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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1809.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 1097]

Herr Hofrath Kehmann in Moskau, der bey
der letztern, nach Schina bestimmten, Russisch-
kaiserlichen Gesandtschaft als erster Arzt angestellt
war, hat der königl. Societät der Wissenschaften die
ausführliche Beschreibung einer von ihm an das hie-
sige academische Museum geschenkten Tibetanischen
Hand-Apotheke
übersandt, dergleichen in dem
Schinesischen Handelsstädtchen Maimatschin bey
Kiachta verkauft werden. Sie enthalten 60 Päckt-
chen, jedes mit seiner Etikette in Tangutischer oder
Tibetanischer Sprache; und werden von den Lamas
der Mongolen und der unter Russischer Botmäßig-
keit stehenden Buräten häufig gekauft. Die Ver-
fasser der in eben dieser Sprache gedruckten An-
weisungen zu ihrem Gebrauch sind zu Burchanen
erhoben oder vergöttert worden. Das Hauptwerk
von allem, ihr pharmaceutischer Canon, ist von
dem Burchan Ototschei, gleichsam dem Aesculap
der Tangutischen Mythologie, geschrieben. Eine
Uebersetzung dieser Bücher steht hoffentlich von einem
[Seite 1098] jetzt in der medicinisch-chirurgischen Academie zu
St. Petersburg befindlichen Lama zu erwarten; so
wie auch Hrn. Hofr. R. bey seinem Commentar
mehrere Lamas behülflich gewesen.

Eine bittere, mit einer braunen Kruste von Rha-
barberpulver überzogene Pillen-Composition aus-
genommen, sind alle übrige Simplicien. Aus dem
Thierreiche bloß Schalen und Scheeren von einer
Krabbe (– das bey den alten, zumahl Arabischen,
Aerzten so gepriesene Mittel –). Alles Uebrige
aus dem Pflanzen- und Mineralreiche. Unter jenen,
um nur Einiges anzuführen, eine fünfkantige My-
robalane, doch keiner der weiland auch in unsern
Abendländern officinellen gleichend, die ein Lama
der mächtigen Heilkräfte halber, die ihr zugeschrie-
ben werden, zum Khan unter den Arzneyen erhob. –
Von Gewürzen: langer Pfeffer, Nägelein, Mus-
catnuß, Ingwer etc. Ferner Rad. ireos Flor. Auch
die Wurzeln von Krapp, Alkanna, Rhabarber,
doch letztere eben von keiner vorzüglichen Sorte.
Roth Sandelholz (von einem zerbrochenen Haus-
geräthe); Assa foetida; Granatäpfel; Samen,
wie es scheint, von Dolichos soia; Blätter von
Mespilus japon. etc. etc. – Und von mineralischen
Mitteln: natürlicher Salmiak; Tinkal; ein klei-
nes Gefäß mit Quecksilber; und rothes Rausch-
gelb, das äusserlich, so wie das berühmte Den-
sui
, die Schinesischen rothen Pastillen, gebraucht
wird.

Uebrigens sind unter den vor der Hand unbe-
stimmbaren Simplicien in dieser Sammlung viele
von so ausgezeichnet kräftigem Geruch und Ge-
schmack, daß sie bey weiterer Untersuchung wohl
manche bedeutende Ausbeute für die Materia me-
dica
hoffen lassen.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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