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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1803.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Paris.

[Seite 1113]

Mémoire sur la collection des grands et petits
voyages, et sur la collection des voyages de
Melchis. Thevenot; par A.G. Camus, membre
de l’Institut national. Imprimé par l’ordre et
aux frais de l’Institut. An XI
. (1802). 401 S.
in gr. Quart.

Kenner seltener Bücher wissen, welchen hohen
Rang die beiden großen Sammlungen von Reise-
beschreibungen, welche von der Künstlerfamilie De
Bry sowohl Lateinisch, als Deutsch (und manche
Theile in mehreren Auflagen), herausgegeben wor-
den, so wie auch die übrigens ganz davon ver-
schiedene Französische, die der gelehrte Bibliothekar
Melchis. Thevenot, der Onkel des bekannten Mor-
genländischen Reisenden, besorgt hat, unter densel-
ben behaupten. Da an diesen drey Collectionen
lange Jahre hindurch gedruckt, und die Theile ein-
zeln, und bey der Thevenotschen Manches nur wie
in kleinen Lagen von wenigen Bogen erschienen, so
begreift sich, warum vollständige und gut erhaltene
Exemplare davon so äusserst selten gefunden werden,
daß z.B. von den De Bryschen eines in der Pa-
[Seite 1114] riser National-Bibliothek mit 4802 Livres, und
ein anderes, das nach Schweden gekommen, mit
6000 Franken bezahlt worden. (– Ein Hauptgrund
der Seltenheit der letztgedachten Sammlungen liegt
auch darin, daß manche Theile, der vorzüglich schö-
nen Kupfer wegen, als Bilderbücher längst abge-
nutzt, und endlich zerrissen worden, so daß der Rec.
schon oft die bloßen Reliquien davon hin und wie-
der zerstreut vorgefunden hat. –) Ueber diese
beiden Collectionen der De Bry’s, wovon diejenige,
so hauptsächlich die Reisen nach America enthält,
insgemein unter dem Nahmen der grands voyages,
die andere aber, die größten Theils Reisen nach
Africa, Asien, Südindien etc. begreift, als die pe-
tits voyages
bekannt ist, war auch, was den In-
halt completer Exemplare betrifft, zumahl in Frank-
reich, schon Manches von Liebhabern und Samm-
lern rarer Bücher, nahmentlich vom Abbé Rothe-
lin und den beiden Debure, geschrieben. Da aber
alle diese Nachrichten nicht nur einseitig und trok-
ken, sondern auch noch immer mangelhaft waren,
so hat Hr. Camus die günstige Gelegenheit benutzt,
die ihm zumahl die Schätze der National-Bibliothek
anboten, in dem ansehnlichen Werke, das wir an-
zeigen, die genaueste und vollständigste Notiz von
diesen beiden Sammlungen sowohl, als von der
Thevenotschen, zu geben. Seine Arbeit beschränkt
sich aber bey weitem nicht bloß auf das trockene
Verzeichniß ihres Inhalts, sondern liefert zugleich
eine Fülle von schätzbaren critischen Notizen über
die Verfasser, und den Werth und die Literatur
der einzelnen darin aufgenommenen Reisebeschrei-
bungen selbst, besonders über die Original-Aus-
gaben, darunter ebenfalls viele Seltenheiten der
National-Bibliothek vorkommen. Besonders aus-
führlich und genau behandelt er z.B. die Reisen
von Amerigo Vespucci, Benzoni, Lery, Jos. Aco-
[Seite 1115] sta etc. so daß das Werk als ein reicher Beytrag
zu der noch wenig bearbeiteten critischen Geschichte
der Reisebeschreibungen anzusehen ist. – Voran
Einiges von den frühern Sammlungen von Reisen,
seit der ersten Vicentinischen von 1507. Dann
von den grands et petits voyages selbst. – Ihre
Entstehung. Dietrich De Bry, aus Lüttich, Kupfer-
stecher u. Buchhändler zu Frankfurt, erhielt 1587 in
England die Original-Zeichnungen zu des großen Ana-
lysten und Astronomen Th. Hariot’s Beschreibung von
Virginien, und zu Laudoniere’s u.A. Reisen nach
Florida, und faßte dadurch die Idee, sie als Anfang
zu einer großen Sammlung von Seefahrten und
Weltreisen zu benutzen. (– In der biblioth Rin-
kiana
wird, wir wissen nicht, auf welche Autorität,
gesagt, das bekannte Reisebuch des heil. Landes habe
ihm den Anlaß zu diesem Unternehmen gegeben. –)
So edirt er selbst nach und nach die VI ersten
Theile seines America oder der grands voyages.
Den ersten Band der andern Sammlung gaben
nach seinem Tode seine beiden Söhne, Joh. Diet-
rich und Joh. Israel, heraus. Letzterer starb vor
1612. Ersterer 1623, und nun fielen beide Werke
dessen Schwiegersöhnen zum Erbtheil. Dem wak-
kern, arbeitsamen Künstler, Matth. Merian, das
America; die India orientalis dem Englischen Buch-
führer zu Frankfurt, W. Fitzer. So erschien nach
und nach die erstere Sammlung von 1590 bis 1634,
Lateinisch in XIII Theilen, Deutsch in XIV. Die
andere hingegen von 1598 bis 1628, Lateinisch in
XII Theilen, Deutsch in XIII. Von dieser Deut-
schen Ausgabe des letztgedachten Werkes besitzt die
National-Bibliothek ein Exemplar; vielleicht, wie
Hr. C. sagt, das einzige in Frankreich, daher er
auch vom Inhalt der beiden letzten Theile desselben
zur Vergleichung mit dem XIIten Lateinischen Nach-
richt gibt. (– Da er hingegen die Deutsche Aus-
[Seite 1116] gabe der grands voyages nicht selbst gesehen zu ha-
ben scheint, und die ungleiche Bändezahl beider
Editionen wohl eher zu Irrthum Anlaß gegeben, so
bemerken wir, daß auch bey dieser Sammlung, so
wie bey den petits voyages, die beiden letzten Bände
der Deutschen Ausgabe in der Lateinischen Ueberset-
zung in Einen zusammengefaßt worden. Von jenen
hat der XIIte den Titel: Continuatio Americae,
darinnen erstlich eine Beschreibung des newen Engel-
landts etc. Frankf. gedruckt bey Casp. Rötel in Ver-
legung Matth. Merian 1627. Der letzte aber:
Vierzehender Theil Americanischer Historien etc. ver-
legt durch Matth. Merian, Buchhändlern und Kunst-
stechern zu Frankfurt, gedruckt zu Hanau bey Dav.
Aubri 1630. – Von einigen der ersten Theile die-
ser Deutschen Ausgabe, nahmentlich von Harriot’s
Virginien, Hanns Staden’s und Lery’s Brasilien,
und Benzoni’s Geschichte der neuen Welt, sind dem
Rec. auch verschiedene Bruchstücke von ausnehmend
sauber und kunstreich, und, was z.B. die eigene
Hautfarbe der Indianer betrifft, getreu illuminirten
Exemplaren vorgekommen. – Noch erinnern wir bey
Gelegenheit des von Hrn. C. angeführten Auszuges
der Americanischen Reisen von dem pseudonymen
Gottfried, der ausserdem besonders durch seine Chro-
nik mit Merianischen Kupfern bekannt ist, daß schon
14 Jahre früher eine ähnliche, aber sehr seltene,
Epitome erschienen ist, unter dem Titel: Ame-
rica.
d.i. Erfindung und Offenbarung der newen
Welt, deroselben Volker Gestalt etc. in 30 vornem-
sten Schiffarten kürzlich und ordentlich zusammenge-
faßt durch M. Phil. Ziglerum von Würzburg E. C.
in Truck gegeben von J. Theod. de Bry, Buchhänd-
lern und Bürgern zu Oppenheim. Getruckt zu Frankf.
durch Nic. Hoffmann 1617. Fol. –) Im Ganzen
haben freylich, wie Hr. C. sehr richtig bemerkt, diese
seltenen und jetzt so kostbaren de Bryschen Collectio-
[Seite 1117] nen wenig critischen Werth. Wie in manchen ähn-
lichen Sammlungen, sind die Reisen theils nur im
Auszug aufgenommen, theils ohne sattsame Sach-
kenntniß übersetzt, wovon der Verf. zahlreiche Be-
weise gibt. (– Doch gilt dieß, wie wir oft erfah-
ren, weit mehr von den Lateinischen, als von den
Deutschen Ausgaben. –) Auch sind zu manchen
Reisen die Abbildungen nur nach den Beschreibungen
entworfen. Kurz! das Ganze war eine glückliche,
und auch allerdings nutzbare, Buchhändler-Specula-
tion, wobey es aber an einem der Sache von wissen-
schaftlicher Seite recht gewachsenen gelehrten Re-
dacteur fehlte.

Anders verhält es sich mit der wegen ihres innern
Werthes weit schätzbarern Sammlung des ber. Mel-
chis. Thevenot, der bey seiner großen Gelehrsamkeit,
und ausgebreiteten Correspondenz, und als königl.
Bibliothekar, reiche Gelegenheit hatte, seltene und
wichtige Reisebeschreibungen zusammen zu bringen,
und mit critischem Scharfblick für seine Unternehmung
zu benutzen. Schade nur, daß, wie Hr. C. sagt,
der Geist der Ordnung ihm nicht so eigen gewesen zu
seyn scheint, wie der Geist des Forschens. Er ließ
die einzelnen Stücke auch eben so einzeln abdrucken,
jedes, meist von vorn, paginiren, ohne hinlängli-
che Anweisung von Registern etc. so daß es äusserst
schwerhält, ein ganz vollständiges und richtig geord-
netes Exemplar, zumahl was die letzten Theile be-
trifft, zusammen zu bringen. (– Ueberhaupt muß
das Werk schon vor hundert Jahren in Frankreich
selbst zu den Seltenheiten gehört haben, da es
Vigneul-Marville in seinen Melanges, fort rare
nennt. –) Bey den Nachrichten von Thevenot’s
Lebensumständen, die Hr. C. vorausschickt, sagt er,
er wisse nicht, warum man denselben in manchen
Verzeichnissen Nicolaus Melchisedech nenne. (– Daß
dieß doch wohl sein Nahme sey, schließen wir daher,
[Seite 1118] weil ihn manche seiner genauen Freunde so nennen,
s.z.B. Huetii comm. de reb. ad eum pertinenti-
bus
und Colomesii paralipom. ad Cavei charto-
phylacem
. –) Mit größtem Fleiß und Genauigkeit
sind dann die vollständigsten Exemplare dieser Samm-
lung mit einander verglichen, und Verschiedenheiten
angegeben. (– Und doch zeigen zweye von den drey
Exemplaren auf der hiesigen Universitäts-Bibliothek
noch ein paar kleine, dem Hrn. C., wie es scheint,
nicht vorgekommene, Abweichungen, die, so unbe-
deutend sie auch an sich sind, doch als ein kleiner
Nachtrag zu den vielen von ihm bemerkten hier ange-
zeigt werden mögen. Auf dem Haupttitel der IV.
Partie
[bey Hrn. C.S. 290 T. I. 2 de P.] heißt der
Verleger hier Gervais Clousier. Und der besondere
Titel der darin enthaltenen Schinesischen Politik und
Moral [C.S. 291] ist in einem unserer Exemplare
nicht Lateinisch, sondern Französisch: La science des
Chinois ou le livre de
Cum-su-çu etc. à Paris,
chez André Cramoisy
1673. –)

Die zahlreichen literarischen u.a. Notizen, die Hr.
C., wie gedacht, beyläufig beybringt, sind keines
Auszugs in dieser Anzeige fähig. Unter andern hat
er die handschriftlichen Anmerkungen abdrucken las-
sen, die der oben genannte gelehrte Bischof Huet
sowohl seinem Exemplare von Thevenot’s Sammlung,
als auch einer Französischen Uebersetzung des Jos.
Acosta beygeschrieben, die sich beide in der National-
Bibliothek finden. Fast durchgehends sind die vielen
ausländischen Nahmen, die sonst in Französischen Wer-
ken so häufig entstellt werden, genau abgedruckt.
Nur ist der ehrliche Hanns Staden von Homburg in
Niederhessen Jean de Stad, und der Holländische See-
fahrer de Weert hier de Veer geschrieben. Auch be-
deuten die Worte ’t Paleis van den Coninc auf zwey
Prospecten in den grands voyages ohne Zweifel die
königlichen Palläste, und nicht, wie hier gefragt
[Seite 1119] wird, etwa den Nahmen des Kupferstechers. End-
lich erinnern wir noch, daß die merkwürdige Reise
Ulrich Schmidel’s et von Straubingen, von welcher
Hrn. C. unbekannt ist, daß das Original anderswo,
als in der Deutschen Ausgabe der grands voyages
gedruckt sey, allerdings, und zwar wahrscheinlich
nach der eigenen Handschrift des Reisenden, von dem
gelehrten Sprachmeister, Notarius und Buchführer
Levin Hulsius im IVten Theile seiner äusserst seltenen
Sammlung von Schifffahrten, richtiger, als dort
von de Bry, edirt worden.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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