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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band
auf das Jahr 1810.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

St. Petersburg.

[Seite 657]

Mit aller typographischen Schönheit ist so eben
erschienen: Reise um die Welt in den Jahren 1803,
04, 05 und 06 auf Befehl Seiner Kaiserlichen Maje-
stät Alexander des Isten auf den Schiffen Nadeshda
und Newa unter dem Commando des Cap. von der
Kaiserl. Marine A.J. von Krusenstern. Er-
ster Theil
. 1810. 353 Seiten in groß Quart.

Die Geschichte einer neuen Reise um die Welt wird
freylich immer mit Interesse gelesen. Nur begreift sich
wohl, wie verschieden vieles Interesse – nach dem
Weg, den die Weltumsegler genommen, der Zeit, die sie
darauf verwandt, dem Zweck, den sie gehabt, den Ent-
deckungen, die sie gemacht, den Abenteuern u.a. Vor-
fällen, welche dieselbe betroffen, u.d.m. – seyn muß.
Wer sich z.B. von unsern Lesern noch mit einiger Le-
bendigkeit in die 70iger Jahre des vorigen Säculums
zu versetzen vermag, dem muß die Größe und die All-
gemeinheit der Sensation erinnerlich geblieben seyn,
mit welcher die Beschreibung von Cook’s erster Reise
um die Welt, und überhaupt die Hawkesworth’sche
Sammlung, vom lesenden Publicum aufgenommen
[Seite 658] ward. Schon an sich der große Reitz der Neuheit;
besonders aber die mahlerischen Schilderungen von
dem üppigen Utaheiti, dieser Königinn der Südsee-
Inseln, der nouvelle Cythère, wie sie die Franzo-
sen nannten; ein goldenes Zeitalter hienieden in der
Wirklichkeit, wie es nur Dichterphantasie schaffen
könnte; die Theilnahme, welche die schöne Königinn
Oberea für sich einflößte; alles, bis auf die Wunder
des Brot-Baumes, des Seidenflachses etc., so wie
durchgehends die Blüthe der allgemein interessanten
naturhistorischen Entdeckungen, die Bank- und So-
lander
auf dieser berühmten Fahrt geerntet hatten,
alles traf zusammen, um den allgemeinen Enthusias-
mus zu erregen, womit jene Reisebeschreibung da-
mahls gelesen ward, und noch heute gelesen wird.
Daß hingegen so manche der spätern Welt- und resp.
Südsee-Reisen kein solches Publicum fanden, davon
liegt, außer Anderem, ein sehr begreiflicher Grund
im Mangel jenes Reitzes, oder darin, daß sich das
Neue zu einseitig auf Bereicherung der nautischen
Geographie beschränkte, die dem großen Haufen der
Leser, welche mehrfache Unterhaltung suchen, nicht
interessant genug seyn konnte.

Wie ganz anders es sich aus allen den obgedachten
Rücksichten mit dem eben so gehaltreichen als unter-
haltenden Werke verhält, dessen ersten Band wir vor
uns haben, das muß sich schon aus unserer, wenn
auch noch so beschränkten, Anzeige ergeben.

Zuvörderst ein Wort vom Anlaß zu dieser ersten
Russischen Weltreise; denn nie noch war ein Russisches
Schiff nur bis zum Wendezirkel gelangt. Und eben
deßhalb mußten die an sich so mächtigen Quellen des
Activhandels von Rußland bisher bey weitem am mei-
sten fremden handelnden Nationen zu gute kommen.
Selbst der Handel mit dem goldenen Vlies, den köst-
lichen Seeotter-Fellen, obgleich lange Jahre das Mo-
[Seite 659] nopol der Russen, konnte bey der rohen, verwüstenden
Weise, wie er bis zur Errichtung der so genannten
Americanischen Compagnie von einzelnen Unterneh-
mern betrieben ward, zu keiner statistischen Bedeutung
und Festigkeit gedeihen. Durch die raubgierige Hab-
sucht der Pelzjäger (Promüschleniks) wurden die
kostbaren Ottern auf weiten Strecken des Nord-Ar-
chipels vertilgt oder verscheucht, und die armen, sonst
so harmlosen, Insulaner durch die empörende Bru-
talität jener Wildschützen zur Verzweiflung gebracht.
Obendrein ging bey der elenden Bauart der Fahr-
zeuge, und der eminenten Unwissenheit ihrer Führer,
gewöhnlich eins von dreyen, oft mit den reichsten
Ladungen, verloren. Aber auch die durch des Kauf-
mann Schelichoff’s Betrieb errichtete, und durch sei-
nes Schwiegersohnes, Resanoff, Connexionen höch-
sten Orts bestätigte, Americanische Handels-Com-
pagnie hatte doch immer noch mit unermeßlichen
Schwierigkeiten bey jenem Pelzhandel zu kämpfen.
Der Land-Transport der nöthigsten Bedürfnisse, nah-
mentlich alles Mehls für die Etablissements in jenen
unwirthbaren hyperborischen Gegenden erforderte
jährlich über 4000 Pferde. Die Ankertaue mußten
in Stücke von 7 bis 8 Faden zerhauen, und in Ochotsk
wieder zusammengeknüpft werden. Eben so mußte
man die Anker in Stücken dahin bringen, und sie dort
erst wieder zusammenschmieden. Hinwiederum muß-
ten die erbeuteten Peltereyen erst nach Ochotsk ge-
bracht, und von da nach Kiachta versandt werden, wo-
zu zwey Jahre und drüber erforderlich sind.

Hr. von Krusenstern, der 6 Jahre lang auf der
Englischen Flotte gedient, und oft Anlaß gehabt hat-
te, die Beschränktheit des Russischen Activhandels zu
erwägen, traf während der Zeit bey seinem Aufent-
halte in Canton ein Englisches kleines Fahrzeug an,
das in Macao ausgerüstet worden war, und nach einer
[Seite 660] Abwesenheit von 55 Monathen eine Ladung Rauh-
werk von der Pelzküste des nordwestlichen America
zurückbrachte, die für 60,000 Piaster verkauft ward.
Dieß bestimmte ihn, auf seiner Rückreise von Schina
ein Memoire für den Russischen Commerz-Minister
mit Vorschlägen, nahmentlich zur Verbesserung des
gedachten Peltereyhandels, aufzusetzen, worin er be-
sonders anrieth, zu diesem Behuf zwey Schiffe von
Cronstadt aus ums Cap Horn oder das der guten
Hoffnung nach den Aleuten und der Americanischen
Pelzküste zu schicken. Das blieb unter der vorigen
Regierung unbeachtet. Hingegen ward unter der
jetzigen der Verf., der eben im Begriff stand, den
Dienst zu verlassen, und sich in Ruhe zu begeben,
ganz unerwartet im Julius 1802 von Reval nach
St. Petersburg berufen, und ihm angezeigt, daß
der Kaiser ihn selbst bestimmt habe, den eingereich-
ten Plan, und zwar gleich, auszuführen, da widri-
genfalls das ganze Unternehmen völlig unterbleiben
würde. Daß die Wahl auf keinen würdigern, tüch-
tigern Commandeur hätte fallen können, dafür spricht
schon das Werk selbst, und der glückliche Erfolg der
ganzen Reise. Der Rec. weiß es aber auch von
dreyen seiner gelehrten Freunde, welche dieselbe mit-
gemacht, und von welchen er während derselben aus
vier Welttheilen Briefe erhalten, und die sämmtlich
in dem warmen Lobe der ausgezeichneten Talente
und des trefflichen Characters dieses ihres verdienst-
vollen Führers übereinstimmten.

Es wurden nun zwey Schiffe zu dieser Weltreise
in London erkauft. Ein dreyjähriges von 450 Ton-
nen, und ein 15 Monathe altes von 370 Tonnen.
Beide kosteten, mit der Reparatur, 22,000 Pfund
Sterling. Ersteres ward Nadeshda (die Hoffnung),
das andere, Newa genannt. Zum Commandeur des
letztern wählte Hr. v. Kr. den Capitain-Lieutenant
[Seite 661] Lisianskoy, welcher mit ihm während des letzten
Revolutionskrieges auf der Englischen Flotte in
America und Ostindien gedient hatte. Der Astronom
und die beiden Naturforscher, welche diese Reise mit-
gemacht, sind bekanntlich die drey berühmten und
verdienstvollen Hofräthe, Dr. Horner, Dr. Tile-
sius
und Dr. Langsdorff, sämmtlich correspondi-
rende Mitglieder der hiesigen königl. Societät. Aus-
ser diesen, und dem Arzte auf der Newa, war weiter
kein Ausländer bey dieser Expedition. (Denn sechs
Taugenichtse von Japanern, die sieben Jahre vorher
an den Aleuten gestrandet waren, seitdem meist in
Irkutsk gelebt hatten, und nun mit dieser Gelegen-
heit wieder in ihr Vaterland geschickt werden soll-
ten, waren bey ihrer exemplarischen Unthätigkeit
bloß als lästige Frachtstücke anzusehen.)

Alle vom Hrn. v. Kr. getroffene Vorkehrungen
sind Zurüstungen sind ganz musterhaft. Hingegen
ward, ihm ganz unerwartet, seinem Reiseplan ein
ganz neues Project hinzugefügt: eine Gesandtschaft
nach Japan, dergleichen schon 1792 versucht, und
damahls von dem Japanischen Kaiser wider Erwarten
gut aufgenommen worden. Der damahlige Gesandte
war Hr. Adam Laxmann, ältester Sohn des verdien-
ten Naturforschers (erst Predigers zu Barnaul, dann
Hofraths zu Irkutsk); weil man aber einen Haupt-
grund des unvollkommenen Resultats seiner Sen-
dung darin suchte, daß er kein Hofmann und von zu
schlichtem Benehmen gewesen, so ward jetzt der ob-
gedachte Schwiegersohn des reichen Kaufmannes
Schelichoff, Hr. v. Resanoff, zugleich als Bevoll-
mächtigter der Americanischen Compagnie dazu ge-
wählt, der aber nicht zurückgekommen, sondern auf
seiner Heimreise durch Sibirien nun dahin gegangen,
quo Tullus dives, und dessen Verdiensten man,
wie der Rec. aus den sichersten Quellen weiß, keine
[Seite 662] Gerechtigkeit widerfahren lassen würde, wenn man
ihm schlichtes Benehmen, in irgend einem Sinne des
Worts, zur Last legen wollte. Inzwischen hatte
doch damahls der schlichte Hr. L. die schriftliche Er-
laubniß zurückgebracht, daß jährlich ein unbewaffne-
tes Schiff zum Handel nach Nangasaky kommen könn-
te, da hingegen jetzt dem Hrn. v.R. in Japan ganz
etwas Anderes, nähmlich die nöthigen Documente
eingehändigt wurden, die ein ewiges Verbot für
irgend ein Russisches Schiff, je wieder nach Japan
zu kommen, enthielten.

Den 7. Aug. 1803 gingen beide Schiffe von Cron-
stadt unter Segel; nachdem der Kaiser einige Wo-
chen vorher Selbst dahin gekommen war, diese Schiffe
in Augenschein zu nehmen, welche zum ersten Mahl
die Russische Flagge um die Welt führen sollten.

Die Fahrt ging zuerst nach Teneriffa, deren Ur-
einwohner, die berühmten Guanchen, die wir noch
aus ihren wundersam bereiteten Mumien kennen
(– davon in Hrn. Prof. Blumenbach’s Decas cra-
nior. Vta
), jetzt gänzlich ausgestorben (wo nicht,
nach Bory de St. Vincent, durch die Inquisition
vollends ausgerottet) sind. – Die berufene Insel
Ascensaõ, über deren Existenz man seit 300 Jahren
so verschiedener Meinung gewesen ist, hat auch Hr.
v. Kr., so wie La Pérouse u.A., da, wo sie nach der
Meinung der Gegenpartey liegen müßte, vergebens
gesucht. – Nun (den 21. Dec.) nach Santa Catha-
rina auf der Brasilischen Küste. Die Garnison besteht
aus ungefähr 500 Soldaten, die, trotz der Menge
von Diamanten und den 20 Millionen Cruzados, die
jährlich aus Brasilien nach Lissabon geschickt wurden,
damahls (1803) schon in mehreren Jahren keinen
Gehalt bekommen hatten. Der Reichthum an köst-
lichen Hölzern in diesem Wunderlande ist bekannt
(– besonders noch durch des edeln Lobo da Sil-
[Seite 663] veira
Skizze von Brasilien, die wir ohnlängst ange-
zeigt –). Hr. v. Kr. machte eine Sammlung von
mehr als 80 verschiedenen Holzarten, die der Schon-
heit ihrer Farbe und ihrer Stärke wegen ein wichti-
ger Gegenstand der Ausfuhr werden müßten. Die
Ausfuhr von Holz war aber ganz verboten (1803,
denn die Ereignisse, die Brasilien seit 2 Jahren be-
troffen haben, lassen vermuthen, daß auch hierin
Manches abgeändert seyn wird). Die Fahrt von
da ums Cap Horn ward in vier Wochen zurückge-
legt. Bey der Küste von Staatenland fand sich
(Februar 1804) eine erstaunlich große Menge von
Wallfischen, und dem Schiffe so nahe, daß der wacht-
habende Officier durch das heftige, starke Spritzen
kurz vor Tages Anbruch alarmirt ward, und nahe
bey einer Brandung zu seyn glaubte. – Erfahrun-
gen, daß weder Thau, noch häufige große Stücken
von Meergras, als sichere Kennzeichen nahen Landes,
wofür sie sonst gehalten werden, anzusehen sind. –
Durch wichtige Rücksichten, welche die Hauptzwecke
der ganzen Reise erheischten, ward Capitän v. Kr.
(– leider! –) genöthigt, seinen frühern Vorsatz,
eines der für physische Geographie und Völkerkunde
wichtigsten Inselpünctchen auf dem ganzen Erden-
runde, das 1722 von Roggewein entdeckte wunder-
same Pasch-Eiland, zu besuchen. Und dem Capitän
Lisianskoy, der sich mit der Newa wirklich einige
Tage bey dieser Insel aufgehalten, hatten (– lei-
der, leider! –) starke Westwinde nicht erlaubt,
dort zu ankern.

Doch diese getäuschte Hoffnung wird durch die
Fülle von neuen und höchst interessanten Nachrichten
vom Verfolg der Reise reichlich vergütet. Zunächst
schon durch den Aufenthalt auf Nukahiwa (May
1804), der größten der Washington’s- (oder neuen
Marquesas-)Inseln, wo man freylich die sonst we-
[Seite 664] gen ihres milden Characters so gepriesenen Südsee-
Insulaner von einer gar widerwärtigen Kehrseite ken-
nen lernt. Unsere Reisenden hatten dabey den gro-
ßen Vortheil, ein paar dort zurückgebliebene Euro-
päer, zumahl einen seit sieben Jahren daselbst ange-
siedelten, freylich nun zum completen Heiden natu-
ralisirten, und mit einer Verwandtinn des dasigen
Königes verheiratheten, Engländer zu treffen, der
ihnen bey seiner Kunde der Landessprache von sehr
wesentlichem Dienst war.

Hier nur Weniges von dem vielen Neuen.

Nach dem Wortverstande gehören die Nukahiwer
gar nicht in die Classe der Saugthiere, da sie, bis
auf sehr wenige Ausnahmen, weder von Müttern,
noch von Ammen gesäugt, überhaupt aber gar nicht
mit Milch, sondern mit Früchten und rohen Fischen,
aufgefüttert werden. (– Was also den Wahn derje-
nigen von unsern Aerzten und politischen Rechenkünst-
lern widerlegt, welche meinten, das Auffüttern der
Kinder ohne weibliche Brust tödte die eine Hälfte
derselben im ersten Lebensjahre, und verkrüppele
den größten Theil der andern. – Denn) dabey ge-
langen diese Insulaner zu einer unzerstörbaren Ge-
sundheit und zu einer körperlichen Schönheit, worin
sie schwerlich von einem andern Volke der Erde über-
troffen werden. (– Schon Cook erklärte die Mar-
quesas-Insulaner nicht bloß für den schönsten Men-
schenschlag auf der Südsee, sondern setzte nach hinzu:
for fine shape and regular features they perhaps
surpass all other nations
. –) Vorzüglich gilt dieß
aber vom männlichen Geschlechte (– so wie es in ei-
nigen Ländern von Europa, z.B. im Neapolitani-
schen, und selbst in manchen großen Städten und Ge-
genden von Deutschland, der gleiche Fall ist. –) –
(Wird im nächstfolgenden Stück fortgesetzt.)




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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