach Europa zu nehmen. Er
kam zu Ende Novembers nach Isle de France,
von wannen er nach einem viermonathlichen Auf-
enthalte im April 1792 wieder absegelte, und so,
nachdem er auf St. Helena einigen frischen Pro-
viant eingenommen hatte, den 14. August auf
der kleinen Rhede von Toulon ankerte. Man
hoffte das Pelzwerk am beßten von Lyon aus
abzusetzen; unglücklicher Weise ward aber diese
Handelsstadt wenige Tage nachdem es daselbst
angekommen, in Belagerungsstand gesetzt; die
Güter wurden versiegelt, und darüber die schö-
nen Felle größten Theils zu Wurmfraß: so daß
das Haus Baux zwey Drittel seines in diese große
Unternehmung gesteckten Capitals einbüßete.

Capitän Marchand ging nachher wieder nach
Isle de France, wo er starb, ohne daß Hr. Fleu-
rien erfahren können, wo die Papiere desselben
hingekommen. Er hat sich daher bey der Heraus-
gabe dieser Reisebeschreibung hauptsächlich an das
Tagebuch, das der zweyte Capitän, Chanal, ge-
führt, und dann, zumahl was die naturhistorischen
und anthropologischen Gegenstände betrifft, an die
ausführlichen Beobachtungen gehalten, die der
erste Wundarzt, Roblet, aufgezeichnet hatte.
Doch macht die eigentliche Beschreibung der Reise
den bey weitem kleinsten Theil des ganzen Werks
aus. Sie füllt nicht einmahl den ersten Band,
und enthält doch überdem manche vom Redacteur
hin und wieder eingeschaltete Untersuchungen,
wie z.B. über den Ursprung und die Abstam-
[Seite 1023] mung der Bewohner der Pelzküste; über die La
Mesa der ältern Spanischen Karten von der Süd-
see, die er mit den Sandwich-Inseln für einer-
ley hält, und dergl. m. So hat er auch bey
den merkwürdigsten Gegenden die Nachrichten der
frühern Seefahrer sorgfältig verglichen: so zu-
mahl bey den Maraquesas-Inseln das, was die
ersten Entdecker derselben, Mendanna und Quiros
(1595), und neuerlich Cook (1774), davon ge-
sagt. – In der dem ersten Bande vorgesetzten
Einleitung gibt er eine critische Geschichte der
durch die Europäer an der Nordwestküste von
America gemachten Entdeckungen, von Cortes
(1537) bis Malespina (1790), und fügt im An-
hange noch Einiges aus Vancouver’s seitdem er-
schienenen Beschreibung seiner großen Weltreise
bey.

Die übrigen drey Bände sind für unsere An-
zeige keines Auszugs fähig. – Die erste Hälfte
des zweyten enthält die Resultate der beobachte-
ten Längen und Breiten, um darnach die Abwei-
chungen zu bestimmen, die der Lauf des Schiffes
in seiner scheinbaren Richtung und Geschwindig-
keit durch die Meeresströmungen erlitten hat. –
Das Übrige dieses Bandes und den größern Theil
des dritten füllt eine sehr ausführliche, größten
Theils aus guten, aber meist bekannten, Quellen
(Buffon, Bomare, der Encyclopédie méthodique etc.
und dann aus einer Fülle von Seereisen) zusammen-
getragene, doch auch gar manche eigene Bemerkung
enthaltende, Naturgeschichte aller derjenigen bis-
her bekannten Seethiere, der Seeotter, Robben,
Cetaceen, Seevögel, Schildkröten, Wasserschlan-
gen, Fische, Mollusken, so wie auch mancher
Meerpflanzen, Seetang etc. etc. die sich im Atlan-
[Seite 1024] tischen, Indischen und großen Ocean finden: eine
mühsame und ausnehmend nützliche Arbeit, nah-
mentlich als zoologisches Hauptwerk für künftige
Seefahrer, denen sie die Beobachtung, Bestim-
mung und scientifische Berichtigung dieser zahl-
reichen Naturproducte gar sehr erleichtern, und
häufige Gelegenheit geben kann, ihre Reisen
auch für die Naturgeschichte desto lehrreicher und
ergiebiger zu machen. Nur dünkt uns die ge-
wählte Ordnung nicht die zweckmäßigste, da alle
die mancherley hier beschriebenen Thiere ohne
systematische Rücksicht nur nach dem Wege ver-
zeichnet sind, wie gerade auf einer solchen Fahrt,
als die vom Capitän Marchand gemachte, die
ersten Gattungen eines Geschlechts angetroffen
werden, und diesen sind dann gleich die übrigen
Gattungen, wenn schon aus noch so weit davon
entfernten Gegenden, hinzugefügt. Doch haben
wir dadurch im Ganzen schon eine sehr reiche
Grundlage zu einer so genannten Fauna der ver-
schiedenen Oceane erhalten; zu welcher nun vor-
züglich noch die Corallen und Conchylien, so wie
die See-Insecten, nachgetragen werden müßten,
da jene beiden Ordnungen des Thierreichs ganz
übergangen sind, und von letztern nur sehr we-
nig berührt ist.

Die zweyte Hälfte dieses dritten Bandes ent-
hält für die nautische Geographie überaus wich-
tige Untersuchungen des in diesem Fache so clas-
sischen Hrn. Fleurieu. Die eine zum Erweis,
daß das vermeinte Südland, das Sir Francis
Drake auf seiner Reise um die Welt fern im Sü-
den vom Feuerlande gefunden haben soll, mit den
südwestlichen Küsten der noch wenig bekannten
Inseln einerley sey, die den Archipelagus des so
[Seite 1025] genannten Feuerlandes ausmachen. – Auch daß
weder, wie allgemein geglaubt worden, Walter
Schouten, noch auch, wie neuerlich ein Spani-
scher Schriftsteller behaupten wollen, Loaisa, son-
dern ebenfalls der eben gedachte große Englische
Seefahrer, der wahre Entdecker des Cap Horn sey.

Die andere Abhandlung liefert eine treffliche
critische Prüfung der Nachrichten von Roggewein’s
Reise um die Welt (1721 und 22). Der Verf.
zeigt, daß ausser der Oster-Insel und den schäd-
lichen Inseln (die er mit den von Cook unter den
so genannten Low Islands zwischen den Marque-
sas und Utaheiti gefundenen Pallisers-Inseln
für einerley hält) keine der übrigen, die jener
Holländische Admiral entdeckt, von den nach-
herigen Europäischen Seefahrern sey besucht wor-
den; auch daß die aus aller Rücksicht so merk-
würdige Oster-Insel selbst nicht das angebliche
Land seyn könne, das der Englische Freybeuter
Davis 34 Jahre vorher (1687) gesehen haben
wollte, und nach seinem Nahmen benannt wor-
den, und dergl. m.

Der vierte Band endlich enthält ausser den
Karten und Kupfern noch zwey andere ausführ-
liche Abhandlungen des Herausgebers; die erste
derselben, über eine von ihm entworfene neue
Eintheilung und Nomenclatur der Meere, dient
zugleich zu einer überaus schätzbaren, genauen
und vollständigen Hydrographie derselben; die
zweyte betrifft die Anwendung des neuen metri-
schen Decimal-Systems auf die Seefahrtkunde.
Beide werden auch einzeln mit einem neuen
Stich der General-Karte von Marchand’s Reise
verkauft, auf welchem nun die Meere nach jener
neuen Nomenclatur benannt sind.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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